Marc Strucken
· 21.03.2023
Der taiwanesische Bremsenhersteller Tektro möchte zu einer dritten Alternative neben Shimano und Sram werden, wenn es um MTB-Schaltgruppen geht. Eine sehr gute Mountainbike-Bremse haben sie schon. Auf einer Präsentation in Taichung bekam eine Handvoll Journalisten die neuen Komponenten der TRP EVO-Gruppe vorgestellt. Ein schwarzer Koffer, gespannte Stille und dann... viel Gold.
Bei der Auswahl einer MTB-Schaltgruppe gibt es derzeit zwei Möglichkeiten: Shimano oder Sram. Wie wäre es, wenn es bald eine Alternative gäbe? Eine Schaltgruppe fürs MTB, die verspricht, in einer Liga mit den Besten spielen zu können?! Das genau will TRP bieten. TRP – die High-End-Produktlinie des taiwanesischen Herstellers Tektro - ist bereits bekannt für seine sehr performante Bremse DH-R EVO und 13 Millionen produzierte Tektro-Einsteigerbremsen pro Jahr. Jetzt also das große Besteck: eine brandneue 12fach-Schaltung samt Shifter, Kassette, Kurbelsatz und Zahnkranz sowie Tretlager.
Bei einer „Sneak Preview“ für nur wenige internationale Journalisten in Taichung, wo auch der Hauptfirmensitz von TRP/Tektro ist, hat einer der Gründer, Aver Tsai, mit seinen Entwicklern die Schaltgruppe TRP EVO vorgestellt. Eine 12fach-Variante (TRP EVO 12) in Gold und Silber und eine 7fach-Downhill-Gruppe (TRP EVO 7) - auch für E-MTB. Wahlweise gibt es Carbon-Teile oder Aluminium – je nach Preislage. Die nun vorgestellte TRP-Schaltgruppe ist die Weiterentwicklung der bestehenden Schaltungen DH7 und TR12 von TRP. Die neue EVO soll dabei laut Lance Larrabee, Managing Director bei Tektro/TRP, qualitativ mit Sram X01 und Shimano XTR gleichziehen. Beim Preis liegen aber etwa das Schaltwerk und die Kassette (nach den vorhandenen Angaben) unter den X01-Teilen. Tektro taxiert das Komplettgewicht der TRP EVO Schaltgruppe auf 1667 Gramm.
Die EVO-Gruppe ist erst der Anfang. Wir wollen alles bei uns bündeln. –Lance Larrabee, Tektro/TRP Managing Director
Um in einen bestehenden Markt mit großen Playern wie Shimano und Sram vorstoßen zu können, musste Tektro das Minenfeld von etwa 17.000 existierenden Patenten umschiffen. Was nach Aussagen aus der Entwicklungsabteilung von Tektro fast so schwierig war, wie die technische Entwicklung selbst.
Das neue TRP EVO Schaltwerk baut auf der bestehenden 12fach-Mechanik auf und übernimmt Elemente, die in Kooperation mit Athleten entwickelt wurden. Eines davon ist das sogenannte “Hall Lock” – so benannt zu Ehren des Technikers von DH-Pro Aaron Gwin, John Hall, der den Einfall dazu hatte. Mit einem Hebel kann hier die Drehung des TRP EVO Schaltwerks um das Schaltauge komplett unterbunden werden. Mit dem Effekt, dass das Schaltwerk im rauen Terrain kaum schlägt und die Kette straff bleibt. In die gleiche Richtung geht die Idee, das Parallelogramm des Schaltwerks horizontal auszurichten, sodass einwirkenden Kräfte durch Sprünge oder Wurzelteppiche keine Wirkung auf dessen Funktion haben.
Um die Wartung einfacher zu machen, ist das Hall Lock mit einem großen Hebel schnell zu öffnen – so lässt sich das TRP Schaltwerk wieder drehen. Ein Mechanismus am Schaltwerkskäfig (Cage Release) ermöglicht zudem die Entkopplung der Feder, damit eine Entnahme des Hinterrads leicht von der Hand geht.
Der Käfig selbst ist auch Carbon und wird – wie die Carbon-Kurbel des neuen Antriebs von TRP selbst produziert. Im Käfig rotieren Röllchen mit 12 bzw. 14 Zähnen und gedichteten Lagern. Nach Angaben der Taiwanesen soll das TRP EVO 12 Schaltwerk 301 Gramm wiegen und 269 Euro in der limitierten goldenen Variante kosten bzw. 259 Euro in Silber.
John Calendrille, einer der federführenden Entwickler der Schaltung bei Tektro, ist stolz: “Die 2. Generation der Schaltung ist nicht nur ein paar, sondern 10 Schritte weiter!” Als erstes sei der um 50 Prozent steifere B-Knuckle des Schaltwerks zu erwähnen. Auch den Front-Knuckle habe man steifer, leichter und vor allem kompakter gemacht. Was dazu führte, dass das Parallelogramm näher an das Rad herankommt, die Schaltung weniger weit nach Außen ragt. Außerdem sei der Freiraum der Schaltröllchen vergrößert worden, sodass Schlamm, der auf den Röllchen hängen bleibt, diese nicht im Käfig blockiert.
Auch der Schalthebel ist vom Prinzip her schon bekannt von den bestehenden Schaltgruppen. TRP hat aber auf das Feedback seiner Sportlerinnen und Sportler gehört und an einigen Stellen optimiert, erklärt TRP-Entwickler John Calendrille. Was auch wir bei unserem Test angemerkt hatten, war die (zunehmend) größere Fingerkraft, die nötig war, um die Gänge zu wechseln. Das ist nun Geschichte: Der EVO 12 Schalthebel schaltet dem ersten Eindruck nach zügig, braucht etwas Druck, rastet dann aber präzise mit einem sauberen Klick ein.
Hat man zuvor die große Neuerung am EVO 12 Shifter betätigt, kann man bis zu fünf Gänge mit einem Schwung durchschalten. Dabei gibt ein leichtes Klicken immer Feedback, wenn der nächste Gang erreicht ist. Und das tun sie ebenso sauber wie im Single-Modus. Eine weitere Verbesserung, auf die Entwickler John Calendrille hinweist, ist die neue Zugverlegung am Schalthebel, die nun parallel zum Lenker verläuft. Das soll eine moderne (auch integrierte) Kabel-Orga am Lenker möglich machen. Der TRP-Schalthebel soll 139 Gramm (mit Klemmschelle) bzw. 125 Gramm wiegen. Beim Preis gibt TRP 119 Euro (Gold-Edition) und 110 Euro an.
Ergonomisch wurde am EVO 12 Shifter getüftelt, was genau sich geändert hat, dürfte aber nur im direkten Vergleich auffallen. TRP hat dagegen die sehr praktische Verstellmöglichkeit der Hebel vom Vorgänger übernommen. So kann der Startpunkt der beiden Drücker an der Unterseite um +-20 Grad im Winkel justiert werden. Eine Montage ist über eine Schelle oder direkt am Bremshebel (match maker) möglich.
Wir wollen mehr Wettbewerb am Bike-Markt und weniger “same same” für den Kunden. – Lance Larrabee, Tektro
Mit der Kassette des neuen Tektro-Antriebs soll vielleicht ein Zeichen gegen die Konkurrenz gesetzt werden – zumindest optisch. Während Sram bekanntlich nur das größte Ritzel anders färbt, tunkt TRP zwei in Goldstaub. Im Vergleich will TRP neben X01 und XTR stehen, in puncto Gewicht gelingt das gut mit 372 Gramm für die EVO 12 Kassette. Und bei einem UVP von 430 oder sogar 500 Euro für Sram, kommt TRP mit 459 bzw. 439 Euro ähnlich teuer oder sogar günstiger daher.
Die TRP-Kassette ist Microspline-kompatibel und hat 10-52 Zähne (10-11-13-15-18-21-24-28-32-36-44-52). Um die Abnutzung in Grenzen zu halten, setzt TRP bei den 10 un-goldenen Gängen auf einen geschmiedeten Stahlblock, aus dem die Ritzel in einem Stück gefräst werden. Die beiden großen Ritzel sind dagegen aus 7075-Aluminium, ebenso aus einem Block gefräst.
Speziell für die immer schon von Tektro/TRP unterstütze Downhill-Familie gibt es neben dem Schaltwerk eine eigene 7-fach Kassette. Diese ist Hyperglide-kompatibel und hat 11-24 Zähne, in der Aufteilung: 11-13-15-17-19-21-24. Die EVO 7 Kassette besteht rein aus Stahlritzeln und hat als Extra einen integrierten, CNC-gefrästen Speichenschutz als Alu. So soll auch unter härtesten Wettkampfbedingungen die Kette nicht zwischen das große Ritzel und die Speichen abspringen.
Bei der Sneak Preview ihrer neuen Komponenten schienen viele Tektro-Entwickler besonders stolz auf den EVO Kurbelsatz zu sein, den es ebenso in Carbon und Alu gibt. Zum einen – so sagt es Louis Tsai, Sohn des gleichnamigen Gründers und als Entwickler maßgeblich verantwortlich für das Projekt EVO – wird das Carbon selbst von Tektro hergestellt. Zum anderen erfüllt die Kurbel nicht nur die 50.000 Testzyklen für eine ISO-Zertifizierung, sondern gleich 500.000 im werkseigenen Test. Bis zu 1000 Kilo widersteht die TRP EVO Kurbel in statischen Belastungstest. “Es ist wohl die stärkste Kurbel am Markt”, so Tsai.
Sie kommt mit einer 30 mm Spindel und wird in 165 mm und 170 mm Länge verfügbar sein. Das Gewicht soll bei 504 Gramm ohne Kettenblatt liegen – dieses legt noch einmal 81 Gramm (bei 32 Zähnen) drauf. Farblich kommen auch hier für 389 Euro Gold und Silber auf den Ladentisch.
Die nur in schwarz hergestellte Alu-Variante des TRP EVO-Kurbelsets kostet dagegen vergleichsweise schlankere 159 Euro und soll in drei Längen verfügbar sein: 165, 170 und 175 Millimeter.
Drei Trail-Varianten und einen DH-Zahnkranz bietet TRP mit seinem neuen EVO-Antrieb an – das bezieht sich auf die Farben. In der Ausfertigung zeigt sich das Downhill-Blatt deutlich stabiler gefräst. Für alle gibt es 30, 32 und 34 Zähne zur Auswahl und die 3 bzw. 6 mm Offset (DH).
Gemeinsam haben alle die “Wave Technology” – abwechselnd breit und schmal gehaltenen Zähne des Kettenblatts. Umgekehrt wie bei Srams Narrow-Wide, wo die Zähne in der Seitenansicht mal schmal, mal breit sind. Dafür setzt Tektro auf eine Kooperation mit dem ebenfalls taiwanesischen Kettenhersteller KMC, die die X12-Kette für die EVO-Gruppe beisteuern. Sie soll laut Hersteller 270 Gramm auf die Waage bringen.
Als letzten Baustein im TRP EVO-Ökosystem stellt Tektro das Tretlager vor. Es wird die drei Industriestandards BSA 68/73, PF92, PF30 abdecken, 30 Millimeter Durchmesser haben und voraussichtlich bei 49 Euro liegen.
Wir konnten etwas nach der exklusiven Preview schon ein Intense Primer 29 testfahren, ausgestattet mit der kompletten TRP EVO-Antriebsgruppe in Silber - was wohl nach Angaben von Tektro die Variante mit der höheren Stückzahl am Markt sein wird. Auch eine Runde mit der Gold-Variante an einem Commencal-Bike haben wir gedreht, ohne jedoch einen Unterschied in Bezug auf die TRP-Komponenten festzustellen.
Zunächst zur Ergonomie der Schaltgriffe. An unserem Bike waren diese mit der Schelle befestigt, was eine andere Stellung im Verhältnis zur Bremse zulässt. Geschmackssache, aber man kann einigermaßen frei die beiden Einheiten gegeneinander verdrehen, sodass es für die individuelle Handstellung taugt. Ich persönlich fahre meine Bremsen recht stark nach unten gekippt, während die Schaltung nicht soweit gedreht ist. Außerdem lässt sich der untere Hebel der TRP EVO Schaltung durch zwei kleine Inbus-Schrauben je nach Vorliebe einstellen - lange Daumen tendieren wohl eher zu ein paar Grad mehr in Druckrichtung. Für mich passte die Mitte ganz gut.
Als erstes habe ich auf dem welligen und sehr staubigen Trail in Taichung die Einstellung ausprobiert, mehrere Gänge hochschalten zu können, weil flache Stücke und kurze steile Anstiege sich abwechselten. Bis zu fünf Gänge in einem Schwung - brauche ich das wirklich? Nun, die Konkurrenz hatte in den 90ern mal ein ähnliches Prinzip, das aber in heillosem Kettengerassel und nicht selten in Kettenklemmern endete.
Bei der Tektro-Schaltung jetzt rasten die Gänge sauber, ein Klicken gibt Feedback über jeden vollendeten Wechsel und man schaltet schnell in einen der Steigung entsprechenden Gang. Sinnvoll wird es wahrscheinlich erst ab dem dritten oder vierten, weil man so schnell nicht einzeln herunterschalten kann. Den fünften Gangwechsel in Folge habe ich nur selten gebraucht, zumindest auf diesem Trail. Aber der Tektro Multishift-Modus ist ein schönes Feature, dass ich bei der Testfahrt in Taiwan nicht mehr habe ausstellen wollen - auch an meiner elektronischen Sram-Schaltung wähle ich immer die Multishift-Option. Allein der kleine Hebel dafür an der EVO-Schaltung fühlt sich ein wenig wackelig an und ist während der Fahrt mit Handschuhen schwer zu finden/bedienen.
Die Schalthebel selbst sind ein wenig glatt, wenn bei schwülen 30 Grad die Fingerspitzen feucht sind. Auch mit Handschuhen bleibt der Eindruck bestehen. Insgesamt macht der Schaltvorgang einen präzisen Eindruck, die benötigte Fingerkraft ist im Normalbereich, es fühlt sich aber nicht so Uhrwerk-artig an wie bei den High-end-Konkurrenten.
Die Schaltung selbst - das sagen die Entwickler von TRP - ist maximal darauf ausgelegt, dass der Schaltarm stabil ist und die Kette nicht schlägt. Der Trail am Stadtrand der Millionenstadt Taichung war nicht zu wild - einige Roller, ein kleiner Drop und ein paar kurze steinige Passagen - aber zumindest hier hat die frisch geölte Kette nur einen (1) Abdruck auf dem Schlagschutz der Kettenstrebe hinterlassen. Zudem fühlt sich auch die Spannung an Käfig und B-Knuckle super stramm an, was wohl am Hall-Lock und der stärkeren Feder liegt. Die Gangwechsel laufen im Uphill genauso zügig wie in der Fläche “auf Zug”.
Das Einstellen der TRP EVO Schaltung sollte recht einfach gehen, denn die beiden nötigen Schrauben sind gut zugänglich. Die Mechanik des Hall-Locks ist ebenso easy, der Hebel auch mit Handschuhen gut zu bedienen. Einzig der Hebel für den Front-Knuckle (entkoppelt die Feder - der Schaltarm wird gerade, um das Hinterrad herausnehmen zu können) ist nicht selbsterklärend, etwas schwergängig und bei feuchten Bedingungen wahrscheinlich auch noch sehr rutschig, weil an sich schon glatt.
Besonders gut gefiel mir die Führung des Schaltzugs: Durch die Position nach oben und vorne kann der Zug aus dem Rahmen kommend ziemlich direkt verlegt werden. Beim Intense Primer stand der Schaltzug kaum vom Rahmen ab, beim Commencal, durch den Auslass fast an der Achse, noch weniger. Dagegen steht das Ende des Zugs etwas unvermittelt aus der EVO nach vorne weg. Kein Problem, das nur die neue TRP-Schaltung hätte, aber hier fällt es irgendwie mehr auf, weil alles Gold und Schwarz ist und dann ein silberner Draht aus der Mechanik lugt. Wann findet dafür mal jemand eine schicke Lösung?
Fazit: Der erste Eindruck ist sehr gut - vielleicht “fühlt” sich die TRP EVO Schaltgruppe nicht ganz so high-class an, aber sie funktioniert sehr sauber und präzise - sowohl im Einzel- wie im Multishift-Modus. – Marc Strucken, BIKE-Redakteur
Tektro will auf dem Seaotter Bike Festival in Monterey, California, offiziell seinen TRP-Antrieb präsentieren: 20. April 2023. Zeitgleich dazu sollen auch die Komponenten voraussichtlich in den Handel kommen. Der erste Mountainbike-Hersteller, der auf den kompletten TRP-Antrieb setzt, ist Intense aus den USA.