Florentin Vesenbeckh
· 01.03.2023
Downhill-Fans aufgepasst: 180 Millimeter Federweg, extreme Geometrie, Bosch Performance CX Smart: Das neue Focus Sam² will als extremer Abfahrer mit eingebautem Shuttle begeistern. Wie schlägt sich der E-Bike Neuling im herben Enduro-Gelände?
Schaut man auf die Fakten des neuen Sam² von Focus, könnte man meinen, es habe sich gar nicht so viel verändert. Bosch Performance CX-Antrieb, 29 Zoll-Laufräder, Stahlfederdämpfer, 38er-Federgabel, massig Federweg – all das hat der Focus E-Bike Neuling mit seinem Vorgänger gemein. Doch sowohl optisch, als auch von den inneren Werten, ist in Wirklichkeit kaum mehr etwas beim Alten. Der Federweg des brachialen E-Enduros wächst an der Front um einen Zentimeter auf satte 18, das Bosch Smart System wird von der dicken 750 Wh-Batterie befeuert und der Aluminium-Rahmen samt Geometrie und Federungskinematik wurde komplett neu entworfen. Noch mehr als zuvor giert das E-Mountainbike der Stuttgarter nach wilden und schnellen Abfahrten.
Das abfahrtslastige Sam² ist dabei nur ein Teil der neuen E-MTB-Flotte von Focus. In sehr ähnlichem Stil haben die Stuttgarter auch das All Mountain Jam² neu aufgelegt. Bei der Konstruktion haben die Ingenieure fleißig Synergien genutzt, denn die beiden Bosch E-Bikes teilen sich viele Details. Hier geht´s zur Vorstellung des brandneuen Focus Jam² 6. Bereits im Herbst wurde das Light E-MTB Jam² SL gezeigt, das sich mit ähnlichen Ansätzen ebenfalls in die Serie der neuen E-Mountainbikes der Stuttgarter eingliedert.
Das neue Focus-Enduro setzt auf Boschs Performance CX-Motor und den großen 750er-Powertube. Den Akku haben die Ingenieure tief im Unterrohr vor dem Motor platziert. Das hat mehrere Vorteile: Der Schwerpunkt des Bikes wandert nach unten. Außerdem passt der lange Akku nur so auch in die kleinsten Rahmengrößen. Die Batterieentnahme nach unten aus dem geschlossenen Unterrohr ist etwas umständlicher als bei klassischen “Klapp-Lösungen”, wurde bei den neuen Modellen aber gut umgesetzt. Nachteil: Die Bodenfreiheit nimmt durch den tiefgezogenen Bauch ab.
Der Rahmen des Sam² wurde komplett neu entwickelt. Im Gegensatz zum neuen Jam², gibt´s das Enduro-Chassis ausschließlich in Aluminium. Ansonsten sind die beiden Plattformen aber stark aneinander angelehnt. Auffälligste Änderung neben der Akku-Integration und Entnahme ist die neue Dämpferanlenkung. Der Dämpfer liegt jetzt flach unter dem Oberrohr und wird nicht mehr über die komplizierte Wippenkonstruktion angelenkt, die für die Focus E-Bikes jahrelang typisch war. Leichter, simpler und funktionsseitig überlegen, sagen die Entwickler zur neuesten F.O.L.D-Konstruktion. Beim Sam² wurde die Kinematik auf Stahlfederdämpfer ausgelegt. Das Heck soll hier deutlich sportlicher arbeiten, als beim Allrounder Jam² oder dem leichten Jam² SL und mit ordentlicher Progression Reserven für härteste Schläge bereithalten.
Während der Vorgänger des Sam² noch auf eine gemäßigte Geometrie setzte, um die Fahreigenschaften des Bikes nicht zu extrem zu gestalten, ist der Neuling konsequent auf modern und sportlich gepolt. Reach und Radstand gehören zu den längsten, die man an E-MTBs finden kann. Der steile Sitzwinkel soll den Fahrer zentral im Bike platzieren. Bei der Kettenstrebenlänge priorisiert das Sam² ebenfalls Laufruhe und Fahrsicherheit vor Wendigkeit. Mit 450 Millimetern ist das Heck zwar nicht extrem, für ein abfahrtsorientiertes E-MTB aber doch überdurchschnittlich lang. Der Lenkwinkel kann über einen Winkelsteuersatz angepasst werden. 63,5 oder 64,5 Grad stehen zur Auswahl - der Radstand verlängert sich dadurch aber natürlich ebenfalls.
Focus bietet das neue Focus Sam² E-Bike in drei Ausstattungsvarianten an. Zusätzlich gibt es das Topmodell in einer limitierten Sonderauflage mit Bosch Performance CX-Race-Motor. Los geht´s mit dem Sam² 6.7 für 5499 Euro, die Sonderedition Sam² 6.0 kostet 8699 Euro.
Für 5499 Euro muss man beim Sam² 6.7 einige Downgrades in Kauf nehmen. Immerhin: Das Bike soll mit 25,4 Kilo das leichteste Modell sein. Das liegt vor allem am kleineren Akku mit 625 Wattstunden. Die Suntour Durolux 38 Federgabel wappnet das Bike dennoch für harsche Trail-Abfahrten. Als einziges Modell der Reihe kommt die Einstiegsvariante mit Luftdämpfer. Der Rockshox Deluxe verzichtet auf einen Ausgleichsbehälter. Auch bei den Reifen müssen Vollgas-Enduristen deutliche Abstriche machen. Die Exo-Karkasse von Maxxis ist nicht auf das Abfahrtspotenzial des Enduros ausgelegt. Geschaltet wird mit Srams SX/NX-Eagle, die DB8-Bremsanlage kommt ebenfalls von Sram und setzt am Vorderrad auf eine große 220er-Scheibe.
Ab 7000 Euro gibt´s das Sam² mit dickem 750er-Akku, Bosch Kiox-Display und Stahlfederdämpfer. Der Dämpfer kommt von Rockshox (Superdeluxe Coil Select), an der Front werkelt eine Fox 38 Rhythm. Geschalten wird mit Shimanos XT, für Verzögerung sorgen Magura MT5-Bremsen.
Für anspruchsvolle Enduro-Biker führt wohl kaum ein Weg am Sam² 6.9 vorbei. Mit top Fox-Fahrwerk sind hier die Weichen für absolute Trail-Performance gestellt. Auch die komplette XT-Ausstattung (Schaltung und Bremsen) ist für alle Eventualitäten gerüstet. Gleiches gilt für die robuste Supergravity-Karkasse am Hinterrad.
Die limitierte 6.0er-Version unterscheidet sich nur in einem kleinen Detail vom Modell 6.9: Der Motor. Hier sorgt die Race-Variante für den gewissen Extra-Schub. Was Boschs Performance CX Race E-Bike Motor kann, lest ihr hier im Link! Eine Topversion mit Spielereien wie elektronischer Schaltung oder Fahrwerk, sowie teuren Carbon-Parts gibt´s vom neuen Sam² nicht. Dafür bleibt der Preis im Vergleich zu anderen Topmodellen am Markt in greifbaren Sphären.
Wer auf das neue E-Enduro steigt, hat eine Menge Bike unter sich. Die angenehme Sitzposition und der kräftige Bosch-Antrieb sorgen dafür, dass der Weg zum Trail-Einstieg dennoch angenehm und leichtfüßig verläuft. Ein rassiger Trail sollte allerdings Ziel jeder Ausfahrt mit diesem Bike sein, denn für seichte Pfade oder Spazierfahrten ist das Sam² definitiv nicht der geeignete Kandidat. Der Uphill muss aber nicht nur Mittel zum Zweck sein. Mit dem traktionsstarken Hinterbau und spritzigen Antrieb meistert das Enduro auch anspruchsvolle Uphills. Den kleinen Bruder, das neue Jam², haben wir in dieser Disziplin aber noch deutlich kompetenter empfunden. Denn auf dem Sam² sitzt man etwas hecklastiger, das schwächt die Kontrolle, wenn es richtig steil wird. Auf garstigen Rumpelabfahrten wendet sich das Blatt. Während hier schon das Jam² einen starken Eindruck hinterlässt, legt der große Bruder nochmal eine gehörige Schippe in Sachen Fahrsicherheit drauf.
Der lange Radstand und das hubstarke Fahrwerk erlauben selbst auf fiesesten Downhills ungewohnt hohe Geschwindigkeiten. Das lässt den Piloten schon mal mit weit aufgerissenen Augen auf das zurückliegende Steinfeld blicken, weil die Bremsen wieder mal erstaunlich offen geblieben sind. Die stimmige Ausstattung des Sam² 6.9 mit bissigen Bremsen, Top-Fahrwerk und soliden Reifen macht solche Highspeed-Ausfahrten klaglos mit. Das Fahrwerk arbeitet dabei nicht plüschig, sondern sehr definiert und sportlich. So richtig aufblühen kann das Bike erst bei hohen Geschwindigkeiten - dann gibt es Sicherheit en Masse. Allerdings merkt man selbst im rauen Geläuf auch die Kehrseite der Medaille. Das Fahrgefühl ist brachial und zielstrebig. Wer gerne leichtfüßig über den Trail tänzelt, oder mit dem Gelände spielt, muss an Bord des Sam² sehr viel Kraft aufwenden. In engen Kehren oder auf seichten Flow-Passagen fühlt sich das Bike behäbig an, das gilt auch für Sprungeinlagen. Zusätzlich zur extremen Geometrie macht sich hier auch das sehr hohe Gewicht von fast 27 Kilo bemerkbar.
Eines kann man dem neuen Focus Sam² definitiv nicht vorwerfen, nämlich dass es keine klare Linie habe. Ruppige Downhillstrecken in Bikeparks und harte Enduro-Pisten, hier fühlt sich das Bike zu Hause. Es blüht auf, wenn es schnell und wild bewegt wird. In diesem Einsatz lässt es viele E-MTBs der Konkurrenz locker stehen. Dazu passen der robuste Alu-Rahmen und die hohe Gewichtsfreigabe bis 150 Kilo. Allerdings ist das Einsatzgebiet dieses E-Mountainbikes eng abgesteckt. Wer ein vielseitiges E-Bike für Trail-Touren sucht, ist mit einem gemäßigteren Bike vermutlich besser bedient. Auch das sehr hohe Gewicht trübt die Alltags- und Allroundeigenschaften deutlich.