Die überwältigende Mehrheit aller Fahrradrahmen wird in Asien produziert. Auch in Europa gibt es einige namenhafte Hersteller. Auffallend viele davon in Deutschland. Doch auch, wenn eine Marke vielleicht ihren Sitz in einem europäischen Land hat, ist es oftmals gar nicht so einfach herauszufinden, ob die Produktion tatsächlich in Europa stattfindet. Bei unserem BIKE PROJECT: EUROPE entschieden wir uns für einen MTB-Rahmen von Alutech und konnten Inhaber Jügern Schlender gleich beim Schweißen über die Schulter schauen - garantiert regional! Mit unserem fertigen Europa-Bike schlossen wir zwar das Projekt, nicht aber die Recherche nach Mountainbike-Herstellern aus Europa ab. Die aktuelle Liste europäischer Rahmenhersteller enthält deshalb einige spannende Nachzügler.
Neu in der Liste ist unter anderem Norwid. In Schleswig-Holstein schweißen die Nordlichter nicht nur individuelle Gravel-, sondern auch MTB-Rahmen aus Stahl. In Hessen, genauer gesagt in Offenbach am Main, entstehen bei Agresti ebenfalls maßangefertigte Stahlraumen - auf Wunsch auch Titanrahmen. Beim Bau der Stahlrahmen-Gravelbikes von Big Forest kann man in Potsdam auf Wunsch sogar selbst Hand anlegen. Das kleine Label Liny sitzt in Bayreuth und fertigt in Düsseldorf zwar keine Mountainbike-Rahmen aber ein kleines Angebot an Gravelbike-Rahmen aus Stahl. In Dresden schweißt Sour die Stahlrahmen ihrer Homebrew-Serie direkt vor Ort. Nach der Übernahme durch die Pierer Industrie AG geht Liteville neue Wege. Der Carbonrahmen des streng limitierten neuen Liteville 301CL MK1 entsteht in Portugal.
In Regensburg sitzt die junge Marke XPro, die sich voll der Slopestyle-Szene verschrieben hat. Ihre Dirtbike-Rahmen entstehen in Travnik, Bosnien-Herzegowina. Die deutsche Firma Radoxx fertigt zwar keine kompletten Rahmen, wohl aber Rahmenteile, wie Wippen, Adapter und andere Alu-Frästeile, im eigenen Land. Ein beliebtes Foto-Objekt der Bike-Community ist das CDuro von CompoTech, an dem Intend-Mastermind Kornelius Kapfinger seine Prototypen testet. Die Tschechen verkaufen ihren eigenwilligen Eingelenker-Rahmen aus Carbon aber auch an Normalsterbliche. Rewel fertigt edle Titanrahmen in Südtirol und Triton hat die Produktion seiner Titanrahmen inzwischen aus Russland nach Portugal verlegt.
Um die Herausforderung noch ein wenig spannender zu machen, beschränkten wir uns beim BIKE PROJECT: EUROPE auf Hersteller, die ihre Produkte in Mitgliedsstaaten der Europäischen Union fertigen. Natürlich gibt es aber auch zahlreiche Rahmenbauer, die ihre Schmuckstücke zum Beispiel in Großbritannien oder der Schweiz bauen. Geografisch gehören diese Länder natürlich ebenso zu Europa und wir haben sie in unsere aktualisierte Liste aufgenommen. Auf der britischen Insel lieben es Biker Titan- und Stahlrahmen zu schweißen. So sind zum Beispiel die Rahmen von Sturdy und Ra Bikes “very british”. Starling geht einen Zwischenweg, schweißt Stahl-Hardtails und die Hauptrahmen der Fullys in England, während die Hinterbauten aus Taiwan kommen.
Im walisischen Machynlleth setzt die Bike-Familie Atherton 3D-gedruckte Titanmuffen aus heimischer Produktion mit Carbon-Rundrohren aus Taiwan zusammen. Nicht weit entfernt in Barnoldswick entstehen neben bunten Alu-Frästeilen auch die Carbon-Rahmen von Hope. Auch in der zwar kleinen, aber Mountainbike-begeisterten Schweiz legt man Wert auf eine Rahmen-Produktion im eigenen Land. Die Schmiede Scar schweißt feine Stahlrahmen in der Schweiz und Gamux hat das Nachbarland Deutschlands nicht nur als Firmensitz, sondern auch als Produktionsort für Rahmenteile und spannende Downhill-Prototypen auserwählt.
Unsere Liste ist nicht abschließend und wir freuen uns über Ihre Ergänzungen. Sie wissen, wo in der EU weitere Mountainbike-Rahmen produziert werden? Dann schreiben Sie uns eine Mail an: j.timmermann@bike-magazin.de
Hersteller / Sitz / Produktion / Bemerkungen
Bevor europäische Rahmenbauer das Schweißgerät anwerfen oder mit dem Auslegen eines Carbon-Rahmens beginnen können, müssen viele Hürden überwunden werden. Die meisten Rohmaterialien, wie Carbonfasern, Alu-Rohre, und viele Frästeile, werden in Fernost produziert. Auch Kleinteile, wie Kabelhalter, Lager oder Schaltaugen, kommen meist aus dem nicht-europäischen Ausland. Ob und wann all diese Teile zu einem Mountainbike-Rahmen zusammengesetzt werden können, ist abhängig von der Liefersituation.
Hinzu kommt, dass Rahmenbau noch immer zu großen Teilen Handarbeit ist. Europäische Sozialgesetze und ein höheres Lohnniveau als in asiatischen Ländern machen Arbeitskraft teuer. Fachkräfte, wie etwa erfahrene Alu-Schweißer, sind auf dem Arbeitsmarkt heiß begehrt. Anders als in Europa hat sich in Ländern wie Taiwan über viele Jahre hinweg eine große Industrie mit viel Know-How etabliert. Auch höhere Umweltstandards treiben die Kosten für die Rahmenfertigung in der EU nach oben. Kleine Schmieden, wie Gasventinove (IT) oder Zonenschein (DE, Insolvenz nach Hochwasser-Katastrophe), sind über die Jahre von der Bildfläche verschwunden. Unno hat die Produktion ihrer neusten Rahmengeneration aus Preisgründen von Barcelona nach Asien verlegt.
Bekannte Firmen, wie Kavenz, RAAW, Thömus, Falkenjagd, Rennstahl oder Sour, haben ihren Sitz zwar in Europa, lassen ihre MTB-Rahmen jedoch in Asien produzieren. Arc8 sitzt in der Schweiz, stellt die Rahmen aber in China her. Bei Lieferengpässen für Teile aus Asien haben vor allem kleinere Rahmenbauer das Nachsehen und werden erst spät oder gar nicht beliefert. Jürgen Schlender von Alutech hat sich deshalb dazu entschieden, Alu-Rahmen ab sofort wieder im norddeutschen Ascheffel zu schweißen. Last setzt, ebenso wie Stoll, auf die Expertise von All Ahead Composites und lässt Carbonrahmen bei Würzburg produzieren. Andere Hersteller könnten diesen Beispielen folgen. Eine europäische Massenfertigung von Fahrradrahmen, die mit den asiatischen Kapazitäten vergleichbar wäre, gibt es bislang aber noch nicht. Die meisten europäischen Rahmenbauer fertigen derzeit Klein- und Kleinstserien im eigenen Haus.
Unter anderem in Portugal entwickeln sich derzeit vielversprechende Ansätze für eine europäische Rahmenproduktion mit hohen Stückzahlen. In der nagelneuen Fabrik von Carbon Team könnten in den nächsten Jahren bis zu 55.000 Rahmen jährlich gefertigt werden. Das Know-How steuert nicht zuletzt Carbon-Experte Christoph Gemperlein (All Ahead Composites) bei. Vor allem eine weitgehende Automatisierung der Produktion könnte die europäische Rahmenproduktion in Zukunft wettbewerbsfähig machen. So tüftelt auch Ghost an einer automatisierten Produktion mit Thermoplast in Belgien. Schlüsseltechnologien, wie dem 3D-Druck, kommen dabei eine entscheidende Rolle zu. So wurde beispielsweise der Aluminium-Rahmen unseres BIKE PROJECT: RIDE GREEN Bikes von der Firma Canyon in Deutschland 3D-gedruckt.