EMTB Redaktion
, Marc Strucken
· 04.03.2023
Bike-Boom, Engpässe bei den Zulieferern: lange war das Bike-Angebot viel knapper als die Nachfrage. Aktuell ist die Lage umgekehrt und einige Hersteller senken die Preise, weil die Lager noch voll sind und die Nachfrage nachgelassen hat. Ist das die Zeit für Schnäppchen? Radeln wir in die nächste Krise in der Fahrradbranche? Wir haben Experten dazu befragt.
Nachdem die chinesische Regierung ihre Null-Covid-Politik aufgeben musste, rauscht eine neue Corona-Welle über China hinweg. Krankheitsausfälle könnten nun erneut Fabriken und Logistik zum Stillstand bringen, zudem könnte sich Corona nach dem chinesischen Neujahr (21.1. bis 7.2.) über China hinaus ausbreiten und auch Produktionen in anderen asiatischen Ländern einbremsen. Für die Bike-Branche droht hier bereits die nächste Krise – und das, wo sie sich von den langwierigen Lieferkettenproblemen aus den Corona-Anfängen noch nicht erholt hat. “Bei den großen und international agierenden Herstellern wird diese Erholung besonders lange dauern”, prognostiziert Steffen Barkhau von Giant Bicycles. Besonders komplex seien die Vorgänge, besonders hoch der Rohstoffbedarf. Dazu kommt: Seit letztem Herbst geht die Kauflaune in Deutschland stark zurück. Besonders bei der Anschaffung teurer Waren, die nicht zum täglichen Bedarf gehören, sind die Menschen sehr verhalten. Droht damit auch dem E-MTB-Markt ein Absatzeinbruch?
Hochwertige Fullys sind nach wie vor stark gefragt. Komponenten sind hier noch immer knapp, manches 2022er-Modell noch nicht ausgeliefert. Dass hier ein Überangebot die Preise drückt, ist daher erst mal eher unwahrscheinlich. – Jo Beckendorff, Branchenexperte
Branchenexperte Jo Beckendorff differenziert: In erster Linie seien hochwertige Markenbauteile knapp, was sich auf die Verfügbarkeit von hochwertigen Bikes auswirke. Gleichzeitig ist aber die Nachfrage nach genau diesen Bikes immer noch hoch. Stärker ist der Absatz bei günstigeren E-Mountainbikes eingebrochen, die ironischerweise auch viel weniger vom Teilemangel betroffen waren. Ein Überangebot günstiger Bikes scheine daher 2023 wahrscheinlich. Auch die bei den Produzenten auf Halde liegenden Bikes, die nach Order-Canceln dort liegen, sollen in den Markt gebracht werden, was wahrscheinlich nur mit Preisnachlässen funktioniere - so Beckendorff. Also scheinen nun die Hersteller vermehrt mit Rabatten und Angeboten die Nachfrage kitzeln zu wollen.
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>> MTB-BOOM NACH DER PANDEMIE: Jetzt neues Bike kaufen oder lieber abwarten? (Stand Oktober 2022) <<
So tauchten etwa auf Instagram vor Kurzem viele Postings von Canyon auf, die auf deren “Trail Sale” hinwiesen. Auf der Hersteller-Website bietet das “Outlet” viele beliebte Modelle zwar in wenigen Größen aber zu reduzierten Preisen an.
Preisbeispiel:
Canyon Neuron CF 9 (nur Größe L) - von 3999 Euro reduziert auf 3349 Euro - 16 % Rabatt
Ein weiteres Beispiel ist Specialized. Der Hersteller kündigt via Pressemitteilung seine Preisnachlässe an, und auf der Website leuchten den Besuchern “SALE”-Schildchen entgegen. Und zwar bei von den high-end Bikes das ganze Portfolio durch; ohne Einschränkungen bei der Größen.
Preisbeispiele:
Specialized S-Works Turbo Levo - von 15.000 Euro auf 12.000 Euro reduziert - 20 % Rabatt
Specialized Kenevo SL Comp - von 7900 Euro reduziert auf 6500 Euro - fast 18 % Rabatt
Als drittes Beispiel ein kleinerer Anbieter: Propain. Doch auch er bietet sein Modell Tyee mit bis zu 500 Euro Rabatt an oder 20 Prozent auf das Framekit.
Eine gute Zeit für Sparfüchse, könnte man meinen, doch Sebastian Tegtmeier von Bike Components ist skeptisch mit Blick auf eine mittelfristige Entwicklung: “Unterbieten sich die Hersteller jetzt bei den Preisen, um ihre Lager leer zu bekommen, bleibt am Ende weniger bei Herstellern und Händlern hängen, bei gleichzeitig steigenden Kosten.” Langfristig könne insbesondere zum Beispiel der Service darunter leiden. “Großzügige Garantieleistungen - wie Lebenslanggarantie auf Rahmen - könnten die Hersteller dann kassieren”, so Tegtmeier. Oder es könnte wieder billiger produziert werden und Bikes bekommen bei gleichem Preis minderwertigere Specs.
Auch Händler, die im letzten Jahr besonders optimistisch Ware bestellt haben, laufen Gefahr, jetzt darauf sitzen zu bleiben und in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten. Immerhin: Wirtschaftsexperten sehen die Inflation zum Frühjahr hin leicht abflauen. Auch eine Aufhellung in der Kauflaune geht damit einher. Die Goldgräberstimmung wie zu Beginn der Pandemie dürfte in der Bike-Branche trotzdem erst einmal vorbei sein.
Dass die sich ändernden Preise zunächst einmal Kunden freut, ist klar. Dass das aber auf skurrile Auswirkungen habe kann, zeigt eine Leserzuschrift, die uns erreichte.
Im vergangenen Oktober hat Basti - nennen wir ihn so - sich das Canyon Spectral 125 CF7 für 3499 Euro bestellt. Die Lieferzeit sollte bis Anfang Januar dauern. Am Black Friday (25.11.) stellte er überrascht fest, dass das gleiche Bike für 3199 verkauft wurde. Basti reagiert schnell, bestellt dieses Angebot und storniert die vorherige Bestellung. Sein neues Bike soll nun Anfang Februar kommen. Tatsächlich steht der Paketbote schon zum Jahreswechsel vor der Tür, was Basti erst einmal sehr freut.
Dann die Ernüchterung als er zuletzt den Canyon-Newsletter bekommt und über den “Trail Sale” informiert wird. Nun ist der Standartpreis für sein Spectral auf 2999 Euro EUR gesunken ist und es wird im Trail Sale für 2499 Euro angeboten - also 1000 weniger als bei seiner ersten Bestellung im Herbst.
Basti kontaktiert Canyon und fragt nach einem nachträglichen Rabatt - auch in Form eines Gutscheins. Doch der Support verweist auf die “Preisentwicklung” und “kann nichts machen”.
Schon im letzten Jahr entließen Bike-Firmen Mitarbeiter in größerem Stil. Doch es gibt auch Lichtblicke.
20 % der Belegschaft hat der Zubehör-Onlineshop Bike Components schon im Sommer 2022 entlassen, Ende 2022 wechselte dann auch noch der Geschäftsführer.
Oktober: Die steigende Inflation und die Angst vor hohen Energiepreisen bremsten das Konsumverhalten aus. Im Oktober 2022 vermelden Konsumforscher einen historischen Tiefststand. Immerhin: Seitdem geht’s wieder leicht, aber stetig, aufwärts.
Anschaffungsneigung: Damit beschreiben Fachleute, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Verbraucher teure Waren kauft, die nicht zum alltäglichen Bedarf gehören. Zum Beispiel E-Mountainbikes. Nach wie vor stagniert dieser Wert auf einem niedrigen Niveau, da viele Menschen teure Anschaffungen erst mal verschieben. Zumindest bis die nächste Strom- und Gasrechnung da ist.
Specialized entlässt ebenfalls einen ganzen Schwung von Mitarbeitern. Acht Prozent der Angestellten weltweit müssen ihren Hut nehmen. Standorte in Deutschland, wie das gerade erst entstehende Entwicklungszentrum in Freiburg, sind aber nicht betroffen.
10 % Preiserhöhungen sind nach wie vor Trend, jetzt auch bei Herstellern, deren Preise bislang stabil blieben. Für 2023 erhöhen jetzt aber auch Marken wie Scott und Haibike ihre Preise um 500 bis 1000 Euro.
Chinesisches Neujahr? Das Datum hängt vom Mondkalender ab und fällt 2023 auf den 22. Januar. Die sechs Tage danach sind in China Feiertage und Hauptreisezeit. Die Befürchtung: Corona könnte sich danach deutlich ausbreiten und wieder Fabriken und Logistik lahmlegen.
Die Nachfrage im Markt hat sich in manchen Bereichen im letzten Quartal von 2022 deutlich zurückentwickelt. Das betrifft vor allem das Einstiegssegment der ,einfachen‘ E-Hardtails. Höher entwickelte Fullsuspension-E-Bikes erfreuen sich aber nach wie vor einer regen Nachfrage. Soweit wir das absehen können, wird sich dieser Trend auch 2023 fortsetzen. Das Thema Light-E-MTB wird die Nachfrage noch zusätzlich angefacht.
Zwar entspannt sich die Lage ein bisschen, aber vom Status quo vor Corona sind wir noch ein gutes Stück entfernt. Speziell manche Komponenten haben nach wie vor lange Lieferzeiten, was sich auch auf die Auslieferung verkaufsfertiger Bikes auswirkt. Ihre Sorge vor rückläufigen Verkaufszahlen haben uns unsere Händler bereits mitgeteilt. Gemeinsam mit unseren Händlern werden wir den Markt beobachten und dann zusammen die beste Lösung finden.
Noch ist nicht klar, welchen Effekt das chinesische Neujahrsfest und die dazugehörige Reiselust auf die dortige Covid-Welle haben wird. Klar ist aber: Wenn die Fabriken erneut stillstehen, würde man das im Bike-Markt hier in Europa sowieso erst 2024/25 spüren. Die 2023er-Bikes sind längst produziert und befinden sich gerade auf dem Weg zu den Händlern vor Ort, falls die Lieferungen nicht durch neue Covid-Fälle ausgebremst werden.
Nach der Zurückhaltung letzten Herbst wegen der Inflation und hohen Energiepreise sehen wir jetzt eher eine leichte Aufhellung im Konsumverhalten. Bei den Komplett-Bikes bahnt sich aber ein Überangebot an, das gerade bei günstigen Bikes zu einer echten Preisschlacht führen könnte. Und günstige Bikes drücken auch die Preise bei uns, im Zubehörmarkt. Auf die ganze Branche kommt dann sicher eine turbulente Zeit zu.