Marc Strucken
· 24.03.2023
Die Taipeh Cycle Show ist Asiens größte Fahrradmesse. Der Hotspot im Hotspot der Bikebranche. Wir waren in Taipeh vor Ort und haben geschaut, was es Neues gibt, welche Trends im Jahr 2024 auf uns zukommen könnten und welche Stimmung bei der ersten Ausgabe der Bike-Messe herrschte, bei der nach Corona wieder ganz normal Publikum erlaubt war.
Zu Besuch auf der Taipeh Cycle Show – Asiens größter Fahrradmesse. Klar, eine Fahrradmesse ist immer spannend, um der Branche den Puls zu fühlen und Neuigkeiten zu entdecken. Eine Fahrradmesse im Zentrum der Bike-Industrie ist aber gleich doppelt aufregend. Die Taipeh Cycle Show hat einen starken Fokus auf Aussteller, die sich nicht an Endverbraucher oder Bike-Läden richtet, sondern an die Hersteller selbst. Zulieferer aus allen Bereichen stellen in Taiwan ihre Produkte aus: vom Anbieter von 3D-Druckern über Schrauben- und Reifenhersteller bis hin zu Lack-Spezialisten. Aber zwischen all den chinesischen, japanischen und taiwanesischen Firmen stehen auch die uns bekannten Namen wie Giant, Maxxis oder Magura. Nur, dass hier leider keine bahnbrechenden Neuheiten zu sehen waren.
Neues kam also hauptsächlich aus Asien selbst, aber nicht nur. Was klar zu sehen war auf der Bike-Messe, war die Ausrichtung der Branche auf noch mehr E-Mobility. Mindestens 12 Anbieter von E-Bike-Motoren zeigten vor allem Mittel- und Hinterradmotoren. Rahmenproduzenten mit Namen, die wir im Westen wahrscheinlich nie zu hören bekommen, wohl aber ihre Rahmen fahren, priesen Schweiß- oder Drucktechniken an. Und selbstverständlich gab es zig Komplettbikes mit Motor zu sehen, die vielleicht in riesigen Massen produziert, aber trotzdem nie auf dem europäischen Markt erhältlich sein werden.
Nach einigen Kilometern auf der Messe, einigen Kaffees und Gesprächen, haben wir einen bunten Korb voll News nach Hause geschleppt. Einiges kommt in vier Wochen bei uns auf den Markt, ein paar Dinge hatten wir schon zum Testen in der BIKE-Redaktion und andere kommen erst im Jahr 2024 zu uns nach Europa - wenn nichts dazwischen kommt.
Kind Shock oder kurz “KS” sind zwar bekannt für Variosattelstützen seit vielen Jahren. Aber auf der Eurobike 2022 haben sie ihre ersten Federgabeln angekündigt. Auf der Taipeh Cycle Show gab es dann eine weitere Überraschung: ein Prototyp einer recht beeindruckenden Upside-Down-MTB-Federgabel mit 165 Millimetern Federweg und dem Namen E3.6. Das könnte auf die Standrohr-Dicke von 36 Millimetern hinweisen - aber messen konnten wir nicht. Auch beim Gewicht gab es keine Angaben, da noch nicht alles final ausgetüftelt ist.
Außerdem hing weiter hinten am Stand – etwas im Dämmerlicht – eine KS Gravel-Gabel mit 40 Millimetern Federweg und einem angegebenen Gewicht von 1445 Gramm. Sie hört auf den Namen GTC und kommt zusammen mit weiteren, speziell für Gravelbikes konzipierten Komponenten wie Vorbau, Lenker und Dropperpost.
Sram zeigte keine komplett neuen Bremsen, aber ein Update der bestehenden Sram-Bremsen Level und Code – sinnvoll und chick. Anders als zuvor verläuft nun die Bremse bei beiden Modellen parallel zum Lenker, was die Optik sehr positiv beeinflusst und für etwas mehr Ordnung am Lenker sorgt. Ein weiteres Plus an Ruhe bieten die kleinen Helfer, die an den Vorbau geschraubt werden und die Bremsschläuche mit einer Klemme fixieren. Zu sehen waren auf der Fahrradmesse in Taiwan die Ausführungen der MTB-Bremshebel Level Bronze und Silver sowie die Code Silver.
Als zweiter Bremsenhersteller wird Tektro/TRP auf das Anti-Blockier-System (ABS) von Bosch setzen. Auf der vergangenen Eurobike hatte der schwäbische Großkonzern seine Kooperation mit Magura verkündet – jetzt folgt die Kooperation mit dem taiwanesischen Unternehmen. Das ABS wird in drei Modellen kommen. Für den sportlichen MTB-Einsatz stecken sie die TRP Trail EVO-Bremse mit dem Bosch-System zusammen. Für E-Bikes kommt die Tektro Dorado mit Anti-Blockier-System und für den Trekkingbereich wird die Tektro Volans mit ABS verbaut.
Kai Liao, mitverantwortlich bei der Zusammenarbeit und Ingenieur bei Bosch, erklärt, dass gut zweieinhalb Jahre Arbeit und Feintuning darin stecken. Vor allem der Anschluss des ABS an die Tektro-Bremsen habe einiges an Mühe gekostet (im Bild oben). Man wolle aber damit das Angebot verbreitern, in dem das Bremssystem von Bosch verbaut ist. Mehr Informationen dazu gibt’s in diesem Artikel: >> ABS für E-Bikes: Tektro zeigt Bremsen mit Anti-Blockier-System von Bosch >>
Nicht nur die großen Namen sind im Geschäft mit den elektronischen Variosattelstützen, mittlerweile gibt es auch welche von der (günstigeren) Konkurrenz: TranzX beispielsweise, aus der Nachbarschaft von Tektro (ebenfalls aus Taichung), präsentiert auf der Messe in Taipeh ihre Idee davon. Mit 125 bis 200 Millimetern Hub ist der unter dem Namen JD-EDPO1 geführte Dropperpost für die drei gängigen Durchmesser einsetzbar – verfügbar aber noch länger nicht. “Die ersten europäischen Händler ordern gerade – der US-Markt kommt zuerst”, sagt ein Mitarbeiter am Messestand.
Der Clou bei der TranzX Variostütze ist, dass in der Elektronik am Sattel ein einfach herausnehmbarer Akku steckt, ein USB-Charger wird mitgeliefert. Im Controller am Lenker steckt eine normale Knopfzelle. Der Preis für den TranzX-Dropper soll bei etwa 400 US-Dollar liegen. Zum Gewicht gab es keine Angaben.
Der Sattelhersteller Selle Italia hat die Bike-Messe in Taiwan genutzt, um ein neues Modell in seinem noch jungen Portfolio der 3D-Sättel vorzustellen. Der Novus Boost EVO 3D richtet sich an sportliche Fahrerinnen und Fahrer – Selle nennt es “Road Use” – weil der Sattel eher straffer ist. Was neu ist: Durch die unterschiedlichen Strukturen ändert sich auch die Härte. Nach hinten hin gibt der Novus Boost viel Gegenhalt, am Rand des Cut-outs ist er dagegen recht dämpfend. Sein Profil ist leicht gewellt.
Der ganze Sattel ist, wie immer bei Selle Italia, in Italien gefertigt, von den Carbon-Streben bis zur 3D-Struktur. Ebenfalls noch recht neu auf dem Markt ist der Gravelsattel Short-Fit 2.0 3D, der eine erkennbar kürzere Nase hat und ein gutes Stück weicher aufgebaut ist. Diesen Sattel gibt es nicht mit Carbonstreben, dafür mit mehr flexendem Titan-Unterbau. Dieser richtet sich eher an uns MTBler.
Als Symbolfoto soll hier das Merida Silex 7000 stehen, das voll ausgestattet ist mit Bikepacking-Taschen an allen Anschraub- und Befestigungspunkten. Denn ein Trend, bei dem viele Hersteller nun mitziehen, ist das Reiseradeln. Auf der Fahrradmesse in Taipeh gab es einige Zulieferer, die komplett bunte, uni-schwarze oder (Trend?) erd- und naturfarbene Rahmen- und Lenkertaschen anbieten. Was davon bei uns landen wird, werden vielleicht die Gespräche zwischen den Anbietern und den Importeuren an den Messeständen ergeben.
36-Zoll-Laufräder tauchen mit einer gewissen Regelmäßigkeit in Meldungen auf - zuletzt in Form des stählernen Huhn-Bikes mit Muffen aus dem 3D-Drucker. In der echten Welt da draußen sieht man sie fast nie. Das Dirty Sixer des 2,08-Meter-Manns David Folch ist echt – und sehr groß. Dem BIKE-Redakteur (1,72 m) reichen allein die Räder bis zum Gürtel. Der US-Designer will aber sein Bike nicht als Gag verstanden wissen, sondern Menschen widmen, die überdurchschnittlich groß sind. Seine Kunden, sagt David, seien in der Regel über zwei Meter groß und wögen mindestens 100 Kilo.
Darum die Specs: Unicycle-Felgen, Doppelbremse mit 200-mm-Discs vorne, extra verstärktes Tretlager, Fatbike-Naben, 180-mm-Kurbeln, handflächengroße Pedale und Griffe, so dick wie Lyoner-Würste. Dass da das Gewicht des 36er-Bikes nicht so wichtig ist, liegt nahe: rund 19 Kilo wahrscheinlich, so Folch. Es soll möglichst robust sein, ergänzt er, und das von Größe XL bis 5XL. Und auf der Eurobike 2023 wird vielleicht eine E-Bike-Version stehen.
Bike-Hersteller und die ihnen vorgelagerte Produzenten sehen einen Markt in hochwertigen Kinderbikes. Das wissen Woom und Vpace, das haben auch auf der Messe in Taipeh einige verstanden und präsentieren ihre Modelle für die Kleinsten. Dafür sollen die drei Modelle von X-mini Modell stehen, die bereits auf der Eurobike ausgestellt und Design Awards damit gewonnen haben. Aber auch andere asiatische Hersteller haben von Pushbikes bis 24-Zoll-Fullys vieles aufgefahren – selbst Kinder E-Bikes.
BIKE hatte den Sunrace MZ-Antrieb bereits vor einiger Zeit getestet. In Taiwan gab es nur ein kleines Update: neue Farben bei den Kassetten, jetzt auch passend für Microspline und eine neue Shifter-Variante mit geänderter Schaltlogik (push-push vs. push-pull).
Doch Sunrace war längst nicht der einzige Hersteller mit eigenen Schaltgruppen. Neben der von uns präsentierten TRP EVO war auch L-Twoo mit der schon bekannten Schaltung zu sehen, Microshift war mit verschiedenen Qualitätsstufen ihrer Antriebe vertreten, die z. B. am Fatbike Salsa Mukluk zum Einsatz kommen. Erwächst da eine tatsächliche Konkurrenz für Shimano & Co. ?
Dank einer kleinen Idee konnte Wellgo dieses Jahr einen d&i Award (Design & Innovation) auf der Taipeh Cycle Show einheimsen. Mittels einer simplen Mechanik lässt sich das Pedal schnell abnehmen und trotzdem gibt es keine losen Kleinteile. Das kann im engen Fahrradkeller oder beim Transport sicher helfen.
Nicht die ersten Laufräder mit Speichen aus Fasern, aber immer wieder schön anzusehen. Diese Speichen von Mortop bestehen auch einer Kevlar-Seele und einem Carbon-Mantel. Das soll dem Laufrad einerseits Stabilität, andererseits aber auch eine gewisse Dämpfung verschaffen. Die Speichen sollen einzeln, aber auch als komplettes Laufrad auf den Markt kommen. Blythe Chuang von Mortop freut sich bereits, die 1200-Gramm-Räder auf der diesjährigen Eurobike zu präsentieren.
Der italienische Helmproduzent Limar stockt sein Angebot für MTB-Helme auf. Die drei neuen Trail-Helme heißen Tonale, Delta und Etna. Dabei sprang uns vor allem der Etna ins Auge mit seinen “Ohr-Ringen”. Bianca Bernardi, zuständig für den Export bei Limar, betont vor allem den Rundum-Schutz des Enduro-Helms. “Er ist natürlich etwas schwerer als unsere Road-Helme, aber hat eine top Belüftung und das MIPS Air Node System.” Schwerer heißt, dass der Etna Helm 450 Gramm in M wiegt. Er hat ein sehr schönes Magnetschloss am Kinnriemen und kommt mit zwei unterschiedlich dicken Pads für die Ohr-Teile. Außerdem bietet Limar, so Bernardi, 50 Prozent Rabatt als Crash Replacement an.
Noch so ein Symbolbild! Das mit einem d&i award ausgezeichnete Carbon-Laufrad von Gigantex ist recycelbar. Es ist zwar weder besonders schön, noch besonders leicht, aber wenn es wirklich alte Carbon-Parts statt zu Sondermüll in nachhaltige(re) Produkte verwandeln kann, dann ist das die Zukunft. Leider war nicht viel mehr über das Rad herauszufinden, ohne Chinesisch sprechen zu können. Und obwohl das Motto der Taipeh Messe “Nachhaltigkeit” war, lag an den anderen Ständen der Fokus eher auf E-Mobility als auf Recycling, das Schonen von Rohstoffen oder CO2-Ausstoß.
Weil auch MTB-affine Menschen mal verreisen oder noch eine kleine Alternative zu den Wanderschuhen im Gepäck haben wollen, gibt es von Birdy (Pacific Cycles) ein faltbares Fully-MTB mit 20-Zoll-Reifen. Wir finden: Sieht stark aus, lässt sich prima ins Auto oder als Gepäckstück in den Zug packen und ist sicher ein bisschen geländegängig – aber mit dem Kettenblatt sicher kein Kletterkünstler. Ach ja: Bikepacking geht damit auch. Selbst für Falträder bietet die Branche mittlerweile Lösungen.
Die Sprachbarriere zwischen Entwickler (nur Chinesich), Übersetzerin und BIKE-Redakteur und das hoch technische Sujet einer vollkommen leisen Nabe ließen es nicht zu, mehr über die Technik zu erfahren. Aber fest steht: Diese Naben machen keinen Ton im Freilauf. Das bedeutet auch, dass die fehlende Reibung der Mechanik ein längeres Rollen ermöglichen soll. Foss ist noch auf der Suche nach Herstellern, die die Naben in ihren Bikes verbauen wollen.
Nebenbei verkauft Foss Schläuche, die versprechen, die Luft auch dann zu halten, wenn etwas die Hülle durchbohrt hat. Erst beim Herausziehen entweicht sie. Das würde manche City-Tour mit Reißzwecken im Mantel deutlich verbessern.
Eigentlich eine ganz normale Standpumpe eines Herstellers aus dem Bike-Hotspot Taichung, Taiwan. Aber die Idee, im unteren Bereich der Skala genauer anzuzeigen, wie hoch der Reifendruck ist, ist so einfach wie genial. Denn gerade beim MTB kommt es schon darauf an, ob 1,3 oder 1,7 bar im Reifen drücken. Go-Luck Enterprise stellt buchstäblich Dutzende Pumpenmodelle her – aber dieses wurde bei der Taipeh Cycle Show ausgezeichnet.
Er ist wirklich so schön, wie es aussieht! Mit dem Jubiläums-Rahmen des legendären Ultra hat Tom Ritchey das 50-jährige Bestehen seiner Firma mit seinen Fans begehen wollen. Klassische Farben, Stahlrahmen, aber ausgelegt für moderne Specs wie 120-mm-Gabel und 27,5- oder 29-Zoll-Räder. Mit 2,57 kg und eher traditioneller Geo (68,5° Lenkwinkel und 74° Sitzwinkel; Größe M) aber sicher mehr Retro-Statement denn Basis für Race-Feilen.
Zeitgemäß zeigen sich dagegen zwei neue Komponenten: der Gravel-Lenker Corralitos und der ultra-kurze Vorbau Comp Trail. Der Lenker hat einen Rise von 16 mm, Reach von 52 mm, Drop von 67,5 mm und fast extremen 24° Flare. Damit wird es fast gemütlich auf den Gravelroads. Der Vorbau ist nur 45 mm kurz und zeigt auch den neuen Steuersatz Logic-E Universal Headset von Ritchey, der eine Integration der Kabel ermöglicht.
Immer mehr Helme kommen mit integrierten Licht-Lösungen. Der CRNK Genetic Alpha (die ersten beiden Bilder) wurde sogar auf der diesjährigen Taipeh Cycle Show ausgezeichnet. Sein Licht blinkt in drei Modi und soll 50 Meter weit sichtbar sein. Der Akku will acht Stunden halten. Insgesamt scheint die Bike-Branche bei der Sicherheit (und Beleuchtung) verstärkt auf Menschen zu schauen, die pendeln oder das Fahrrad zu weniger sportlichen Zwecken einsetzen. Viele Leuchten-Hersteller zeigten diverse Lampen fürs Rad oder für den Helm.