Der Schotte begann im Alter von zehn Jahren, BMX zu fahren. Sein Spezialgebiet: Street und Park. Vor ein paar Jahren stieg der Specialized-Fahrer aufs Mountainbike und versetzt die Szene mit seinem quirligen Style ins Staunen.
Manche behaupten, BMXer seien die kreativeren Mountainbiker. Stimmst du zu?
Das habe ich auch schon gehört, doch ich sehe das nicht so. Dafür gibt es zu viele kreative Mountainbiker, die nicht vom BMX kommen. Guck dir Brandon Semenuk an. Er ist für mich der wahrscheinlich kreativste Biker überhaupt. Die Leute meinen vermutlich, dass wir BMXer das Gelände anders lesen. Wir haben ein besonderes Auge und sehen Linien und Stunts, die Mountainbiker nicht entdecken. Vielleicht ist es das, was auf viele erfrischend wirkt.
Kannst du das konkret erklären?
Ich sehe überall Rampen und Landungen. Egal, wo ich bin. Ich kann das nicht abschalten. Linesickness! Eine Autofahrt durch eine fremde Stadt oder ein Besuch in einer Mall wird so zum Abenteuer. All diese Eindrücke entfachen meine Fantasie, und ich beginne, zu tagträumen. In einem Satz:
Wir BMXer haben den Blick! Und das nicht nur im Gelände, sondern überall.
Du bist professioneller Street- und Park-BMXer. Erst seit ein paar Jahren steigst du aufs Mountainbike. Langweilt dich BMXen etwa?
Nein, überhaupt nicht. Vielleicht kommt es so rüber, als würde ich nur noch mountainbiken, doch in Wirklichkeit sitze ich genauso viel auf dem BMX.
Es gibt die Theorie: Nur wenn man sich auf eine Sache konzentriert, wird man richtig gut darin.
Davon halte ich nichts. Es ist vor allem wichtig, dass man den Spaß an der Sache nicht verliert. Mountainbiken fühlt sich fresh für mich an und hilft mir, meinen Horizont zu erweitern. Wenn ich nach einigen Tagen auf dem Bike wieder aufs BMX steige, fühlt sich das fresh an. Die Abwechslung pusht mich, statt zu hemmen. Ich kenne Biker, die verlieren den Spaß an ihrem Sport, weil sie immer nur das Gleiche machen. Das passiert mir sicher nicht.
Was reizt dich am Mountainbiken?
Ich liebe das Neue und die Herausforderung, wieder zu lernen. Tricks auf dem Mountainbike sind so viel schwerer als auf dem kleinen BMX. Dazu gefällt mir der Aspekt, in der Natur zu sein. Meist alleine, fern von den Städten. In der Indoor- Skatehalle ist dagegen viel Gewimmel, und beim Street-BMXen ist man in der Stadt unterwegs. Heißt: viel Verkehr, jede Menge Leute und nervige Security-Typen, die dir sagen, dass du hier nicht fahren darfst. Trotzdem würde ich nie aufs BMXen verzichten wollen.
Es scheint so, als gäbe es nur BMXer, die aufs Mountainbike wechseln. Wie z. B. Brad Simms oder Christian Rigal. Kaum ein Mountainbiker fährt BMX, oder?
Stimmt. Warum das so ist, kann ich nur vermuten. BMXen geht auf die Knochen. Gerade wenn du über 30 Jahre alt bist, spürst du die fehlende Federung. Mountainbiken ist dagegen eine Wohltat für den Körper. Ja, es ist wie Wellness (lacht). Das ist natürlich nur ein Grund. Ich propagiere unter den BMXern schon lange: Holt euch ein Mountainbike, sage ich ihnen. So war es auch mit Brad, er war neugierig und fragte mich, wie das denn so sei. Jetzt sieht man ihn verrückte Stunts auf dem Mountainbike machen. Der Typ hat so viel Pop in den Beinen, das ist krank. Damit gelingen ihm verrückte Stunts mit viel Airtime. Christian ist schon ewig dabei, vielleicht wollte er etwas Neues probieren.
Siehst du Unterschiede in der Szene – oder ticken BMXer ähnlich wie Biker?
„Unter Mountainbikern ist der Vibe anders. Sie trinken Wasser, grüßen, smalltalken und tragen frisch gewaschene Klamotten.“
(Lacht) Darüber hatte ich erst kürzlich mit meinen Freunden diskutiert. Es sind zwei verschiedene Welten. BMXer sind in der Regel Aussätzige, die Bier trinken und Weed rauchen. Wenn du an einem Spot neu bist, spricht kaum jemand mit dir, stattdessen wirst du grimmig angeschaut. Unter Mountainbikern ist der Vibe anders. Sie trinken Wasser, grüßen, smalltalken, tragen frisch gewaschene Klamotten und fragen dich, ob du Hilfe brauchst, wenn du am Trailrand stehst.
Ach komm, als würde mit dir keiner sprechen wollen!
Na ja, mittlerweile kennt man mich, auch fern von Skateparks, in denen ich unterwegs bin. Trotzdem herrscht dieser Vibe – vielleicht kann man es sogar mit Wellenreitern vergleichen – die Locals sehen am Spot auch ungern Neue.
Verrückt, wie erklärst du dir den Unterschied?
Puh, vielleicht weil BMXer immer verjagt werden, wenn sie in der Stadt über Treppengeländer sliden. Genau wie Skateboarder. Wer weiß, vielleicht hat das BMXer in die Rolle der Geächteten gedrängt. Vielleicht fühlen sie sich grundsätzlich abgehängt. Ich kann es dir nicht sagen. Ich fühle mich in beiden Szenen wohl, doch mittlerweile liegt mir die offene MTB-Szene mehr.
Stimmt es, dass du mit 14 Jahren die Schule geschmissen hast, um in einem Skatepark zu wohnen?
So ungefähr. Ich startete gerade die Highschool, und all meine Freunde verloren das Interesse am BMX-Fahren. Ich dagegen hatte nichts anderes im Kopf. Also fuhr ich über die Wochenenden in die dreieinhalb Zug-Stunden entfernte Skatepark Unit 23, nahe Glasgow. Zu Beginn nur übers Wochenende, später verlängerte ich nach Belieben, und irgendwann fuhr ich gar nicht mehr zurück. Meine Eltern verzweifelten, dachten aber, ich wohne bei einem Freund. In Wirklichkeit wohnte ich mittlerweile im Skatepark, schlief auf einem Sofa, ernährte mich von Süßigkeiten und schlich nachts mit dunklen Gestalten durch noch dunklere Gegenden Glasgows.
Du hast als Teenager in einer BMX-Halle gelebt?
Ja, ich sag euch, es war arschkalt und spooky dazu. Nachts hörte ich andauernd Geräusche und fürchtete mich. Irgendwann bot der Skatehallen-Besitzer auch anderen verlorenen Seelen an, in der Halle zu übernachten. Endlich war ich nicht mehr alleine und musste mich nachts nicht mehr fürchten. Am Ende waren wir zwölf Jungs, die in der Halle lebten. Das ging ganze acht Jahre so. Tags BMXen, nachts um die Häuser ziehen, keine Schule.
Wow, was für eine Geschichte!
Oh ja, das waren wilde Zeiten. Ich bin froh, dass ich den Sprung ins Profi-Business geschafft habe. Ich wüsste nicht, was ich sonst machen würde. Ich habe keinerlei Ausbildung.
Auf deinem Insta-Account sieht man dich meist alleine im Wald fahren. Würdest du dich als Einzelgänger bezeichnen?
Das liegt eher daran, dass es keine MTB-Szene gibt, wo ich wohne. Ich habe einen Buddy, der mit mir Trailrides unternimmt, doch meist bin ich alleine unterwegs und nehme meine Hunde mit. Dann bohren wir zusammen durch den Wald, bis es dunkel wird und wir komplett eingesaut wieder nach Hause fahren (lacht). Wenn mir doch mal nach Gesellschaft ist, setze ich mich zwei Stunden ins Auto und fahre in den Norden und verabrede mich mit Danny MacAskill und Duncan Shaw. Das ist immer ein Riesenspaß und Inspiration. Was Danny mit dem Bike macht, ist verrückt, selbst mit dem E-Bike gelingen ihm die komplexesten Tricks.
Welchen Mountainbikern guckst du am liebsten zu?
Vermutlich Brandon Semenuk. Er ist nahezu vollkommen. Auch Danny MacAskill und den Trail-Räubern von der 50to01-Crew gucke ich gerne zu. Sie machen im Grunde das, was ich hier im Wald mache. Rémy Métailler ist auch toll anzuschauen. Bei ihm gefallen mir besonders die Spots, an denen er bikt. Wo findet er nur diese abgefahrenen Orte?
Inspirieren dich diese Typen, wenn du dir neue Video-Ideen ausdenkst?
Nein, ich lasse mich eher von anderen Sportarten inspirieren. Motocross, Snowboard oder Skateboarding – den Film “Art of Flight“ guckte ich mir zigmal an. Snowboard-Filme sind underrated – besonders die Art des Schnitts gefällt mir.
Wie kommst du auf Ideen für einen bestimmten Stunt?
Brage Vestavik sagte mal, er habe die besten Ideen, wenn er im Bett liegt und chillt. Haha, ja, beim Chillen auf der Couch. So ging mir das auch oft. Dann zeichne ich es auf dem iPad auf und schicke es meinen Trailbuildern. Es ist eh verrückt, manchmal hab ich das Gefühl, Biken nimmt zu viel Platz in meinem Kopf ein. Hin und wieder muss ich mich dazu zwingen, nicht an BMXen oder Mountainbiken zu denken.
Dein Clip OUT OF SEASON hätte X-Games-Real-Potenzial gehabt. Interessiert dich dieses Video-Wettkampf-Format?
Machst du Witze? Es ist mein absoluter Traum, hier mitmachen zu dürfen. Die X-Games-Real sind das beste Wettkampf-Format im Freestyle. Denn es geht nicht nur um ein, zwei Runs, die 60 Sekunden dauern. Sondern um viel mehr, nämlich der Perfektion nahezukommen. Dazu zählt nicht nur deine Leistung auf dem Bike, sondern auch Kreativität. Von dir, den Trailbuildern und dem Filmer. Am Ende hast du ein Masterpiece. Bei uns BMXern gibt es das Format X-Games-Real schon länger. Ich hörte allerdings, dass die Mountainbiker bei ihrem Debüt 2021 am häufigsten geklickt wurden. Komisch, dass die Macher auf eine Ausgabe 2022 verzichteten.
Wer war 2021 dein Favorit?
Brage! Der Style, die Stunts, das finstere Setup und die Musik – einfach geil! Und vor allem: anders!
Welche Wettkämpfe verfolgst du sonst?
BMX-Wettkämpfe schaue ich mir kaum noch an. Ich gucke Downhill-Worldcups, die Hardline natürlich auch. Und die Rampage! Ich war sogar schon mal da. Ich sag euch, das ist alles noch viel größer, als es im Livestream scheint. Du stehst an einer Absprungkante und suchst die Landung. Irgendwann findest du sie – ein kleiner Punkt mehrere Stockwerke weiter unten. Krank! Respekt an die Jungs, die da starten. Ich hab noch nie etwas Krasseres gesehen.
Würdest du dich trauen, hier teilzunehmen?
Puh, ausschlagen wollen würde ich die Gelegenheit nicht. Aber ich würde mir eine ganz andere Linie in den Hang buddeln. Eine Linie, die zu meinem Fahrstil passt. Das ist ja das Geile an der Rampage – man kann sich seine eigene Abfahrt basteln. Danny MacAskill könnte ich mir auch gut bei der Rampage vorstellen.
Du willst Danny MacAskill bei der Rampage sehen?
Glaub mir, der Typ hat das Zeug dazu. Er hat große Stepdowns drauf und fette Sprünge. Zudem würde er einen absolut neuen Style ins Spiel bringen. Ich bin mir sicher, es wäre ein Gewinn für das Event. Fabio Wibmer zu sehen wäre auch reizvoll. Unterschätze die Jungs nicht, nur weil sie meist mit ihrem Trial-Bike unterwegs sind.
Du verfolgst Worldcups und die Rampage, als BMXer müsste dir eher Slopestyle liegen, oder?
Nicht unbedingt, doch das schaue ich auch hin und wieder. Müsste ich entscheiden, ob ich beim District Ride oder bei der Rampage teilnehmen darf, ich würde mich für die Rampage entscheiden.
Ist Slopestyle für euch BMXer langweilig, weil ihr sowieso noch mehr Rotationen und Tricks in eure Flugphase einbaut?
Träumst du? Slopestyle ist viel progressiver als BMXen. Ich kenne niemanden, der in der BMX-Szene so rockt und dominiert wie ein Emil Johansson.
Was steht 2023 auf der To-do- Liste?
Wenn alles gut läuft, drehen wir mein größtes Red-Bull-Projekt auf dem BMX fertig. Mit dem Mountainbike will ich für ein anderes Video-Projekt die Schweiz erkunden. Und für meinen Youtube-Kanal suche ich in Europa nach Spots, indem ich mit verbundenen Augen einen Dartpfeil werfe.
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen und wieder ausblenden.
Marcus Cole, Fotograf und Buddy:
„Kriss ist einer der nettesten Typen, die ich je getroffen habe. Er ist rund um die Uhr unterwegs und er ist unerbittlich bei allem, was er tut. Egal, wie knifflig ein Stunt – er gibt nicht auf. Abgesehen davon vergisst er andauernd, seine Batterien für seine E-Schaltung und E-Teleskopstütze aufzuladen. Ihn juckt das nicht, er fährt steile Rampen auch mit großem Gang und abgesenkter Variostütze hoch. Kriss ist ein guter Kerl, und ich kann ihm nicht genug für alles danken, was er für mich getan hat!“
„Kriss ist ein Enigma. Er macht sein eigenes Ding. Soweit ich weiß, verließ er die Schule im Alter von 14 Jahren, um in einem Skatepark zu wohnen. Ich glaube, er fährt viel alleine. Hin und wieder kommt er hoch zu uns, und wir drehen zusammen eine Runde.“
„Getroffen habe ich Kriss noch nie, doch ich gucke mir seine Videos an. Mir gefällt sein BMX-Style auf dem Mountainbike.“
„Bei vielen stagniert der Style, doch Kriss entwickelt sich andauernd weiter. Genauso bewundernswert ist seine Arbeitsmoral. Er liebt Hunde, auch das finde ich sympathisch.“
„Ich kenne Kriss nicht persönlich, doch folge ihm schon ewig auf Social Media. Dass er seit ein paar Jahren aufs Mountainbike gestiegen ist, gefällt mir. Der Style ist einzigartig. In Wirklichkeit beneide ich ihn aber mehr um seine Mercedes-G-Klasse als um seinen Style, ha ha!“