Florentin Vesenbeckh
· 09.11.2022
Rekordverdächtig leise, rekordverdächtig geschmeidig. Der Light E-Bike Motor TQ HPR 50 ist eine Kampfansage an unmotorisierte Mountainbikes. Was der bayerische Mini-Motor kann - und was nicht - klärt unser ausführlicher EMTB-Test.
Die spannendsten Entwicklungen am E-MTB-Markt passieren aktuell eindeutig in der Klasse der Light-Bikes. Während die minimalistischen E-Mountainbikes in den letzten Jahren eher ein Schattendasein führten, nimmt die Kategorie jetzt richtig Fahrt auf. Grund dafür sind zwei neue Motoren: Fazua Ride 60 und TQ HPR 50. Ausgerechnet zwei bayerische Unternehmen, deren Firmensitze gerade einmal 45 Autominuten auseinanderliegen, wirbeln die Grundsätze des E-Mountainbikens durcheinander. Das deutsch-deutsche Duell: Ein Traum für jeden E-MTB-Interessenten. Und ein Traum für Fahrradjournalisten. Für uns beim EMTB Magazin war klar: Jetzt muss er endlich kommen, der lange geplante Vergleichstest der leichten E-Motoren. Leider wurde aus dem direkten Duell im Rahmen unseres großen Motoren-Vergleichstests nichts. Denn kurz vor Start des Tests sagten TQ Systems und Entwicklungspartner Trek die Teilnahme doch noch ab. Aber keine Angst: Wir kennen den TQ HPR 50 dennoch sehr gut, haben ihn ausführlich getestet und auch standardisierten Messfahrten unterzogen. All unsere Erkenntnisse gibt´s in diesem Artikel!
Im Vergleich zum Rest der Light-Antriebe sticht die kompakte Bauform des HPR 50 heraus. Ähnlich wie Maxon Bikedrive Air und Fazua Ride 60 trägt er im Tretlagerbereich kaum auf. Im Unterschied zu diesen beiden Motoren fehlt dem HPR 50 allerdings der längliche Vorsatz, der bei Fazua und Maxon im Rahmen integriert werden muss. Für Bike-Konstrukteure ist die TQ-Form von enormem Vorteil. So lassen sich die Akkus leichter und tiefer im Unterrohr platzieren. Auch eine Akku-Entnahme, bei der die Batterie vor dem Motor aus dem geschlossenen Unterrohr herausgezogen werden kann, lässt sich deutlich leichter umsetzen. Einen Überblick über die Gewichte und Fakten der aktuellen Light-Motoren gibt es im Artikel zu unserem großen Vergleichstest!
Alle bisher vorgestellten Bikes mit HPR50-Antrieb setzen auf den TQ-Akku mit 360 Wattstunden. Mit 1,85 Kilo gehört die Batterie zu den leichteren Exemplaren. Gemeinsam mit dem sehr leichten Motor (1,89 kg) gehört das TQ-System zu den leichtesten Antrieben am Markt. Eine starke Grundlage für schlanke und leichte E-MTBs. Optional bietet TQ einen Range Extender mit 160 Wattstunden an. Diese Zusatzbatterie kommt im Trinkflaschenformat und findet im Flaschenhalter Platz. Eine Besonderheit ist, dass der Zusatz-Akku den Motor eigenständig und ohne Einschränkungen mit Strom versorgen kann. Man kann das Bike also auch ohne den Haupt-Akku fahren. Weiterer Effekt: Der Range Extender liefert bis zum letzten Prozent volle Power. Ist der Zusatz-Akku alle, übernimmt die Hauptbatterie die Versorgung. Beim Laden läuft der Prozess umgekehrt. Es wird erst der 360er-Akku, dann die Zusatzbatterie gefüllt. Auch außerhalb des E-Bikes können beide Batterien in Reihe, also mit einem Ladegerät geladen werden. Aktuell ist der Range Extender noch nicht am Markt, doch das soll sich in Kürze ändern.
Wie oben bereits erwähnt, hat TQ die Teilnahme an unserem Vergleichstest abgesagt. Insbesondere die Labormessungen waren dem Hersteller ein Dorn im Auge. Da der Motor zum Zeitpunkt des Tests ausschließlich im Trek Fuel EXe verfügbar war und dieses Bike noch nicht in größerer Stückzahl am Markt, konnten wir den HPR 50 nicht im Labor vermessen.
“Aus unserer Sicht werden in der heutigen E-Bike Welt Bikes zu sehr auf Newtonmeter und Wattstunden reduziert, dabei rückt der entscheidende Punkt zunehmend aus dem Fokus – das Fahrgefühl.”
“TQs „Natural Ride Feel“ beschreibt die perfekte Symbiose zwischen E-Bike und Fahrer:in. Dieses Ziel stand bei der Entwicklung des TQ-HPR50 ganz oben und ermöglicht unser unvergleichliches Fahrerlebnis. Es ist wie Radfahren an dem fittesten Tag deines Lebens. Man vergisst nahezu ein E-Bike zu fahren.”
“Unser patentiertes HPR Getriebe legt dafür den Grundstein und spezielle Sensoren und Algorithmen formen das Gesamtpaket. Nackte Zahlen und isolierte Prüfstandsmessungen können die Symbiose zwischen E-Bike und Fahrer:in unserer Meinung nach einfach nicht gerecht werden. Jeder der das Trek Fuel EXe mit dem TQ-HPR50 gefahren ist stimmt uns zu, man muss es er-fahren, um den Unterschied zu spüren.”
Daniel Theil, TQ E-Bike Produktmanager
All unsere Tests basieren neben objektiven Messdaten auf umfangreichen Praxistests und den subjektiven Einschätzungen mehrerer Tester. Unser Ziel ist es, die Produkte fair, objektiv und ausgewogen zu beurteilen. Der Fahreindruck aus der Praxis steht dabei stets im Mittelpunkt. Zu einem professionellen Test gehören aber auch objektiv vergleichbare Messwerte - gerade wenn es um Motoren geht. Wir sind weit davon entfernt, einen E-Antrieb auf Newtonmeter und Wattstunden zu reduzieren. Dass diese Werte jedoch Teil eines ausgewogenen Motorentests sein müssen, liegt auf der Hand. Schließlich sind sie für viele E-Biker mit entscheidend für die Produktauswahl. Bei unseren Tests kann sich jeder Leser die Informationen herausziehen, die ihm bei der Kaufentscheidung wichtig sind. Die Absage von TQ, nach intensivem Austausch über den Test und unsere Herangehensweise, können wir nicht nachvollziehen.
In unserer großen Testserie der Light-Antriebe haben wir die neue Klasse ausführlich untersucht. Unseren Übersichtsartikel inklusiv Vergleichswerten gibt´s hier.
Der HPR 50 ist vor allem eines: unauffällig! Wer plakativen Turbo-Schub sucht, ist hier fehl am Platz. TQ hat den Antrieb nach eigenen Angaben explizit so ausgelegt, dass man ihn kaum als E-Motor wahrnimmt. Der Fahrer soll sich fühlen wie ein superfitter Profi-Rennfahrer, nicht wie ein Motorradfahrer. Doch was heißt das genau? Der Motor verlangt vom Fahrer ein gewisses Engagement und eine höhere Trittfrequenz, um seine Leistung voll zu entfalten. Sich faul den Berg hinaufschieben lassen, ist kaum drin. Aber keine Angst: Die Power des Antriebes ist durchaus spürbar. Gefühlt liegt sie etwas über dem Niveau eines Specialized SL 1.1 - aber auch klar spürbar unter einem EP8 RS von Orbea oder Fazua Ride 60. Insbesondere bei niedriger Trittfrequenz hievt der HPR 50 den Fahrer nur bedingt über Hindernisse.
Dafür ist das Fahrgefühl sehr geschmeidig. Der Motor reagiert sehr sensibel auf den Input des Fahrers und hat keinen aufdringlichen Nachlauf. Dadurch führt er keinerlei Eigenleben und vermeidet ein maschinelles Fahrgefühl. Wie kaum ein zweiter E-MTB-Motor erzeugt der HPR 50 ein natürliches, fahrradnahes Fahrgefühl. Ebenfalls angenehm unauffällig ist das direkte, geräuschlose Einsetzen des Getriebes und des Motorschubs. Bei manch anderem Antrieb fällt der erste Antritt metallisch klackernd ins Getriebe. Beim HPR50 fällt kaum Leerweg an und das Einsetzen ist satt und unhörbar. Das wirkt richtig wertig und unterstreicht den geschmeidigen Charakter des Motors.
Hier schließt der HPR 50 nahtlos an den geschmeidigen Eindruck an. Kein anderer E-MTB-Motor ist leiser als der HPR 50! Wir sehen den TQ auch eine Spur vor dem Ride 60 von Fazua - auch wenn wir beide Antriebe bisher nicht back to back im direkten Vergleich fahren konnten. Unhörbar ist jedoch auch der HPR50 nicht. Ruft man bei langsamer Fahrt viel Power ab, ist das Antriebsgeräusch klar wahrnehmbar. Insbesondere, wenn die Trittfrequenz kurzzeitig über die 100er-Marke schießt. In den allermeisten Fahrsituationen geht das Motorengeräusch jedoch in den Umgebungsgeräuschen wie Fahrtwind und knirschendem Schotter unter den Reifen unter. Extrem angenehm! Zumal das Geräusch eher angenehm tieffrequent, denn nervig hochtönend ist. Ebenfalls ein Ohrenschmaus ist das Abfahren mit dem HPR50. Das bekannte Getriebeklappern der herkömmlich konstruierten E-Bike-Antriebe, insbesondere Bosch und Shimano, entfällt komplett. Der Motor steht bei diesem Antrieb einem leisen Bike also in keiner Weise entgegen.
Die Bayern geben für ihren Kompakt-Motor eine maximale Leistung von 300 Watt an. Im Praxisvergleich scheint das eine realistische Größe, denn der HPR 50 landet in etwa mittig zwischen einem EP8 RS und einem Specialized SL 1.1, die laut Hersteller 350 bzw. 24 Watt freisetzen. Das bestätigen auch unsere Messfahrten mit Wattmesspedalen und den drei oben genannten Antrieben. Bei hoher Trittfrequenz zieht der TQ gut mit und schiebt ordentlich an. Bei niedrigen Kadenzen fehlt dem HPR 50 allerdings etwas der Durchzug, um Bike und Biker über Hindernisse zu hieven. Er verlangt also nach einer sportlichen Fahrweise und liefert in extremen Uphills nur mäßig Support. Die stärkeren Light-Antriebe à la Fazua und Orbea bieten hier spürbar mehr Wumms.
Hier geht´s zur ausführlichen Vorstellung der Bikes: Trek Fuel EXe, BMC Fourstroke AMP und Simplon Rapcon Pmax TQ.
Es ist die Paradedisziplin klassischer E-MTB-Motoren: Turbo-Modus einlegen und in Rekordtempo auf den Berg schnurren. Inwieweit ein Light-Motor in dieser Disziplin brillieren muss, liegt ganz klar am Einsatzbereich und den Vorstellungen des Fahrers. Im Falle des HPR 50 gehört ein Dauerbetrieb im Vollgas-Modus nicht zum idealen Einsatzbereich. Bei unseren standardisierten Messfahrten an einem steilen Asphaltanstieg über 410 Höhenmeter hatte der kompakte Motor mit deutlichem Derating, also einer Drosselung der Leistung, zu kämpfen. Nach rund 15 Minuten ließ die Leistung spürbar nach. Am Ende des steilen 400-Höhenmeter-Anstieges (12,2 % im Schnitt) zeigte das Display im Fuel EXe nur noch maximal 155 bis 170 Watt an. Zu Beginn waren es 300 Watt. Die Außentemperatur lag zum Zeitpunkt des Tests bei 25 Grad.
Die anderen Antriebe konnten ihre Maximalleistung über die gesamte Distanz weitestgehend konstant halten. Selbst eine etwas gedrosselte Leistung von 240 Watt konnte der HPR 50 nicht über den gesamten Anstieg halten. Den Hauptgrund für das verhältnismäßig frühe Abregeln des TQ sehen wir in der geringen Fläche, die ihm zum Ableiten der Wärme zur Verfügung steht. Das Gehäuse des Motors erreichte an den außenliegenden Flächen eine Temperatur von knapp 70 Grad. Wer eher im mittleren Modus unterwegs ist und die Turbo-Stufe nur kurz zuschaltet, wird von diesem Manko nichts mitbekommen. Ein hohes Fahrergewicht, lange, steile Anstiege und Hitze verschärfen das Problem.
Im High-Modus erreichten wir mit dem HPR 50 rund 1050 Höhenmeter, bis der Antrieb auf den letzten Prozent des Akkus seine Power drosselte. So erkletterten wir nochmal gut 200 Höhenmeter. Die Fahrerdaten dazu: Fahrergewicht 89 Kilo, 150 Watt Tretleistung, Kadenz 80 U/min.
Die Bedienelemente des neuen TQ-Antriebs überzeugen. Funktional, wertig und schick integriert! Für die Wechsel der Unterstützungsstufen ist eine sehr schlanke und simple Bedieneinheit verantwortlich, die direkt neben den Griff passt. Zwei gummierte, sehr griffige Knöpfe reichen für die Bedienung aus. Das Feedback beim Drücken ist knackig. Die Fahrdaten werden auf einem schick ins Oberrohr eingelassenen Screen angezeigt, der verschiedene Anzeigeoptionen zulässt.
Über die TQ-E-Bike-App können die Unterstützungsstufen in mehreren Parametern eingestellt werden. Außerdem liefert sie Informationen über das System wie Batteriegesundheit und Kilometerstand. Ebenfalls spannend: Die Ansichtsseiten des TQ-Displays können hier geordnet und auf persönliche Vorlieben angepasst werden.
“Spitzenwerte bei Geräuschentwicklung, Gewicht und Fahrgefühl machen den HPR 50 zum unauffälligsten E-MTB-Motor. Wer auf besonders dezenten Motorschub Wert legt, ist hier richtig. Außerdem legt der Motor mit seinem Rekordgewicht und extrem kompakter Bauform die perfekte Grundlage für richtig schlanke und leichte E-MTBs. Die Motor-Power ist allerdings nur Mittelmaß im Light-Umfeld. Schwächen zeigt er im dauerhaften Vollgasbetrieb. Wem höhere Leistung und Standfestigkeit wichtiger sind, der findet passendere Kandidaten.“