Peter Nilges
· 15.12.2022
Die Neuauflage des Race-Klassikers Scott Scale strotzt nur so vor Superlativen. Das gilt auch für den exorbitant hohen Preis des Topmodells. Wir stellen das neue MTB-Hardtail in Carbon und Aluminium vor, das es für 2023 von 1199 bis 14000 Euro gibt.
Es ist fast schon überflüssig, sich über einen stolzen fünfstelligen Betrag für ein Mountainbike-Hardtail zu unterhalten, den Scott für das Topmodell des neuen Scale für 2023 aufruft. Beim Vorgängermodell des Scott Scale war übrigens bei 7300 Euro das Ende der Fahnenstange erreicht. Damit wollen wir es dann auch belassen. Aber zumindest darauf hinweisen, dass das nächst günstigere Scott Scale im 2023er Lineup 4500 Euro weniger kostet und damit immerhin vierstellig ausfällt. Dabei soll das Scott Scale RC Worldcup Evo gerade einmal 300 Gramm schwerer als die sündteure SL-Version sein.
Den Einstieg ins neue Scott Scale RC Sortiment, bei dem fünf Carbon-Hardtails zur Auswahl stehen, gibt es übrigens für 3499 Euro. Innerhalb der fünf Carbon-Bikes des Scott Scale RC greift Scott zwar zur identischen Rahmenform, unterscheidet allerdings in der Güte der Carbon-Fasern. Lediglich die SL-Version besteht aus HMX-SL-Carbon, darunter kommen je zweimal HMX- und HMF-Fasern zum Einsatz. Damit differiert das Rahmengewicht des Scale-Carbonrahmes um 65 Gramm zwischen HMX-SL und HMX, während der HMF-Rahmen nochmals 100 Gramm mehr als der HMX auf die Waage bringt.
Und selbst unterhalb der Scale RC-Modelle fügen sich noch vier weitere Scott Scale (Scale 910 bis 940) mit HMF-Carbon-Fasern und identischer Rahmenform an. Das günstigste Carbon-Scale kostet damit 2099 Euro. Darunter sind fünf Aluminium-Modelle mit einem Einstiegspreis von 1199 Euro angesiedelt. Abgerundet wird die 20 Modelle umfassende Scott Scale MTB-Hardtail Offensive der Schweizer von fünf zusätzlichen Contessa-Bikes, speziellen Scale-Modellen für Frauen im Bereich von 1499 bis 2499 Euro.
Doch wie verbessert man überhaupt ein in bereits allen Punkten optimiertes Mountainbike-Hardtail? Schließlich sollte es sich bei der Neuauflage keinesfalls um ein austauschbares Produkt oder im schlimmsten Fall sogar eine Verschlimmbesserung handeln. Um an die großen Erfolge des bestehenden Scale RC anzuknüpfen, ließen die Scott-Ingenieure daher kein noch so kleines Detail außer Acht. Eine notwendige Prozedur auf der Suche nach dem letzten Gramm und der Optimierung der Fahreigenschaften. So wurden im Vorfeld in enger Zusammenarbeit mit der Carbon-Fertigung über 300 Carbon-Matten im Hinblick auf Fasertyp, -ausrichtung und -größe analysiert und unzählige Layups für den neuen Carbonrahmen simuliert. Ein Schlüssel zur Erreichung der Ziele war dabei auch die Systemintegration, die Scott beim 2021 präsentierten Spark oder dem kürzlich neu vorgestellten Genius auf die Spitze treibt. Durch den Verzicht auf Löcher für die Leitungen/Züge und den Zugang über den Steuersatz muss der Rahmen des neuen Scale-Hardtails weniger punktuell verstärkt werden.
Im Vergleich zum alten Scott Scale aus dem Modelljahr 2017 stand auch die Optimierung des Fertigungsverfahren im Lastenheft. An Stelle von fünf Einzelteilen, aus denen der Carbonrahmen zusammengefügt wird, besteht das neue in Monocoque-Bauweise gefertigt Scott Scale nur noch aus drei Teilen. An den einteiligen Hauptrahmen müssen lediglich die beiden Hinterbau-Teile bestehend aus Sitz- und Kettenstreben angebracht werden. Das minimiert Materialüberlappungen und senkt das Gewicht des Rahmens. Da die Steifigkeit eines Diamantrahmens maßgeblich über das Unterrohr, den Tretlagerbereich und die Kettenstreben definiert wird, teilten die Ingenieure den neuen Scott Scale RC-Rahmen in eine Steifigkeits- und Leichtgewichtszone auf. Oberrohr, Sitzrohr und Sitzstreben wurden entsprechend einer strengen Diät unterzogen. Auch den Metallteilen ging es bei der Gewichtsreduktion an den Kragen. Bis auf die einlaminierten Alugewinde für die Bremsaufnahme bleibt das neue Scale Carbon-Chassis frei von Metall. Selbst die einklippbaren Gewinde für den Flaschenhalter bestehen beim Topmodell Scale RC SL aus Kunststoff. Wer eine zusätzliche Kettenführung fahren will, kann die benötigten Metallgewinde über die Serviceklappe im Unterrohr einsetzen. Ein weiteres spannendes Detail in Sachen Grammfuchserei steckt unsichtbar in den Ausfallenden. Diese wurden hohl konstruiert, was abermals 7,5 Gramm einspart.
Um zu überprüfen, in wie weit die Anstrengungen geglückt sind, haben wir das neue Scott Scale RC SL gegen den Vorgänger Scale RC Worldcup im direkten Vergleich antreten lassen und im BIKE-Testlabor vermessen. Während beim neuen Scale RC SL die Waage bei 8,9 Kilo ohne Pedale stehen bleibt, bringt das alte Scott Scale 565 Gramm mehr auf die Waage. Auch beim Rahmen geht das Duell eindeutig zu Gunsten des neuen Carbonrahmens mit HMX-SL-Fasern aus. Inklusive Steckachse und Sattelstützenklemmung bleibt der neue Scott Scale RC SL-Rahmen selbst in Größe L mit 976 Gramm unter der 1-Kilo-Marke. Ganze 150 Gramm weniger als beim RC Worldcup. Dieser Wert kann sich absolut sehen lassen, markiert aber nicht den Spitzenwert im markenfremden Vergleich. Mit 870 Gramm beansprucht das neue Simplon Razorblade SL die Krone des leichtesten von BIKE gemessenen MTB-Hardtail-Rahmens. Das Scott RC SL reiht sich beim Rahmengewicht (gewogene Rahmen in Gr. L inkl. Steckachse und Sattelstützenklemme) damit auf Platz sechs in der BIKE-Bestenliste ein.
BIKE: Bei der Entwicklung des neuen Hardtail-Rahmens lag der Fokus auf Leichtbau und Steifigkeit. Welche Rolle spielt der Komfort beim neuen Scale RC?
Kai Wheeler: Bei der Entwicklung eines schnellen Race-Hardtails ist der Komfort ein fester Bestandteil in der Zielsetzung. Du kannst im Gelände nur wirklich schnell unterwegs sein, wenn sich auch die Ermüdung in Grenzen hält. Das gilt bereits für eine Renndauer ab einer Stunde. Rahmenform und Carbon-Layup wurden daher genau auf unsere Bedürfnisse hin optimiert. Der neue Rahmen bietet daher zwischen 6-12 Prozent mehr Komfort als der Vorgänger.
Warum habt ihr euch gegen ein geschraubtes Tretlager entschieden?
Der erste Grund ist das Gewicht. Außerdem wollten wir auf jedes zusätzliche Aluminium-Teil im Rahmen verzichten. Durch das eingeklebte Alugewinde wird der Kraftfluss unterbrochen. Zusätzlich konnten wir durch das Pressfit-Tretlager das Unterrohr und die Kettenstreben breiter anbinden, was besser für Steifikgeit und Reifenfreiheit ist.
Euer Monocoque-Rahmen setzt sich aus drei Teilen zusammen. Was spricht gegen eine einteilige Konstruktion?
Wir haben uns intensiv damit beschäftigt. Das Problem ist aber immer, dass man nach dem laminieren den Bladder (Luftbalg) aus dem Inneren des Rahmens entfernen muss. Deshalb haben wir uns für die sauberste und leichteste Variante entschieden und fügen die wenige Teile zusammen.
Es gibt nur noch wenige Worldcup-Kurse bei denen Hardtails eine Rolle spielen. In wie weit war das Team um Nino Schurter an der Entwicklung beteiligt?
Das Team trainiert nach wie vor häufig auf dem Hardtail und setzt das Bike in speziellen Rennen wie in Albstadt ein. Daher war es auch wichtig eine ähnliche Geometrie und Fahrposition wie beim Spark zu verwirklichen, was einen unkomplizierten Wechsel ermöglicht.
>> Den ausführlichen Vergleichstest des neuen Scott Scale RC 2023 gegen die Vorgängerversion lesen Sie hier.