Henri Lesewitz
· 15.01.2023
Geld beim Bike-Kauf sparen und gleichzeitig die Umwelt schonen: Der neue Refurbished-Trend macht es möglich. Generalüberholte Second Hand-Bikes mit Werkstatt-Garantie als Alternative zum Neukauf, lautet das Konzept. Noch ist Refurbished ein zartes Pflänzchen auf dem Fahrradmarkt. Doch die Zahl der Anbieter wächst. Und die versprechen bis zu 70 Prozent Preisersparnis. Wo ist der Haken?
Ein Second Hand-Bike als Alternative zum Neukauf? Das kam bisher nur für Technik-Freaks und Mutige infrage. Zu groß war das Risiko versteckter Mängel oder Vorschäden, die aus dem vermeintlichen Schnäppchen schnell ein Kostengrab machen konnten. Selbst technisch Versierte können den wirklichen Zustand eines gebrauchten Dämpfers oder einer Teleskop-Stütze bei einem Besichtigungstermin nur grob einschätzen. Käufer von Second Hand-Mountainbikes hatten weder Garantie noch Rückgaberecht. Wer sich auskannte und den richtigen Riecher hatte, konnte auf dem Gebrauchtmarkt durchaus echte Schnäppchen finden. Alle anderen fuhren mit einem ladenneuen Bike besser. Mit dem neuen Refurbished-Trend ändert sich das nun. Generalüberholte Second Hand-Modelle mit Garantie und Rückgaberecht sollen preiswerte Alternativen zum Neukauf sein und gleichzeitig einen Beitrag zur Umwelt leisten. Ein Refurbished-Bike, das statt eines neuen Bikes gekauft wird, schont wertvolle Ressourcen.
Zwischen 30 und 70 Prozent können Biker sparen. Ganz ohne Risiko. Die Zahl der Refurbished-Anbieter ist noch überschaubar, aber sie wächst. Firmen wie Rebike (Fokus auf E-Bikes), Tuvalum und Buycycle haben einen Trend entfacht. Mit dem Kölner Startup velio geht nun ein neuer Second Hand-Spezialist ins Rennen. Co-Founder Christian Lenz beantwortet im Interview die wichtigsten Fragen.
Unsere Bikes stehen neuen Bikes in nichts nach. - Christian Lenz, Mitgründer velio
BIKE: Gebrauchte Bikes wurden bisher hauptsächlich privat gehandelt. Sie waren oft keine echte Alternative zu neuen Bikes, da diese in ausreichender Menge und zu attraktiven Preisen verfügbar waren. Was macht den Handel mit Second Hand Bikes für Start Ups wie velio so attraktiv?
Christian Lenz: Da gibt es zwei Blickwinkel. Der geschäftliche, aber insbesondere der Konsumenten-Blickwinkel. Aus Kundensicht bieten wir eine Reihe von Vorteilen gegenüber Neukauf aber auch Gebrauchtkauf von privat. Thema Vertrauen: Unsere Bikes stehen neuen Bikes in nichts nach. Sie kommen vollständig gecheckt, mit einer Garantie von 12 Monaten. Dazu sind gebrauchte Bikes in der Regel preiswerter als neue, was für kostenbewusste Verbraucher attraktiv sein kann. Ganz wichtig ist für uns aber das Thema Nachhaltigkeit: Der Kauf eines gebrauchten Fahrrads ist umweltfreundlicher, da er dazu beiträgt, Abfall und die Nachfrage nach neuen Produkten zu reduzieren.
Woher stammen die Bikes, die velio anbietet?
Wir beziehen unsere Bikes aus verschiedenen Quellen – darunter sind Leasing-Rückläufer, Ausstellungsstücke von Händlern, ausrangierte Bikes von großen Verleihern und natürlich die gebrauchten Premium Bikes von Privatpersonen.
Was macht Refurbished-Bikes attraktiver für Kunden als das klassische Second Hand-Bike von Ebay Kleinanzeigen und Co?
Hier muss man immer den Unterschied zwischen refurbished und gebraucht sehen: Während man auf Ebay Kleinanzeigen und ähnlichen Portalen ein gebrauchtes Fahrrad ohne Garantie und meist im ungewarteten sowie nicht inspizierten Zustand kauft, bekommt man bei uns vollständig aufbereitete Bikes. Jedes Bike wird von unseren hauseigenen Mechaniker*innen detailliert durchgecheckt und alle notwendigen Teile werden getauscht. Somit bekommt der Kunde ein technisch top gewartetes Bike, das einem neuen Bike in nichts nachsteht. Durch detaillierte Bilder sowie unser Scoring-System geben wir den Kund*innen außerdem die Möglichkeit, sich einen realistischen Eindruck vom Zustand des Bikes zu machen. Wir legen hier großen Wert auf Transparenz. Neben der Garantie haben außerdem alle Käufer*innen 30 Tage Rückgaberecht. Und: Nicht nur unsere Bikes sind top gewartet – auch der gesamte Bestellungsablauf ist absolut vertrauenswürdig.
Wo bewegen sich die Preise, verglichen mit neuen Bikes?
Die Bikes sind zwischen 20 und 60 Prozent günstiger als neue Bikes.
Lässt sich der Beitrag zur Nachhaltigkeit in Zahlen ausdrücken? Wieviel C02 wird eingespart, wenn ich mich als Kunde für ein Refurbished-MTB entscheide?
Konkret ist dies noch nicht möglich, was primär an zwei grundlegenden Bestimmungsfaktoren liegt. Zum einen an den unbekannten Emissionskennzahlen der verschiedenen Hersteller, resultierend aus Produktion und Lieferketten. Und zum anderen daran, dass jedes Bike bei velio ein Unikat ist und die Zustände, das Ausmaß der Generalüberholung sowie Logistikwege in der Regel variieren. Dennoch haben wir uns bereits mit dieser Frage auseinandergesetzt und unseren Impact auf die Umwelt durch unsere Logistik, Generalüberholung und Verpackung grob analysiert. Einige Hersteller haben bereits begonnen CO2-Emissionen ihrer Produkte zu messen. Beispielsweise gibt Trek einen CO2-Fußabdruck ihrer Rail E-Bikes von 230 bis 320 Kilo CO2 an. Je nach Konfiguration. Unter Berücksichtigung unseres Impacts lässt sich in den meisten Fällen eine Einsparung von bis zu 300 Kilo CO2 realisieren.
Umfasst das Angebot nur recht aktuelle Modelle, Beispiel Leasing-Rückläufer, oder auch Bikes älterer Baujahre?
Wir fokussieren uns auf aktuelle Modelle, die zwischen ein und drei Jahren alt sind. Gelegentlich findet man aber auch mal ein älteres, bis zu fünf Jahre altes Bike als absolutes Schnäppchen.
Kann man sein altes Bike über velio in Zahlung geben?
Ja, das geht. Dafür erstellen wir dem Kunden oder der Kundin ein individuelles Angebot anhand unserer Qualitätskriterien. Falls das Bike unseren Ansprüchen entspricht und auch die Gegenseite einverstanden ist, verrechnen wir das Bike mit dem Kauf eines neuen Modells.
Wo steht die MTB-Branche aktuell in Sachen Nachhaltigkeit?
Es ist schwierig, Verallgemeinerungen über die Branche als Ganzes zu treffen, da verschiedene Unternehmen und Organisationen unterschiedliche Ansätze zur Nachhaltigkeit verfolgen. Es gibt jedoch sicherlich einige Unternehmen und Organisationen, die sich für nachhaltigere Praktiken in der Mountainbike-Branche einsetzen. So verwenden einige Unternehmen bei der Herstellung ihrer Fahrräder umweltfreundlichere Materialien, wie Bambus oder recyceltes Aluminium. Andere arbeiten an geschlossenen Lieferketten, in denen Materialien zurückgewonnen und wiederverwendet werden. Insgesamt bin ich der Meinung, dass die Industrie noch in den Anfängen steckt, wenn es um die Integration von Nachhaltigkeit in ihre Praktiken geht. Aber es gibt definitiv einige positive Entwicklungen.
Was ist eure Vision bei velio einer maximal nachhaltigen Fahrradindustrie?
Meine Vision wäre eine, in der alle Fahrräder unter Verwendung umweltfreundlicher Materialien und Verfahren hergestellt werden und auf maximale Haltbarkeit und Reparierbarkeit ausgelegt sind. Die Industrie würde der Wiederverwendung und dem Recycling Vorrang einräumen, und es gäbe eine starke Betonung geschlossener Lieferketten, in denen Materialien kontinuierlich zurückgewonnen und wiederverwendet werden. In dieser Vision würden die Verbraucher ermutigt, gebrauchte oder generalüberholte Bikes zu kaufen, wann immer dies möglich ist, und Firmen wie velio bilden einen robusten Markt für die Inzahlungnahme und Reparatur von gebrauchten Fahrrädern. Die Fahrräder wären so konzipiert, dass sie leicht gewartet und refurbished werden können, sodass sie über viele Jahre hinweg genutzt werden können. Insgesamt würde meine Vision einer maximal nachhaltigen Fahrradindustrie der langfristigen Gesundheit des Planeten und seiner Bewohner Vorrang vor kurzfristigem Profit einräumen.
Das Konzept klingt spannend. Der Kauf von Second Hand-Bikes aus Privathand ist immer mit einem Restrisiko verbunden und setzt technisches Verständnis sowie Zeit für die Suche voraus. Bei einem Refurbished-Bike kann man dank Rückgaberecht und Garantie beruhigt zugreifen. Dennoch sollte man vor dem Kauf im Internet recherchieren, ob das angebotene Bike wirklich ein Schnäppchen ist oder nur ein aufpoliertes, technisch angestaubtes Auslaufmodell. Ebenfalls wichtig: Nicht vom Preisschild allein blenden lassen! Selbst beim größten Preisknaller sollte immer zuerst die Frage geklärt sein, ob es sich bei dem Bike wirklich um das Modell handelt, welches man wirklich sucht. Der größte Rabatt nutzt nichts, wenn man sich auf dem Rad nicht wohlfühlt. Solch ein Preiskracher ist kein Schnäppchen, sondern der sprichwörtliche Griff ins Klo. - Henri Lesewitz, BIKE-Chefredakteur