Timo Dillenberger
· 18.10.2024
Da ist so ein kratzendes Geräusch beim Bremsen.“ Werkstattleiter Richard aus Aachen hört diesen Satz nach eigener Aussage mehrmals pro Woche. Wenn seine Kunden mit ihrem Rad zum Servicetermin kämen, seien ganz besonders die Bremsen oft an der Grenze ihrer Funktionalität – oder längst darüber. Das Kratzen entstehe nämlich durch bis zum metallenen Sockel verschlissene Bremsbeläge, und Metall auf Metall ergäbe nicht nur dieses herzerweichende Geräusch, es erzeuge quasi auch keine bremswirksame Reibung. „Das fiese am Verschleiß der Bremse ist ja, der Verlust der Leistung kommt schleichend, also für den Fahrer schwer merklich. Ganz selten reißt oder bricht mal ein Teil, in 98 Prozent der Fälle kann man durch simplen Austausch von Verschleißteilen oder die Ausrichtung der Beläge die Funktion wieder herstellen.“
Dass man als Laie gern ab und zu sein Bremssystem dem Profi vorführt, ist bei viel und regelmäßig im Straßenverkehr genutzten Rädern, aber ganz besonders bei schweren Lastenbikes und schnellen Pedelecs umso verständlicher. Aber gerade bei deren besonders stark belasteten Bremssystemen verkürzt sich das Check-up-Intervall auf wenige Wochen, und wer will schon alle zwei Monate in einer Werkstatt vorstellig werden, zumal die eh überlastet sind und auch solche Kontrollen berechnen müssen. Im folgenden Tutorial wollen wir Bikern nicht nur die Angst nehmen, selbst Hand an die Bremsen zu legen, sondern vor allem den Blick dafür schärfen, wann Handlungsbedarf besteht; denn, wie Meister Richard sagt, der Fahrer bemerkt den Abbau der Bremsleistung nur peu à peu.
Der Markt an handelsüblichen Bremsen ist zwar einigermaßen überschaubar, dennoch gibt es einige Systeme, die unterschiedlicher Wartung bedürfen. Die einfachste Gruppierung erfolgt in Felgen- und Scheibenbremsen. Ihr Name gibt jeweils an, auf welche Fläche die Bremskraft ausgeübt wird. Es gäbe noch altertümliche Stempelbremsen, die senkrecht auf die Lauffläche des Reifens wirken, die gehören aber eher ins Museum als in den Straßenverkehr. Eine weitere Unterscheidung ist die Weiterleitung des Bremsimpulses entweder per Seilzug (Bowdenzug) oder durch eine Hydraulikleitung, im Zweifel zu erkennen daran, ob am Bremskörper ein kleines Stück Draht geklemmt ist oder nicht. Wenn nein, handelt es sich um eine modernere, effizientere und weniger wartungsintensivere Hydraulikbremse. Der Einfachheit halber teilen wir das Tutorial in die zwei mit weitem Abstand am häufigsten vorkommende Typen auf: mechanische Felgenbremsen und hydraulische Scheibenbremsen, streuen für die beiden jeweils anderen zwei Kombinationen aber separat Tipps ein.
An der Technik von mechanischen Felgenbremsen hat sich die letzten 20 Jahre wenig geändert. Man unterscheidet drei Varianten: Bei den hauptsächlich an sportlichen Bikes verbauten Caliperbremsen betätigt der Bowdenzug eine Art Zange, die die Bremsbacken Richtung Felge zusammenkneift. Ihr Vorteil ist, dass man recht wenig Hebelweg am Bremsgriff braucht, um sie zu öffnen und zu schließen, dafür ist sie empfindlicher gegen Schleifen an der Felge. Besteht die Bremse aus zwei an den Gabelscheiden montierten Elementen und einem Bremszug, der sich oberhalb des Reifens Y-förmig teilt, spricht man von einer Cantilever-Bremse. Sie ist platzsparend und ebenfalls mit wenig Hebelweg zu bedienen. Ihre Schwäche ist ihre Effizienz, man braucht viel Kraft, um genug Bremsdruck zu erzeugen. Derzeit am häufigsten verbaut sind die V-Brakes (gesprochen „wie“). Auch sie sitzen auf zwei Sockeln entlang der Gabel, der Zug kommt aber seitlich durch einen der Schenkel und wird am gegenüberliegenden geklemmt. Sie sind unanfälliger gegen Schleifen, erzeugen mit wenig Handpower mehr Bremskraft, benötigen dazu aber anders übersetzte Hebel. Ein Mischen der Systeme ist nicht ratsam. Das Wichtigste an allen drei Varianten ist der Zustand und die Ausrichtung der Bremsklötze. Es lohnt sich, die Bremsgummis alle paar Wochen kurz mit Auge und Finger zu überprüfen, und zwar so:
Wer die klassische Rücktrittbremse hier vermisst, die ist nicht nur recht schwer zu warten, weil man die Bremstrommel dazu öffnen und das Hinterrad ausbauen muss, sie ist auch in ihrer Wirkung schwach und veraltet. Viele schwören aus Gewohnheit drauf, aber sollte das Rad über eine zusätzliche Felgenbremse hinten verfügen, besser die benutzen, man reagiert fast eine Sekunde schneller, und die Kraft ist viel genauer dosierbar. Wichtig: Bei einer idealen Vollbremsung leistet das Vorderrad etwa 85 % der Gesamtbremsleistung, man sollte also immer beide Räder verzögern, also auch beide Bremsen warten. Dass man eher mit dem Hinterrad abhebt, wenn man nur vorne bremst statt mit beiden Systemen, ist ein absolutes Märchen!
Die Diagnose Bremsenverschleiß ist also nicht schwer, die für den Laien machbaren Handgriffe sind ehrlich gesagt auch nicht schwerer. Fünf Basis-Maßnahmen kann wirklich jeder treffen.
Wenn man den Bremshebel sehr weit zum Lenker ziehen kann, bis die Bremswirkung einsetzt, kann man das in 15 Sekunden beheben. An jedem Bremshebel von Canti- und V-Bremsen tritt der Zug durch eine Art Schraubenmutter aus dem Hebel aus (Abbildung rechts). Sie besteht aus zwei Teilen, die mit normalem Rechtsgewinde zusammen ein bis zwei Umdrehungen aus dem Hebel herausgedreht werden müssen. Dadurch nähern sich die Bremsbeläge der Felge etwas an, ohne dass der Hebel gezogen wird. Kurz kontrollieren, ob die Bremse nun früh genug „packt“ oder gar schon schleift. Durch Ein- und Ausdrehen den Abstand zur Felge nun so regulieren, dass letzteres nicht der Fall ist. Wichtig: Anschließend die schmale der zwei Muttern auf Bremshebelseite wieder zurückdrehen, ohne dass sich die Stellmutter wieder eindreht. Das sichert die gewünscht Einstellung ab. Sollte das Gewinde der Stellmutter nicht ausreichen, um die gewünscht Position des Belages einzustellen, die Mutter wieder komplett eindrehen, die beiden Bremsschenkel mit der Hand gegen die Felge drücken und die Klemmung des Zuges an der Bremse lösen. Das geht am besten zu zweit. Den gelösten Zug nun stramm ziehen also etwas weiter oberhalb wieder festklemmen. Tipp: Je einen Bierdeckel zwischen Belag und Felge packen, dann passt der Abstand später genau! Den Zug ordentlich festschrauben und auf Sitz überprüfen, indem man die Bremse kurz maximal zieht. Bei mechanischen Scheibenbremsen funktioniert das Einstellen übrigens exakt genauso, nur dass die sensibler auf jede Umdrehung am Bremsgriff reagieren. Selten sitzt die Stellmutter auch am Bremskörper und nicht am Hebel.
Dieser Schritt steht bewusst an Stelle zwei, er ist nämlich unfassbar simpel, wenn das Bremsenspiel stimmt. Die Bremsklötze sind mit je einer Inbusschraube im Schenkel befestigt. Diese nur leicht lösen, der Sockel bzw. Bremsschuh wird jetzt beweglich. Eine Hand an den Bremshebel legen und mit der anderen den Belag so halten, dass er genau senkrecht und nur auf die Bremsfläche der Felge zielt. Wenn man den Bremshebel jetzt langsam und fest zuzieht und hält, braucht man nur noch die Inbusschraube am Sockel festzuziehen, und der Belag ist top ausgerichtet. Perfektionisten können dabei ein doppelt gefaltetes Blatt Papier zwischen Felge und hinteres Drittel (in Fahrtrichtung) packen, damit der Belag minimal angeschrägt wird; das verhindert oft Quietschen. An an allen Bremsbelägen des Rades wiederholen und nochmals kurz das Spiel kontrollieren. Bei hydraulischen Felgenbremsen sitzt der Belag fest im Stempel, der von der Flüssigkeit herausgedrückt wird. Seine Ausrichtung und Position wird daher verstellt, indem man den kompletten Bremszylinder, der an die Gabel bzw. zusätzlich an ein umgedrehtes „U“ montiert ist, leicht löst. Auch hier wird in korrekter Ausrichtung die Bremse gezogen und die Halteschraube wieder angezogen.
Sind die Beläge wie oben beschrieben verbraucht, sollte man sie zum Kauf der neuen mit in den Laden nehmen. Bei manchen Bremsen sind Belag und Sockel ein Bauteil und werden inkl. der Befestigungsschraube getauscht, bei anderen kann man die Beläge in eingebautem Zustand entnehmen und gegen neuen auswechseln, hier gibt es zwei verschiedene Längen, deshalb kann das Muster als Vorlage wichtig sein.
Die Beläge werden mit einer Schraube oder einem Splint gesichert; ohne diese lassen sich die alten Beläge mit einem Schlitzschraubendreher nach hinten herausdrücken. Falls man die metallenen Sockel demontieren muss, wichtig: Die offene Seite zum Einführen der neuen Gummis muss immer in Fahrtrichtung hinten sein, sonst fliegen sie bei der ersten Bremsung raus!
Wenn man eh am Rad zugange ist, kann man auch die Leichtgängigkeit erhalten. Zwei Tropfen dünnflüssigen Öls an die Kontaktstellen zwischen Rahmen bzw. Gabel und Bremsen – da, wo sich Teile gegeneinander bewegen – reichen. Es darf kein Öl auf Beläge oder Felge kommen. Mit etwas Geschick kann man auch die Züge ölen, ohne sie auszubauen. Dazu muss man nur das Rad clever positionieren, um Öl am Zug entlang nach unten in die Zughülle kriechen zu lassen, siehe Bild S. 71. Bei Hydraulikbremsen gehört der Öltropfen hinter den Belag, dazu Bremse ziehen, wenig Öl vorsichtig zwischen Sockel und Belag träufeln und durch mehrmaliges Bremsen verteilen.
Zum Putzen der Felgen kann man einen fettlösenden Reiniger nehmen, bewährt haben sich Reiniger aus dem Fachhandel, die eigentlich für die Kette gedacht sind. Fahrten im Regen können Sand auf die Felge spülen; der stört zwar nicht unbedingt beim Bremsen, erhöht aber den Verschleiß, einfach ab und zu mit Wasser abspülen. Sind tatsächlich Aluspäne oder Steinchen im Bremsbelag gelandet und kratzen die Felge kaputt, muss das Laufrad raus oder der Belag, was schneller geht. An Gummibelägen kann man ruhig mit spitzen Gegenständen arbeiten – einfach alle Fremdkörper entfernen und alles wieder sorgfältig montieren.
Vor dem Service an den modernen Scheiben haben viele Besitzer größten Respekt. Das mag an der relativen Unbekanntheit der Technik liegen, vielleicht auch an der eher verkapselten Bauweise: Man sieht viel weniger, was passiert. Wir raten Laien auch davon ab, das hydraulische System komplett zu öffnen und zum Beispiel neue Leitungen zu verlegen, aber Kontrolle und Belagwechsel sind noch zwei Mal einfacher als bei der Mechanischen, außerdem auf nur drei grobe Tätigkeiten beschränkt: das Kontrollieren und falls nötig Wechseln des Belages, das Richten der Bremsscheibe und das Entlüften des Systems.
Die Hauptarbeit ist das Beobachten und Einschätzen des Zustands der Bremse. Ob man dann bei einem der Symptome die Werkstatt aufsucht oder selbst Hand anlegt, möchten wir Redakteure nicht entscheiden. Der Belagwechsel ist so simpel, dass in 99 Prozent der Fälle kein Techniker nötig ist. Scheiben richten und System entlüften sollten komplette Schrauberneulinge outsourcen.
Bremsbeläge sind wirklich einfach nur in den Sockel gesteckt (siehe Abbildung oben). Zum Entfernen muss das Laufrad ausgebaut werden. Auf der der Scheibe abgewandten Seite werden die Beläge mit einer dünnen Schraube (ganz selten nur einem Metallstift) gehalten, die ist oft noch mit einem Splint gesichert. Neuen Belägen liegen diese beiden Teile bei. Sind Splint und Halteschraube entfernt, lassen sich die Beläge Richtung Scheibe einfach herausdrücken. Je nach Hersteller sind sie fest in einer Halteklammer eingepresst oder liegen lose darin, beim Entnehmen bitte merken, wie diese drei Teile kombiniert sind, eventuell fotografieren. Mit dem Belag als Muster für Ersatz sorgen, und genauso wieder in den Schacht einführen, mit Schraube und Splint sichern, fertig! Wenn die Kolben, die die Beläge herausdrücken, nicht von alleine wieder in ihre Grundstellung im Bremssattel gleiten, lohnt sich die Anschaffung eines Rückstellwerkzeugs (rundes Bild unten rechts). Mit solch einer „Kelle“ lasen sich die Bremsstempel leicht zurückdrücken – keine Experimente mit Schraubendrehern oder Ähnlichem, das könnte die Anlage beschädigen!
Wenn die Scheibe und die Beläge aneinander schleifen, kann man zumindest versuchen, dem durch Repositionierung des Bremssockels Herr zu werden. Das ist extrem simpel. Der Sockel ist immer nur mit zwei Schrauben am Rahmen bzw. der Gabel befestigt. Diese beiden Schrauben je eine Umdrehung lösen und prüfen, ob das Bauteil gegen das Rad jetzt verschiebbar ist. Falls ja, die entsprechende Bremse fest ziehen, der Sockel wird dadurch ausgerichtet. Beide Halteschrauben wieder eine Umdrehung festziehen. Wichtig, denn ohne Drehmomentschlüssel ist das richtige Anzugsmoment schwer zu finden. Wer einen besitzt, sollte ihn hier unbedingt nutzen.
Zumindest ein kontinuierliches Schleifen sollte jetzt weg sein. Beim rhythmischen „Sling Sling“ liegt es eher daran, dass die Scheibe seitlich minimal verbogen ist. Dafür gibt es Richtwerkzeuge wie das im Bild unten. Idealerweise wird die Scheibe in einem speziellen Zentrierständer gerichtet, kleine Unwuchten gehen aber auch am Rad. Dazu das Laufrad drehen und die Stellen suchen, an denen das Geräusch hörbar wird. Ein Blick in den Bremssattel zeigt, ob die Scheibe rechts oder links anschlägt. Die Stelle vor und hinter dem Sockel auf dem äußeren Rand der Scheibe mittels Filzstift dünn markieren. Nun das Richtwerkzeug zwischen den Markierungen ansetzen und sehr vorsichtig in die Richtung biegen, die nicht schleift. Die Stelle wieder zwischen die Bremsbacken drehen. Sollte immer noch eine Berührung stattfinden, den Vorgang wiederholen. Hier ist Geduld gefragt oder Erfahrung nötig, das „Biegen“ sollte auf jeden Fall sehr sensibel vonstatten gehen und langsam intensiviert werden.
Um entstandene Luftblasen zwischen Geber- und Nehmerzylinder in Bremshebel und Bremse selbst aus dem geschlossenen System zu kriegen, braucht man ein sogenanntes Entlüftungsset oder Bleeding Kit wie das von Park Tool, für SRAM und Shimano wohl das funktionalste, für alle anderen Marken empfehlen wir www.bleedkit.com. Das Prinzip: Sowohl an Hebel als auch Bremssockel werden passende Adapter mit Spritzen angeschlossen, die mit der gleichen Bremsflüssigkeit gefüllt sind, die bei Montage eingefüllt wurde. Von unten wird blasenfreie Flüssigkeit ins System eingespeist, oben drückt sich eine Mischung aus Luft und Bremsliquid in den Spritzenkolben, die Bläschen setzen sich oben ob. Durch mehrmaliges Bewegen der Flüssigkeit von der oberen Spritze zur unteren ist das System am Ende luftfrei und kann wieder geschlossen werden. Der Bremsdruck müsste nun wieder sofort beim Ziehen anliegen. Der Vorgang ist nicht schwer, solch ein Set kostet aber immerhin rund 150 Euro und muss zum Bremsenhersteller passen.
Neue Bremsbeläge sollten eingebremst werden, um ihre Haltbarkeit zu verlängern und um ungleichmäßiger Abnutzung der Scheibe vorzubeugen. Die Gründe für diese Notwendigkeit sind physikalischer wie chemischer Natur, wurden aber hundertfach nachgewiesen. Dazu bei der ersten Fahrt nach dem Wechsel mit minimal schleifender Bremse losfahren. Das reibt die obersten, nie 100 Prozent glatten Partikelschichten der Beläge so ab, dass hinterher ein perfekter, schlüssiger Kontakt zur Scheibe entsteht. Das sollte mehrere Minuten oder bis zu zwei Kilometern dauern. Nicht ganz so zwingend ist das „Heißbremsen“, aber wenn möglich, zeitnah nach dem Wechsel eine möglichst lange, steile Abfahrt mit Tempo nehmen aber dabei die Bremse leicht gezogen halten. Die Scheiben und Klötze werden heiß und laufen teils sogar bläulich an. Dabei verdampfen Chemikalien, ohne die das Belagmaterial länger halten wird.