Adrian Kaether
· 03.01.2023
Mit dem Spectral:ON ist Canyon ein großer Wurf gelungen. Das Koblenzer All Mountain Bike ist trotz Riesen-Akku mit satten 900 Wattstunden das zweitleichteste Bike im Test von fünf E-All-Mountains bis 6300 Euro. Daran hat auch der gelungene Vollcarbonrahmen seinen Anteil. Bergauf gibt’s noch Potential, bergab begeistert das Canyon aber trotz Riesen-Batterie mit verspieltem und doch sicherem Fahrverhalten.
Man kann es kaum oft genug sagen: 900 Wattstunden in einem Bike deutlich unter 25 Kilogramm, das ist beachtlich. Der Saft aus der Batterie reicht in unserem Testprozedere (Messverfahren s. u.) für über 2200 Höhenmeter im Turbo-Modus. Das ist absolute Spitze! Reichweitenängste sind damit erledigt - wer etwas Akku spart und nicht zu schwer ist sollte auch im Tourenalltag noch mehr als 2200 Höhenmeter aus dem Akku quetschen können. Passend: Die Sitzposition auf dem Canyon ist komfortabel, das Handling unkompliziert. Langen Touren steht damit nichts im Wege.
Ähnlich viel Lob bekommt das Versender-Bike für die Fahreigenschaften bergab. Die Kettenstreben sind mit 441 mm relativ kurz und das Fahrverhalten entsprechend handlich, trotzdem fehlt es auch auf ruppigen Trails nicht an Fahrsicherheit. Das Canyon macht damit sowohl auf langsameren, flowigen Trails, als auch auf zünftigen Abfahrten eine gute Figur. Nur die günstige Rhythm-Gabel ging uns zu unkontrolliert durch den Federweg und begrenzte damit das Potenzial des Bikes auf ruppigen Abfahrten. Seltsam, auch von Fox’ günstigstem Modell sind wir eigentlich Besseres gewöhnt.
Bergauf muss sich das Canyon Spectral:ON aber Kritik gefallen lassen. Dank steilem Sitzwinkel sitzt man zwar top im Rad, der Sattel bietet viel Gegenhalt wenn’s steil wird und auch das sensible Fahrwerk gefällt. An Rampen oder Stufen wird wegen kurzer Kettenstreben aber schnell das Vorderrad leicht. Kleinere Fahrer tun sich außerdem schwer, aktiv Druck auf die hohe Front zu bringen um ein steigendes Vorderrad einzuhegen. Kein Wunder, denn Rahmengröße L, wie hier im Test, empfiehlt Canyon erst ab etwa 1,84 Meter Körpergröße. In technischem Gelände bergauf setzen außerdem zu schnell die Kurbeln auf, sogar der tief gezogene Rahmen bekommt an Stufen Bodenkontakt. Der Fahrkomfort ist mit hoher Front und neutraler Lenkung hingegen top.
Überraschend: Das 800 Euro günstigere Canyon-Modell CF7 mit Rockshox-Fahrwerk, das wir in EMTB 3/2022 testen konnten, hat uns ähnlich gut gefallen und war sogar noch 500 Gramm leichter.
Das Canyon ist das einzige Bike mit Vollcarbon-Rahmen unter den All Mountains bis 6300 Euro. Trotz leichter Schwächen bergauf: Der Spagat aus Reichweite und Gewicht beeindruckt beim Canyon Spectral:ON aufs Neue. In Kombination mit dem angenehmen und erstaunlich verspielten Fahrverhalten bergab verhilft das dem Spectral:On CF8 zum Testsieg. Achtung: Größe L fällt sehr groß aus. Im Zweifel lieber zum kleineren Rahmen greifen.
Das EMTB-Urteil gibt den subjektiven Eindruck der Tester, die Ergebnisse der Reichhöhenmessung und der Labortests wieder. Das EMTB-Urteil ist Preisunabhängig. EMTB-Urteile: super (ab 9,0), sehr gut (ab 8,0), gut (ab 7,0), befriedigend (ab 6,0), mit Schwächen (ab 5,0), darunter ungenügend.
1: Die Reichhöhe wurde bei standardisierten Messverfahren an einem Asphaltanstieg mit 12,2 Prozent Steigung ermittelt. Höchste Unterstützungsstufe, 150 Watt Tretleistung des Fahrers. Fahrergewicht inkl. Ausrüstung 90 Kilogramm. In Klammern die Höhenmeter im deutlich gedrosselten Notlauf-Modus. Die Durchschnittsgeschwindigkeit bezieht sich auf die Fahrt bei voller Unterstützung.
2: Ermittelt auf den Prüfständen im EMTB-Testlabor. Gewicht ohne Pedale, Akku-Gewicht ggf. inkl. verschraubtem Cover.
3: Herstellerangabe.
4: Stufentest, gemessen mit 36 Zentimeter erhöhtem Hinterrad.