BIKE Mission 3000Das unerwartete Finale für Leser Albert

David Voll

 · 16.06.2023

Dass es mit dem Eisjöchl schwierig werden würde, hatte Albert schon geahnt als er die letzten Tage vor seiner Tour aus dem Fenster in die Alpen blickte.
Foto: Markus Greber/Skyshot
Es sollte das große Finale werden. Am Eisjöchl, einem der längsten Anstiege der Alpen, wollte Leser Albert beweisen, dass sich das harte Training für die BIKE Mission 3000 in den letzten Wochen gelohnt hat und er 3000 Höhenmeter auf einer Tour knacken kann. Die Fitness wäre dabei nicht das Problem gewesen, da sind wir uns sicher. Als Endgegner erwies sich mal wieder das Unvorhersehbare.

Allein die nackten Zahlen lassen selbst gestandene Mountainbiker zusammenzucken und lähmen vor Ehrfurcht die Beine wie eine ordentliche Laktatdusche: 3000 Höhenmeter auf einer Distanz von 90 Kilometern. 2400 davon quetschen sich gleich zu Beginn auf nicht einmal 30 Kilometer! Das Eisjöchl in Südtirol gilt als einer der gnadenlosesten Anstiege der Alpen. Das perfekte Ziel für unsere BIKE Mission 3000. Wir hatten unseren Leser Albert Miethaner auserkoren, sich dieser Herausforderung zu stellen. Es sollte der härteste Tag seine MTB-Kariere werden.

Drei Monate schindete sich der 39-Jährige für den großen Tag, presste sich zwischen Job, Familie und Freizeitverpflichtungen Grundlagenkilometer und Kraftintervalle in die Waden, stimulierte jede Muskelfaser seines Körpers mit maximal effizienten Stabilitätsübungen, um optimal vorbereitet zu sein für die Herausforderung seines Lebens. Alles war zeitoptimiert, durchgeplant, eingetaktet in den Alltag. Dann sank drei Tage vor dem Start die Schneefallgrenze unter die 2000-Meter-Marke und mit ihr die Hoffnung, das 2895 Meter hoch gelegene Eisjöchl bezwingen zu können. Ein Plan B musste her.

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Der Start in Mittenwald - ganz entspannt

Jetzt steht Albert in der kühlen Morgendämmerung auf dem Parkplatz des Eisstadions von Mittenwald. Die Sonne schiebt sich gerade müde über die weißen Spitzen des westlichen Karwendels, als er sein Bike auslädt und sich für die erst wenige Stunden zuvor zusammengestellte Alternativroute vorbereitet. Es geht von Mittenwald zum Schliersee. Bei dieser Variante verteilen sich die 3000 Höhenmeter auf 109 Kilometer. Mit dem Soiernsee als höchstem Punkt auf 1560 Metern sollte die Route unterhalb der vorhergesagten Schneefallgrenze liegen.

Eigentlich sollte Albert zu dieser Zeit bereits den ersten Anstieg in den Beinen haben. Doch blauer Himmel und die milde Frühlingssonne lassen noch keinerlei Druck aufkeimen. Im Gegenteil: Entspannt kurbelt Albert die ersten Kilometer entlang der Isar. Dass es mit dem Eisjöchl schwierig werden würde, hatte der Miesbacher schon geahnt, als er die letzten Tage von zu Hause immer wieder aus dem Fenster in die Alpen blickte. “Sogar dort waren alle Gipfel weiß”, schmunzelt er. Doch solange es nicht regnet, sei ihm die Strecke egal. Vom Regen hatte Albert schon in der Vorbereitung die Nase voll: kaum ein Training, das er mit trockenen Füßen beendet hat – egal, ob ihm heftige Regengüsse auf Tour das Wasser in die Schuhe spülten oder sich beim Rollentraining in der muffigen Garage zwischen Kinderspielzeug, Familienkutsche und Gartengeräten der Schweiß in den Schuhen zentrifugierte.

Mit den ersten Höhenmetern hinauf zur Fischbachalm auf 1402 Metern über dem Meeresspiegel klettern auch die Temperaturen langsam über die 20-Grad-Marke. Der breite Forstweg nimmt abschnittsweise rampenartige Ausmaße an. Dennoch kommt Albert jetzt gut voran. Seine Beine drehen rund. Hinter seiner dunkel verglasten Sonnenbrille und dem fröhlichen Gemüt macht er einen souveränen Eindruck. Beim Plaudern merkt man dem Familienvater die Anstrengung aber an.

Es läuft!Foto: Markus Greber/SkyshotEs läuft!


Training und Alltag passten nicht immer zusammen

In der vergangenen Woche konnte Albert kaum trainieren, zu viel los. Ein IT-Notfall in der Arbeit. Der Beginn des lang ersehnten Schwimmkurses für die Tochter. Ständig was anderes. “Da musste das Biken hinten anstehen”, presst er bei Puls 180 über die Lippen, bevor der Weg noch steiler wird und seine Stimme schließlich mit dem nächsten Atemzug verstummt.

Auf der Fischbachalm machen wir auf einer Bank kurz Rast, und Albert greift das Gespräch vom Anstieg noch einmal auf: “Klar lief nicht alles optimal in der Vorbereitung – mit zwei Kindern, Fulltime-Job und so weiter. Aber ich weiß, was ich leisten kann, und dass der Kopf wesentlich mehr Kraft hat, als der Rest darunter”, lacht er. Bertl, wie ihn seine Freunde nennen, ist Optimist. Schlechte Laune? Fehlanzeige! Er kann selbst den ungemütlichsten Situationen meist noch etwas Positives abgewinnen. Doch nahe dem Soiernsee stößt sogar er an seine Karma-Grenze.

Geröll und Schnee zwingen zur Umkehr

Schon kurz hinter der Fischbachalm windet sich der Weg über immer steiler anziehende Kehren Richtung Soiernsee hinauf. Wenig später ist an Fahren nicht mehr zu denken, Geröllabgänge versperren den Weg.

Auf dem Serpentinen-Trail hinauf zum Soiernsee bekommt Albert selbst im kleinsten Gang gerade so die Kurbel rum.Foto: Markus Greber/SkyshotAuf dem Serpentinen-Trail hinauf zum Soiernsee bekommt Albert selbst im kleinsten Gang gerade so die Kurbel rum.

“Kalte Füße sind immer noch besser, als nasse. Solange es nicht die nächsten 2000 Höhenmeter so weitergeht”, versucht sich der Optimist noch zu motivieren. Kurz vorm Soiernsee ist dann endgültig Schluss. Anstelle eines locker fahrbaren Schotterteppichs empfängt uns der Bergkessel mit einer geschlossenen Schneedecke. Weil Fahren hier unmöglich ist und die geplante Route nach der Seeumrundung über den gleichen Trail wieder nach unten führt, entscheiden wir uns direkt zur Kehrtwende – solange
unsere halbgefrorenen Füße noch ansatzweise spürbar sind. Zudem zeigt die Uhr bereits halb eins, und Albert hat nicht mal ein Fünftel der Distanz hinter sich. Die Schiebepassagen haben viel Zeit gekostet. Wir müssen uns ranhalten!

Ende Gelände: Schon auf 1400 Metern zwingt uns die geschlossene Schneedecke kurz vor der Soiern­hütte zum Schieben.Foto: Markus Greber/SkyshotEnde Gelände: Schon auf 1400 Metern zwingt uns die geschlossene Schneedecke kurz vor der Soiern­hütte zum Schieben.

Das harte Training war eine prima Vorbereitung

Als der Trail wieder schneefrei ist, lässt es Albert laufen. Das Fahrtechniktraining in der Vorbereitungsphase hat Früchte getragen. Souverän, aber mit Respekt, meistert er die engen Spitzkehren zurück Richtung Fischbachalm. “So was Extremes bin ich noch nicht gefahren!”, offenbart Albert, und das Adrenalin spült ihm ein Grinsen ins Gesicht, als ihn der Weg wenig später am Rißbach, einem kleinen Zufluss der nahen Isar, ausspuckt. Der Blick auf das GPS-Gerät lässt Albert stutzen. Der Track führt schnurstracks durch das steinige Flussbett. Ein Weg ist nicht ersichtlich. Gerade als die Sonnenstrahlen die Füße wieder einigermaßen aufgetaut haben, steht Albert vor der nächsten ungeplanten Herausforderung: ein Fluss, aber kein Übergang! Wie eine Wespe, die auf der Suche nach dem Weg nach draußen wild am Fenster auf und ab surrt, rollt Albert das Bachbett nach einer geeigneten Stelle zum Übertritt ab – die Zeit hängt ihm inzwischen drängend im Nacken. Schließlich bleibt ihm nichts anderes übrig: Schuhe aus und Hose hoch! Unsicher tastet er sich, mit seinem Bike vor der Brust, Stück für Stück durch die eiskalte, türkistrübe Strömung. Das Wasser reicht schon bis weit über die Knie, als das Flussbett zum Ufer hin endlich wieder ansteigt.

Nass von unten. Albert kämpft sich mit seinem Bike durch den eiskalten Rißbach.Foto: Markus Greber/SkyshotNass von unten. Albert kämpft sich mit seinem Bike durch den eiskalten Rißbach.

Pause vor dem Gewitter

Auch wenn erst knapp 40 Kilometer und 1100 Höhenmeter geschafft sind, hat Albert eine Pause bitter nötig. Zum Glück liegt nicht weit von hier der Alpengasthof Eng. Bei bayerischem Wurstsalat und alkoholfreiem Weißbier zieht Albert eine erste Zwischenbilanz: “Abenteuerlich, aber schön!“ Auch konditionell macht unser Leser noch einen starken Eindruck. Gute Vorzeichen also!

Der Gaumenschmaus endet jedoch jäh mit einem heftigen Paukenschlag. Ein kurzer Schulterblick verschafft besorgniserregende Gewissheit: Die Wolkenberge, die sich über den nahen Gipfeln auftürmen, kündigen eine heftige Gewitterfront an. Als wäre das Donnergrollen der Startschuss zum Wettlauf gegen Göttervater Zeus gewesen, schwingt sich Albert auf sein Bike und tritt in die Pedale. Der aufkommende Wind schiebt ihn mit Vollgas durch den lichten Wald bis zum Sylvensteinsee. Schließlich aber verliert er den Wettlauf und rettet sich unter den kleinen Dachvorsprung der Wasserwachthütte, bevor sich die Wolkendecke teilt und ein tosendes Gewitter mit heidelbeergroßen Hagelkörnern losbricht.

Das Gewitter zwingt Albert zur Aufgabe

Stumm rollt Albert im nachlassenden Regen Richtung Lenggries. Sein Optimismus scheint wie vom Hagel erschlagen. Doch Zeit zum Sinnieren bleibt keine, denn das Wetter lässt nicht locker, und die nächste Gewitterzelle naht bereits. Im Anstieg zum Hirschberg entlädt sich die Spannung mit bellendem Donner erneut, und der einsetzende Starkregen zwingt Albert endgültig in die Knie. Wir retten uns in eine Gastwirtschaft. Triefnass und ausgekühlt klammert sich Albert an eine Tasse heißen Kaffee. Sein leerer Blick lässt keinen Zweifel daran: Selbst er als “Vollzeit-Optimist” hat realisiert, dass die Tour an diesem Punkt endet. Eine Weiterfahrt bei Gewitter wäre in den Bergen zu gefährlich. Die BIKE Mission 3000 ist damit gescheitert. Vorerst. Denn konditionell, da ist sich nicht nur Albert sicher, hätte er die 3000 Höhenmeter bezwungen. Und während draußen noch der Regen gegen die Fenster der Gaststube prasselt, reift in Albert bereits Plan C für die nächste Attacke auf die BIKE Mission.

Innerhalb von Sekunden stehen wir ungläubig in einem weißen Meer aus Millionen von Eiskügelchen. Erst 40 Minuten später ist eine Weiterfahrt möglich. Der Wolkenbruch hat zudem die Luft schlagartig um zehn Grad abkühlen lassen.Foto: Markus Greber/SkyshotInnerhalb von Sekunden stehen wir ungläubig in einem weißen Meer aus Millionen von Eiskügelchen. Erst 40 Minuten später ist eine Weiterfahrt möglich. Der Wolkenbruch hat zudem die Luft schlagartig um zehn Grad abkühlen lassen.

Finale verschoben

Albert will es noch mal wissen und wird in den nächsten Wochen erneut versuchen, die 3000 Höhenmeter zu knacken. Ob es dann geklappt hat, lesen Sie in BIKE 8/23 (ab dem 4. Juli am Kiosk).

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Albert will es nochmal mit einem glücklichen Finale versuchen.Foto: Markus Greber/SkyshotAufgeschoben ist nicht aufgehoben. Albert will es nochmal mit einem glücklichen Finale versuchen.

Tipps für Ihre persönliche Mission - oder

1 - Vorbereitung

Eine gute Vorbereitung sei die halbe Miete, heißt ein Sprichwort. Rücken-/Nacken-schmerzen können eine Tour zur Hölle machen. Steuern Sie mit Rumpftraining im Vorfeld dagegen. Oder probieren Sie eine aufrechtere Sitzposi­tion auf dem Bike aus. Achten Sie darauf, dass der Rucksack gerade sitzt, und üben Sie technisches Gelände schon vorher mit dem entsprechenden Zusatzgewicht.

2 - Die richtige Ausrüstung

Wetterangepasste Kleidung ist das A und O. In den obligatorischen Touren-Rucksack
gehören unbedingt eine Regenjacke sowie Wechselkleidung (Unterhemd, Trikot). Auch Handy (inklusive Powerbank) und Erste-Hilfe-Set sollten für Notfälle immer mitgeführt werden. Bei Handy-Ausfällen hilft die gute alte Papierkarte! Gibt es keine Brunnen oder Hütten unterwegs, sollte man ausreichend Wasser und Verpflegung nicht vergessen.

3 - Die Zeit beachten

Früh starten lohnt sich. Vor allem bei einer noch unbekannten Route lassen sich Überraschungen kaum vermeiden. Wie anstrengend die Anstiege sind, kann man anhand der Karte nur schwer abschätzen. Forstarbeiten oder Schneefelder erzwingen manchmal spontane Umleitungen, Defekte ungeplante Pausen, wodurch man wertvolle Zeit verliert. Und am Nachmittag steigt im Sommer in den Bergen zudem das Gewitterrisiko.

4 - Unbedingt Pausen machen

Ob zum Auffüllen physischer oder psychischer Energiespeicher: Pausen sind wichtig. Ein kleiner Snack hält den Motor am Laufen, und auch der Kopf kann für einen Augenblick mal entspannen. Kalter Schweiß, Zittern, Kopfschmerzen oder Sehstörungen sind Anzeichen für Unterzucker. Vorbeugen: alle 15 Minuten trinken und alle 45 Minuten etwas Kleines essen. Erste-Hilfe-Maßnahme im Notfall: Pause und sofort etwas Zuckerhaltiges essen oder trinken.

5 - Vorsicht im Frühsommer: Altschneefelder!

Die hartnäckigen Reste des Winters liegen oft lange in den Nordhängen. Das macht sie gerade morgens, wenn sie noch knüppelhart sind, gefährlich. Beim Überqueren das Bike immer auf der Talseite führen und jeden Schritt auf Griffigkeit prüfen. Schneefelder nie in der Gruppe, sondern einzeln queren. Sollten Sie doch abrutschen, lassen Sie das Bike schnellstmöglich los und begeben Sie sich in Bauchlage oder Liegestützposition, um sich besser festkrallen zu können.

6 - Krämpfe kommen vor

Trotz weit verbreiteter Meinung gibt es keine Studie, die einen krampflösenden Effekt einer Extraportion Magnesium nachweisen konnte. Einer amerikanischen Studie zufolge hilft dagegen Essiggurkenwasser oder Senf. Auch Profisportler schwören auf den
Soforteffekt auf der Zunge, der von der Salz-sauer-Verbindung ausgelöst wird.

7 - Unwetter

Wärmegewitter sind in den Bergen besonders gefährlich. Sie entladen sich kurz und heftig, nicht selten mit Hagel. Problem: Sie treten lokal auf und können vom Wetterdienst nicht exakt vorhergesagt werden. Sind Kaltfrontgewitter angesagt (Wetter-Check z. B. auf alpenverein.de), sollte man die Tour frühzeitig verschieben. Auf offenem Gelände in den Bergen befindet man sich in unmittelbarer Lebensgefahr und sollte den direkten Weg ins Tal nehmen oder eine Schutzhütte aufsuchen. Zur Not: Bike
50 Meter entfernt ablegen und selbst mit geschlossenen Beinen auf dem Rucksack kauern.


Bereits online sind unsere Berichte zur großen BIKE Mission 3000:

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