Florentin Vesenbeckh
· 10.09.2020
Es ist das extremste E-MTB in der Palette von Focus: Das neue Sam². Mit 170 Millimetern Federweg, 29 Zoll, konsequenter Ausstattung und Bosch-Antrieb giert es nach extremen Abfahrten.
Wer diese Tage seinen virtuellen Bummel durch einschlägige Online-Portale vollzieht, könnte beim Anblick des neuen Focus Sam² verwundert die Augen reiben. Denn die Neuheiten der E-Mountainbike-Welt rankten sich während der vergangenen zehn Tage nahezu ausnahmslos um Shimanos neuen Motor EP8. Für Abwechslung sorgen die Stuttgarter von Focus mit einem Klassiker-Paket: Bosch Performance CX, Powertube-Akku mit 625 Wattstunden. Damit baut die Marke beim neuesten Enduro-Spross erneut auf die bewährte Kombi, die auch das spaßige Trailbike Jam² seit der letzten Neuauflage 2019 antreibt. Und das ist nicht so selbstverständlich, wie es klingt. Denn lange Zeit setzte Focus bei seinen sportlichen E-MTBs primär auf Shimano-Antriebe. Inzwischen findet man diese nur noch vereinzelt in der Palette.
Aber nun zum Wesentlichen. Denn an einem E-Enduro, das für absoluten Abfahrtsspaß entwickelt wurde, ist der Motor gewissermaßen nur Beiwerk. "Designed for down", beschreibt Focus die Philosophie hinter dem neuen Sam². Die Werkzeuge für kompromisslose Abfahrtsstärke: 29-Zoll-Laufräder, 170 Millimeter Federweg vorne wie hinten, dicke Gabeln mit 38er-Standrohren, solide Reifen. Und die Geometrie? Länger und flacher, aber nicht zu extrem. Der Neuling soll kein Extremo für Experten sein, sondern ein Spaßgarant für Jedermann. Die Mission: anspruchsvollstes Gelände und ruppigste Abfahrten.
Viel Zeit und Hirnschmalz haben die Focus-Ingenieure in ein kleines Detail am Sam² investiert. Stichwort Integration. Alle Kabel, also auch die mechanischen Züge für Schaltung und Teleskopstütze, laufen integriert durch den Vorbau. Das System, genannt C.I.S (Cockpit Integration Solution) soll der Lenkzentrale eine besonders cleane und aufgeräumte Optik bescheren. Die Kabel verlufen dabei von vorne oberhalb des Lenkers in den Vorbau.
Flacher und länger? Das trifft auf das neue Sam² nur bedingt zu. Länger? Ja. Der Reach in Größe L wächst im Vergleich zum Vorgänger von 455 Millimetern auf 480 Millimeter. Der Lenkwinkel bleibt hingegen identisch, zumindestauf dem Papier: für Enduro-Maßstäbe moderate 65 Grad. Allerdings darf man dabei den Faktor Laufradgröße nicht außer Acht lassen. Das neue Sam² kommt ab Werk ausschließlich mit 29 Zoll, der Vorgänger rollte auf kleinen 27,5ern. Trotz größerer Laufräder schrumpfen die Kettenstreben etwas. 450 statt 455 Millimeter. Damit bleibt das Heck für ein spaßiges E-Enduro aber weiterhin auf der langen Seite. Gute Nachrichten für große Fahrer: Den Neuling gibt´s auch in XL und damit reichen die Reach-Werte bis zu stattlichen 510 Millimetern.
Zwei Ausstattungsvarianten wird es vom Focus Sam² für 2021 geben und den Grundgedanken haben beide gemein. Die Anbauteile sind kompromisslos auf Abfahrt ausgelegt. Gabeln mit 38er-Standrohren (Fox 38 bzw. Rockshox ZEB), Schwalbes Magic Mary mit sehr robuster Super Gravity- (Hinterrad) bzw. Super Trail-Karkasse (Vorderrad), Vierkolbenbremsen mit 200 (Shimano) bzw. 220 Millimeter (Sram) Scheibendurchmesser. Diese Komponenten sorgen für Sicherheit, drücken aber auch aufs Gewicht. Ganz klar: Das Sam² mit seinem Alurahmen, dem großen Akku, den 29er-Laufrädern und der robusten Ausstattung spielt in der gehobenen Gewichtsklasse. Vom Leichtbauansatz, den Focus einst mit seinem minimalistischen Akkukonzept verfolgte, ist am Sam² nicht mehr viel geblieben. Dafür muss man sich nun keine Gedanken mehr um Akkukapazität und Haltbarkeit machen.
Eines vorweg: Das Sam² ist ein Bike, das sich mit seichten Trails nicht zufrieden gibt. Man muss ihm rustikalere Kost vorwerfen, damit es zeigen kann, was in ihm steckt. Wenn die Schwerkraft stark genug am Alu-Boliden zerrt und sich ausreichend Hindernisse in den Weg werfen, dann ist das E-Enduro in seinem Element. Flache Trails quittiert das Bike mit einem müden Lächeln. Der Fahrer wird mit einem etwas behäbigen Handling bestraft. Dafür sorgen die recht langen Kettenstreben und das hohe Gesamtgewicht des Bikes sowie die robusten, aber auch schweren Reifen.
Wir konnten die Topversion, das Sam² 6.9, zwei Tage auf den offiziellen Trails rund um Freiburg testen. Die Strecken bieten eine gute Mischung aus natürlichen, ruppigen Passagen und angelegten Abschnitten mit Bikepark-Charakter. Canadian, Borderline und Baden to the Bone – hier fühlt sich das Sam² richtig wohl. Zumal die Strecken bei unserem Besuch schon mächtig ausgefahren waren und mit Bremswellen, losem Geröll und zerlöcherten Anliegern nach einem langhubigen Bike schrien.
Lange Eingewöhnungszeit braucht das Sam² nicht. Draufsetzen und wohlfühlen! Hier spielt die ausgewogene, nicht zu extreme Geometrie ihre Stärken aus. Ob in ruppigen Steilpassagen, schnellen Abschnitten oder bei gebauten Sprüngen: das Bike verleiht enorme Sicherheit. Die Gewichtsverteilung zwischen Vorder- und Hinterrad ist ausgewogen, Schreckmomente sind auf dem Sam² eine absolute Seltenheit. Die kompromisslose Ausstattung mit der starken Reifenkombi hat gehörigen Anteil daran.
Auf dem eher flowigen Zubringer-Trail Badish Moonrising offenbart die robuste Auslegung seine Kehrseite. Der Trail windet sich am Hang entlang und es heißt, Schwung mitzunehemen. Das Gelände lädt immer wieder dazu ein, das Bike an kleinen Wellen in die Luft zu befördern und Haken zu schlagen. Natürlich geht das auch mit dem Sam² – doch es braucht Kraft. Ganz in seinem Element fühlt sich das Sam² hier nicht. Zumindest haben wir das Gefühl, dass ein handliches Trailbike wie es Focus mit dem Jam² im eigenen Hause hat, auf derlei Strecken spaßiger und kraftsparender unterwegs wäre. Insbesondere mit kleinem Hinterrad und superkurzen Kettenstreben blüht der kleine Bruder Jam² mit weniger Federweg genau dort auf, wo wir nun etwas Spieltrieb und Handlichkeit vermissen. Gerne hätten wir das Sam² mit MX-Laufradmix, also 27,5er-Hinterrad und dadurch deutlich kürzeren Kettenstreben getestet. Doch dazu hatten wir bisher keine Gelegenheit. Dem Spieltrieb könnte das einen enormen Boost verleihen! Doch auch im Standard-Setup heißt es für uns: keine Sorge. Denn schon wenige Meter später neigt sich der Canadian steil hinab in Richtung Freiburg. Die Zeit für die volle Wucht des Sam² ist gekommen.
Sehr schade und auf den ruppigen Trails in Freiburg allzeit präsent: Der Bosch-Motor begleitet die Fahrt bergab mit einem steten Klappern. Ein Phänomen, dass der Reutlinger Motorenspezialist leider auch über ein Jahr nach der Einführung des neuen Performance CX nicht abstellen konnte. Rollt man über Wurzeln oder Hindernisse, tönt ein Klackern aus dem Motorgehäuse, ähnlich einem Kettenschlagen. Manche Biker werden das vermutlich kaum mitbekommen. Doch wer ein explizit leises Bike sucht, dem könnte diese Geräuschkulisse den letzten Nerv rauben. Das ist allerdings kein exklusives Problem des Focus Sam², sondern eines, das alle Bosch-Bikes gemein haben.
Und was ist mit Uphill? Auch wenn die Marketingabteilung von Focus diese Kategorie für das Sam² gar nicht vorgesehen hat: Der Neuling klettert stark. Mit den moderaten Kettenstreben und dem steilen Sitzwinkel steigt das Vorderrad erst spät. Der Hinterbau bleibt im Uphill über Wurzeln und Hindernisse sehr aktiv und generiert Traktion en masse! Der bewährte Bosch-Antrieb tut sein übriges, dass das Sam² im Anstieg einen sehr positiven Eindruck hinterlässt.
Wie sich das neue Focus Sam² im direkten Vergleich zur Konkurrenz schlägt? Das finden wir aktuell heraus. Einen ausführlichen Test zum Neuling gibt´s in EMTB 5/2020!
Einen ganz dicken Pluspunkt sammelt das neue Sam² vom Start weg: Es ist verfügbar! Zu einem Zeitpunkt, zu dem die 2020er-Modelle in den meisten Läden ausverkauft sind und viele Hersteller mit Lieferproblemen der 2021er-Bikes zu kämpfen haben, ist das ein ganz entscheidendes Kriterium. Die ersten neuen Bikes sollen bereits zu den Händlern ausgeliefert worden sein >> hier erhältlich*.
Solides Sorglospaket statt Innovationsfeuerwerk. Focus setzt bei seinem neuen Enduro-Spross auf bewährte Technik und eine robuste Ausstattung. Damit schafft es das Sam² nicht auf die vordersten Plätze im Gewichtsranking, dafür bekommen E-Mountainbiker einen haltbaren Alu-Boliden, der selbst im härtesten Gelände nicht so schnell aufgeben sollte. Ein Bike für fiese Downhills und wilde Stunts. Und mit der ausgeklügelten Integration der Züge im Vorbau sammelt das Sam² auch in Sachen Extravaganz und Innovation Punkte.
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