Henri Lesewitz
· 25.03.2021
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Mit 1x12 hat Sram vor fünf Jahren den Umwerfer beerdigt. Jetzt soll die funkgesteuerte GX AXS das Ende des Bowdenzugs einläuten. Der Preis der neuen, kabellosen Mittelklasse-Schaltung ist heiß. Doch ist die Sram GX AXS ihr Geld wert?
Ein Grundmerkmal von Elektronik ist, dass es Plus und Minus gibt. Was die elektronische Funk-Schaltung AXS von Sram betrifft, so scheint das Plus größer als das Minus. Zumindest auf die Funktion bezogen. Da das AXS-System gänzlich ohne Kabel auskommt, müssen nie mehr mürbe gescheuerte Züge getauscht werden. Auch das ständige Nachjustieren aufgrund von verschmutzter Kabelage gehört mit Funk der Vergangenheit an. Die vor zwei Jahren präsentierte AXS-Schaltung von Sram sollte also längst damit begonnen haben, die klassische Kabelschaltung zu verdrängen - so könnte man meinen. Doch wie zuvor schon Shimanos kabelbasierte Elektroschaltung Di2 hat es auch Srams AXS-Technik bisher nicht über das Nischendasein hinaus geschafft. Was an dem Minus liegt, mit dem die Elektrotechnik zwangsläufig verknüpft ist: Erstens, dem deutlich höheren Preis im Vergleich zur Kabel-Variante. Und zweitens, der begrenzten Akku-Kapazität, die regelmäßiges Aufladen nötig macht. Rund 1100 Euro kostet das Upgrade-Kit der vor zwei Jahren präsentierten Sram XX1 AXS – was etwa 400 Euro über der klassischen XX1-Variante mit Schaltkabel liegt.
Es war die große Frage: Verglimmt das Thema Funk-Schaltung wieder so still wie es gekommen war? Oder läutet es doch noch die große Schaltungs-Revolution ein? Mit der brandneuen GX AXS gibt Sram nun die Antwort. Die im Vergleich mit der XX1 AXS günstiger gefertigte Schaltung soll so etwas wie die Funk-Mittelklasse darstellen. Mit knapp 620 Euro für das Upgrade-Kit – Schaltwerk, Controller, Akku, Ladegerät, Einstell-Tool – halbiert die GX fast den Preis der Highend-Version. Möglich macht das der Einsatz einfacherer Materialien. So besteht der Schaltungskäfig aus Stahl statt aus Carbon und die Kugellager der Schaltungsrädchen sind nicht aus Keramik, sondern ebenfalls stählerner Art. Ansonsten aber ist das GX AXS-Schaltwerk und auch der Controller ein nahezu identisches Abbild der XX1 AXS. Zumal auch alle elektronischen Bausteile aus der Edel-Version stammen, was mit Blick auf die Vorteile der Serienfertigung auch Sinn macht. Der große optische Unterschied liegt im Batterie-Käfig aus Kunststoff, mit dem die GX AXS ausgeliefert wird. Das Teil bietet keinen wirklichen Funktionsvorteil, sondern soll eher die Angst potentieller Käufer vor Akku-Verlust minimieren. Der aber so oder so minimal ist, wie tausende Dauertest-Kilometer mit der XX1 AXS ohne diesen Käfig bewiesen haben.
Mathematisch betrachtet ist die neue GX AXS so ziemlich dieselbe Schaltung wie die XX1 AXS. Das Set aus Controller und Schaltwerk wiegt bei der Mittelklasse-Ausführung zwar 76 Gramm mehr, kostet dafür aber auch rund 500 Euro weniger. Lässig: der Name der zwischen Schwarz und Anthrazit schimmernden GX-Farbe. „Luna Grey“, yeah!
Wie schaltet die GX AXS? Lohnt der Umstieg von der klassischen GX Eagle? Und spürt man zumindest in der Praxis einen Unterschied zur sündteuren Highend-Version XX1 AXS?
Wer die XX1 AXS kennt, dem sei bereits an dieser Stelle kurz und knapp gesagt: Funktion und Haptik der neuen GX-Version sind exakt gleich. Selbst Fahrer, die schon tausende Kilometer mit der Edel-Schaltung unterwegs sind, werden keinen Unterschied feststellen. Wer bisher klassisch mit Seilzug geschalten hat, für den ist das elektrische Schalten eine kleine, neue Welt. Kleine Info vorweg: Das Funk-Set, also Schaltwerk und Controller, wiegt knapp 120 Gramm mehr als das normale GX-Schaltwerk samt Shifter. Bowdenzug, Schaltungshüllen und Endkappen (zusammen knapp 80 Gramm) machen den Gewichtsvorteil aber fast vollständig zunichte. Die echten Unterschiede liegen in der Schaltcharakteristik und in der Hebel-Haptik. Anders als beim gewohnten Trigger, bei dem der Schaltbefehl durch Tippen ausgelöst wird, liegt der Daumen beim GX AXS-Controller in einer Art Schale. Nicht Antippen, sondern eine Wischbewegung nach oben oder unten gibt den Befehl zum Schalten. Daumenzucken nach oben = kleinerer Gang. Daumenzucken nach unten = größerer Gang. Oder umgekehrt. Der Modus, der einem gefällt, lässt sich easy mit Hilfe der AXS-App festlegen – dank Bluetooth-Schnittstelle von Smartphone und Schalt-Komponenten auch unterwegs auf dem Trail.
Die GX AXS reagiert blitzschnell und präzise, doch das Schalten mit ihr fühlt sich für Funk-Neulinge ungewohnt an. Da der Controller physisch vom Schaltwerk entkoppelt ist, lassen sich die Gangsprünge in hektischen Situationen weniger exakt dosieren als bei einer Seilzugschaltung, wo man das Einrasten jedes einzelnen Ganges förmlich im Daumen spürt. Im Werksmodus schaltet die GX AXS Kick für Klick jeden Gang einzeln. Wer eine forschere Gangart bevorzugt, sollte per App den stufenlosen Modus einstellen. Dann bugsiert die AXS die Kette im Schweinsgalopp über das komplette Ritzel-Paket. Vor allem beim Runterschalten spielt sie hier ihren großen Vorteil gegenüber der klassischen GX-Schaltung aus. Mit der lässt sich die Kette maximal fünf Gänge mit einem Daumendrücker nach oben liften. Runter geht es nur Klick für Klick. Dafür ist die Gefahr des Verschaltens mit der AXS größer. Man muss im Eifer des Gefechts nur einen Hauch zu lange auf dem Controller bleiben, schon flitzt die Kette zu weit. Umsteigern sei deshalb das optional erhältliche Rocker Paddle aus dem Sram-Zubehörsortiment empfohlen. Das 19 Euro teure Teil, dass sich ruckzuck montieren lässt, erinnert ergonomisch an den klassischen Trigger und lässt sich auch ähnlich bedienen – durch Tippen statt per Daumen-Wischen.
Und wie sieht es in Sachen Zuverlässigkeit aus? Der bisher unerschütterliche Erfolg der Seilzug-Schaltung hat auch ein Stück weit mit der generellen Skepsis vieler Biker Elektronik gegenüber zu tun. Zu anfällig, so das gängige Vorurteil, dass sich im Zuge vieler harter Kilometer der BIKE-Crew aber nicht bewahrheitet hat. Technische Pannen gab es im Rahmen unserer Tests nicht zu verzeichnen. Die AXS-Technik ist robust. Weder Fahrten im strömenden Regen noch im knöcheltiefen Matsch konnten den von uns getesteten Exemplaren etwas anhaben. Die einzige echte Achilles-Ferse der AXS-Schaltung ist die Akku-Laufzeit. Zwar ist die weitaus höher als es der kleine Akku erwarten lässt. Je nach Außentemperatur und Fahrweise muss aber etwa alle zwei bis drei Wochen nachgeladen werden. Eine Diode zeigt bei Bedarf den Ladezustand an. Leuchtet sie rot, muss der Akku (der sich mit einem Klick entriegeln und abnehmen lässt) ans Ladegerät. Alpenüberquerungen ohne Nachladen sind denkbar, im Zweifel raten wir aber doch zur Investition in einen Ersatz-Akku. Der kostet 49 Euro ist derselbe wie bei der XX1 AXS.
Die GX AXS funktioniert top. Sie ist zuverlässig und macht die Funk-Technik für viele erschwinglich, die bisher nur davon träumen konnten. Die neue Mittelklasse lässt kaum Argumente für die edle XX1 AXS, die 500 Euro mehr kostet, aber gerade mal 76 Gramm Gewicht spart. Die Funktion der beiden Schaltungen ist identisch. Wer finanziellen Spielraum hat und wen das Akku-Management nicht stresst, der kann bei der GX AXS bedenkenlos zuschlagen. Puristen und Sparfüchse sind mit der klassischen, nur halb so teuren Seilzug-Variante besser beraten.
Die GX AXS ist übrigens mit allen AXS-Komponenten kompatibel und soll ab sofort im Handel verfügbar sein. Allerdings vorerst nur zum Nachrüsten. An Komplett-Bikes wird die Schaltung ab Modelljahr 2022 zu finden sein, also etwa ab Herbst diesen Jahres.
„Das Bessere ist der Feind des Guten, so heißt es. Doch was ist bei Schaltungen das Bessere und was das Gute? Die Frage lässt sich, wenn überhaupt, nur schwammig beantworten. Weder das mechanische Schalten noch das elektronische hat ausschließlich Vorteile. Für die Bowdenzug-Version spricht der günstige Preis. Und auch der Gedanke, von Stromnetzen unabhängig biken zu können, ist für viele ein wichtiges Argument. Dafür nerven mit der Zeit die schmutzempfindlichen Kabel, die regelmäßige Wartung erfordern. Bei der Funk-Lösung muss man sich um so etwas nicht kümmern, dafür braucht der Akku Zuwendung. Zudem kostet AXS deutlich mehr in der Anschaffung. Beide Lösungen haben ihre Berechtigung, dennoch könnte die GX AXS das schleichende Ende des Bowdenzugs einläuten. Elektronik lässt sich in hoher Stückzahl billig herstellen. Der große Unterschied zwischen klassischem Schaltwerk und AXS-Ausführung sind im Grunde nur ein Stellmotor und ein paar Platinen. Spätestens wenn die Funkschaltung preislich mit der Bowdenzug-Version konkurriert, werden sich die Weichen in eine kabellose Zukunft stellen. Schon, weil die Hersteller mit Blick auf Montageaufwand und Montagekosten gerne auf den fummeligen und damit kostspieligen Einbau von Kabeln verzichten werden. In der Folge könnten Zugführungen im Rahmen überflüssig werden. Und sobald das geschieht, ist es eh entschieden. Shimano, so sickerte neulich durch, hat nun ebenfalls ein Patent zum kabellosen Schalten angemeldet. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Funk irgendwann der neue Standard wird. Wann genau? Das kann Stand heute wohl niemand sagen.“
Was bleibt ist die Frage, ob die GX AXS das schleichende Ende des Bowdenzugs einläutet. Schließlich vereinfacht die Funk-Technik erheblich die Montage, was für Serienhersteller ein gutes Argument ist, denn Arbeitszeit ist teuer. Wir haben Produkt-Manager und Ingenieure gefragt.
„Wir begrüßen es sehr, dass die Sram AXS-Technologie auf einen günstigeren Preispunkt übertragen wird. Kunden lieben die blitzschnellen Schaltvorgänge, gegenüber der teureren XO1 AXS und XX1 AXS wird wohl niemand einen Unterschied im Schaltkomfort spüren. Wir haben fürs Modelljahr 2022 einige sehr spannende Modelle mit der GX AXS geplant. Kabellos bedeutet nicht nur für den Kunden eine einfache Wartung, sondern macht uns Herstellern die Erstmontage ebenfalls leichter. Ein wichtiger Schritt auch zur Systemintegration.“
„Das Thema Zugverlegung ist in der Tat immer eine Herausforderung! Und beim MTB muss man oft durch die Stelle, die ohnehin schon am kritischsten ist: das rechte Kettenstreben-Yoke. Innen immer dickere Reifen, außen das Kettenblatt, und dann noch je nach Bauform ein kurviger Durchgang. Allerdings ist man hier allein schon aus Gründen der Steifigkeit bei einem Querschnitt, der mit einer 4-mm-Schalthülle annehmbar zu meistern ist. Und man muss ja auch nüchtern feststellen, dass nach hinten immer eine hydraulische Bremsleitung laufen wird und bei vielen Bikes auch eine Dropper Post-Leitung durch den Rahmen führt. Komplett superclean bringt man es also auch mit Funkschaltung nie hin. Und bestimmt gibt es auch Kunden, die im Gelände die Einfachheit einer mechanischen Schaltung vorziehen. Da kann man sich dann doch mal helfen, wenn unterwegs was passiert. Oder es überwiegt die Angst, ein recht teures Bauteil auf dem Trail zu schrotten.“
„Bis dato waren Elektroschaltungen dem Highend-Bereich vorbehalten. Durch die Erweiterung des Angebots auch in preisgünstigere Segmente werden diese natürlich einer weitaus größeren Zielgruppe zugänglich. Dies spiegelt sich auch in unserem Angebot wider. Ich persönlich bin großer Fan von Elektroschaltungen, ob mit Kabeln oder gar ganz ohne. Die Montage gestaltet sich viel einfacher, das Design wird immer cleaner und auch in Sachen Bedienkomfort und individuelle Einstelloptionen eröffnen diese Schaltgruppen völlig neue Möglichkeiten.“