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Kategorie Trailbike | Federweg bis 148 Millimeter | Preisklasse bis 4999 Euro
Ich liebe Enduros. Kaum etwas reizt mich mehr, als die federwegsstarken Abfahrer hemmungslos gen Tal zu prügeln. Die Souveränität, mit der diese Bikes selbst die zornigsten Trails bändigen, begeistert mich enorm. Einen ähnlichen Endorphin-Schub beschert mir aber auch die mühelose Beschleunigung eines Racebikes. Jeder, der schon Mal mit weniger als zehn Kilo unter dem Hintern zum Sprint ansetzen durfte, weiß, wovon ich rede. Für alle anderen: Es fühlt sich an, als wäre man in Miraculix’ Zaubertrank gefallen. Plötzlich fliegt man förmlich über Gegenanstiege hinweg und fühlt sich, als hätte man einen Reichweiten-Boost gezündet.
Mein Alltag allerdings sieht anders aus. Der spielt sich weder auf wilden Enduro-Tracks noch auf Rennkursen ab, auf denen das Laktat nur so in die Muskeln spritzt. Das gilt auch für einen Großteil unserer Leserschaft. Denn laut einer Umfrage bewegen sich 44 Prozent aller Befragten am liebsten abseits befestigter Wege und suchen fahrtechnische Herausforderungen auf Touren. Sprich: Die meisten Kilometer sammelt der Durchschnitts-Biker bei der schnellen Feierabendrunde, auf längeren Ausfahrten am Wochenende oder bei gelegentlichen Abstechern ins Gebirge.
Wer für diese Zwecke zum Enduro greift, hat zwar Spaß bergab, leidet wegen des hohen Gewichts und der wuchtigen Reifen berghoch aber umso mehr. Ein Racebike verfehlt den Einsatzbereich wegen mangelnden Abfahrtspotenzials aber ebenso. Hier kommen die Trailbikes ins Spiel. Frei von Extremen positionieren sie sich zwischen den unerschütterlichen Nehmerqualitäten von Enduros und dem beflügelnden Antritt von Racebikes. Das eröffnet ein extrem breit gefächertes Einsatzspektrum. Trailbikes sind meist leicht genug für die flotte Feierabendrunde, bieten aber dennoch
genügend Reserven für technisch anspruchsvolles Gelände.
Sieben dieser vermeintlichen Alleskönner treten in diesem Test gegeneinander an. Die Preisspanne erstreckt sich von 3999 Euro bis 4999 Euro. Zusätzlich mischt noch das 3199 günstige Referenz-Bike von Radon mit. Das Erfolgsrezept für einen möglichst facettenreichen Einsatzbereich lautete bislang: 130 Millimeter Federweg und 29-Zoll-Laufräder gepaart mit moderaten Geometriedaten. Bei den Komponenten wählen die meisten Hersteller einen Mittelweg: einigermaßen leicht, aber dennoch so stabil, dass auch anspruchsvolleres Gelände möglich ist. Dieser Entwicklungsansatz hält das Gewicht im Zaum, schafft aber gleichzeitig Reserven bergab und erhöht den Komfort auf langen Touren.
Überfliegt man die Eckdaten unserer Testgruppe, passen nur die Bikes von Scott, Cube und Radon noch in dieses Schema. Bis zuletzt galt auch das Erfolgs-Fully Canyon Neuron noch als Blaupause eines Trailbikes. Mit der Neuvorstellung im Frühjahr wuchs der Federweg an Front und Heck aber einheitlich auf 140 Millimeter. Damit gehören die Koblenzer nun zur hublastigeren Sorte Trailbikes. Bei der Konkurrenz von Norco und Merida rücken die Abfahrtsqualitäten noch weiter in den Vordergrund: Der Federweg des Norco Fluid misst genau wie bei Canyon 140 Millimeter. Darüber hinaus erteilt Norco dem Fluid mit Reifen aus dem Enduro-Sortiment, einem Dämpfer mit Ausgleichsbehälter und wuchtigen Alu-Parts die Lizenz zum Shredden. Und das Merida? Das Bike des Branchenriesen wildert mit einer 150er-Gabel samt dicken 36er-Standrohren streng genommen schon im All-Mountain-Segment. Ebenfalls mit potenten Reifen und einer laufruhigen Geometrie kombiniert, verfügt das One Forty über immense Nehmerqualitäten bergab. Lediglich die 140 Millimeter Federweg am Heck verweisen noch auf die Zugehörigkeit zur Trailbike-Kategorie.
Die Gegenbewegung zu den bergaborientierten Modellen bilden Down-Country-Bikes wie das Hei Hei von Kona. Mit dieser Unterart wollen die Hersteller Trailbikes wieder fit für die Langstrecke machen. Ihre Fahrwerke sind statt auf maximalen Komfort, auf Vortrieb getrimmt. Bei der Reifenwahl sticht geringer Rollwiderstand Pannenschutz und Grip, und die Sitzpositionen fallen sportlicher aus. Bleibt noch das außergewöhnlichste Bike in diesem Test, das Arc8 Essential SLX. Das Konzept: Racebike am Heck, Enduro an der Front. So bietet das Essential mit nur 118 Millimetern Federweg in puncto Fahrwerk die geringsten Reserven. Ganz anders die Lage vorne: Mit einem 64,5-Grad-Lenkwinkel, einer 140-Millimeter-Pike-Gabel und fast 500 Millimetern Reach in Größe L verzeichnet das Arc8 Maße, die man sonst nur an ausgewachsenen Enduros findet.
So viel zur Bestandsaufnahme. Neben der unterschiedlichen Gewichtung von Klettereigenschaften und Downhill-Qualitäten unterscheiden sich die Kontrahenten auch bei der Wahl des Rahmenmaterials. Canyon, Kona und Arc8 setzen komplett auf Carbon. Bei Cube und Scott besteht nur der Hauptrahmen aus Kohlefasern. Am Hinterbau kommt Aluminium als Werkstoff zum Einsatz. Die abfahrtsstarken Kandidaten von Norco und Merida werden dagegen komplett aus Alu geschweißt. Gleiches gilt für das deutlich günstigere Referenz-Bike von Radon. Arc8 nutzt das Potenzial der Kohlefasern am besten und stellt mit 1740 Gramm den mit Abstand leichtesten Rahmen auf die Räder. Den ersten Platz der Gesamtgewichtswertung beansprucht allerdings das exzellent ausgestattete Cube für sich. Die Alu-Bikes landen mit Gewichten zwischen 15 und 16 Kilo weit abgeschlagen. Zum Vergleich: Bei unserem letzten Enduro-Test in BIKE 6/23 wogen die sechs Bikes zwischen 2699 und 10999 Euro im Schnitt 15,22 Kilo. Auch spannend: Trotz der Hybrid-Bauweise bei Scott setzt sich das Spark an die Spitze der Steifigkeitswertung. Radon bildet in dieser Hinsicht das Schlusslicht. Neben unserem Prüfstand attestierte aber auch unsere Testcrew dem Skeen Trail im Grenzbereich ein wenig präzises Fahrgefühl.
Beim Blick auf die Ausstattung liefern sich Canyon und Cube ein einsames Rennen an der Spitze. Trotz teurer Carbon-Rahmen bleiben bei den Anbauteilen keinerlei Wünsche offen. Scott, Arc8 und Kona punkten zwar ebenfalls mit edlen Chassis, beim Fahrwerk verzichten aber alle drei Kandidaten auf Premiumqualität. Ein abschließendes Lob geht an die Produkt-Manager von Norco: Dank des günstigeren Alu-Rahmens schaffen die Kanadier finanziellen Spielraum und verbauen das beste Fahrwerk. Die Fox-Kombi aus 34er-Factory-Gabel mit Grip2-Kartusche und Float-X-Dämpfer aus der Performance-Elite-Baureihe ermöglicht die vielseitigste Dämpfungskontrolle und lässt sich perfekt an den persönlichen Fahrstil anpassen. Damit bändigt das Norco selbst zornige Trails fast so souverän wie eins meiner geliebten Enduros.
So vielseitig der Einsatzbereich von Trailbikes ist, so unterschiedlich sind die Bikes in diesem Test. Je nachdem, wie das Bike-Revier vor der eigenen Haustüre aussieht oder wie man den persönlichen Einsatzbereich definiert, kann jedes der Test-Bikes die richtige Wahl sein. Dementsprechend eng liegen die Bikes auch in der Punktewertung beisammen. Lediglich das Canyon Neuron kann sich mit den ausgewogensten Fahreigenschaften
und einem super Ausstattungspaket absetzen und sichert sich damit souverän den Testsieg.
Das Canyon Neuron liefert die ausgewogenste Gesamtleistung, gewinnt die Uphill-Wertung und dominiert damit diesen Vergleich. Scott schnürt das zweitbeste Gesamtpaket. Die überzeugendste Downhill-Performance geht an das Norco. Auch erwähnenswert: Merida glänzt mit viel Liebe zum Detail in der Usability- und Mehrwert-Wertung.
Steifigkeit: Grau: Stiffness-to-Weight (STW), der Quotient aus Steifigkeit und Rahmengewicht. weiß: absolute Steifigkeit in Newton pro mm Auslenkung. Die Messungen wurden auf einem Prüfstand des Zedler-Instituts ermittelt.
Trägheitsmoment Laufräder: Je niedriger der Wert, desto besser lassen sich die Laufräder beschleunigen.
Fußnoten: Gewicht¹: BIKE-Messwerte, ²mit Pedalen (350 g), ³ohne Dämpfer, mit Steckachse hinten, ⁴mit Reifen, Kassette und Bremsscheiben
Kaum eine Bike-Gattung wird von den Herstellern so divers bespielt wie die der Trailbikes. Während manche ihr Top-Modell mit unter 5000 Euro bepreisen, fängt bei anderen das Portfolio da erst an. Hier die besten Alternativen zu unseren Test-Bikes.
Preis 5599 Euro / Gewicht 11,9 Kilo / Federweg 140 / 130 Millimeter
Preislich geht es von der getesteten SLX-Variante bei Arc8 nur nach oben. Doch der Shimano-XT-Antrieb ist nicht das einzige Upgrade am nächst teureren Modell. Neben einem Fox-Performance-Fahrwerk kommen DT-Swiss-Systemlaufräder zum Einsatz. Die Arc8-Faserwerk-Cockpit-Einheit aus Carbon trägt zum Traumgewicht unter zwölf Kilo bei.
Preis 1899 Euro / Gewicht 15,1 Kilo / Federweg 140 / 130 Millimeter
Bei Canyon gibt’s den Einstieg in die Neuron-Familie zum absoluten Kampfpreis. Die Geometrie des Aluminiumrahmens ist identisch mit dem von uns getesteten Carbon-Modell, bringt aber etwas mehr Pfunde auf die Waage. Dank Shimanos Deore-Zwölffach-Antrieb und Vario-Stütze kommt man selbst für unter 2000 Euro auf seine Touren-Kosten.
Preis 1999 Euro >> hier erhältlich / Gewicht 14,9 Kilo / Federweg 130 / 122 Millimeter
Für unter 2000 Euro stattet Cube die Aluminiumversion des One22 mit einer Rockshox-Judy-Silver-Gabel und einem Manitou-Radium-Expert-Dämpfer aus. Auch eine Dropper-Post, ein Newmen-Cockpit und ein Sram-NX-Eagle-Antrieb sind im Sparpaket enthalten. Das Gewicht bleibt unter dem der günstigen Alu-Konkurrenz.
Preis 6999 Euro / Gewicht 12,3 Kilo / Federweg 120 / 120 Millimeter
In Deutschland bietet Kona 2023 unter dem Namen Hei Hei nur noch zwei Carbon-Bikes an. Das Top-Modell schaltet mit Srams GX Eagle AXS via Funk und gleitet dank Rockshox-Sid-Ultimate-Fahrwerk geschmeidig über den Trail. Während das Preisschild schmerzt, bleibt dies den Beinen dank geringem Gewicht erspart.
Preis 2799 Euro / Gewicht 16,9 Kilo / Federweg 140 / 143 Millimeter
Die progressiven Geometriedaten des One Forty bietet Merida schon für unter 2800 Euro an. Im Vergleich zum getesteten 700er-Modell müssen Biker dafür Abstriche beim Fahrwerk machen und mit einer günstigen SR-Suntour-XCR34-Gabel leben. Außerdem ist das Einstiegsmodell noch mal rund 1,2 Kilo schwerer. Dafür bietet der Rahmen eine solide Basis für anspruchsvolle Trails.
Preis 2799 Euro / Gewicht 16 Kilo / Federweg 140 / 130 Millimeter
Zum gleichen Preis wie bei Merida gelingt Norco der Einstieg ins Trailbike-Portfolio – leider mit Extra-Pfunden. Mit Rockshox-Recon-Silver-Gabel, X-Fusion-Dämpfer und Tektro-Bremsen schnüren die Kanadier ein günstiges Ausstattungspaket. Der Antrieb ist eine bunte Mischung aus Shimano-Deore-, Sun-Race- und FSA-Teilen. Dafür ist der Alu-Rahmen identisch mit dem des Top-Modells.
Preis 4199 Euro / Gewicht 13,8 Kilo / Federweg 140 / 120 Millimeter
Während es das Skeen Trail mit Aluminiumrahmen bereits ab 2499 Euro gibt, bietet der Bonner Versender auch eine Carbon-Variante mit Top-Ausstattung an. Dank Fox-Factory-Fahrwerk, Magura-MT5-Bremsen, Newmen-Laufrädern und Sram-X01-Eagle-Schaltwerk bleiben keine Wünsche offen. Laut unserer Laborwaage spart das Upgrade auf den Carbon-Rahmen alleine gut 900 Gramm.
Preis 3199 Euro >> hier erhältlich / Gewicht 15 Kilo / Federweg 130 / 120 Millimeter
Den Einstieg in die Trailbike-Kategorie lässt sich Scott teurer bezahlen als die Konkurrenz. Dafür ist auch der X-Fusion-Dämpfer mit Twinloc-Technologie im Aluminiumrahmen integriert. Scott kombiniert eine Rockshox-Judy-Silver-Gabel und eine Antriebsmischung aus Sram SX und NX Eagle zu einer bodenständigen Basisausstattung. Optisch auch so ein absoluter Hingucker!