Christian Schleker
· 04.05.2023
Das Specialized Levo SL der zweiten Generation macht alles besser als der Vorgänger: Neuer Motor mit mehr Power, neue Geometrie mit mehr Verstellmöglichkeiten, neuer Rahmen mit mehr Potential. Aber ist es damit auch wieder der Klassenprimus unter den Light-E-Bikes? Die Konkurrenz ist mittlerweile groß und gut.
Mit der Vorstellung des Specialized Levo SL hat man sich Zeit gelassen. Dabei wurde die zweite Evolutionsstufe des Light-E-Bikes schon lange erwartet. Ob das an den durch Corona und dem Ukrainekrieg betroffenen Lieferketten lag, oder am Innovationsfeuerwerk der Konkurrenz?
Klar ist, dass die deutschen Motorenhersteller TQ und Fazua mit ihren Aggregaten den exklusiv bei Mahle für das Specialized Turbo Levo SL entwickelten SL-1.1-Motor heute deutlich in den Schatten stellen: viel leiser, kleiner und dabei sogar kraftvoller. Das zeigte auch unser Vergleichstest verschiedener Light-Motoren.
Dank der neuen Fülle an leichten und schlanken Motoren explodiert der Markt der Light-E-Bikes aktuell. Und das “alte” Turbo Levo SL wirkt, drei Jahre nach seiner Markteinführung, ganz schön alt.
Specialized nahm das ohne Gegenwehr keinewegs hin. Und folglich wurde das Specialized Levo SL 2023 von Grund auf neu konstruiert. Kein Bauteil blieb unangetastet. Herausgekommen ist ein abfahrtslastiges Light-Trailbike erster Güte.
Der neue Motor heißt SL 1.2 und sieht auf den ersten Blick fast aus wie der alte. Die Abmessungen sind identisch. Ein etwas anders geformtes Gehäuse erkennt man erst auf den zweiten Blick. Ganz so elegant wie die bayerische Konkurrenz von Fazua und TQ schmiegt sich der SL 1.2 nicht in die Rahmen der Bikes ein.
Gleich beim ersten Antritt auf dem Specialized Levo SL bemerkt man im direkten Vergleich die deutlich leisere Geräuschkulisse des aktualisierten E-Bike-Motors. Das teils unangenehm hohe Jaulen ist weg. Das Antriebsgeräusch des Motors ist zwar wahrnehmbar, aber durchaus dezent. Irgendwo zwischen Fazua und Shimano EP8 RS. Erreicht wurde das – laut Pressemitteilung des Herstellers - durch „ein aktualisiertes Getriebedesign und ein neues zweiteiliges Motorgehäuse mit integrierter Wabenstruktur zur besseren Geräuschableitung“. Specialized gibt die Reduzierung der Laustärke mit 30-40 % an. Der HPR 50 von TQ ist und bleibt aber der unangefochtene Flüsterkönig unter den E-Antrieben. Davon ist der neue SL 1.2 noch klar entfernt.
Laut Specialized ist der neue SL 1.2 deutlich drehmoment- (+43 %) und leistungsstärker (+33 %). Das will erstmal nicht viel heißen, denn der alte SL 1.1 war mit 35 Newtonmetern und 240 Watt Power ein Leistungszwerg. 50 Newtonmeter Drehmoment und 320 Watt Leistung soll das neue Aggregat jetzt liefern. In unseren ersten Fahrtest wirkte er durchaus kraftvoller, als der Vorgänger. Doch einen Klassenunterschied, wie ihn die kommunizierten Zahlen suggerieren, haben wir nicht erspürt. An die Stärke eines Ride 60 von Fazua, oder des Shimano EP8 RS, kommt der neue Specialized-Motor nicht heran. Gefühlt liegt er jetzt in etwa auf dem Niveau des TQ, der mit 50 Nm und 300 W auch ähnliche Leistungsangaben hat. Der SL 1.2 ist also nach wie vor eher ein dezenter Unterstützer und der Push ist nach wie vor eher in hohen Kadenzen voll präsent. Starker Durchzug bei langsamem Tritt findet nicht statt. Uphillflow für Tretfaule bietet auch der neue Motor nicht.
1,91 Kilo brachte der Neuling im EMTB-Testlabor auf die Wage. Das ist ziemlich genau das Gewicht des Vorgängers. Der HPR 50 liegt mit 1,89 Kilo unwesentlich niedriger, Fazuas Ride 60 bringt mit gut 2 Kilo rund 100 Gramm mehr auf die Wage. Die (von außen sichtbare) Bauform des SL 1.2 ist allerdings größer als die der bayerischen Konkurrenz. Der SL 1.2 fügt sich etwas weniger elegant in die Rahmen der Bikes ein.
Display und Remote-Einheit hat Specialized für den neuen Antrieb nicht neu entwickelt. Trotzdem muss man ganz klar sagen: Die Amerikaner setzen hier nach wie vor die Benchmark unter den leichten Antrieben. Die kompakte Einheit am Lenker ist schlicht, lässt sich super erreichen und top bedienen. Das LCD-Display “Matsermind TCU” ist ebenfalls sehr schlank ins Oberrohr eingelassen - und hält dabei richtig viele Funktionen bereit. Via App können Nutzer den Bildschirm individualisieren und sich unzählige Screen-Einstellungen zurechtrücken.
Das sehr aufdringliche Geräusch des alten SL 1.1 Motors resultierte aus der hohen Übersetzung im Innern und den enormen Drehzahlen, mit denen sich das Getriebe bewegte. Das machte den SL 1.1 in unseren Vergleichstests – und auch im Alltagseinsatz - zwar laut, aber effizient und sehr temperaturstabil. Auch der neue SL 1.2 arbeitet mit den hohen Drehzahlen im Inneren und unterscheidet sich damit grundsätzlich vom TQ HPR 50, der extrem niedrig dreht und dadurch auch sehr leise ist. Das macht ihn aber temperaturanfällig und nicht so effizient. Der TQ überhitzte in unseren Tests bei Volllast recht schnell und zieht außerdem verhältnismäßig viel Strom. Bei ersten Reichhöhentests erreichten wir mit dem stärkeren Specialized SL 1.2 die gleichen Werte, wie mit dem Vorgänger. Da der Akku gleich geblieben ist, scheint die Effizienz also nochmal etwas gestiegen. Dass er bei identischem Gewicht obendrein deutlich leiser wurde, ist aus unserer Sicht ein beachtlicher Entwicklungssprung.
Auch beim Akku bleibt im neuen Specialized Turbo Levo SL alles beim Alten: 320 Wattstunden fest im Unterrohr integriert. Dazu ein optionaler Range-Extender mit 160 Wattstunden, der kompakt im Flaschenhalter Platz findet. Damit gehört das Specialized-System zu den Minimalisten im Light-Segment.
Bei unserem Testbike in Größe S4 blieb die Waage bei 17,8 Kilo stehen. Das ist ein sehr guter Wert, bedenkt man, dass in unserem letzten Highend-Vergleichstest der Topwert bei 18 Kilo lag (Simplon mit TQ Motor und fest verbautem Akku). Dabei gibt sich das Specialized Turbo Levo SL ausstattungsseitig keine Blöße: solide Code Ultimate Stealth Bremsen mit großen Bremsscheiben, ca. 1000 Gramm schwere Butcher/Eliminator Grid Trail Reifen und die neue Sram Transmission AXS Schaltung sind stabile Funktionsteile, die auch harte Einsätze vertragen. Natürlich gibt es mittlerweile leichtere Minimal Assist Bikes auf dem Markt. Scott und Rotwild bieten Down-Country-Bikes mit 15,5 Kilo Gewicht an. Aber hier ist der Einsatzbereich auf leichte Trails beschränkt. Die Ausstattung ist extrem auf Leichtbau getrimmt und verträgt weder schwere Fahrer, noch hartes Gelände.
Das erste Specialized Turbo Levo SL war – aus heutiger Sicht - in Sachen Geometrie eher konservativ. Und beim Hinterbau und dem Sitzrohrwinkel hatte es Schwachpunkte. Der etwas flache, reale Sitzwinkel brachte große Fahrer recht weit über das Hinterrad. Die Kinematik war wenig progressiv und im SAG-Punkt nicht sehr stabil. Steile Anstiege quittierte das alte Turbo Levo SL mit früh steigendem Vorderrad, auf überharte Landungen reagierte es oft mit hör- und spürbaren Durchschlägen. Hier macht das neue Levo SL alles besser und setzt noch zusätzlich Features drauf, die den Einsatzbereich Richtung Enduro verschieben (können): Das Sitzrohr ist jetzt deutlich steiler angesetzt und die Kinematik wurde stark überarbeitet. Eine längere Wippe aus poliertem Alu steuert den Dämpfer anders an und verbessert die Hinterbauperformance massiv.
Zusätzlich kann das Levo SL – wie sein großer Bruder Turbo Levo – jetzt auch via Steuersatzschale einfach und schnell in drei Positionen flacher oder steiler eingestellt werden. Der Verstellbereich von insgesamt zwei Grad ist sehr deutlich und ein spürbarer Unterschied. Und ein Drehgelenk im Horst-Link ermöglicht wahlweise 27,5 oder 29 Zoll am Hinterrad, ohne Geometrieveränderung. Ausgeliefert wird es immer mit kleinem hinteren Laufrad, da Specialized diese Größe hinten für den besten Kompromiss aus Spritzigkeit, Stabilität und Bewegungsfreiheit ansieht. Ein Flipchip am Dämpfer hebt/senkt das Tretlager um fünf Millimeter. Das Sitzrohr ist insgesamt gerader und so lassen sich jetzt auch in den kleineren Größen Telestützen mit viel Hub komplett versenken. Die asymmetrische Verstärkung am Dämpfer ist weg und der Hauptrahmen wurde deutlich gestreckt. Insgesamt wirkt das neue Levo SL potenter und massiver als der Vorgänger.
Deutlich moderner und progressiver - so lässt sich die Geometrieveränderung des Turbo Levo SL zusammenfassen. Längerer Reach (470 mm in Größe S4), flacherer Lenkwinkel, steilerer Sitzwinkel. Die Kettenstreben bleiben mit 432 Millimetern sehr kurz und auch der Radstand (1238 mm in Größe S4) nimmt eher kompakte Trailbike-Maße an. Markanter Unterschied: Mit der Größe S6 bietet Specialized jetzt auch ein richtig langes Bike (525 mm Reach, 1301 mm Radstand), das dank gemäßigtem Sitzrohr nicht nur Riesen passt. Der Rahmen wird in sechs Größen angeboten (S1 – S6), die nach dem S-Sizing-Prinzip alle über kurze Sattelrohrlängen und die nahezu gleiche Überstandshöhe verfügen. So können Fahrer gleicher Größe das Levo SL in unterschiedlichen Längen wählen - je nach bevorzugtem Gelände und Fahrkönnen, ohne Kompromisse bei der Sattelverstellbarkeit und Schrittfreiheit eingehen zu müssen.
Das neue Specialized Turbo Levo SL 2023 sieht nicht nur massiver aus als der Vorgänger, es fährt auch so: Deutlich mehr Enduro-Gene stecken in der zweiten Generation des Minimal-Assist-Bikes von Specialized. Mit sehr flachem 63er-Lenkwinkel (flache Einstellung) liegt es satt und sicher. Besonders auffällig ist der sehr viel bessere Hinterbau: komplett neutral arbeitet er unauffällig und sensibel, sackt in Anstiegen kein bisschen ein und schluckt jetzt auch harte Einschläge ohne spürbaren Durchschlag. Gemessen am Vorgänger ist das eine enorme Verbesserung, die dem Bike auf Trailtouren und in hartem Gelände viel mehr Potential und Leistungsfähigkeit beschert. Zusammen mit dem steiler angesetzten Sitzrohr und dem kraftvolleren Motor klettert das neue Turbo Levo SL jetzt auch unter großen Fahrern sehr gut bergauf.
Die Spursicherheit und Laufruhe erkauft man sich aber zum Glück nicht mit einem trägen Handling. Vielmehr ist das Turbo Levo SL eine tolle Kombination aus spritzig und sicher. Der Hinterbau ist mit 432 Millimetern – im Vergleich zu vielen anderen Bikes auf dem Markt – sehr kurz. So geht das neue Levo SL leicht aufs Hinterrad und bietet guten Popp, wenn man sich zu Sprüngen vom Boden abdrückt. Es ist damit um Längen agiler und spaßiger zu fahren, als das Kenevo SL, ohne in der reinen Downhillwertung zu viel an Boden zu verlieren. Specialized hat damit ein sensationell gutes E-Trailbike geschaffen, das bei der Konkurrenz für reichlich Kopfzerbrechen sorgen dürfte. Der Motor ist in der Version SL 1.2 eine deutlicher Schritt nach vorne und damit nahe dran an der Konkurrenz. Bestwerte setzt er aber weder bei Power, noch bei der Geräuschentwicklung. Insgesamt ist das Turbo Levo SL der zweiten Generation kein Gamechanger, der das Thema Light-E-Bike auf ein ganz neues Level hebt. Aber in Sachen Fahrleistung ist es dann doch wieder ein Klassenprimus.
E-Bikes werden immer teuer. Specialized gehört außerdem zu den teuersten Herstellern am Markt. Das neue Turbo Levo SL in der Topversion S-Works LTD kostet stramme 15.000 Euro. Dafür bekommt man die komplette, über Sensoren gesteuerte Rockshox Flight Attendant Federung, die neue Sram XX Eagle Transmission AXS Schaltung und Roval Traverse SL Carbonlaufräder.
Für 14.000 Euro gibt es das Levo SL S-Works mit Fox Factory Federung und ansonsten identischer Ausstattung. Beiden Topmodellen liegt für das Geld jeweils schon ein Range Extender bei.
Das Levo SL Pro für 11.500 Euro besitzt die selben Factory Federelemente, wie das S-Works und bekommt die Sram Eagle XO Transmission Schaltung spendiert. Auch hier sind noch (etwas schwerere) Roval Traverse Carbonlaufräder im Preis mit drin. Als Stütze ist eine mechanisch aktivierte Bikeyoke Revive verbaut.
Das Einstiegsmodell Levo SL Comp kostet 7900 Euro und muss mit Fox Rythm Federung Vorlieb nehmen. Es hat eine klassische Sram GX Schaltung mit Kabelansteuerung montiert. Die Dämpferverlängerung ist hier aus Alu, an allen anderen Modellen aus Carbon. Für 7000€ können sich Tuningfans das S-Works-Rahmenkit gönnen und selbst aufbauen. S-Works und Comp sind je in zwei Farben erhältlich.
Ein deutlich verbesserter Antrieb macht das Specialized Levo SL wieder voll konkurrenzfähig. Der SL-1.2-Motor kann die neuen Light-Antriebe von TQ und Fazua zwar nicht ausstechen, denn er setzt weder bei der Power, noch bei der Geräuschentwicklung Bestwerte. Doch die Fahreigenschaften des Bikes begeistern dafür umso mehr. Auf dem Trail gehört das neue Light-E-MTB der Amerikaner mit seinen ausgewogenen Fahreigenschaften und dem starken Fahrwerk zu unseren absoluten Favoriten.