Mehr Sicherheit im Straßenverkehr? Auch bei rutschigen Bedingungen mit Vertrauen die Vorderradbremse nutzen? Hehre Ziele, keine Frage. Allerdings: So beeindruckt wir vom Potential des ersten Trail ABS von 2022 auch waren - um versierte Biker wirklich zu begeistern, fehlte bei so viel Sicherheit dann doch das letzte Quäntchen Performance. Schließlich sollten Bremswege mit ABS kürzer, nicht länger, neue Bremsen auch mit ABS besser, nicht schlechter werden.
Jetzt wird klar: Performance allein war auch einfach nicht das Anliegen dieses ersten ABS-Systems für E-Bikes. Denn gemeinsam mit dem neuen Performance Line CX Motor (hier im Test) stellt Bosch auch eine neue ABS-Produktlinie vor. Das ABS Pro hat statt der bekannten Modi “Allroad” und “Trail” die vielversprechenden Einstellungen “Trail Pro” und “Race”. Statt modifizierten Trekking-Bremsen mit langen Hebeln kommen sportliche Mountainbike-Stopper wie Maguras MT7 oder die gelungene DH-R Evo von TRP zum Einsatz. WM- und Worldcup-Siege, unter anderem von Nathalie Schneitter und dem Miranda Factory Racing Team in der E-EDR, fungierten als Proof of Concept. Die spannende Frage: Bringt das Racing-ABS auch “normalen” Biker/innen Vorteile?
Technisch gesehen funktioniert das neue E-Bike-ABS Pro ganz ähnlich wie das bekannte Trail-ABS. Mit zwei Lochscheiben an den Vorder- und Hinterradbremsen überwacht das ABS die Änderung der Geschwindigkeit beim Bremsen. Das Regelsystem selbst fährt Huckepack an der Gabel mit, das Zusatzgewicht durch das ABS-System liegt nur etwas über 200 Gramm. Wenn das ABS eingreift, lässt es etwas Öl aus der Bremsleitung in den kleinen Ausgleichsbehälter ab und verringert so den Bremsdruck. Die notwendige Rechenleistung zapft das Bosch-ABS direkt beim Antriebssystem ab, weswegen das ABS nur mit Bosch E-Bikes neuerer Generationen (Smartes System) funktioniert.
Der entscheidende Unterschied zwischen Bosch Trail ABS und dem neuen ABS Pro liegt im Algorithmus. Das klassische E-Bike ABS, das es natürlich weiterhin geben wird, regelt eher konservativ. Es greift früh ein um Kontrollverlust durch zu starkes Bremsen oder ein rutschendes Vorderrad im Keim zu ersticken. Selbst im sportlicheren Trail-Modus bleibt das Hinterrad auch bei einer Vollbremsung nah am Boden.
Das Bosch ABS Pro geht hier einen anderen Weg. Im neuen Modus “Trail Pro” bleibt die Hinterrad-Abhebe-Regelung aktiv. Das ABS Pro lässt aber auch hier schon deutlich mehr Schlupf zu und ermöglicht damit kürzere Bremswege. Im Modus “Race” ist die Hinterrad-Abhebe-Regelung ganz deaktiviert. Das ABS greift ausschließlich ein, um ein übermäßig blockiertes Vorderrad zu verhindern. Das ABS Pro regelt dadurch deutlich weniger, im Vergleich mit der konservativeren Trail-Variante. Statt Spezial-Bremsen mit erhöhtem Ölvolumen wie Maguras MTC oder der Gustav Pro können deswegen beim ABS Pro auch “normale” Mountainbike-Bremsen eingesetzt werden. Wegen der anderen Bremsen-Hardware sind die Modi deswegen aber nicht übertragbar. “Trail Pro” und “Race” gibt’s nur mit dem ABS Pro, “Trail” und “Allroad” nur mit dem klassischen E-Bike ABS.
Wer das neue Bosch ABS explizit auf die Probe stellt, erlebt Beeindruckendes. Spielereien wie im Sprung die vordere Bremse voll durchzuziehen und trotzdem sicher zu landen, oder Vollbremsungen mit schnellen Wechseln von griffigem zu rutschigem Untergrund meistert das System mit Bravour. Auf dem Launch-Event des neuen Motors musste sich das ABS sogar mit einer Vollbremsung mit Rollschotter auf einer glatten Metallplatte beweisen. Auch für versierte Fahrer sind das schwierige Bedingungen, für’s ABS war das kein Problem. Allerdings: Auch das erste Trail ABS war auf schnell wechselnden Untergründen schon beeindruckend gut. Bosch ABS Pro ist hier sogar eher etwas im Nachteil, da der Bremshebel wegen der Bremsen mit normalem Ölvolumen bei explizit provozierten Regelvorgängen deutlicher zum Lenker durchfällt.
Die spannendere Frage: Wie steht’s um die schiere Bremspower und das Fahren auf dem Trail? Stahlplatten mit Rollschotter sind hier schließlich selten zu finden, das ABS gibt sich gerade deswegen unauffällig und angenehm. Auf unbekannten Strecken empfanden selbst versierte Tester sogar den konservativeren “Trail Pro”-Modus als unauffällig. Das System regelt zwar hin und wieder, als Fahrer merkt man davon aber kaum etwas. Hinterrad-Versetzen klappt auch mit eingeschalteter Abhebe-Regelung im Trail-Pro-Modus gut. Keine große Überraschung, schließlich ging das mit dem Trail-Modus des klassischen E-Bike ABS auch schon.
Also erhöhen wir den Schwierigkeitsgrad. Vollbremsung auf Asphalt und Schotter lautet die nächste Aufgabe. Bei identischer Ausgangsgeschwindigkeit steht das Rad hier mit ausgeschaltetem System und dem “Race” Modus deutlich schneller, als im Modus “Trail Pro”, einen versierten Fahrer vorausgesetzt. Da das Hinterrad dabei deutlich Luft unter den Reifen bekommt, dürfte allein die Abheberegelung im Modus “Trail Pro” der entscheidende Grund sein. Zwischen “Race” und abgeschaltetem System können wir kaum Unterschiede feststellen. Nur dass “Race” plötzliche Rutscher oder Verbremser auffängt, während man mit abgeschaltetem System bei Fahrfehlern vermutlich auf die Klappe fallen würde.
Da bei “Race” die Abhebe-Regelung nicht aktiv ist, muss man aber auch hier Acht geben, dass man nicht über den Lenker fliegt. Für die Zukunft wäre hier noch eine Mittelstellung wünschenswert. Mit mehr Freiheit für das Hinterrad als im Modus “Trail Pro” könnte man noch stärker bremsen, ohne gleich den Überschlag wie beim “Race”-Modus fürchten zu müssen.
Zu guter Letzt wagen wir uns noch auf eine unserer Standard-Teststrecken: Den “Fichtenschreck”-Downhill im Bikepark Oberammergau. Kann sich das Bosch ABS Pro auch dann noch behaupten, wenn man bei der Geschwindigkeits-Hatz bergab auf bekannten Kursen ordentlich stehen lässt? Zum Modus “Trail Pro” fällt das Urteil eindeutig aus. In diesem speziellen Szenario liefert “Trail Pro” einfach zu wenig Bremskraft und greift für unsere Begriffe zu deutlich ein. “Race” lieferte dagegen Bremsleistung auf einem sehr hohen Niveau. Aber auch hier verzeichnet der Logger erstaunlich viele Regelvorgänge, ohne dass uns größere Fahrfehler oder Verbremser bewusst gewesen wären. Regelt das ABS auch bei “Race” immer noch zu viel? Oder überreißt man in solchen Situationen den Grip doch stärker, als einem beim Fahren bewusst wird?
Fakt ist: Einer der Testfahrer empfand ABS als klaren Mehrwert, dem anderen war zumindest in diesem Extrem-Szenario auch der Eingriff des Race-ABS noch zu viel der Bevormundung. Fast überall sonst dürfte ABS Pro aber auch richtig anspruchsvolle Profis glücklich machen. Für unbekannte und besonders rutschige Bedingungen gilt das vermutlich in besonderem Maße. Ob und unter welchen Bedingungen ABS wirklich schneller macht? Das wollen wir in weiteren Tests noch herausfinden.
Schon das erste Trail-ABS von 2022 hat uns beeindruckt. Mit dem ABS Pro kann Bosch sich beim wesentlichen Kritikpunkt deutlich verbessern: ABS Pro liefert jetzt Bremsleistung en masse und macht damit auch sehr anspruchsvolle Fahrer glücklich. Dazu funktioniert das System auch mit normalen MTB-Bremsen mit sportlicher Ergonomie und fängt Verbremser nach wie vor zuverlässig ab. Klare Empfehlung! - Adrian Kaether, Redakteur Test & Technik
BIKE: Was ist das Ziel des ABS Pro? Geht's hier noch um Sicherheit?
CLAUS FLEISCHER: Das Ziel ist die optimale Balance zwischen Fahrstabilität und maximaler Bremsperformance auf dem Trail: Mit dem ABS Pro ist es möglich, später und stärker zu bremsen, und so länger schnell zu fahren und sich dabei optimal auf seine Linie konzentrieren zu können.
Wie unterscheiden sich die ABS-Modi „Trail Pro“ und „Race“ vom bisherigen Trail-Modus?
Das ABS Pro ist optimal für alle, die gerne schnell und sportlich unterwegs sind. Der Modus „Trail Pro“ ermöglicht effizienteres und stabileres Bremsen und kann zugleich ein übermäßiges Abheben des Hinterrades verhindern. „Race“ ist der Modus für E-MTB Profis. Hier ist die Hinterradabheberegelung deaktiviert – und der Fokus liegt noch mehr auf der maximalen Trail-Performance.
Ihr vermarktet ABS Pro auch mit Profi-Athleten. In welchen Situationen macht das ABS Pro tatsächlich schneller?
Im Wettkampfeinsatz haben Athleten damit bereits Enduro-Siege sowie Weltmeistertitel erzielt. Mit dem ABS Pro können sie später und stärker bremsen und zugleich länger die optimale Fahrlinie fokussieren; Sekunden werden gewonnen.