David Voll
· 07.07.2022
BIKE Transalp 2022 – Während eines langen Anstiegs von fast 70 Kilometern Länge kommen BIKE-Blogger David erste Zweifel: Warum tut man sich so etwas an? Gut, wenn dann der Team-Partner Windschatten gibt.
Nach einer erholsamen Nacht schossen mir am Morgen wieder die Bilder und Erlebnisse von meiner ersten Transalp vor 20 Jahren durch den Kopf. 2002 war das noch ein wahres Abenteuer! Damals sah ich das erste Mal die Alpen in Wirklichkeit. Und wie es sich für ein richtiges Abenteuer gehört, wollten wir unsere erste Transalp auch hautnah und ohne „Filter“ erleben.
Deshalb entschieden mein Kumpel Holger und ich uns zu jener Zeit natürlich dazu, im Massenlager zu übernachten. Mit Iso-Matte und Schlafsack schnarchten wir mit hunderten weiterer Teilnehmer bei animalischen Körperausdünstungen in Turnhallen, Schulen oder sonstigen großen Hallen und Räumen. Nach dem offiziellen Wecken um 5.30 Uhr begann bereits die Challenge um die Toiletten und vor allem um das Klopapier!
Grandioserweise hatte Holger bereits zu Hause den Geistesblitz gehabt, zwei Rollen mitzunehmen – für alle Fälle. Und das war Gold wert! Wie zu Corona-Hochzeiten gab es bereits damals schon den Run auf das Klopapier. Besondere Zeiten erforderten eben schon damals besondere Maßnahmen! Nach dem „Geschäft“ begann der Kampf ums Frühstück, denn auch das musste mit hunderten anderen hungrigen Pedalrittern geteilt werden. Ja, so war das.
Da lob ich mir doch 20 Jahre später das eigene Bett und Klo und das Frühstücksbuffet in den Unterkünften! Kaum vorstellbar, wie wir das acht Tage lang (ja, richtig gelesen, 2002 waren es noch acht Etappen!) durchziehen konnten! Man ist ja in Anbetracht dessen schon fast geneigt, uns als Weicheier zu bezeichnen.
Ob die Strecken damals härter und anspruchsvoller waren? Daran kann ich mich nicht mehr so genau erinnern, aber solch eine Etappe wie heute gab es sicher nicht. Obwohl sie mit Blick auf die Wegebeschaffenheit durchaus mit den damaligen Bikes easy fahrbar gewesen wäre. Auf den heutigen 93 Kilometern waren Trails genauso rar wie Abfahrten. Die Strecke führte vom Start weg stetig ganz leicht bergauf, ohne große Entlastungsphasen, immer mit Zug auf der Kette – ein Gefühl, als würde permanent die Bremse schleifen.
Zunächst konnten Torsten und ich in einer größeren Gruppe von dem Hauch eines Windschattens profitieren. Die Beine brannten dennoch wie Feuer, das Laktat begann, meine Muskelfasern wie ein lähmendes Gift allmählich in die Knie zu zwingen. Schließlich spielte auch mein Kopf nicht mehr mit, und Zweifel kamen auf, ob und wie ich die heutige Etappe überstehen sollte.
Also hagelte ich mich von Wegpunkt zu Wegpunkt und versuchte das Hinterrad von Torsten zu halten. Der brannte heute eine bärenstarke Leistung auf die Asphalt- und Schotterwege und fuhr mich im weiteren Rennverlauf im Windschatten-Schlepptau immer wieder unbeeindruckt an kleinere Gruppen heran. Was für ein Tier!
Die heutige Bergfahrt-Orgie gipfelte schließlich im Passo Rolle, den es am Ende noch zu bezwingen galt. Nach einigen Kilometern im schattigen Wald spuckte uns der Weg auf gleißend hellen Felsgestein vor schroffer Bergkulisse aus, von wo aus sich der Weg mäanderförmig zum Pass hinaufschlängelte.
Serpentine um Serpentine und mit stoischem Tritt stampfte ich die letzten Kilometer hinauf. Während vorher immer wieder auch mal einzelne Wörter oder Wortgruppen zwischen Torsten und mir zur Kommunikation dienten, war jetzt nur noch das Knirschen der Steine unter unseren Reifen zu hören.
Dann endlich: geschafft! Von Segantinihütte auf 2174 Metern Höhe ging es jetzt über den 200 Meter tiefer gelegenen Passo Rolle nur noch auf breiten Schotterwegen, Straßen sowie einem kurzen Trail bergab ins Ziel. Gerade noch rechtzeitig, bevor der Himmel seine Schleusen öffnete und ein urgewaltiges Gewitter mit traubengroßen Hagelkörnern auf den Ort niederprasselte. Zum Glück blieb uns das unterwegs erspart!