Adrian Kaether
· 06.11.2022
Mit edlem Vollcarbon-Rahmen, Fahrspaß-Geometrie, hauseigenem Antrieb und einem Gewicht von unter 23 Kilogramm geht das Rocky Mountain Instinct Powerplay C70 in das Dreier-Shootout mit Haibike und Cannondale. Ob das All Mountain Bike an den Erfolg des großen Enduro-Bruders anknüpfen und sich den Testsieg sichern kann?
Leichtfüßig in den Kurven, spurstabil auf der Geraden. Spritzig und poppig im Handling und doch auch durch grobe Drops und hohe Geschwindigkeiten nicht aus der Ruhe zu bringen. Das Rocky Mountain E-Enduro Altitude Powerplay überzeugte in unserem Enduro-Test mit nahezu perfekten Fahreigenschaften – trotz des hohen Gewichts und eher durchschnittlicher Ausstattung. Entsprechend hoch waren die Erwartungen an das E-All-Mountain Bike Rocky Mountain Instinct Powerplay, das sich im Edel-Shootout gegen die Konkurrenz von Cannondale Moterra Neo und Haibike All Mtn beweisen musste.
Zumal das Rocky Mountain Instinct Powerplay C70 in diesem Test - anders als der Enduro-Testsieger - mit edlem Vollcarbon-Rahmen und wertigerer Ausstattung aufwarten kann. Erstaunlich: In puncto Preis-Leistung muss sich das Rocky damit auch nicht vor der Konkurrenz von Haibike und Cannondale verstecken. Denn die punkten zwar mit einzelnen High-End-Parts, einen Vollcarbon-Rahmen besitzt aber nur das Instinct Powerpaly. Klar ist aber auch: Preis-Leistung ist ein schwieriges Wort, wenn es um Bikes für fast 9000 Euro geht.
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Grundsätzlich teilen sich Rocky Mountains Edel-Fullys Instinct (AM) und Altitude (EN) dieselbe Rahmenplattform. Nur Dämpferwippe und Anbauteile entscheiden über den unterschiedlichen Einsatzbereich. Kann also das Instinct an den Erfolg des Enduro-Testsiegers Altitude anknüpfen? Die Zeichen dafür stehen gut, denn auch das Instinct punktet auf dem Papier mit variabler Geometrie und kurzen Kettenstreben von 441 Millimetern, die das Handling positiv beeinflussen sollten.
Vom tollen Vollcarbonrahmen einmal abgesehen, glänzt das von uns getestete Modell Instinct Powerplay C70 für 8900 Euro in Sachen Ausstattung zwar leider wenig, leistet sich aber auch keine Schwächen. Das Fahrwerk aus der Fox Performance Reihe und durchgängig Shimano XT Komponenten sind zwar eher gehobene Mittelklasse als wirklich High-End, die Fachhandels-Konkurrenz schlägt sich hier aber leider auch nicht viel besser. Das ist ernüchternd. Immerhin: Die Ausstattung am Rocky Mountain wirkt durchdacht. Griffe, Sattel und Cockpit fühlen sich gut an, die Laufräder sind ebenfalls eher Mittelklasse, aber nicht zu schwer.
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Für Vortrieb sorgt beim Rocky Mountain Instinct wie üblich der hauseigener Dyname-4.0-Antrieb in Zusammenarbeit mit einem 720-Wattstunden-Akku. Das Aggregat hat Rocky Mountain selbst entwickelt und auf die eigenen Bedürfnisse abgestimmt. Gegenüber der etablierten Konkurrenz bringt das einige klare Vor- und Nachteile mit sich.
Für den Rocky Dyname Antrieb spricht das kräftige Drehmoment von 108 Newtonmetern sowie die satte Spitzenleistung. Mit nach unseren Messungen rund 670 Watt ist der Rocky-Antrieb spürbar kräftiger als die Antriebe von Bosch und Brose, Shimano fällt noch deutlicher ab. Da der Rocky-Antrieb speziell für Mountainbikes entwickelt wurde, liegt das Tretlager am hintersten Punkt des Motors. Das begünstigt die Konstruktion von E-MTBs mit kurzen Kettenstreben für ein agileres Fahrverhalten und auch nerviges Getriebe-Klappern bergab ist dem Rocky fremd. Außerdem überzeugt die Ergonomie der minimalistischen Remote. Das gut geschützt im Oberrohr eingelassene Display stellt die wichtigsten Informationen übersichtlich dar und lässt sogar die individuelle Einstellung der Unterstützungsstufen zu, ganz ohne App. Stark, auch wenn die Optik des Displays eher an klassische Fahrradtachos, als an moderne Smartphones erinnert.
Allerdings geht der kräftige Motor etwas rau zu Werke und überfordert in technischen Anstiegen gerne mal die Traktion am Hinterreifen. Auch das Fahrgefühl ist mindestens speziell: Der Motor surrt zwar angenehm tieffrequent, die Kraftübertragung über eine Umlenkrolle auf die Kette macht sich jedoch durch ein dezentes Knarren bemerkbar, die Kurbel vibriert leicht beim Treten. Da der Motor die Unterstützung wenig glättet, entsteht leicht ein unrunder Tritt. Wie unangenehm das auffiel, unterschied sich stark von Tester zu Tester. Unsere Empfehlung: Bei ernsthaftem Kaufinteresse den Antrieb unbedingt beim Händler Probefahren. Auch ein kurzer Parkplatz-Test dürfte hier schon Klarheit bringen.
Aufgrund der hohen Motorpower wenig überraschend: Der Rocky Mountain Dyname Antrieb ist mit 3,22 Kilogramm gut 300 Gramm schwerer als ein Bosch Motor und wird außerdem bei Vollgas schnell heiß. Nach den 400 Höhenmetern unseres Testanstieges liegt die Temperatur des Gehäuses oft schon bei über 80 Grad, längere Anstiege oder hohe Außentemperaturen führen zu Einbußen bei der Spitzenleistung. Der Motor drosselt den Schub, um Schäden an der Elektronik zu vermeiden. Sicher ist es daher Absicht, dass der Motor seine volle Leistung erst bei sehr kräftigem Treten durch den Fahrer freigibt.
In unseren Tests mit Wattmesspedalen legte der Rocky-Antrieb Dyname 4.0 selbst über 200 Watt Fahrerleistung noch deutlich zu. Bei einer mittleren Dauerleistung auf Tour bewegt sich der Rocky Mountain-Motor in normaleren Leistungsbereichen. Das ist gut für die Reichweite und beugt Überhitzung vor, wer an einem Bosch im Turbo-Modus dranbleiben will, strampelt aber etwas kräftiger.
Apropos Reichweite: In unserem Testanstieg ohne Flachstücke ging unserem Instinct Powerplay erst nach 1985 Höhenmetern die Energie aus, weitere 75 Höhenmeter erkletterte es in einem gedrosselten Notlauf. Ein starker Wert für ein E-Bike mit 720-Wattstunden-Akku, insbesondere da der bei Rocky Mountain nur 3,6 Kilogramm wiegt. Noch mehr Reichweite gibt’s mit dem optionalen Range-Extender (314 Wh), der einfach statt der Trinkflasche auf dem Unterrohr befestigt werden kann.
Die Konkurrenten von Cannondale und Haibike mit Boschs Smart System und schwerem 750er Powertube (4,3 kg) sammeln bei der Ausdauer aber trotzdem mehr Punkte. Sie erklettern ebenfalls rund 2000 Höhenmeter im Turbo-Modus, sind dabei mit einem Schnitt von fast 15 km/h aber deutlich schneller unterwegs. Denn da der kräftige Rocky-Antrieb die volle Power erst deutlich über den 150 Watt Tretleistung unserer standardisierten Messfahrten freisetzt, spart er hier deutlich am Akku, ist aber auch langsamer unterwegs. Bei gleicher Geschwindigkeit wäre der Rocky-Akku wohl schneller leer, als die der Bosch-Konkurrenz.
Reichweite allein ist bei Rocky Mountains aber ohnehin nur ein Mittel zum Zweck. Denn die Stunde des Instinct Powerplay schlägt bergab, abseits der Forststraße. Willig fräst es durch die Kurven, liegt satt auf dem Trail und nutzt wie von selbst jede Möglichkeit zum Absprung. Für dermaßen viel Spieltrieb bei einem E-Bike mit voller Power gibt‘s fast die vollen Punkte in unserer Handling-fokussierten Trail-Wertung. Kein Wunder, denn die Geometrie mit dem tiefen Tretlager und den kurzen Kettenstreben hat Rocky direkt vom Instinct ohne Motor übernommen. Auch dass das Powerplay E-MTB keine 23 Kilogramm wiegt, macht sich auf dem Trail positiv bemerkbar - erst recht wenn man gerade auf einem unserer zwei Konkurrenten von Cannondale und Haibike mit fast 25 Kilogramm saß.
Trotz nominell nur 140 Millimetern Federweg am Heck ist das Instinct im Dreier-Shootout das stärkste Bike im Downhill. Auch das Haibike kann da auch mit 20 Millimetern mehr Federweg wenig ausrichten. Das zeigt, wie gelungen die Kinematik des Instinct ist. Das Fahrwerk arbeitet schlichtweg erstklassig, lässt das E-Bike auf Wunsch an jeder kleinen Geländekante in die Luft schießen und bleibt trotzdem auch auf Enduro-Pisten voller schneller harter Schläge Herr der Lage. Dass der Motor bergab nicht klappert, ist eine Wohltat und fällt im direkten Vergleich mit dem All Mtn von Haibike und dem Moterra deutlich auf, auch wenn unser Instinct Powerplay nicht ganz so leise bergab war, wie andere Rocky Mountains aus vergangenen Tests. Heißt: Wer den Fokus vor allem auf sportliches Trailhandling und Bergabfahren legt, für den ist das Instinct eine klare Empfehlung. Der wichtigste Konkurrent dürfte da schon fast aus dem eigenen Haus kommen: Denn das Enduro Altitude Powerplay ist in schnellen Downhills noch souveräner, fährt sich in engen Trails aber nur unwesentlich träger.
Die Wertung als besserer Allrounder geht trotzdem ans Rocky Mountain Instinct Powerplay. Denn speziell, wer auch schwierige Uphills meistern will, tut sich mit dem „kleinen“ Rocky etwas leichter. Das Fahrwerk sinkt auch in Steilstücken nicht ein, die Lenkung ist transparent und kippt wenig ab. Mit der längeren Kettenstrebeneinstellung lässt sich auch das Vorderrad einigermaßen im Zaum halten. In technischen Anstiegen und auf flachen Wurzel-Trails setzen beim Rocky aber schnell die Kurbeln auf. Das stört den Rhythmus und beschert dem Instinct trotz gutem Handling und starker Traktion bergauf nur eine durchschnittliche Wertung im Uphill. Obwohl das Haibike auf technischen Uphills mehr punkten kann: Der Gesamtsieg im All Mountain Shootout zwischen Cannondale Moterra, Haibike All Mtn und Rocky Mountain geht wegen der überlegenen Fahreigenschaften bergab, der gelungene Geometrie und Kinematik an das Instinct Powerplay.
“Mit den neuen Powerplay-Modellen hat Rocky Mountain einen Volltreffer gelandet. Die Ausstattung mag zwar trotz des Preises nur gehobene Mittelklasse sein, dafür gibt’s einen tollen Vollcarbon-Rahmen. Und das Wichtigste: Auf dem Trail verbindet Rocky Mountains Instinct Powerplay Handling und Laufruhe, Spieltrieb und Nehmerqualitäten auf unnachahmliche Weise. Ein echtes Super-Bike für Trail-Fans, bei kräftigem Tritt mit extrem starkem Motor. Ob einen der raue Charakter des Rocky-Antriebs stört, sollte man allerdings vor dem Kauf unbedingt ausprobieren.”