Markus Greber
· 04.07.2022
Nie mehr ungewollten Bodenkontakt, pedalieren selbst in Kurven, mühelos über Stufen – wie viel ist es Ihnen wert, die Fahreigenschaften Ihres E-MTBs extrem zu verbessern? 72 Euro? Wir erklären, was weniger Länge an der E-Bike Kurbel bewirkt.
Es ist, als hätte mich jemand von unsichtbaren Ketten befreit. Meine Hausrunde, ein schmaler technischer Singletrail, fühlt sich plötzlich ganz anders an: viel flüssiger und schneller. Meine Angst-Schlüsselstelle fliegt an mir vorbei. Kürzlich noch habe ich an der Wurzel mit dem Pedal so hart aufgesetzt, dass ich in hohem Bogen über den Lenker ging. Fast vier Zentimeter mehr zwischen Kurbel und Boden geben mir jetzt die Freiheit, die Kette ständig auf Zug zu halten. Anfänglich habe ich noch gezaudert, einfach überall durch und drüber zu pedalieren. Jetzt traue ich mich mit jedem Meter mehr. Selbst in Kurven oder an Stufen brauche ich nicht aufhören zu treten. Der Motor gibt seine Kraft konstant ans Hinterrad weiter, das damit durchgehend Traktion liefert. Kurze E-Bike Kurbeln sind Gold wert – warum bin ich da nicht schon viel früher drauf gekommen?
Die Hochzeiten des Tunings sind beim klassischen Mountainbike lange vorbei. Damals, als deutsche Hinterhoftüftler den großen Japanern zeigten, wie man Bremsen baut und Gabeln mit selbst gewickelten Stahlfedern tunt, war noch viel herauszuholen. Heute sind die Geräte weitestgehend ausgereift, Tuning reduziert sich meist auf optische Maßnahmen und Individualisierungen, ohne relevanten Zugewinn an Performance. Beim E-MTB ist das noch anders. Die Technik steckt teilweise noch in den Kinderschuhen. Denn: E-Bikes werden mit einem Vorlauf von mehreren Jahren entwickelt. Während man beim herkömmlichen Mountainbike auf jahrzehntelange Erfahrung aufbaut, fehlen die großflächigen Erkenntnisse aus der Praxis beim E-Mountainbike noch in manchen Bereichen. Erst jetzt sind die nötigen Kilometer gesammelt, und einige Zusammenhänge werden klarer. Einer dieser Kilometerfresser ist Bike-Entwickler Lutz Scheffer. Allein in diesem Jahr spulte der Wahl-Garmischer fast 300.000 Höhenmeter auf dem E-Mountainbike herunter. Scheffer war es auch, der als Erster den Markt nach kürzeren E-Bike Kurbeln durchstöberte. Fündig wurde er in der Einradszene. So passte damals die Spirit-Signature-Kurbel von Einrad-Guru Chris Holm mit Isis-Aufnahme als einzig verfügbare Kurzkurbel an Scheffers Bosch-Motor.
Zurück zu meiner Testfahrt: Die Montage der Tuning-Kurbel ist mit dem richtigen Werkzeug in zehn Minuten erledigt (siehe Workshop). Die Gewöhnungsphase von 175 Millimeter auf die Kurzversion (137 mm) ist erstaunlich kurz. Das Gefühl, auf einem Kinderrad zu sitzen, verflüchtigt sich mit jeder Pedalumdrehung, danach fühlt sich das deutlich schnellere Pedalieren ganz normal an. Viel schwerer fällt der Umstieg zurück von kurz auf lang: Man kommt sich plötzlich völlig unergonomisch vor – als müsse man ein riesiges Rad in Bewegung setzen.
Das Aha-Erlebnis kommt im Singletrail. Mein E-MTB, bei dem man wegen des niedrigen Tretlagers häufig Bodenkontakt hat, lässt sich plötzlich ganz anders bewegen. Das gefährliche Aufsetzen an Wurzeln oder Felsbrocken ist so gut wie passé. Stufen, die man früher nur mit Timing und ausgefeilter Trial-Technik geschafft hat, gelingen jetzt spielend, weil man die Kette ständig auf Zug halten kann.
Die maximale Leistung jedoch – und das spürt man erst, wenn man im kleinsten Gang sehr steile Anstiege hochtritt – sinkt spürbar. An Rampen, die ich mit den langen Kurbeln im Turbo-Modus spielend meistern kann, geht mir mit den kurzen Kurbeln schnell der Dampf aus. Logische Konsequenz: vorne ein kleineres Ritzel montieren. Mit 14 Zähnen an der Kurbel und 42 Zähnen hinten kann ich meine Hausrampen wieder wie gewohnt erklettern. Wem der Schritt auf eine 137-mm-Kurbel zu radikal ist, für den bieten die Komponentenhersteller auch Zwischenmaße an.
Mit dem E-Mountainbike sind theoretisch steilste Uphills möglich. Die Kraft ist dank der Motorunterstützung selten der limitierende Faktor. Aber sobald es auf die Trails geht, werden Stufen, Felsen und Wurzeln zu Stolpersteinen wegen mangelnder Bodenfreiheit. Kürzere Kurbeln am E-Bike bringen hier eine wesentliche Verbesserung gegenüber den herkömmlichen 175 oder 170 Millimeter langen Modellen – und sie ermöglichen einen ganz neuen Fahrstil: ständig Druck auf dem Pedal, selbst Kurven kann man in Schräglage durchtreten. Wer oft in steilem Gelände unterwegs ist, sollte jedoch gleichzeitig auf eine schärfere Übersetzung umrüsten. Bei Bosch-Antrieben sind Ritzelgrößen bis zu 13 Zähnen vorne möglich.
EMTB: Lutz, wie kamst Du auf die Idee mit den kurzen E-Bike Kurbeln?
Lutz Scheffer: Das Einzigartige am E-MTB ist, dass man steile und schwierige Trails fahren kann. Allerdings muss man dazu permanent treten. Die Trails bei mir in Garmisch haben es in sich, ein Sturz zur Talseite kann richtig gefährlich sein. Diese Uphill-Stürze werden fast immer durch Pedalaufsetzer ausgelöst. Nach einigen deftigen Crashs war für mich klar: Ich brauche kurze Kurbeln. Nach vielen Versuchen mit unterschiedlichen Längen bin ich dann bei den 137ern von Chris Holm gelandet.
Warum kann man das Tretlager nicht einfach höher setzen?
Die meisten E-MTBs haben ohnehin schon sehr hohe Tretlager. Ein sinnvolles Maß erscheint mir um die 350 mm, damit der Gesamtschwerpunkt nicht zu hoch wird. Zieht man die Kurbellänge und den SAG von dieser Höhe ab, dann komme ich mit meinem Bike mit der kurzen Kurbel auf eine Bodenfreiheit von 150 mm statt vorher 115 mm. Mit jedem Millimeter mehr steigt die Pedal-Clipping-Quote dramatisch an.
Haben die kurzen Kurbeln am E-Bike irgendwelche Nachteile?
Ja. Bei gleicher Kadenz sinkt die Leistung. Wer hochalpin unterwegs ist und oft sehr steile Anstiege fährt, braucht eine wirklich kleine Übersetzung. In normalem Gelände kann man die fehlende Leistung mit höherer Drehzahl ausgleichen: Leistung ist Drehmoment mal Drehzahl. Die kürzere Kurbel wird durch eine 20-prozentige Drehzahlerhöhung vollständig ausgeglichen. Man muss also nur auf dem E-Bike schneller treten, was etwas Gewöhnung erfordert.
Auswirkungen auf die Reichhöhe?
Ich wollte es selbst nicht glauben. Auf meiner Referenzstrecke zur Reintalangerhütte brauchte ich genau 58 Minuten. Am Ende der Tour habe ich bei allen Kurbellängen immer den exakt gleichen Batterieverbrauch gemessen.
>> Wenn Sie und Ihr E-MTB eher auf den steilen Passagen zuhause sind, dann lohnt sich auch eine Änderungen der Übersetzung. Mit einem kleineren Kettenblatt lassen sich solche Strecken wesentlich akkusparender bewältigen: Übersetzung ändern am E-MTB: So gelingt der Umbau schnell und einfach.
>> Sollten Sie sich schon länger etwa über einschlafende Hände am E-MTB-Lenker ärgern oder der Hintern auch beim dritten Sattel schmerzen, dann sind unsere Tipps für das E-Bike-Fitting vielleicht genau die Lösung: E-MTB richtig einstellen: Cockpit, Sattel und Fahrwerk.
>> Nach dem Fitting ist vor dem ersten Tuning. Denn es gibt immer etwas zu optimieren am E-Mountainbike. Lassen Sie sich von unseren 10 Vorschlägen für ein leichteres Bike inspirieren: Legales E-Bike Tuning: So wird Ihr E-MTB leichter.