Max Fuchs
· 16.11.2022
Wer ein günstiges Mountainbike sucht, der tut sich so schwer wie noch nie. Preissteigerungen und der finanzielle Druck der Inflation schränken die Auswahl ein. BIKE hat sich aber auf Schnäppchen-Jagd begeben: 10 Preis-Leistungs-Knaller im Praxistest.
4516 Euro, so viel kosten zwei Wochen Luxusurlaub auf den Seychellen. Der Durchschnitt unserer BIKE-Leserschaft leistet sich dafür aber lieber ein neues Mountainbike. Das ergab unsere diesjährige Leserumfrage.
Für so viel Geld hofft der gesunde Menschenverstand selbstverständlich auf ein ausgereiftes Sportgerät frei von Kompromissen. Doch weit gefehlt. Die Zeiten, in denen fast alle Fullys ab 4000 Euro im Carbon-Gewand über die Trails flitzten, sind vorbei. Edle Komponenten, Elektro-Parts oder Highend-Fahrwerke sterben in dieser Preisklasse ebenfalls aus. Denn der finanzielle Druck durch Lieferengpässe, Inflation und die steigenden Energiekosten ist so hoch, dass auch der Mountainbike-Industrie nichts anderes übrig bleibt, als die Preise anzuziehen. Nie war es so schwer, ein Schnäppchen zu machen. Wirklich? Bei unserer Recherche nach Bikes mit optimalem Preis-Leistungs-Verhältnis sind wir auf einige echte Preisknaller gestoßen.
Keine Einschränkungen beim Federweg, kein Preislimit und auch keine Vorgaben beim Einsatzbereich: „Wir wollen nur das Bike mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis“, so formulierten wir diesmal die Testanforderung, die den Herstellern viel Spielraum bei der Wahl des Modells ließ. Damit sich der Vergleich nur auf die gefragtesten Fabrikate beschränkt, legten wir das Resultat unserer Leserumfrage zugrunde. Wir luden nur Marken zum Test, die bei unseren Lesern im Beliebtheits-Ranking in den Top Twenty liegen. Das Ergebnis: zehn Modelle mit Federwegen zwischen 110 und 170 Millimetern und einer Preisspanne von 1699 Euro bis 6299 Euro. Bei dieser Vielfalt wird schnell klar: Für ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis gibt es kein Standardrezept.
YT, Specialized, Radon, Rose und Cube wählen den naheliegendsten Weg und platzieren sich im mittleren Preissegment zwischen 3000 und 5000 Euro. Angefangen von Marathon-Bikes aus Carbon, über klassische Touren-Bikes, bis hin zum Alu-Enduro decken die fünf Kandidaten fast die gesamte Marktvielfalt von Fullys ab. Auch die meisten unserer Leser gehen in diesem Bereich auf Partnersuche. Mit dem Budget als Fixum gilt es nun, dem Preispunkt bestmögliche Fahreigenschaften gegenüberzustellen. Gelingt das mit einer makellosen Geometrie, einem ausgeklügelten Fahrwerk oder mit durchdachten Komponenten, steht einem top Preis-Leistungs-Verhältnis nichts im Weg.
Merida und Giant vertreten die Urform des Mountainbikens in diesem Test. Preislich spielen die beiden Trailhardtails für unter 2000 Euro in einer eigenen Liga. Ohne die Hinterbaukonstruktion von Fullys profitiert das Duo von einem fetten Preisvorteil. Zum Glück. Denn geht es im Praxistest um die Geländetauglichkeit, unterliegen die ungefederten Hinterbauten daher zwangsläufig den Fähigkeiten der vollgefederten Konkurrenz. Doch wer Hardtails nur auf ihren starren Hinterbau reduziert, lässt ein wichtiges Kaufargument außer Acht: den geringen Wartungsaufwand. Das Leben mit einem Fully begleiten ausgeschlagene Lager, defekte Dämpfer und knarzende Gelenke. Das stresst und erhöht die laufenden Kosten für Ersatzteile und Reparaturen. Wer also auf ein komfortables Heck verzichten kann, bekommt mit einem Hardtail ein weitaus unkomplizierteres und weniger kostenanfälliges Gesamtpaket.
Auch wichtig: Wie bei all unseren Tests, unterscheiden wir bei der Bewertung nicht zwischen Fachhandels- und Versendermarken. Da aber 28 Prozent unserer Leser den Direktversender Canyon an die Spitze der Top-Hersteller gewählt haben, lohnt sich eine kurze Gegenüberstellung. Neben den Koblenzern setzen auch Rose, YT und Radon auf das online-basierte Geschäftsmodell. Man wählt sein Bike auf der Hersteller-Website aus, bezahlt, und bekommt es im Anschluss an die Haustür geliefert. Die Kosten für den Händler entfallen. So bleibt mehr Geld, um bessere Komponenten oder sogar leichte Carbon-Fasern, anstatt Alu zu verarbeiten. Klingt verlockend. Auf der anderen Seite: Im Garantiefall sowie bei Service-Arbeiten oder Reparaturen hat man als Online-Kunde meist mehr Aufwand. Dauerbesetzte Hotlines können einem schnell die Nerven rauben. Zudem ist das Hin- und Herschicken umständlich. Beim Fachhändler hingegen sind Service-Leistungen im Kaufpreis enthalten. Auch persönliche Änderungswünsche am Bike, wie ein komfortablerer Sattel oder andere Reifen, sind beim Kauf meist ohne Aufpreis drin.
Aber nun zu den zwei letzten Kandidaten von Scor und Scott. Vorab: Die Marke Scor entstand erst vor knapp einem Jahr unter dem Dach von BMC. Anders als die Schweizer Rennsportspezialisten, rangieren die Newcomer noch nicht unter den Leser-Lieblingen. Da aber im Performance-Lineup von BMC der Preis nur eine untergeordnete Rolle spielt, verspricht das All Mountain Scor 4060 ST eine bessere Partie in unserem Preis-Leistungs-Test. Mit 6299 Euro und respektive 5499 Euro auf Seiten des Scott Spark, definieren sich beide Schweizer Marken über maximale Leistung im Gelände. Koste es, was es wolle. Bei Scott geht die Kalkulation auf. Die herausragenden Fahreigenschaften, clevere Detaillösungen und eine funktionale Ausstattung haben zwar ihren Preis, unser Punktesystem belohnt das Gesamtpaket aber mit der Bestnote. Das Preis-Leistungs-Verhältnis passt also.
Die Testergebnisse anderer Bikes zeigen aber, dass auch Modelle aus der günstigeren Sparte punkten können. Das Canyon zum Beispiel: 2299 Euro lautet der Einstiegspreis in die Trailbike-Welt des Versenders. Klingt extrem billig. Das Fahrerlebnis hat uns aber überzeugt. Meridas Trailhardtail erteilt uns ebenfalls eine Lektion: Klar unterliegt es in Downhills den teureren Fullys. Eine gelungene Geometrie und durchdachte Anbauteile bringen in gemäßigtem Gelände aber dennoch viel Fahrspaß und das für gerade mal 1899 Euro.
Man muss also nicht zwangsläufig 4516 Euro investieren, um den Bike-Sport in vollen Zügen genießen zu können. Unser Test zeigt, dass es auch günstiger geht. Man kann also auch getrost ein paar Euro mehr aufs Urlaubskonto buchen. Es muss ja nicht gleich ein zweiwöchiger Luxusurlaub auf den Seychellen sein.
“Sieben der zehn Test-Bikes liegen unterhalb der 4000-Euro-Grenze. Das ist weniger als der Durchschnitt, den der BIKE-Leser bereit ist auszugeben. Aber das passt. Das Trailbike aus dem Hause Canyon, das All Mountain von Rose sowie das Trailhardtail von Merida können im Gelände absolut überzeugen. In erster Linie schränkt nur das höhere Gewicht die Reichweite im Vergleich zu den teureren Modellvarianten etwas ein. Scor, Scott und YT dagegen sprengen die 4000-Euro-Grenze. In der Praxiswertung kann sich aber nur das Spark deutlich vom preiswerteren Rest der Testgruppe absetzen.”
Die Tabelle zeigt die Testergebnisse aller Modelle in Relation zum Preis.
Dadurch, dass die teureren Bikes meist die besseren Testergebnisse erzielen, reiht sich das Gros der Kandidaten an einer Geraden auf. Der Ursprung befindet sich beim günstigsten Giant mit den wenigsten Punkten und endet bei der Maximalpunktzahl des Scott für 5499 Euro. Alle Modelle, die mehr oder weniger auf dieser gedachten Linie liegen, können mit ihrem Preis-Leistungs-Verhältnis überzeugen. Ausnahme: Radon. Die Bocholter sammeln enorm viele Punkte bei der Ausstattung. Beim Praxistest hätten wir aber mehr erwartet. Specialized und Scor fallen besonders auf. Sie können ihren Preis mit der erbrachten Leistung nicht rechtfertigen. Canyon und Scott reißen in die entgegengesetzte Richtung aus. Beide schneiden besser ab, als man es zu diesem Preis erwarten dürfte.
Schade: Bei den Bremsen setzten die meisten Hersteller als erstes den Rotstift an. Die geringste Bremsleistung liefern die gruppenlosen Shimano-Bremsen in Kombination mit Günstig-Bremsscheiben von Giant und Rose. Aber auch die Shimano Deore am Canyon und die Magura MT Thirty von Cube könnten bissiger sein.
Im unteren Preissegment setzen viele Hersteller auf Anbauteile aus eigener Produktion. Gegenüber Markenteilen muss man oft Abstriche bei der Qualität in Kauf nehmen. Canyon, Cube und Merida vertrauen selbst bei der Vario-Stütze auf Eigenbau. Am Giant finden sich sogar eine hauseigene Federgabel sowie hauseigene Laufräder.
Eine einfache Bauweise spart Geld. Das zeigen die Rahmenkonstruktionen von Specialized und Rose: unkompliziert und auf das Mindeste reduziert. Dazu schneidet die Lackierung der Amerikaner bei unserem Lacktest am schlechtesten ab. Das Gegenteil verkörpert das Scott mit ausgereifter Systemintegration und das YT mit unverwechselbarer Design-Sprache.
Wer sich Zeit zum Aneignen von Schrauberwissen nimmt, tätigt eine nachhaltige Investition. In BIKE 9a/22 Sonderheft Werkstatt-Spezial verraten wir, wie’s geht. (Für Nicht-Abonnenten mit der DK-App erhältlich oder gleich hier bestellen). Beispielsweise kostet ein Bremsbelagwechsel im Bikeshop um die 20 Euro plus Material. Bei größeren Reparaturen ist es nicht verwerflich, die Angebote von mehreren Werkstätten einzuholen und zu vergleichen. Wie sie eine gute Werkstatt erkennen, erfahren Sie hier.
Schaltungen auf Shimano-SLX- oder Sram-GX-Niveau bringen Biker dank großer Bandbreite überall hin. In den teureren Klassen erkauft man sich vor allem etwas weniger Gewicht und teils edlere Materialien. Zwischen einer SLX-Kassette und dem teureren XT-Modell liegen aber immerhin 50 Euro Preisunterschied. Bei Srams GX sind es im Vergleich zur X01-Kassette gar 190 Euro weniger. Auch günstige Verschleißteile bringen eine gute Leistung. Im BIKE-Test zeigten die teureren Modelle jedoch eine etwas längere Haltbarkeit.
Wer zum Beispiel auf die getrennte Verstellung von High- und Lowspeed-Druckstufe, wie am Rockshox-Deluxe-Ultimate-Dämpfer, verzichten kann, greift zu günstigeren Modellen, wie dem Deluxe Select+. Einziger Unterschied zwischen den Fox-Performance-Elite- und den -Factory-Modellen mit Grip2-Kartusche ist die Kashima-Beschichtung der Tauchrohre – und ein Preisunterschied von 130 Euro etwa bei den 34er-Gabeln.
Kaum etwas bestimmt die Fahreigenschaften so maßgeblich wie die Reifenwahl. Im Vergleich zur teuersten Maxxis-Kombi im BIKE-Reifentest 9/2022 spart das Paar unseres Preis-Leistungs-Tipps aus Specialized Butcher und Purgatory satte 55 Euro. Dämpfung und Grip sind trotzdem auf sehr gutem Niveau.
Zwischen Shimanos Vierkolbenversion der SLX-Bremse und dem XT-Modell liegen knapp 90 Euro. Bei einem Blindtest würden die meisten Biker aber keinen Unterschied feststellen können. Gleiches gilt für eine Sram G2 Ultimate und eine günstigere G2-RSC-Bremse. Preisunterschied: 116 Euro.
BIKE: Echte Schnäppchen bei Bikes sind schon länger schwierig. Woran liegt das?
Jo Beckendorff: Das hängt mit der Verfügbarkeit zusammen. In der Einstiegs- und Mittelpreislage sind die Händler vollgestellt. Sie ordern nicht mehr nach, und die Umsatzprognosen der Zulieferer sinken. Bei sportiven und hochpreisigen Mountainbikes fehlt es aber weiterhin an Komponenten. Das hängt auch an Shimano. Aber nicht nur: Bei Ausweichoptionen gibt es ebenso Lieferprobleme. Schnäppchen kann man noch auf dem Gebrauchtmarkt finden. Gerade Refurbishment birgt enorme Potenziale und wird immer professioneller. Wer noch ein hochwertiges Bike zum niedrigen Preis kaufen will, sollte über ein überholtes Gebrauchtrad nachdenken.
Bei Inflation und Energiekrise versuchen viele, ihr Geld zusammenzuhalten. Geht die Nachfrage jetzt zurück?
Wer derzeit noch auf ein Bike wartet, wird dieses weiterhin kaufen wollen. Auch die jetzt vollen Bestände im Einsteigersegment werden weiter nachgefragt werden. Ein Mountainbike für 4000 Euro oder mehr gehört aber nicht gerade zur Grundversorgung. Besonders im Highend-Bereich ist das eher ein Ermessenskauf. Wenn es im Moment sowieso schwierig ist, das Luxus-Bike zu bekommen und das Geld, zum Beispiel für Energiekosten, anderweitig gebraucht wird, wird dieser Kauf zurückgestellt. Es kommt da stark auf den Anschaffungszweck an. Im sportiven Bereich wird das Geld lieber in der Tasche behalten. Aus Sicht der Mobilität kann ein Fahrrad aber auch ein Kostensenkungsmodell gegenüber dem ÖPNV und dem Auto sein. Dann spielt der Anschaffungspreis weniger eine Rolle.
Die hohen Preise schrecken Biker ab. Wann können sie wieder mit Rabatten rechnen?
Bei hochwertigen Mountainbikes sind volle Lager und damit Rabatte nicht in Sicht. Im Gegenteil: Diese Fahrräder werden noch teurer werden. Es ist nicht überschaubar, wie sich Rohstoffpreise und Transportkosten entwickeln. Auch der Traum einer europäischen Bike-Produktion kann nicht von jetzt auf gleich Realität werden. Er wird die Abhängigkeit von Lieferketten nicht vollständig auflösen können. Mehr Bike fürs Geld als jetzt wird man in naher Zukunft nicht bekommen. Deshalb lieber zum aktuellen Listenpreis kaufen, als warten.