Adrian Kaether
· 31.10.2022
Große Updates bei Fahrwerk und Rahmen und gleichzeitig ein paar nützliche Alltags-Features: Mit dem neuen Moterra Neo will Cannondale nicht nur die Schwächen des Vorgängers ausgemerzt haben - dem E-MTB soll auch der Spagat zwischen sportlichem Traileinsatz und gemäßigten Touren gelingen. Im Shoot-Out gegen Rocky Mountain Instinct und Haibike All Mtn konnten wir das Topmodell Neo Carbon 1 bereits testen.
Für 2022 hat Cannondale das Moterra Neo vollständig neu aufgelegt. Die wichtigste Änderung steckt im Unterrohr des E-Bikes: Boschs Smart System treibt das Moterra Neo jetzt an. Damit der lange Powertube mit 750 Wattstunden auch in kleine Rahmen passt, haben die Entwickler den Motor leicht gedreht verbaut. So sind auch Rahmen in Größe S mit dem langen Akku möglich.
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Fahrwerk und Rahmengeometrie wurden außerdem für 2023 komplett überarbeitet und wollen die Schwächen des Vorgängers hinter sich lassen: Dank steilerem Sitzwinkel tritt man weniger von hinten. Ein längerer Radstand und flacherer Lenkwinkel bringen mehr Fahrsicherheit bergab. Besonders positiv: Die langen Kettenstreben hat Cannondale um ein paar Millimeter gekürzt. Für Trail-Fans wird das Moterra Neo damit wieder interessanter - dem Handling kann das kürzere Heck nur guttun.
Praktisch veranlagte Kunden dürften sich über die Aufnahme für einen Seitenständer und die Gepäckträgergewinde am Hinterbau freuen. Das Topmodell Moterra Neo 1 kommt sogar mit einem hochwertigen Scheinwerfer von Lezyne ab Werk - Fernlicht inklusive. Das passt auch zum Charakter des Cannondale Moterra, das den Spagat zwischen Tour und Trail sucht. Die klassische Interpretation des All-Mountains als abfahrtslastiger E-Tourer eben.
Da verwundert es wenig, dass es sich im Flachen trotz der modernen Geometrie mit vermeintlich extrem steilen Sitzwinkel am angenehmsten sitzt. Das Cannondale Moterra platziert den Fahrer sehr ausgewogen und nicht zu frontlastig, mit wenig Druck auf Knien und Handgelenken. Der Sattel ist dick gepolstert und komfortabel, die hauseigenen Griffe dämpfen ordentlich. Nur das Fahrwerk könnte auf schlechtem Untergrund für mehr Federungskomfort noch etwas feiner ansprechen.
Tadellos für lange Touren ist dagegen die Reichhöhe. Satte 2022 Höhenmeter konnten wir an unserem Testanstieg aus dem Powertube 750 des Moterra Neo quetschen. Und das wohlgemerkt in unserem Standard-Testprozedere: 90 Kilogramm Fahrergewicht, Turbo-Modus und 150 Watt Tretleistung. Wer die Unterstützung auf langen Touren sparsamer nutzt, oder deutlich leichter ist, dürfte dem Cannondale noch deutlich mehr Höhenmeter entlocken. Vorausgesetzt jedenfalls, dass keine langen Flachstücke den Akku leersaugen.
Biegt man bergauf in technischere Trails ein, bleibt das E-MTB lange spurstabil. Leider wirkt das Cannondale Moterra Neo zuweilen etwas sperrig, das Heck könnte außerdem feinfühliger ansprechen. So fehlt dem Hinterreifen auf schwierigem Terrain zu oft die Traktion – zusammen mit dem langen Radstand und dem etwas sperrigen Handling ist das trotz der guten Sitzposition nicht ideal. Keine schlechte Performance natürlich, aber bei einem Topmodell für 8500 Euro sind die Erwartungen auch hoch.
Länge und Fahrwerk werden dem Moterra Neo auch im Downhill zur Last. Zwar lässt sich das E-Bike auch bei passiver Fahrweise sehr gut steuern – allein der lange Radstand und üppige Reach dürften in engen Kurven aber manchen weniger versierten Fahrer überfordern. Und wenn man die Bremsen in rauem Gelände offen lässt? Dann kann das Cannondale zwar mit Laufruhe punkten, der Hinterbau federt aber trotzdem nicht ideal. Wo bei geringen Geschwindigkeiten noch Sensibilität fehlt, tendiert das Fahrwerk jetzt dazu, den Federweg zu bereitwillig freizugeben. So fehlt bei sportlicher Fahrweise bergab etwas der Gegenhalt - die Konkurrenten von Haibike und Rocky Mountain sind hier stärker unterwegs.
Nicht, dass dem Moterra Neo am Ende irgend etwas fehlt: Natürlich bewältigt es jeden Downhill tadellos, insbesondere Sitzposition und Fahrstabilität fallen positiv auf. Doch echte Euphorie will nicht aufkommen. Leider surrte der Bosch-Motor in unserem Test-Bike etwas lauter als gewohnt, bergab begleitete ein hörbares, dumpfes Klappern aus dem Unterrohr unsere Fahrt. Der klassische Speichenmagnet ist außerdem nicht mehr auf der Höhe der Zeit, die Gewinde am Heck könnten schöner integriert sein. Das wirkt wenig wertig.
Das Moterra Neo glänzt als fahrstarker Tourer mit einer tollen Sitzposition und smarten Alltags-Features. Das Fahrwerk könnte aber sensibler sein, Ständer- und Gepäckträgeraufnahmen im Hinterbau schöner integriert. Mit langem Radstand ist das Cannondale außerdem etwas sperrig, dafür laufruhig und in jedem Gelände souverän.