Der Specialized SL 1.1 ist neben dem Fazua Evation so etwas wie der Ur-Ahn der Light-Motoren. Mit der Vorstellung des Specialized Levo SL Anfang 2020 wurden Light-E-MTBs salonfähig. Allerdings: Das lag vor allem am tollen Handling des Bikes und weniger am Motor. Denn der Specialized SL 1.1 war zwar leicht und effizient, aber auch laut und wenig kraftvoll. Nun steht im neuen Levo SL der neue Specialized SL 1.2 E-Bike-Motor am Start. Mit 50 Newtonmetern und 320 Watt Leistung soll er 33 Prozent mehr Power und 43 Prozent mehr Drehmoment bieten, als der Vorgänger. Und so Specializeds Light-E-MTBs auch in Sachen Motor fit machen für die Zukunft.
Wie beim SL 1.1 gibt es auch den Specialized SL 1.2 ausschließlich in Kombination mit einem fest verbauten 320-Wh-Akku. Die Batterie kann zum Laden oder Wechseln auf Tour nicht herausgenommen werden. Um die Reichweite zu erhöhen, steht ein Range-Extender im Trinkflaschenformat zur Verfügung. Die 160 Extra-Wattstunden wiegen gut ein Kilo und passen problemlos auch in kleinere Rucksäcke. Verbaut wird der Antrieb im neuen Trailbike Specialized Levo SL. Ob auch noch ein neues Kenevo SL mit dem SL 1.2 E-Bike-Motor kommen wird, ist noch nicht bekannt.
Das Specialized-System gehört zu den minimalistischeren Antrieben im Light-Segment. Das macht sich auch im Fahrgefühl bemerkbar. Der Aha-Effekt, den klassische E-Bike-Motoren mit ihrer plakativen Power bieten, bleibt beim Specialized SL 1.2 nach wie vor aus. Denn der Schub des Motors ist selbst bei voller Unterstützung eher dezent. Allerdings: Hier kommt es natürlich auch auf die Perspektive an. Wer das Fahren ohne Motor gewohnt ist, der wird sich auch beim Specialized-Motor wundern, wie schnell die Geschwindigkeitsanzeige auf steilen Forststraßen im zweistelligen Bereich landet. Einfach die Beine fallen zu lassen, während der Motor die ganze Arbeit macht, das ist nicht das Ansinnen des Specialized SL-Antriebs.
Gerade bei niedrigen Kadenzen hat der SL 1.2 etwas weniger Wumms als ein klassischer E-Antrieb oder auch die Mitbewerber, wie der Shimano Ep8 RS und Fazua Ride 60. Wer mit falschem Gang in einen Gegenanstieg gerät, kann vom Motor nur wenig Schub erwarten. Das gesteigerte Drehmoment gegenüber dem Vorgänger ist beim Specialized SL 1.2 aber deutlich spürbar und verhilft dem neuen E-Bike-Motor zu etwas mehr Souveränität, wenn es mal über eine hohe Stufe oder eine fiese Geländekante geht. Auch wenn der Untergrund rau und uneben wird, bleibt der SL 1.2 besser Herr der Lage. Der neue Specialized Light-Assist-Antrieb liegt hier auf einem Niveau mit dem HPR50 von TQ und deutlich über dem Niveau des alten Specialized SL 1. 1 oder dem minimalistischen Antrieb von Maxon.
Bei hoher Trittfrequenz schiebt der Specialized dann übrigens ordentlich, bleibt aber immer im gut beherrschbaren Bereich. Das Fahrgefühl ist dadurch immer recht geschmeidig und die gleichförmige Kraftentfaltung über die Kadenz ist abseits von technischen Uphills sehr angenehm. Der Leerweg beim Antritt fällt relativ kurz aus. So reagiert der SL 1.2-Antrieb in fast allen Fahrsituationen sehr direkt auf den Tretimpuls und ist gut dosierbar.
Die Power des Specialized E-Bike-Motors liegt messbar über der des Vorgängers. Unser Labortest hat eine maximale Leistung von 278 Watt am Hinterrad ergeben. Auch das maximale Drehmoment von 50 Newtonmetern liegt jetzt auf einem Niveau mit der Werksangabe des TQ HPR50 und nur noch leicht unter den 60 Newtonmetern eines EP8 RS oder Fazua. Immer noch eine Stärke des Specialized SL 1.2 Antriebs: Die Leistungskurve ist sehr ausgewogen. Erst bei sehr hohen Trittfrequenzen über 110 U/min bricht die Leistung ein.
Ebenfalls im Labortest klar ersichtlich: In der Werkseinstellung reagiert der Light-Assist-Motor stark auf veränderte Trittfrequenzen, die Fahrerleistung nimmt hingegen keinen Einfluss auf den Output des Motors. Heißt: Im Turbo-Modus bringt der SL 1.2 seine volle Power schon bei minimalem Tretimpuls. Gibt der Fahrer oder die Fahrerin mehr Gas, kommt vom Motor aber nicht noch mehr Leistung. Wer möchte, kann das über die App einstellen und so die volle Leistung erst bei sehr hohem Fahrerinput abrufbar machen.
Dauerlast ist für die kleinen und leichten E-Bike-Antriebe oft ein diffiziles Thema. Denn wer aus einem kompakten Antrieb möglichst viel Leistung herauskitzeln möchte, läuft Gefahr, ein Problem mit der Wärmeabfuhr zu bekommen. Die Folge: Der Antrieb muss die Leistung drosseln, so wie wir es beispielsweise bei TQ und Bafang/Forestal erleben mussten. Sehr schön: Bei Specialized scheint auch mit gestiegener Leistung Derating überhaupt kein Thema zu sein. Seine 278 Watt liefert der Antrieb auch unter widrigeren Bedingungen dauerhaft ab. Auch in unserem standardisierten Testszenario, einer Bergfahrt unter Dauer-Volllast, erreichte der Specialized E-Antrieb zu keiner Zeit bedenkliche Gehäusetemperaturen. Das Gesamtsystem mit dem 320er-Akku ist passend zur Leistung des SL 1.2 ausgelegt. Und hier sammelt der neue Specialized Antrieb gleich noch einen Trumpf ein. Denn trotz der nach wie vor geringen Akku-Kapazität erkletterte das Specialized-System bei höchster Unterstützung rund 1030 Höhenmeter. Nur 20 Höhenmeter weniger als beim Vorgänger, trotz der gestiegenen Leistung und damit auch einer höheren Durchschnittsgeschwindigkeit. Es scheint also, als sei der neue E-Bike-Motor gegenüber dem Vorgänger nochmal effizienter geworden.
Leistung, Fahrgefühl, Bauraum: Das alles war schon beim ersten Specialized-SL-Antrieb ganz in Ordnung. Dagegen: Die Geräuschkulisse empfanden viele als störend. Denn selbst im Eco-Modus surrte der SL 1.1 unangenehm und laut hörbar. Der neue Antrieb hat hier einen ganz klaren Schritt nach vorne gemacht. Selbst unter Volllast ist der Specialized SL 1.2 für einen E-Bike-Motor eher leise, die tiefe Frequenz und das gleichmäßige Geräusch sind angenehm. Ganz so leise wie ein Fazua oder gar ein TQ ist der Specialized zwar nicht, auch wer längere Touren mit mittlerer Unterstützung fährt, dürfte sich aber kaum am Antriebsgeräusch stören. Aus praktischer Sicht vielleicht die relevanteste Verbesserung gegenüber dem Vorgängermotor.
So stellen wir uns gelungene Bedienelemente vor! Der Controller ist unauffällig, aber top bedienbar. Der kleine Screen im Oberrohr wirkt richtig wertig, lässt sich individuell mit Datenfeldern bestücken und bietet einen großen Funktionsumfang. Trotzdem hat man nicht das Gefühl, mit einer überladenen Multimediazentrale durch den Wald zu schippern. In manchen Datenfeldern fällt die Schrift grenzwertig klein aus, über die App-Einstellung lässt sich das aber einfach lösen. Die Bedienung des Systems ist insgesamt sehr intuitiv, die Integration absolut schlank. Der kompakte Shifter am Lenker ist ebenfalls unauffällig, die Tasten geben gutes haptisches Feedback und liegen ergonomisch am Griff. Insgesamt machen die Bedienelemente einen sehr wertigen und ausgereiften Eindruck.
Ein besonders cleveres Feature bei Specialized: Die Microtune Funktion. Sie lässt sich über langes Drücken der Plus-Taste aktivieren und funktioniert wie ein vierter Unterstützungsmodus, nur dass sich hier die Unterstützung über die Tasten von 0 bis 100 Prozent in 10-Prozent-Schritten passgenau einstellen lässt. Wer mal mit einem fitteren Bio-Biker oder auch einem E-Biker im Eco-Modus mitfahren möchte, kann sich dadurch unkompliziert die Geschwindigkeit und Unterstützung genau so einstellen, dass sie zum Tourenpartner passt. Das bietet so kein anderer Hersteller!
Die App Mission Control ist ein ziemlich umfangreiches und vergleichsweise ausgereiftes Tool. Neben einer sinnvollen Feineinstellung der drei Fahrmodi (verschiedene Pre-Sets speicherbar) gibt es System-Updates, Fehlerdiagnose, Infos zur Systemhistorie und sogar eine smarte Power-Regulation. Dabei verspricht Specialized, dass das E-Bike die Unterstützung so wählt, dass der Akku für die geplante Tour ausreicht. Auch eine Kopplung der Motorunterstützung an die Herzfrequenz ist möglich.
Leicht, gut dosierbar und effizient war das Specialized-System immer schon. Dank des SL 1.2 gibt’s jetzt mehr Leistung, mehr Drehmoment und vor allem ein deutlich angenehmeres Antriebsgeräusch, ohne dass man dafür irgendwelche Abstriche machen muss. Die intuitiven Bedienelemente und die umfangreiche App des Specialized-Systems sind nach wie vor Spitzenklasse. Gerade das Mastermind-Display setzt durch die gelungene Kombi aus schickem Design, schlanker Integration und großem Funktionsumfang bis heute eine Benchmark.