Rein optisch würde das Crossworx Lite 290 ebenso gut in ein Technikmuseum passen wie in unseren Traum-Bike-Test. Die schlichten Rundrohre des Hauptrahmens und die Vierkantprofile am Hinterbau verschmelzen mit perfekten Schweißschuppen zu einer Einheit. Dazu die rohen Aluminiumoberflächen – man kann förmlich spüren, wie dem Schweißer hinter seiner Maske die Schweißtropfen von der Stirn kullerten. Nun steht das Alu-Kunstwerk aber in unserem Testkeller. Entwickelt, von Hand gebrutzelt und zusammengebaut in Rudolstadt am Rande des Thüringer Walds. Allein das Gefühl, dass im Crossworx Lite 290 noch echte Wertarbeit steckt, begeistert.
Dasselbe Gefühl kam auf, als wir vor knapp zwei Jahren das Erstlingswerk von Crossworx zu Gesicht bekamen. Kein Wunder: Denn das Premiere-Enduro Dash und das All Mountain Lite 290 ähneln sich auf den ersten Blick wie ein Ei dem anderen. Wer jedoch genauer hinsieht, merkt, dass die Werte des Neulings weniger für wilde Enduro-Ritte ausgelegt sind als für technische Touren auf Mittelgebirgs-Trails. Den Grundstein dafür legen die Thüringer mit einem abgestützten Eingelenkerhinterbau. Die Anlenkung platzieren die Entwickler bei dieser Bauweise unterhalb des Dämpfers, was einen tiefen Schwerpunkt ermöglicht. Doch die eigenständige Kinematik und das Qualitätssiegel Made in Germany sind nicht die einzigen Charaktermerkmale, mit denen sich das Crossworx vom Großteil anderer All Mountains Bikes unterscheidet.
Die Thüringer gehen gänzlich andere Wege. So gehören beispielsweise die 79,5 Grad am Sitzwinkel des Lite 290 zu den steilsten Werten, die wir an einem All Mountain je erfasst haben. Auch dass der Federweg mit 150 Millimetern Hub am Heck die Gabel übertrumpft, ist ungewöhnlich. Zumal der Hinterbau laut Hersteller nur 130 Millimeter freigeben dürfte. Via Online-Konfigurator hat man aber die Möglichkeit, hier gegenzusteuern, indem man anstelle der 140er-Gabel ein längeres Modell mit 150 Millimetern Hub spezifiziert.
An unserem Testaufbau bestätigen alle Tester eine gewisse Dysbalance zwischen Federgabel und Hinterbau. Denn der Eingelenker bietet nicht nur die fettere Knautschzone, er arbeitet zudem auch noch ausgesprochen feinfühlig. Das garantiert erstklassige Traktion. Harte Landungen verdaut das Heck ebenfalls, ohne zu murren. Einziges Manko: Bergauf pumpt das Fahrwerk im Wiegetritt. Legt man aber den Plattformhebel am Dämpfer um, kehrt Ruhe ein. Angesichts des hohen Gesamtgewichts (14,7 Kilo ohne Pedale) lässt man es im Uphill aber ohnehin lieber gemütlich angehen. Zum Vergleich: In unserem letzten Test mit sieben All Mountains zwischen 4800 und 5300 Euro lag das durchschnittliche Gesamtgewicht nur bei 13,9 Kilo. Den Großteil des Übergewichts verantwortet der 4874 Gramm schwere Alu-Rahmen. Davon abgesehen punktet das Crossworx Lite 290 bergauf aber mit seinen Fahreigenschaften. Denn der extrem steile Sitzwinkel platziert den Fahrer sehr kurz und ungewöhnlich weit vorne am Bike. Gepaart mit den ausladenden Kettenstreben, dem steilen Lenkwinkel und dem langen Vorbau kraxelt das Crossworx selbst steilste Rampen sicher empor. Auf welligen Trails oder im Downhill bringen die Maße ebenfalls sehr viel Druck aufs Vorderrad.
So lässt sich das Crossworx All Mountain MTB ausgesprochen präzise und handlich durchs Gelände dirigieren. Auf rumpeligen Highspeed-Strecken kommt das Lite dafür schneller an seine Grenzen als klassische All Mountains. Abschließendes Lob gibt’s für das tiefe Tretlager und das gute Anti-Rise-Verhalten des Hinterbaus. So entsteht in steilen Abfahrten, trotz der frontlastigen Fahrposition, stets das Gefühl, sicher im Bike zu stehen.
Trotz kleiner Schwächen gelingt Crossworx mit dem Lite 290 ein spannendes All Mountain Bike. Einzigartig in der Fertigung und erfrischend anders auf dem Trail und damit viel zu schade, um in einem Technikmuseum Staub anzusetzen.
Das Crossworx Lite 290 hat für zwei Zielgruppen das Potenzial zum Traum-Bike: zum einen für Biker, die ein Faible für Custom-Bikes haben und auch auf das Qualitätssiegel Made in Germany wert legen. Aber auch Piloten, bei denen die Fahrleistung im Vordergrund steht, dürften an dem gelungenen Fahrwerk und dem quirligen Handling Gefallen finden.
GESAMT BERGAUF: 62,5 VON 90
GESAMT BERGAB: 108,3 VON 130
Sonstiges: 21,75 von 30
Wartungsfreundlichkeit: schwach
Kevin Dewinski und Chris Reichling haben 2019 Crossworx gegründet. Ihr Ziel: die Umsetzung des abgestützten Eingelenkhinterbaus, wie wir ihn von unserem Test-Bike kennen. Der erste Rahmen der beiden entstand in einem Kellerabteil. Seit 2021 werden die Bikes im eigenen Firmengebäude in Thüringen entwickelt, geschweißt und zusammengebaut. Bei der Herstellung legt das vierköpfige Team großen Wert auf Nachhaltigkeit. So werden nicht nur die Rahmen regional gefertigt, sondern auch die Zulieferer stammen aus dem Umfeld.
¹Preis ggf. zzgl. Kosten für Verpackung, Versand und Abstimmung.
²Das BIKE-Urteil gibt die Labormesswerte (BIKE-Labormessung) und den subjektiven Eindruck der Testfahrer wieder.
Das BIKE-Urteil ist preisunabhängig. BIKE-Urteile: super (250–205 P.), sehr gut (204,75–180 P.), gut (179,75–155 P.), befriedigend (154,75–130 P.), mit Schwächen (129,75–105 P.), ungenügend (104,75–0 P.).