EMTB Redaktion
· 20.05.2023
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Muss Biken weh tun? Nein, im Gegenteil! Mit ergonomischen Griffen oder einem speziellen Sattel sowie deren korrekter Einstellung lassen sich Schmerzen beim Biken verhindern. Wir zeigen vier wichtige Ergonomie-Player, die sich dem Biken ohne Beschwerden verschrieben haben.
Die Koblenzer Ergonomiespezialisten von Ergon wurden mit ihrem ergonomischen Flügelgriff in den 2000ern berühmt. Doch sie sind nicht die einzige Firma, die sich dem Biken ohne Beschwerden verschrieben hat. Auch viele Komplettbike-Hersteller haben das Thema Ergonomie auf ihrer Agenda. Specialized war einer der Vorreiter, die das Zusammenspiel von Mensch und Maschine wissenschaftlich angingen.
Bei SQLAB, sprich Äskulap, ist der Name Programm. Die Firma kam ursprünglich aus dem medizinischen Bereich. Gerade für sehr sportliche Biker, oder für Biker die zu Taubheit in den Weichteilen tendieren, ein heißer Tipp. Last but not least: Der Sattelspezialist Fizik, der vor allem im Rennradbereich eine der wichtigsten Marken ist. Mittlerweile haben die Italiener mit ihrem gelungenen E-MTB-Sattel Aidon auch im Gelände Fuß gefasst.
Wir stellen die vier Firmen und spezielle Produkte für E-Mountainbiker vor. Außerdem lassen wir die Experten aus Forschung und Entwicklung zu Wort kommen. Sie erläutern uns, wie und warum sie sich um das Thema Bike-Ergonomie kümmern.
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Es war der Flügelgriff, der die 2003 in Koblenz gegründete Firma Ergon berühmt gemacht hat. Schon in den 2000ern hatte der GS1 unter Touren- und Trekkingbikern Popularität erlangt. Über zwei Millionen Stück hat Ergon mittlerweile verkauft. Mit Dr. Kim Tofaute ist die Geschichte der Firma eng verknüpft. Der Profi-Fitter und Ex-Leistungssportler kam von der Sporthochschule Köln, hatte dort am Institut von Sportwissenschaftler Prof. Ingo Froböse gearbeitet. Bei Ergon prägte Tofaute den Aufbau der Entwicklungsabteilung maßgeblich. Interessant: Den ersten Sattel konstruierten die Koblenzer erst 2011.
In den letzten Jahren räumten die Ergonomiespezialisten mit ihren Griffen, Rucksäcken und auch Sätteln schon bald diverse Testsiege in unserem Schwestermagazin BIKE ab. Im E-Mountainbike-Bereich war Ergon besonders früh dran. Schon 2018 stellten die Koblenzer den ersten SM-E-Mountain-Sattel vor, der mit breiter Nase, ergonomischem Cutout und erhöhtem Heck besonders viel Halt in steilen, motorunterstützten Uphills gab.
Das heutige Flaggschiff der Firma ist der SM E-Mountain Core*. Der Clou: Der Sattel ist zweischalig aufgebaut. Zwischen der unteren Schale, die die Streben aufnimmt, und der oberen Schale mit dem Sitzpolster aus orthopädischem Schaum befindet sich ein Kern aus BASFs Infinergy-Material: ein styroporähnlicher Gummi, das man schon aus der Sohle von Laufschuhen kennt. Dieses Material dämpft Schläge vom Untergrund und ermöglicht es dem Sattel, ein leichtes seitliches Wippen der Hüfte wie beim Laufen zu unterstützen. Wie bei Ergon üblich gibt es diesen und alle anderen Sättel jeweils in einer Damen- und einer Herren-Variante.
EMTB: Bike-Fitting kommt ursprünglich aus dem Profisport. Warum ist das auch für E-Mountainbiker relevant?
KIM TOFAUTE: Wer nur bis zum Bäcker um die Ecke fährt, der kommt auch ohne Fitting zurecht. Ab Touren von einer Stunde machen sich bei vielen aber Probleme bemerkbar. E-Mountainbiker sitzen häufig lange im Sattel und haben durch den höheren Altersschnitt auch häufiger Erfahrungen mit Taubheit oder Schmerzen beim Biken gemacht. Gerade hier kann sich ein Fitting besonders lohnen.
E-MTBs tendieren immer mehr zu steilen Sitzwinkeln, breiten Lenkern, kurzen Kurbeln. Ergonomisch gesehen ein Problem?
Da muss man differenzieren. In einer sehr sportlichen Anwendung hilft ein steiler Sitzwinkel, Druck auf das Vorderrad zu bekommen. Aber da hat der Performance-Bereich wieder mal die Entwicklung vorgegeben. Für den Großteil der eher touren-orientierten Fahrer*innen ein Problem. Gleiches gilt bei breiten Lenkern. Kurze Kurbeln sind hingegen eine positive Entwicklung, da der kürzere Kurbelarm zu moderateren Winkeln beim Treten führt.
Die Kalifornier sind längst nicht der einzige Komplettradhersteller, der sich intensiv mit dem Thema Ergonomie auseinandersetzt. Bei Specialized wurde jedoch besonders früh und mit wissenschaftlicher Methodik zum Thema Schmerzen beim Biken geforscht. Den Anstoß gab ein Artikel in einem Fachmagazin (siehe Interview mit Emma Boutcher, Produkt-Managerin bei Specialized). Ein bikender Arzt, Dr. Roger Minkow, der bis dahin Pilotensitze und Sport-Equipment designt hatte, präsentierte Specialized-Gründer Mike Sinyard über Umwege die ersten grob per Skalpell zurechtgeschnittenen Sättel als Studien zu einem ergonomischen Sattel mit Cutout. Sinyard stellte ihn prompt ein und boxte Minkows damals spacig wirkendes Sattelkonzept durch. Trotz des massiven Gegenwinds seiner Fahrer, Entwicklungsabteilungen und Shops.
Heute macht Specialized eigene Sättel, Schuhe, Handschuhe und Sohlen. Größere Händler bieten sogar Services bis hin zum Profi-Fitting an, für das Specialized eigene Software und Messinstrumente entwickelt hat. Für Aufsehen sorgte zuletzt der mit 500 Euro sündhaft teure Mirror-Sattel aus dem 3D-Drucker (oben), dem die Kollegen vom BIKE-Magazin zwar einen hohen, aber nicht bahnbrechend neuen Sitzkomfort bescheinigten.
Konventionelle Specialized-Sättel können es ähnlich gut. Beim E-MTB setzt Specialized vor allem auf den Bridge-Sattel (unten), der mit erhöhtem Heck und kurzer Form eine sehr definierte Sitzposition und viel Halt nach hinten bietet. Ein breiter, aber wenig tiefer Cutout in der Mitte entlastet das weichere Gewebe. Wie bei den meisten Sätteln soll der Druck in erster Linie auf den Sitzknochen liegen. Den Bridge gibt’s auch einzeln zu kaufen. Drei Breiten stehen zur Verfügung. Anders als beim sündteuren 3D-gedruckten Power-Mirror-Sattel, beginnen die Preise schon bei recht fairen 40 Euro >> z.B. hier erhältlich*.
EMTB: Specialized hat sich schon sehr früh mit dem Thema Ergonomie beschäftigt. Wie kam es dazu?
Emma Boutcher: Ende der 90er hat eine medizinische Studie von Dr. Irwin Goldstein gezeigt, dass Radfahren bei Männern das Risiko für eine erektile Dysfunktion erhöht. Für die Bike-Industrie war das ein herber Schlag. Aber es war genau diese Studie, die die Entwicklung unseres ersten Body-Geometry-Sattels inspiriert hat.
Draufsitzen und wohlfühlen, das verbinden mehr Biker mit Specialized als mit jeder anderen Marke. Was ist das Geheimnis?
Es gibt keins. Wenn man es aber so sagen will, ist unsere „Secret Sauce“ die Kombination aus fundierter Forschung, einer breiten Datenbasis zum Fitting, enger Zusammenarbeit mit unseren Fahrern und einem sehr engagierten Entwicklungs-Team. Wenn der Fahrer über Bike und Sattel nicht mehr nachdenkt, weil sie einfach passen, dann haben wir unser Ziel erreicht.
Angefangen hat alles mit der Vermessung: Als Vertriebspartner für den speziell für Prostataleiden entwickelten Hobson-Seat aus den USA erkannte SQLab schnell, wie wichtig die korrekte Vermessung der Sitzknochen für die richtige Sattelbreite ist. Bis heute bietet die Firma dazu ein auf einer Wellpappe basierendes Tool für den Hausgebrauch an.
In Zusammenarbeit mit zwei Sportmedizinern entwickelt SQLab bald das Active-System, ein Elastomer am hinteren Übergang von Gestell zu Sattelschale. Das ermöglicht es, dass das Becken, anders als bei konventionellen Sätteln, beim Treten hin- und herschaukeln kann – eine Bewegung, die beim Laufen ganz natürlich ist. Neben dem Elastomer sind die in Stufen aufgebauten Sättel – SQLab nennt das die Ergo-Wave – charakteristisch für die bayerische Firma. Die oft recht breite und flache Sattelnase liegt am tiefsten, die Auflage für die Sitzknochen ist leicht erhöht, das Heck des Sattels liegt noch mal höher. Gemeinsam mit der tiefen Mulde in der Sattelmitte soll das weiche Gewebe beim Sitzen vollständig entlastet werden. Die SQLab-Sättel bieten dadurch eine klar definierte Sitzposition mit maximaler Last auf den Knochen. Das erfordert etwas Gewöhnung, speziell, wer mit Taubheit in den Weichteilen zu kämpfen hat, findet hier aber den idealen Partner.
Der spezifisch fürs E-MTB entwickelte Sattel 60X* bietet besonders viel Halt nach hinten. Typisch für SQLab ist auch die breite Auswahl mit vier Größen von 13 bis 16 Zentimetern Breite. Nicht zu vernachlässigen: SQLab bietet neben Sätteln auch viele weitere ergonomische Parts an, die Schmerzen beim Biken vorbeugen sollen. Von Pedalen über verschieden gekröpfte Lenker und Einlegesohlen bis hin zu Griffen. Letztere konnten in den letzten Tests unseres Schwestermagazins BIKE besonders überzeugen. Der 711 Tech & Trail* räumte mit seiner sehr ergonomischen Form, trotz voller Trail-Performance ohne echten Flügel, den Tipp Ergonomie ab.
EMTB: Worum geht es beim Thema Bike-Ergonomie?
Max Holz : Der Mensch ist nicht fürs Radfahren gemacht, sondern fürs Gehen. Das Fahrrad muss also an den Kontaktstellen ideal an die Menschen angepasst sein, damit keine Schmerzen oder Schäden auftreten.
Bei Euren Sätteln sitzt man ausschließlich auf den Sitzknochen. Das kann ungewohnt sein. Was ist der ergonomische Vorteil?
Ein Knochen deformiert sich nicht und wird auch nicht gequetscht. Physiologisch ist es notwendig, den Knochen statt der Weichteile zu belasten. Sonst drohen Schmerzen oder sogar Schäden, speziell an den Genitalien.
Worauf kommt es bei den Griffen an?
Die Finger sind beim Greifen eckig, nicht rund. Ein guter Griff muss das berücksichtigen und entsprechend unterstützen. Den Karpaltunnel selbst kann man am besten mit einem Lenker mit mehr Rückbiegung entlasten, dann sind auch breite Lenker ergonomisch betrachtet kein Problem.
Zugegeben: Lange waren eher breite, nordeuropäische Gesäße und die MTB-typische aufrechte Sitzpositionen nicht die idealen Partner für einen Fizik-Sattel. Doch seit einigen Jahren ist die italienische Marke, die ihren Namen von der phonetischen Schreibweise des englischen Wortes „physique“ für Körperbau ableitet, stark im Aufwind. Denn: Die Entwickler nehmen neben Rennrad- und Cross-Country-Piloten auch sportliche Enduro-Fahrer und E-Mountainbiker ins Visier. Entwickelt wird hier, wie bei allen relevanten Ergonomiefirmen, in enger Zusammenarbeit mit Bike-Fittern und mit Hilfe moderner Tools wie der Sitzdruckmessung. Außerdem setzt die Tochterfirma des Sattelgiganten Selle Royal neben viel Handarbeit auf ein spezielles Vakuumverfahren, mit dem sich Schaumstoffsättel besonders präzise fertigen lassen sollen. Entscheidend, um die Polsterhärte des Sattels in den jeweiligen Bereichen genau steuern zu können.
Einer der so gefertigten Sättel ist der fürs E-MTB entwickelte Aidon. Mit flexibler Sattelschale und dicker, aber straffer Polsterung fängt er unserer Erfahrung nach Schläge vom Untergrund tatsächlich gut ab. Wie die meisten modernen Sättel setzt auch der Aidon auf einen deutlichen Cutout zur Entlastung des weichen Gewebes und auf ein erhöhtes Heck, um im Uphill mehr Halt zu bieten. Hier besonders wichtig, da das Obermaterial zwar abriebfest und gut abwaschbar, aber rutschig ausfällt.
Die breite und gut gepolsterte Nase ermöglicht es, im Uphill deutlich nach vorne zu rutschen. Schick: Statt auf einzelne abgesägte Streben setzt Fizik schon länger auf ein durchgängiges Sattelgestell, auf das die Sattelschale aufgespannt wird. Unserer Erfahrung nach führt das zu weniger Knarzen und vermittelt in der Verarbeitung einen wertigen Eindruck. Den Fizik-Sattel Aidon gibt es in 145 und 160 Millimetern Breite ab 89 Euro >> hier erhältlich*. Fizik-typisch eine gute Wahl für eine sportliche Klientel. Für entspannte Touren gibt es Komfortableres am Markt.
EMTB: Lange empfahl Fizik Sättel nach der Flexibilität der Wirbelsäule. Worauf baut die Ergonomie heute auf?
Alex Locatelli: Ja, das Spine-Concept war lange bewährt. Durch unsere enge Zusammenarbeit mit Bike-Fittern ziehen wir heute noch weitere Aspekte in Betracht. Gerade die Sitzdruckmessung ermöglicht es uns, im Sattel-Design noch präziser zu arbeiten.
Wie hängen Einsatzbereich und Sattel ergonomisch gesehen zusammen?
Die Geometrie des Bikes hat einen wichtigen Einfluss darauf, welche Position der Fahrer auf dem Bike einnimmt. Außerdem bringen verschiedene Radtypen verschiedene Anforderungen an einen Sattel mit sich.
Worauf kommt es denn beim E-MTB an?
Man sitzt sehr lange und eher aufrecht im Sattel, auch steil bergauf, über Wurzeln und Unebenheiten. Unser E-MTB-Sattel Aidon hat daher ein dickes, aber straffes Polster, die flexible Sattelschale dämpft Schläge zusätzlich. Mit dem erhöhten Heck geben wir dem Fahrer in steilen Uphills Halt.