Christian Schleker
· 04.02.2020
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Voll Enduro-tauglich, schlank und leicht: Mit 17 Kilo Gesamtgewicht revolutioniert das Specialized Levo SL den E-MTB-Gedanken. Kann der 29er-Neuling mit Mini-Motor überzeugen?
Die Gerüchteküche brodelt schon lange. Ein neuer Motor? Ein ultraleichtes Levo? Eine Revolution? Spätestens, als Specialized vor einigen Monaten sein E-Rennrad Creo mit dem neuen, selbstentwickelten SL 1.1 Motor vorstellte, war klar: Auf dieser Basis könnten die Amerikaner auch ein besonders leichtes E-MTB bauen. Und sie haben es gemacht! Mit 17 Kilo Gesamtgewicht ist das neue Levo SL* satte vier Kilo schlanker, als das normale Levo. Optisch ist es von einem Bike ohne Motor kaum mehr zu unterscheiden. Das Unterrohr ist schlank, der Motor im Vergleich zu aktuellen Modellen winzig. Ist ein Wunder geschehen? Hat Specialized geschafft, was kein anderer Hersteller hinbekommt? Jein. So leicht wie das Levo SL ist derzeit kein vollwertiges E-MTB-Trailfully, aber die Diät klappt nur mit einer Schrumpfkur von Motor- und Akkuleistung. 240 Watt und 35 Newtonmeter sind es beim SL 1.1 Motor.
Zum Vergleich: Der 2.1 (Brose-)Motor im normalen Levo liefert über 500 Watt Spitzenleistung und 90 Newtonmeter, ist also mehr als doppelt so stark. Und die fest im Unterrohr verbaute Batterie speichert 320 Wh (Levo 700 Wh). Trotzdem gibt sich der Hersteller selbstbewußt: "Viele unserer sportlichen Kunden haben uns immer wieder gesagt, dass sie den Turbo-Modus beim Levo eigentlich gar nicht nutzen und dafür lieber ein leichteres Bike mit natürlicherem Handling hätten," sagt Jan Talavasek, bei Specialized Chefentwickler der E-Sparte. Und auch mit Blick auf die Reichweite versteckt sich das Levo SL nicht hinter dem großen Bruder. Im direkten Vergleich soll es sogar die gleichen Werte bei Fahrdauer und Reichhöhe schaffen. Ob das stimmt, konnten wir bereits auf unserem Prüfstand im direkten Vergleich testen. Mehr dazu im neuen Heft EMTB 1/2020, ab 18. Februar am Kiosk.
Der SL 1.1 ist eine komplette Eigenentwicklung der Amerikaner. Gebaut wird er nach den Spezifikationen des Herstellers vom deutschen Motorenspezialisten Mahle. Der Motor ist deutlich kleiner als ein Bosch oder Brose und wiegt 1,9 Kilo, also rund ein Kilo weniger als die leichtesten "normalen" E-MTB-Motoren. Die geringen Ausmaße machen kurze Kettenstreben möglich. Die Welle besitzt einen Freilauf, der die Kurbel jenseits der 25 km/h-Grenze vom Getriebe entkoppelt. Der Tretwiderstand soll laut Specialized dann bei gerade mal drei Watt liegen und damit nur ein Watt über eine Dura Ace-Rennradkurbel. Der relativ hohe Q-Faktor (Abstand Kurbelarm zu Kurbelarm) resultiert aus einer aufwändigen Dichtung der Kurbelwelle. Sie wurde in Zusammenarbeit mit GoreTex entwickelt und dichtet das Aggregat auch beim Einsatz von Dampfstrahlern und während extremsten Schlammausfahrten komplett gegen Feuchtigkeit ab. "Theoretisch könnte man mit dem SL 1.1 unter Wasser fahren”, sagt Jan Talavasek. Ob das langfristig ein leeres oder haltbares Versprechen ist, werden wir in einem Langzeittest überprüfen. Der Motor arbeitet mit 48 Volt Spannung. Das verbessert die Effizienz des Systems und holt aus den 320 Wh des fest verbauten Akkus ein Maximum an Leistung und Reichweite raus. Wieviel genau das ist, zeigt unser Prüfstandtest in EMTB Heft 1/2020.
Nur Kenner identifizieren das Levo SL auf den ersten Blick als E-Bike. Das Unterrohr ist ca. 25% dicker als beim motorlosen Stumpjumper und der Tretlagerbereich etwas massiver ausgelegt. Ansonsten wirkt der 29-Zoll-Rahmen schlank und ausgewogen. Der neue Motor kommt mit zwei Schraubpunkten aus, ist etwa so groß wie eine Honigmelone und passt gut in eine Hand. Die kompakte Bauform macht eine klassische Geometrie möglich. Specialized kürzt die Kettenstreben auf 437mm, um ein möglichst agiles Fahrgefühl zu erzeugen. Der Rest der Geometrie ist identisch mit der des normalen Levo. Der Lenkwinkel liegt bei 66°, der Sitzwinkel bei 75° (Größe M). Auch beim Levo SL gibt es den Flip-Chip, der das Tretlager von 348mm um knapp einen halben Zentimeter anhebt und die Winkel um je ein halbes Grad steiler macht. Die Größen S und M haben 165mm lange Kurbeln, L und XL bekommen 170mm Länge.
Wie mittlerweile bei den Amis üblich, versteckt Specialized ein Multitool im Steuerrohr. Der Ladeport liegt links über dem Tretlager und ist mit einem fest eingeklickten Deckel gegen Witterungseinflüsse geschützt. Hier schließt man auch den optionalen Range Extender an. Für das Ladegerät gibt es eine Weiche, mit der sich beide Akkus gleichzeitig laden lassen. Allerdings braucht man dafür die Möglichkeit, das Bike neben die Steckdose zu stellen, denn der Hauptakku ist nicht entnehmbar. Alle Züge verlaufen über Führungen klapperfrei im Rahmen und durch den Hinterbau, sodass Neuverlegungen keine nervige Friemelarbeit mehr sind. Bei den Top-Modellen S-Works und Expert sind die leichten Roval Carbonlaufräder verbaut. Weiter unten in der Liste sind sie aus Alu. Alle Bikes rollen auf Reifen mit der neuen Grid Trail Karkasse (Vorderrad Butcher, Hinterrad Eliminator), die eine zusätzlich Butyllage besitzt und mehr Pannenschutz bieten soll, als die normale Grid-Version. Der Butcher Grid Trail in 29x2,3” wiegt 1070 Gramm. Optional ist ein Bordcomputer, der alle notwendigen Fahrdaten (ausser Höhenmeter) anzeigt.
Das Levo SL wird es in einer Alu- und vier Carbonversionen geben. Alle besitzen den identischen Motor und den fest verbauten Akku. Los geht es mit dem Levo SL Comp für 5999 Euro. Dafür gibt es die 12-fache Sram NX Gruppe und die Fox Rhythm 34 Gabel mit GRIP Dämpfung. Das Gewicht liegt bei knapp über 19 Kilo. Das günstigste Carbonbike, das Levo SL Comp Carbon, kostet 7299€ mit identischer Ausstattung wie das Alumodell. Darüber liegen das Expert Carbon (8699€) mit GX-Schaltung, Roval Carbonlaufrädern und Fox Performance Elite 34 Gabel. Das S-Works (12.999€) bietet mit Top-Federelementen aus dem Hause Fox, kabelloser AXS Telestütze und Sram XX1 Eagle Schaltung fast schon Topausstattung. Aber erst bei der 14.999€ teuren "Founders Edition" (limitiert auf 250 Stück) findet sich auch die kabellose AXS Schaltung. Neben einer Sonderlackierung wurden hier noch alle Schrauben gegen regenbogenfarbene (oil slick) getauscht. Ausserdem bekommt man zwei Range Extender mit je 160 Wh dazu. Beim S-Works ist einer serienmäßig dabei, für alle anderen Bikes ist er als Option für 370 Euro zusätzlich zu haben.
Mit der Mission Control App läßt sich die komplette Motorperformance und das Akkumanagement steuern. Neben "Infinite Tune" (freie Konfiguration der Motorleistung in Abhängigkeit zum Fahrerinput) und "Smart Control" (automatische Unterstützungssteuerung abhängig von der Tourlänge und -dauer), besteht die Möglichkeit, die Reihenfolge festzulegen, in der sich Hauptakku und Range Extender entleeren. Das bietet Reichweiten-Tüftlern interessante Optionen (mehr dazu im Interview mit Chefentwickler Jan Talavasek in Heft EMTB 1/2020). Zeitnah wird es außerdem eine pulsabhängige Steuerungsoption der Motorarbeit geben.
Die Mission Control App ist mit ihren vielen Funktionen für den Motor und den Akku das, was bei einer hochwertigen Federgabel die Zug- und Druckstufenverstellung und der Luftdruck sind. Nur wenn man weiß, wie die unterschiedlichen Parameter aufeinander wirken und wie man sie sinnvoll einstellt, kann man das Maximum aus seinem Levo SL rausholen. Im Testzeitraum konnten wir mit der App bereits interessante Erfahrungen machen – mehr dazu und zu den sinnvollsten Einstellungen für das Levo SL lest ihr im Heft (EMTB 1/2020).
Wir konnten das Levo SL im südafrikanischen Stellenbosch für drei Tage in der S-Works Version ausgiebig testen. Das Gebiet besitzt ein gutes Dutzend handgebauter Trails jeder Couleur. Bergauf fährt man hier entweder auf Schotterpisten, oder auf Flowtrails mit gutem Grip und mäßiger Steigung. Bergrunter gibt es alles von flüssig und schnell, bis ausgesetzt und extrem steil. Für ein Trail-E-Bike mit reduzierter Motorkraft also ideales Testterrain. Im Schnitt hatte jede der insgesamt 5 Ausfahrten gut 30 Kilometer und 1000 Höhenmeter. Gefahren wurde durchgängig mit beiden Akkus, also 480 WH Energie. Zusätzlich konnten wir ein Levo SL Expert Carbon zuhause in München auf Herz und Nieren checken. Sowohl im Labor, als auch im direkten Vergleich gegen ein Ghost Hybride SL AMR X mit Shimano-Motor fuhren wir zwei Tage auf den matschigen Isartrails.
Der Preis für das Levo SL S-Works (12.999€) ist happig, soviel steht fest. Denn die Austattung ist selbst beim Topmodell noch nicht ganz top - die AXS-Schaltung gibts zum Beispiel erst bei der limitierten Founders-Edition. Top ist dafür das Gewicht von selbst gewogenen 17 Kilo mit tubeless aufgebauten Reifen in Größe M. Das Modell Expert brachte im Testlabor in Größe L 17,5 Kilo auf die Wage. Das merkt man sofort. Das Levo SL kurbelt ohne Unterstützung wie ein normales Bike vom Hof. Dank Freilauf im Motor ist tatsächlich kein Tretwiderstand spürbar. Das Gewicht will natürlich trotzdem angeschoben werden, aber rollt das Bike erstmal, hält man die Geschwindigkeit gut und ohne übermäßige Anstrengung. Auf einer ebenen Trail-Passage konnten wir den Motor so durchaus mal für einige Kilometer ausschalten und geräuschloses Fahren genießen. Aktiviert man das System, arbeitet der Motor leiser als der Shimano – ist aber durchaus hörbar. Sehr gut ist die Elastizität: beim Anfahren in extrem niedrigen Kadenzen schiebt der Motor genauso gut und feinfühlig, wie beim schnellem Kurbeln im 100er-Kadenzbereich und darüber. Das Aus- und Einfaden der Motorarbeit ist sehr sanft. Der Turbomodus liefert dabei subjektiv die Kraft des Eco-Modus bei Shimano. Lange steile Rampen verlangen so spürbar Beinkraft. Mal eben locker einen ausgesetzten Bergsteig hochpowern geht mit dem Levo SL nicht. Schotterpisten und Flowtrails kommt man subjektiv aber entspannt und ausreichend unterstützt hoch. Die Front steigt spät, die Traktion ist gut.
Bergrunter ist das Levo SL best of both worlds: die Mischung aus E-Bike-Laufruhe und der Agilität eines klassischen MTB ist ideal. Das Levo SL geht richtig leicht aufs Hinterrad und besitzt sehr guten Pop. Das Spielen mit dem Gelände, schnelle Richtungswechsel und dynamische Linienwahl machen Laune. In Kurven hat es zudem tollen Grip. Aber: wer ein klassisches E-Bike gewohnt ist, vermisst durchaus ab und zu die Faszination des Turbo-Boosts. Wirklich neues Terrain erschließt man sich mit dem Levo SL nicht. Man fährt, wo man mit einem normalen Trailbike auch fahren würde. Nur weiter und schneller als bisher. Das besondere Gefühl, scheinbar unfahrbare Uphills zu meistern, bleibt Besitzern von kraftvollen E-Bikes vorbehalten. Das Levo SL ist damit mehr klassisches MTB mit Hilfsmotor, denn E-Bike mit Turbo-Bumms.
Das Turbo Levo SL spricht zwei Kundenkreise an: sportliche Kilometer-Sammler und Trail-Fans, die ihr klassisches E-Bikes meist im Ecomodus fahren. Auch Umsteiger, die bisher durch das hohe Gewicht und dadurch etwas träge Fahrverhalten von E-Bikes abgeschreckt wurden, könnten Gefallem an dieser Neuentwicklung finden. Sie bekommen mit dem Levo SL ein Trailbike mit beeindruckend natürlichem, agilem Fahrverhalten. Der Light-Support verlangt somit einen fitten Fahrer, sonst ist der Fahrspaß bergauf begrenzt. Für mich, auch wegen der Individualisierbarkeit via App, ein sehr stimmiges aber spezielles Bike.