Bernard Kerr
, Andreas Kolb
· 11.12.2022
Die Red Bull Hardline ist das krasseste Downhill-Race der Welt. Dieses Jahr baute Dan Atherton den Kurs noch härter. Seriensieger Bernard Kerr und Rookie Andreas Kolb berichten vom Kampf mit der Schwerkraft.
War ich gut drauf: Time of my Life! Ich hatte eine super Worldcup-Saison hinter mir und wollte zum krönenden Abschluss die Hardline gewinnen – und dann das! Oft werde ich King of Hardline genannt, doch so fühle ich mich momentan überhaupt nicht. Mein Handgelenk ist angeknackst, ein Finger gebrochen, das Ego geknickt, der Sieg vermasselt. Was für ein Pech, dabei fühlte ich mich so gut, war so schnell, und glaubte, das Race ganz sicher gewinnen zu können. Mehr noch:
Ich finde, ich hätte gewinnen sollen – und dann rutschte das Vorderrad weg auf dem glitschigen Felsen. Was für ein beschissenes Ende der Saison! – Bernard Kerr
Pech! Es war Pech, denn ich fuhr gut, war entschlossen und selbstbewusst. Vielleicht zu selbstbewusst. Ich hatte fast das ganze Training ausgelassen wegen meines Crashs, als ich den großen Jump einweihte, ein 30-Meter-Sprung. So große Dinger gab es zum ersten Mal bei der Hardline. Dan Atherton hatte den Kurs dieses Jahr aufgebohrt für mehr Airtime. Doch der Absprung war ihm zu steil geraten. Ich flog daher etwas hecklastig durch die Luft, landete auf dem Heck, und die Front schnappte nach vorne. Eigentlich kein Problem für mich, doch das Vorderrad kollabierte bei der Landung. Das Laufrad war ein Prototyp und es muss zuvor wohl schon was abbekommen haben. Bämm! Fieses Ding, harter Aufprall, aber nix passiert – danach gewann ich die Quali.
Manche sagen, der Kurs sei zu zornig, doch ich finde das nicht. Im Gegenteil: Er ist sogar leichter geworden ist, denn die richtig schwierigen Technikpassagen haben sich gesetzt, sind weniger kniffelig. Früher galt: Beim ersten Mal Hardline hast du keine Chance zu gewinnen, ja nicht mal, richtig gut zu fahren, denn dir fehlt die Erfahrung mit dem Kurs. Das stimmt jetzt nicht mehr. Damit will ich den Erfolg von Jackson Goldstone nicht mindern. Jackson ist super talentiert und furchtlos.
Wenn du jung bist, kennst du keine Angst, du bist schwerelos, haust dich einfach drüber über die dicken Sprünge, egal wie „gnarly“, denn dir fehlen all die schmerzhaften Erfahrungen. Jackson und mein Team-Mate Sam Gale haben mich am stärksten beeindruckt dieses Jahr. Und Gee Atherton. Irre, wie er nach seinem Monster-Crash im Juni letzten Jahres zurückgekommen ist.
Und da ist noch jemand: Jess Blewitt, die erste Frau bei der Hardline. Sie kriegt meinen vollen Respekt! Ich hatte wirklich Angst um sie. Sie ist richtig, richtig mutig, vielleicht zu mutig. Sie ist sogar den Felsen-Drop gesprungen. Der ist schwer einzuschätzen, weil du erst im letzten Moment bremsen kannst und blind abspringst; die Landung also nicht siehst.
Am meisten Spaß hatte ich beim Roadgap. Das Gefühl ist irre, so hoch und weit durch die Luft zu fliegen und zu spüren, wie dich die Beschleunigung packt. Doch machen wir uns nichts vor, auch wenn der Kurs nicht mehr so technisch ist, die Hardline fühlt sich an, als würdest du in die Schlacht ziehen. Das hat auch eine gute Seite: Kameradschaft. Du wirst Teil des Hardline-Clubs. Hardline-Fahrer verstehen sich besser bei Worldcups, reden mehr miteinander, helfen sich gegenseitig – die Hardline schweißt zusammen. Du findest hier Freunde fürs Leben.
Nächstes Jahr soll es übrigens eine Hardline-Serie geben mit Rennen in Norwegen, Kanada und Neuseeland. Darauf freue ich mich! Das wird super und hebt Downhill aufs nächste Level. Einen Konflikt mit dem Downhill-Worldcup sehe ich nicht, denn die Worldcup-Rennen sind nicht minder riskant wegen der extrem hohen Geschwindigkeiten. Und Ihr müsst bedenken, dass so viel mehr Menschen die Hardline verfolgen als den Worldcup – das wird viele Racer anlocken. Dennoch: Dieses Jahr habe ich alle enttäuscht. Meine Fans, meine Sponsoren und mich selbst! (Bernard Kerr auf instagram)
Was für die Rampage gilt, gilt auch hier: Es ist viel steiler und krasser als der Livestream vermuten lässt. Beim Trackwalk war ich noch zuversichtlich: Canon-Jump? Schaff ich, das ist Race-Style, das liegt mir. Middle-Ramp und Felsen-Drop? Auch machbar. Doch dann standen wir vor dem On-off-Jump und den zwei Monster-Sprüngen. Anfangs habe ich sogar bezweifelt, dass der On-off-Sprung überhaupt funktionieren kann, doch das war später einer der einfachsten Features. Bei den 90-Footern konnte ich aber nur staunen. Unmenschlich! Ich bin nicht ansatzweise so was Großes gesprungen. So was gibt es bei uns in Österreich nicht.
Ich bin im Atherton-Team. Da liegt’s fast auf der Hand, dass ich die Hardline in Angriff nehme. Gee und Dan Atherton schwärmten, und ich sagte zu. Erst als Dan meinte, er würde 30-Meter-Jumps einbauen, schrumpfte mein Selbstvertrauen, und ich dachte: Oh je, jetzt wird’s interessant! – Andreas Kolb
Vorbereiten konnte ich mich eh nicht, denn mein Fokus lag voll auf dem Worldcup. Ich habe mit Johannes Fischbach und Erik Irmisch gesprochen – sie hatten die Hardline schon probiert. Sie meinten einstimmig: „Viel zu krass, mach’ das ja nicht!“ Und jetzt war ich da! Gemeinsam mit Phil Attwill war ich der Letzte, der das 55-Fuß-Roadgap (16,7 Meter) gesprungen ist. Wenn du kurz zuvor in die Holzwelle reinpushst, kriegst du die volle Adrenalindröhnung. Denn jetzt gibt es kein Zurück mehr. Du hebst ab und erlebst ein unbeschreibliches Gefühl. Das ist mehr als krass. Beides macht Angst: die Höhe und die Weite. Ich bin beim ersten Mal zu weit gesprungen, weil ich auf keinen Fall zu kurz springen wollte. Doch die Landung ist perfekt. Nach ein paar Mal hat es sogar richtig Spaß gemacht. Er ist vom Kopf her schlimm, richtig schlimm, doch fahrtechnisch leicht.
Aber die 90-Footer machten mir Sorgen. Als sich Kaos Seagrave im Training dort verschätzte und auf dem Landehügel einschlug, entschied ich mich gegen die Hardline! Wenn du Zweifel hast, musst du’s lassen. Ich wusste, wenn nur ein kleiner Fehler passiert, verletze ich mich. Die anderen Fahrer wunderten sich über meine Entscheidung, denn ich war bei den Jumps sonst überall safe unterwegs gewesen, zählte in den technischen Passagen sogar zu den Schnellsten. Red Bull hätte mir sogar gestattet, das Race mitzumachen und die 90-Footer zu umfahren. Geh bitte! Ich wollte mich im Live-TV nicht lächerlich machen. Ich bin Rennfahrer! Wenn ich bei einem Rennen starte, will ich zu 100 Prozent dabei sein. Keine Kompromisse!
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Also wurde ich Zuschauer. Mir gefiel Freerider Vinny T, der im Suicide No Hander übers Gap segelte oder einen Backflip raushaute. Dass Jackson super fahren würde, war mir klar. Spätestens, als er als erster Fahrer den kompletten Run durchgezogen hat, wusste ich: Der fährt ganz nach vorne. Jackson ist in Whistler groß geworden und springt fette Jumps seit er klein ist. Rónán Dunne hat mich beeindruckt, wie safe er durch den Kurs brauste. Und Bernard Kerr? Für Bernard als Seriensieger ist die Hardline eine große Nummer. Unglaublich, wie er den Horrorsturz beim 90-Footer im Training weggesteckt hat, körperlich und mental. Er wollte unbedingt gewinnen; er war auf einer Mission! Vielleicht ist er zu selbstbewusst rangegangen. Die Stelle, wo ihm das Vorderrad weggeschmiert ist, war zwar rutschig. Und Off-Camber. Doch eigentlich kein Problem für einen Hardline-Experten wie Bernard. Pech gehabt!