Stefan Frey
· 28.09.2022
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Sie sind die einzige Kontaktstelle zum Boden und beeinflussen das Fahrverhalten so stark wie kein zweites Bauteil am Bike. Der Test von 18 Reifen für den All-Mountain-Einsatz klärt, welche Modelle den Fahrspaß am effektivsten steigern.
Kleinste Dosen können eine große Wirkung entfachen. So, wie der Wirkstoff Sildenafil, besser bekannt als Viagra, potenzschwachen Männern das Liebesleben versüßt, ähnlich stark wirkt sich die perfekte Reifenrezeptur auf das Erlebnis Mountainbiken aus. In der richtigen Zusammensetzung verschmelzen Rohstoffe, wie Kautschuk, Ruß, Silica oder Kreide, zu extrem schnellen oder besonders griffigen Gummimischungen. Gepaart mit der perfekten Strukturierung der Oberfläche können Reifen die Performance drastisch steigern. Eine Art Potenzmittel fürs Gelände.
Um herauszufinden, welcher von 18 Reifen (neun Reifen-Kombis) das Zeug hat, den Fahrspaß auf das nächste Level zu heben, müssen sich alle Kandidaten im Labor und auf dem Trail beweisen. Für maximale Chancengleichheit haben wir bei allen Herstellern im Test die ihrer Meinung nach beste Reifenwahl für den All-Mountain-Einsatz bestellt. Damit beschränkt sich der Einsatzbereich auf alpine Trails oder anspruchsvolle Touren im Mittelgebirge. Gondelunterstützung bergauf gibt es hier nur selten. Ein gutes Rollverhalten gehört also ebenso zum gelungenen Gesamtkonzept wie Grip und Pannenschutz. Um diesen Anforderungen an Fullys mit 150 bis 160 Millimetern Federweg gerecht zu werden, schicken alle Hersteller Mischbereifungen ins Rennen. Von großzügigem Negativprofil über scharfkantige Stollen bis hin zu weicheren Gummimischungen geben die Firmen alles, um dem Vorderrad bessere Führungsqualitäten und maximalen Grip zu verleihen. Damit auf langen Anstiegen die Schweißausbrüche möglichst minimal bleiben, rollt der Hinterreifen dank niedrigerem Profil oder härterem Gummi bei fast allen Kandidaten besser als vorn.
Ausnahme Schwalbe: Die Reichshofener setzen an Heck und Front mit dem Nobby Nic auf das gleiche Profil-Design. Lediglich das weichere Addix-Soft-Compound schaltet am Vorderreifen mehr Traktion frei. Dennoch übernimmt der Branchen-Riese beim Rollwiderstand die Führung. Gerade mal 18 Watt verzehrt der Nobby Nic mit der härteren Speedgrip-Mischung auf dem Prüfstand. Der Vorderreifen erzielt ähnlich gute Werte. Das Doppel von Onza landet mit seiner Kombi knapp dahinter und baut nebenbei mit dem 823 Gramm leichten Porcupine auch den leichtesten Reifen im Test. Doch obwohl die anderen Teilnehmer mit Mischbereifungen den gleichen Ansatz verfolgen, sind die Unterschiede beim Rollwiderstand erstaunlich groß. So rollt der Kenda Hellkat mit 49,2 Watt als schwerfälligster Schlappen mehr als doppelt so zäh wie die Spitzenkandidaten. Specialized und WTB siedeln sich mit ihren Vorderreifen ebenfalls über der 40-Watt-Marke an.
Und der Praxistest? Die grobzahnigen Modelle von Kenda, Specialized und WTB plustern sich regelrecht auf den Felgen auf. Besonders an den Vorderreifen schüren hohe Stollen und viel Negativ-Profil große Hoffnung auf ein beeindruckendes Grip-Erlebnis. Rein optisch stecken wir auch die tief verkraterten Laufflächen von Maxxis und Continental in diese Liga. Nach zahlreichen Runden auf unserem Testparcours können wir sagen: Kenda und Maxxis halten, was ihr Profil verspricht. Traktion pur und Kurvenhalt vom Feinsten. Diese Reifen befähigen All Mountain Bikes für den Enduro-Einsatz. Zudem macht der Kenda Hellkat sein extrem hohes Gewicht mit ausgezeichnetem Durchschlagschutz wieder wett. Specialized landet in Sachen Fahrverhalten knapp dahinter. Nach den anfangs hohen Erwartungen an Continental und WTB stellt sich im Gelände dagegen schnell Ernüchterung ein.
Wieso das? Offenes Profil, dicke Stollen, all das spricht eigentlich für Grip en masse. Doch wie wir bereits im ersten Teil des Reifentests (BIKE 8/22) bei den Down-Country-Modellen erkannt haben, entscheidet in erster Linie die Gummimischung über die Performance eines Reifens. Der Kryptotal kommt mit Contis härtestem Endurance-Compound. Das beschert ihm trotz des starken Profils nur mäßig Punkte in hartem Gelände. Dafür zählt der Reifen beim Rollverhalten mit zu den besten.
Das Sildenafil-Generikum für All Mountains mischt nach dem Praxis-Showdown aber eindeutig Onza. Egal, ob bei Nässe, in tiefem Geläuf, beim Bremsen oder im
Antritt – die Paarung aus Ibex und Porcupine legt ein konstant hohes Grip-Niveau an den Tag. Gepaart mit dem erstklassigen Rollverhalten bringt das Allround-Duo das Beste in jedem All Mountain zum Vorschein.
Die Unterschiede beim Gewicht, dem Rollverhalten und der Funktion im Gelände sind enorm. Man kann kaum glauben, dass die Hersteller ihre Reifen allesamt für den gleichen Einsatzbereich konzipiert haben. Während die wuchtigen Modelle an einem All Mountain Bike eher für Enduro-Flair sorgen, rüsten die leichten und gut rollenden Pneus das gleiche Bike für sportliche Touren. Den Spagat zwischen Rollwiderstand und erstklassigen Fahreigenschaften balancieren die Modelle von Maxxis und Onza am besten aus.