BIKE Redaktion
· 25.09.2022
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Fette Federwege, massive Reifen und extreme Geometrien – moderne Enduro-MTBs sind kompromisslose Abfahrer. Das hohe Gewicht grenzt den Einsatzbereich aber stark ein. Wir fragen uns im Test daher: Können Enduro-Biker in Zukunft auf die Downhill-Fähigkeiten leichterer All Mountains vertrauen?
„Federweg kann man nur mit noch mehr Federweg ersetzen!“, grinst Testleiter Peter Nilges bevor er den Stift ansetzt und den Fahreindruck der Testrunde in sein Notizblock kritzelt. Ich dementiere: „Für mich bringt Leichtigkeit den meisten Fahrspaß, und das kann man nun mal nur mit einem noch leichteren Bike toppen.“ Noch nie gingen unsere Meinungen bei einem Enduro-MTB-Test so weit auseinander. Bis jetzt konnten wir auf den anspruchsvollen Strecken im Bikepark Geißkopf immer schnell und einstimmig Urteile über das Fahrverhalten der Enduro-Bikes fällen. Doch die Tatsache, dass im Feld der sechs getesteten Enduro-Mountainbikes diesmal auch ein All Mountain mitmischt, stellt unser Urteilsvermögen auf die Probe.
Warum Äpfel mit Birnen vergleichen, wird sich so mancher fragen. Ganz einfach: Enduros stecken in einer Identitätskrise. Ihr Einsatzbereich definiert sich eigentlich über das Rennformat: Die Zeit auf den Stages bergab genießt oberste Priorität. Den Weg bergauf erarbeitet man sich trotzdem mit reiner Muskelkraft. Oftmals knappe Zeit-Limits für die Uphill- und Transfer-Strecken stellen hohe Anforderungen an die Ausdauer der Piloten. Aber auch an den Vortrieb der Bikes. Abfahrtsstark, aber trotzdem gut zu treten, das bringt die Kernkompetenzen dieser Mountainbike-Gattung auf den Punkt. Bei aktuellen Enduros rücken diese Allround-Qualitäten aber immer weiter in den Hintergrund. Zu Gunsten der Steifigkeit plustern sich die Standrohre der Gabeln immer weiter auf. Felgen bauen breiter, und Reifen werden noch stabiler. Die Folge: Im Einstiegssegment wiegen Enduro-MTB-Modelle bis zu 17 Kilo. Kein Wunder also, dass sich Enduro-Biker nur noch vereinzelt in Mountainbike-Reviere ohne Gondel- oder Shuttle-Angebote verirren. Dafür dringen die Wuchtbrummen immer weiter in die liftbetriebenen Territorien von ausgewiesenen Bikepark-Bikes und Downhill-Mountainbikes vor. Von Allround-Qualitäten fehlt aber jede Spur.
Die Kandidaten in diesem Testfeld sind dabei keine Ausnahme. Die Preise liegen zwischen 3499 Euro und 4699 Euro, das Gewicht beträgt im Schnitt rund 15,5 Kilo. Nukeproof knackt als teuerster Teilnehmer fahrfertig gar die 16-Kilo-Marke. Die Vorstellung, dass kontofreundliches Enduro-Biken nur noch in Begleitung von schweißtreibenden Uphills existiert, schürt bei der Planung des Tests wenig Begeisterung. So kam die Frage auf: Sind All Mountain Bikes vielleicht eine Alternative?
Um das herauszufinden, nahmen wir den Referenzkandidaten aus der All-Mountain-Kategorie mit in den Vergleich: das YT Yeffsy Uncaged 8. 150 Millimeter Federweg, 29 Zoll und ein Vollcarbonrahmen bei einem Gesamtgewicht von 14,6 Kilo klingen vielversprechend. Der Preis liegt jedoch 800 Euro über dem teuersten Enduro dieses Vergleichs. Dadurch klafft zwar ein größeres Loch in der Brieftasche, allerdings haben die Forchheimer so auch mehr Spielraum, um hochwertigere und leichtere Komponenten zu verbauen. Das ist erst mal ein kleiner Vorteil für das YT. Ob die Kombination aus weniger Reserven und mehr Budget die Geheimrezeptur gegen übergewichtige Enduros ist? Testleiter Peter sagt nein und schnappt sich für die nächste Abfahrt eines der hubstärkeren Modelle.
Unser Prüfstand quetscht aus der Cane-Creek-Federgabel des YT exakt 147 Millimeter Federweg heraus. Das sind mehr als zwei Zentimeter weniger als bei den 170er-Enduro-Forken von Nukeproof, Propain, Last und Radon. Der knappe Federweg bietet super Gegenhalt und gibt viel Feedback vom Untergrund. Das befeuert eine aktive Fahrweise. Gepaart mit dem geringen Gewicht entzündet das YT auf verwinkelten Trails ein echtes Fahrspaßfeuerwerk. Die Konkurrenz von Nukeproof, Propain und Last liegt mit ihren sehr schluckfreudigen Hinterbauten dafür deutlich satter auf dem Trail. Kraftspitzen, um die Bikes über Wurzeln fliegen zu lassen, verpuffen aber im Federweg. Am Heck des Radon Swoop vermissen wir etwas Sensibilität. Dadurch kann dieses Enduro trotz 164-Millimeter-Knautschzone schnelle Schlagabfolgen nicht souverän parieren. Das Bulls mit 160-Millimeter-Lyrik-Gabel vermittelt ein ähnlich direktes Gefühl wie das All Mountain von YT. Als ich aber mit Highspeed die ruppigen Felspassagen der Freeride-Line in Angriff nehme, quittiert das straffe Fahrwerk von YT dicke Brocken mit stumpfen Schlägen auf meine Handgelenke. „Federweg lässt sich nur durch mehr Federweg ersetzen“, schießt es mir durch den Kopf, als ich Peter auf seinem Enduro-Mountainbike ziehen lassen muss.
Neben dem reinen Schluckvermögen der Gabel spielt besonders bei schweren Fahrern auch die Dicke der Standrohre eine Rolle. So eint die Fox 38 am Radon und die ZEB-Modelle von Nukeproof und Last ein Standrohrdurchmesser von 38 Millimetern. Bessere Führungsarbeit und mehr Steifigkeit sind die Argumente für das neue Standardmaß im Enduro-Bereich. Allerding erschweren die massiveren Castings die Front um rund 200 (Rockshox) bzw. 400 Gramm (Fox) im Vergleich zu den schmächtigeren Modellen Lyrik und Fox 36. Propain und Bulls sparen sich das Gewicht und setzen wie YT auf das all-mountain-typische Standrohrmaß von 35 Millimetern. Gepaart mit dem einzigen Vollcarbonrahmen unter den Enduros und der überdurchschnittlich guten Ausstattung kommt das Propain mit 15,06 Kilo dem YT auf der Waage am nächsten.
Aus vergangenen Tests wissen wir auch, dass sich bei den Geometrien von All Mountains und Enduros nur marginale Unterschiede ergeben. Beide Kategorien bewegen sich zum Beispiel beim Lenkwinkel um 65 Grad. Extrem flache Enduro-Bikes knacken auch gerne mal die 64-Grad-Marke. Unser Referenz-Bike tanzt mit seinen steilen 66 Grad daher etwas aus der Reihe. Macht man aber beim YT von der auf 160 Millimeter umbaubare Gabel Gebrauch, relativiert sich der Unterschied. Denn grob gilt: Ein Zentimeter mehr Einbaulänge flacht den Lenkwinkel um einen halbes Grad ab.
Besonderheiten offenbart aber die Reifenwahl. Während YT sein Jeffsy zwar mit super griffigen MaxxGrip-Reifen bestückt, verlangt der mäßige Pannenschutz der einfachen Exo-Karkasse in grobem Geläuf Fingerspitzengefühl. Die Super-Gravity-Bereifung von Schwalbe und die Double-Down-Schlappen an Bulls und Nukeproof verzeihen dagegen selbst gröbste Fahrfehler. Der Rest der Testgruppe bietet mit EXO+ Bereifung ausreichenden Pannenschutz.
16:30 Uhr. Die letzte Bergfahrt der Geißkopf-Bahn leitet den Showdown ein. Ab jetzt geht’s nur mit Beinarbeit zum Trail. Das hohe Gewicht von Nukeproof und Bulls ringt uns bereits nach wenigen Höhenmetern Schweißperlen ab. Radon fällt zwar
gewichtstechnisch in das gleiche Raster, lässt sich aber Dank der leichten Laufräder besser beschleunigen. Die beiden leichtesten Enduros von Last und Propain klettern brav. Wirklich Lust auf eine zweite Runde macht aber nur das YT Jeffsy. Die Uphill-Performance eines leichten Bikes ist eben durch nichts zu ersetzen.
Enduro- und All Mountain Bikes bieten mittlerweile beide ein enormes Abfahrtspotenzial. Die Souveränität, die ein Enduro-MTB bei hohen Geschwindigkeiten versprüht, kann das All Mountain in diesem Test aber nicht ersetzen. Durch das akzeptable Gewicht, die wertige Ausstattung und die tadellose Funktion geht das Propain aus diesem Enduro-Bike-Vergleichstest als Klassenprimus hervor. Wer agiles Handling aber über Highspeed-Kompetenzen stellt, bekommt beim All Mountain das bessere Allround-Mountainbike.