Florentin Vesenbeckh
· 30.10.2022
Die kleine Schmiede Forestal aus Andorra hat gemeinsam mit Bafang einen eigenen Antrieb für leichte E-Bikes entwickelt. Der kompakte Bafang-Motor hat uns mit reichlich Power überrascht. Ein Test in Labor und Praxis.
Vor zweieinhalb Jahren hat die damals neu gegründete Marke Forestal sein Light-E-MTB Siryon vorgestellt. Und die Newcomer gingen direkt in die Vollen. Nämlich mit einem eigenen E-Bike Motor, den die Brand aus Andorra gemeinsam mit dem Motorenspezialisten Bafang auf die Beine gestellt hat. Zum 29-Zoll-E-Enduro Siryon kamen inzwischen die E-MTBs Cyon (Trail) und Hydra (Downhill) dazu, die alle von den selbem Motor angetrieben werden.
Für unseren großen Vergleichstest leichter E-Bike-Antriebe konnten wir den F60-S1 ausführlich in Labor und Praxis testen. Eines vorweg: Der Motor setzt sich von den anderen Light-Kandidaten mit ganz eigenem Charakter deutlich ab und liefert ein starkes Power-Gewichts-Verhältnis.
Die E-Mountainbikes von Forestal werden aktuell alle mit dem F60-S1 ausgeliefert. Und jedes Bike hat einen fest im Unterrohr verbauten Akku mit 360 Wattstunden. 1,9 Kilo wiegt der schlanke Energieträger. Zum Laden oder Wechseln auf Tour lässt sich die Batterie nicht entnehmen. Seit das System vorgestellt wurde, wirbt Forestal mit einem externen Zusatz-Akku, der die Reichweite bei Bedarf deutlich aufstocken soll. Bisher gibt es diesen allerdings nicht zu kaufen. 2023 soll der Range Extender mit 250 Wattstunden endlich verfügbar sein.
Der Underdog aus Andorra hat uns mit viel Leistung und massig Drehmoment überrascht. Seinen Wumms setzt der Motor sehr plakativ und etwas ungehobelt frei. In der höchsten Unterstützungsstufe, dem Nitro-Modus, schiebt er schon bei geringstem Fahrer-Input voll an, da kommt Motorrad-Feeling auf und das enorme Drehmoment wird deutlich spürbar. Die Dosierbarkeit könnte dabei allerdings besser sein, denn die Unterstützung reagiert wenig sensibel auf den Fahrer-Input. Wer in technischen Passagen gezielt und dosiert steuern will, hat im starken Nitro-Modus wenig Freude. Das kann in manchen Situationen aber auch von Vorteil sein: Der F60-S1 schiebt unbeirrbar über Stufen und manch hakeligen Wurzelteppich hinweg. Da kommt Power-Bike-Feeling auf! Die Dosierbarkeit wird etwas besser, wenn man am schlanken Remote-Hebel eine niedrigere Unterstützungsstufe wählt. Zum richtig geschmeidigen Streichel-Antrieb wird der F60 S-1 allerdings auch dann nicht. Im sportlichen Einsatz stört, dass die Leistung bei sehr hohen Trittfrequenzen deutlich einbricht. Das spürt man in der Praxis, unser Labortest (siehe unten) liefert schwarz auf weiß die Fakten dazu.
Die Erkenntnisse aus dem Labortest zeichnen ein zweischneidiges Bild des Forestal F60-S1. Beeindruckend ist der enorme Drehmoment des kleinen Kraftpakets. Mit 79 Newtonmetern liegt der Maximalwert exakt auf Niveau eines Bosch Performance CX (Messwerte bei identischer Messmethode). Kein anderer Light-Motor liefert bei niedrigen Kadenzen eine ähnlich hohe Leistung. Die Spitzenleistung liegt mit 386 Watt ebenfalls auf amtlichem Niveau. Die negative Seite zeigt sich, wenn man den rechten Teil der Leistungskurve betrachtet. Bei hohen Kadenzen kann der F60-S1 seine Leistung nicht halten. Schon bei einer Trittfrequenz von knapp über 90 Umdrehungen lässt die Power nach und fällt mit steigender Kadenz drastisch ab. So früh und so deutlich zeigt dieses Verhalten kein anderer Antrieb in unserem Test. In der Praxis führt das zu einem wenig spritzigen Fahrgefühl. Insbesondere, wenn man vor einer Steilstufe oder Schlüsselstelle kräftig antritt, spürt man dieses “Power-Loch”.
Forestal sieht die hohen Unterstützungsstufen eher als Notnagel für kurze Schlüsselstellen, denn als Dauer-Modus. Diesem Appell schließen wir uns mit Nachdruck an. Denn ruft man die volle Power des Aggregats dauerhaft ab, ist der Akku ruckzuck leergesaugt. Wir erreichten bei unserer Vergleichsfahrt im Turbo-Modus eine Uphill-Fahrzeit von 36 Minuten (+6 Minuten bei gedrosselter Power). Interessant: Im Gegensatz zu den meisten anderen Antrieben hält die Batterieanzeige einen Puffer parat. Heißt: Bei null Prozent Akku endet die Turbo-Unterstützung. Der Motor schiebt mit gedrosselter Power aber noch eine Weile weiter. Bei maximaler Unterstützung erkletterten wir mit dem Forestal-Antrieb bei unseren standardisierten Messfahrten 814 Höhenmeter, hinzu kamen 84 Höhenmeter mit stark gedrosselter Power. Die Fahrerdaten dazu: Fahrergewicht 89 Kilo, 150 Watt Tretleistung, Kadenz 80 U/min. Weiteres Problem im Dauerlast-Betrieb: Der Motor wird extrem heiß. Das Gehäuse erreichte nach einem 410-Höhenmeter-Ansteig (rund 16:30 Minuten) eine Temperatur von über 80 Grad. Verbrennungsgefahr! Die Hitze war dem F60-S1 auch anzumerken. Denn im zweiten Teil des Anstiegs reduzierte er etwas seine Leistung. Die Power blieb aber durchgehend auf hohem Niveau.
Das Antriebsgeräusch des F60-S1 gehört in unserem Vergleich zu den lautesten. Einen klaren Unterschied zu den stärkeren Klassikern von Bosch und Shimano konnten wir nicht feststellen. Leider wird er auch in den unteren Unterstützungsstufen nicht deutlich leiser. Die Testfahrer beschrieben das Geräusch als maschinell und wenig angenehm. Großes Plus: Bergab klappert der Motor nicht. Das Forestal Siryon gehört insgesamt in der Abfahrt zu den leisesten E-MTBs, die wir je gefahren sind.
In dieser Disziplin will Forestal ein Innovationsfeuerwerk zünden. Das Dashboard hat einen großen Touch-Screen, der auch mit Handschuhen gut bedienbar ist. Obendrauf gibt’s GPS, WiFi und ein eigenes Android-System mit Internetzugang. Updates sind direkt am Bike möglich, alles ist top integriert. Nervig: Das System braucht lange zum Hochfahren. Die Ablesbarkeit des Displays ist auch bei schwierigen Lichtverhältnissen gut. Auf dem Trail brachte uns die Innovation aber erst mal wenig Mehrwert, denn der Funktionsumfang ist aktuell noch überschaubar. Viele Funktionen sind in Planung, aber bis jetzt noch nicht umgesetzt. Dazu gehören neben einer klassischen Leistungsanzeige auch abgefahrene Features wie die Messung von G-Kräften und “Airtime” bei Sprüngen. Hier scheint die Software-Abteilung bei Forestal aber noch einiges an Arbeit vor sich zu haben. Updates sollen den Funktionsumfang künftig aber deutlich ausbauen.
Bei der App Forestal Sync ist die Lage ähnlich wie beim Dashboard im Oberrohr: Viele Features sind in Planung, im aktuellen Zustand ist der Funktionsumfang aber überschaubar. Am dringendsten arbeiten die Software-Entwickler aktuell an der individuellen Einstellung der Fahr-Modi. Darüber hinaus stehen ein Diebstahlschutz mit GPS-Bike-Finder, Herzfrequenzkopplung zur Motorsteuerung, ein Setup-Guide und weitere smarte Features auf der Liste. Im aktuellen Zustand ist der Funktionsumfang aber sehr überschaubar. Gut: Via Chat-Funktion kommt man direkt mit Forestal in Kontakt. Wir haben das ausprobiert und waren vom schnellen und hilfreichen Feedback positiv überrascht.
Brachiale Power in einem kleinen und leichten Paket. Der F60-S1 eignet sich für alle, die ein leichtes E-MTB suchen, auf plakatives E-Bike-Feeling und viel Wumms in steilen Schlüsselstellen aber nicht verzichten wollen. Leider ist der Antrieb vergleichsweise laut und etwas ungehobelt. Das Touch-Display mit integriertem Android-System verleiht dem Bike einen innovativen Charakter - aktuell ist der Mehrwert des Systems aber noch überschaubar. Hier muss die Entwicklungsabteilung das Potenzial erst noch ausschöpfen. Die Reichweite des Systems ist mäßig, insbesondere wenn man die hohe Leistung des Motors nutzt. Außerdem bekommt der Antrieb im Dauerlast-Betrieb Hitzeprobleme. Die volle Leistung sollte man nur sporadisch nutzen. Dennoch beeindruckend: volles E-Bike-Feeling bei geringem Gewicht und kompaktem Baumaß! Leider ist auch die Lautstärke entsprechend hoch.
Der Test des Forestal F60-S1 fand im Rahmen eines großen Vergleichs diverser leichter E-Bike-Motoren statt. Unseren Übersichtsartikel inkl. Vergleichswerten gibt´s hier. In den kommenden Tagen veröffentlichen wir zu den weiteren Kandidaten ebenfalls ausführliche Testergebnisse auf unserer Webseite.