FREERIDE: Die New-World-Disorder-Serie, Rad Company, Where the Trail Ends – Deine letzten Bike-Filme sind eine Weile her. Warum jetzt ein neuer Film?
Derek Westerlund: Wir stecken mittlerweile in der vierten Generation Freerider. Brage Vestavik zum Beispiel war noch nicht einmal geboren, als der erste NWD-Film rauskam. Diesen Menschen will ich eine Insider-Perspektive geben, wie Freeriding überhaupt zustande kam. Das ist eine Geschichte, die erzählt werden muss, und mein Film Nothing’s for Free erzählt sie.
Um die Freeride-Pioniere hochleben zu lassen?
Ja, auch das. Ich wollte die Leute feiern, die den Sport vorangebracht haben und den Grundstein legten, für das, was heute passiert. Denn: Wir haben mit dem Scheiß angefangen (lacht).
Du warst von Anfang an dabei. Welcher Moment in der Freeride-Geschichte kommt Dir als erstes in den Sinn?
Als ich sah, wie Brage den Jah-Drop wiederholte, den Bender vor über 20 Jahren sprang. Damals war es Bender, der zeigte, was im Freeriding alles möglich ist. Heute ist es Brage, der Grenzen verschiebt.
Der Jah-Drop! Das ist eine Sensation. Wie kam’s dazu?
Die ganze Unternehmung war irre. Es fühlte sich an, als würden wir versuchen, Osama Bin Laden zu fangen. Wir hatten keine Genehmigungen, rückten aus in Nacht und Nebel wie Strauchdiebe und mussten Native Land betreten, um den Stunt zu filmen. Wir brachen mit all meinen Verhaltensregeln – doch in diesem Fall war es das wert.
Wer kam auf die Idee?
Er – Brage!
Deine Reaktion?
Nun, wenn’s einer kann, dann vermutlich er. Letztes Jahr hatte ich mir den Jah-Drop angeschaut. Zum ersten Mal seit über 20 Jahren. Ich war ganz überrascht, dass die Landung steiler geworden war und hart wie Beton. Doch als wir dieses Jahr hinkamen, war der Boden seltsamerweise wieder weich. Die Erosion, das Wetter – keine Ahnung. Brage wollte eine harte Landung und den Drop machen, ohne etwas zu verändern. Doch nun mussten wir die Landung verdichten, sonst wäre er wie ein Zaunpfahl stecken geblieben.
Hat das funktioniert?
Der Aufprall war so heftig, dass er dennoch eingesunken ist. Danach schleuderte es ihn nach oben, doch er konnte sich auf dem Rad halten und es irgendwie ausfahren. Eine wilde Aktion, die mir zeigte, dass ich zu alt bin für den Scheiß.
Du meinst, dass Du fast einen Herzinfarkt bekommen hättest?
Ja, viel zu aufregend! Ich hätte einen Herzinfarkt bekommen, wenn ich ihn hätte droppen sehen. Doch ich stand neben ihm oben am Absprung und musste mich verstecken, um nicht im Bild zu sein. Ich sah ihn also nur über die Kante verschwinden. Schon das war krass.
Schließlich kann alles passieren.
Eben. Nach einem Leben im Actionsport-Business wird dein Nervenkostüm löchrig. Ich kann nicht mehr zusehen, wie sich Leute verletzen.
Geht’s darum in Nothing’s for Free?
Ja, wir stellen die Frage, ob sich das Risiko lohnt. Früher, als die Industrie blühte, glaubten wir, ein Geschäftsmodell gefunden zu haben, das den Athleten den Rücken freihält. Doch heute scheint niemand das enorme Risiko zu beachten, das die Sportler eingehen. Es geht nur noch um Zahlen, die Athleten sind austauschbar.
Die Rampage-Rider leisten so viel für den Sport, doch sie werden behandelt wie Wegwerfartikel. Dabei sind sie die wahren Helden des Sports. – Derek Westerlund
Wie war Brage drauf kurz vor dem Drop? Denn sein Risiko scheint bei dem Stunt unkalkulierbar hoch.
Er wirkte ruhig, hatte seine Kopfhörer im Ohr und hörte norwegisches Black-Metall-Zeug. Und irgendwann sagte er: Go Time!
Ziemlich bad-ass!
Und das Krasseste: Er hatte keinen Anlauf. Bender hatte damals einige Radlängen vor dem Drop. Doch die Erosion hatte alles weggefressen. Brage konnte nur einen Hans-Rey-Hüpfer machen, quasi aus dem Stand, und dann plumpste er über die 17-Meter-Klippe.
Und weg war er!
Danach fühlte es sich an wie fünf Minuten. Wirklich. Ich drückte mich ins Gebüsch da oben und lauschte. Nervenzermürbende Stille und dann dieser üble Schlag. Ein Crash? Doch dann jubelten alle da unten, und ich wusste: Er hat es tatsächlich geschafft! Erst später sah ich den verrückten Rodeo-Ritt der Landung. Absolut crazy. Das muss man gesehen haben.
Wenn Du an all Deine New-World-Disorder-Filme denkst, welche Top-5-Stunts fallen Dir ein?
Früher wimmelte es nur so von Freeride-Helden. Welcher Rider passt heute auf Deine Definition eines Freeriders.
Ganz klar: Brage. Er besitzt die richtige Einstellung. Wäre die Rampage noch wie früher und kein Slopestyle-Event, würde er alles gewinnen. Oder Jaxson Riddle. Mich beeindruckt, dass Jaxson sein eigenes Ding macht und sich wenig um alles andere schert. Sein Style ist ganz eigen. Diese Individualität ist leider etwas verloren gegangen. Und natürlich Semenuk. Semenuk scheint über allen zu schweben.
Typen wie Semenuk haben den Sport geprägt. Wie steht’s mit Filmen. Welche drei Filme fallen Dir da ein?
Kranked. New World Disorder. Und Where the Trail Ends. WTTE ist für mich einer der ehrlichsten Mountainbike-Filme, die je gemacht wurden. The Collective mag eine ganz neue Ästhetik gehabt haben, doch ich finde nicht, dass der Film den Sport beeinflusst hat.
Jetzt ist die Zeit der großen Filme passé, es ist Insta-Schnipsel-Zeit.
Ha ha, na klar, darum geht es auch in meinem Film. Damals hat sich das Risiko noch gelohnt, du konntest damit eine Karriere aufbauen und ein gutes Leben führen. Doch in dem Instant-Media-Ding ist das nun ganz anders. Ich habe darüber mit Tom Van Steenbergen gesprochen.
Er meinte, er könne die krassesten Stunts machen, doch alle wollen nur seinen Crash sehen. Nix scheint mehr eine Rolle zu spielen. Ich hoffe, dass mein Film unter diesem Aspekt Augen öffnet.
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Die Aufmerksamkeit schrumpft, man hat gefühlt alles schon gesehen – da scheint es fast naiv, einen Film zu machen, für den die Leute auch noch bezahlen sollen.
Das, was ich zeige, hast Du noch nicht gesehen. Garantiert. Die Story ist krass. Es schockt, dass die Athleten für Gehälter alles riskieren, die sie auch bei McDonalds verdienen würden. Und es schockt zu erfahren, dass die Athleten ziemlich alleine dastehen, wenn sie sich ernsthaft verletzen.
Das muss die Welt erfahren?
Hell, yeah! Für alle Actionsport-Arten muss diese Story erzählt werden. Ich habe die Entwicklung aus der ersten Reihe erlebt und war dabei ein bisschen wie Doktor Frankenstein. Ich habe die Entwicklung selbst befeuert, was mir zu dem Zeitpunkt gar nicht richtig bewusst war. Wenn ich jetzt zurückblicke, erschrecke ich selbst. Die Message muss raus. Vielleicht kann die Botschaft die Menschen sensibilisieren und den Sport besser machen.
Lässt sich diese Entwicklung beeinflussen? Schwer vorstellbar!
Doch, ich kann mir eine Wiedergeburt des Freeridings vorstellen. Vielleicht funktioniert der Film wie eine Hymne, die den Sport, die Athleten und die Industrie wieder vereint. Überleg’ doch mal: Die Rampage bekommt mehr Views als der gesamte Worldcup, ja mehr als alle Bike-Racings zusammengenommen. Nur wissen das die Leute nicht, selbst Szenegrößen wie Specialized-Boss Mike Sinyard wissen das nicht. Kurzum: Die Rampage-Rider leisten so viel für den Sport, doch werden behandelt wie Wegwerfartikel. Dabei sind sie die wahren Helden, die Kids begeistern, mit Mountainbiken anzufangen. Die Bike-Industrie rafft nicht, wie wichtig Freeriding für den Sport ist, sie haben nach wie vor nur Racing im Sinn.
Mit New World Disorder hast Du Action-Porn produziert. Dein Film Nothing’s for Free ist eine Doku. Welche Dokus beeindrucken Dich?
Mich hat The Defiant Ones gestokt, die Doku über Jimmy Lovine & Dr. Dre. Weniger die Doku an sich, mehr das Editing und die visuelle Umsetzung. Das ist Benchmark, und daran habe ich mich orientiert. Ich wollte Regeln brechen und was anders machen. Oder die Doku über Shannon Hoon, den Sänger von Blind Mellon, die viel mit Originalaufnahmen arbeitet. Auch wir haben viele Originalaufnahmen benutzt, was roh und oldschool wirkt, doch dem Film eine besondere Wirkung verleiht. Ob die Rechnung am Ende aufgeht, wird sich zeigen.
Mich hat die Doku The Alpinist berührt, ein Film über den Kletterer André-Marc Leclerc.
Ein Red-Bull-Film. Auch ich habe viele Filme für Red Bull gemacht. The Alpinist ist ihr bester.
Du hast gesagt, dass Dich die Skifilme von Matchstick inspiriert haben. Warum wurde ihr Bike-Film A Biker’s Ballad so nichtssagend?
Die Jungs von Matchstick sollten das machen, was sie am besten können: Skifilme. Da sind sie die besten. Das ist der Grund, warum ich aufhörte, Bike-Filme zu machen: Wenn du der Erste bist und der Beste und die Benchmark gesetzt hast, dann solltest du nicht rummurksen. Warum dann der ganze Stress, wenn ich mich nicht steigern kann?
Auf welchen Deiner Filme bist Du besonders stolz?
Auf Where the Trail Ends.
Und welche Filmproduktion hat am meisten Spaß gemacht?
Vermutlich NWD 9 und NWD 10. Denn damals ging’s voll ab, Freeriding war am Höhepunkt, Semenuk startete gerade durch, und wir konnten machen, was wir wollten. Good Times! Das war auch der Grund, warum ich jetzt nicht bei NWD 23 gelandet bin, denn besser wäre es nicht geworden. Im Gegenteil, jetzt müsste ich mit einem Drittel des Budgets auskommen. Die Industrie investiert nicht mehr in coole Projekte, sie will gleich belohnt werden. Red Bull waren die einzigen, die das im letzten Jahrzehnt gemacht haben, doch auch sie haben sich jetzt in ein Social-Media-House verwandelt. Große Filmprojekte gibt es nicht mehr. Danke, liebes Internet!
Die Filmprojekte wurden aber auch immer extremer.
Da gebe ich Dir Recht. Zum Teil. Nimm z. B. North of Nightfall. Als wir den Film machten und Jeremy Grant das dritte Edit fertig hatte, dachte ich: Das ist ein Hammerfilm, so cool, so anders, damit revolutionieren wir, wie Menschen Sportfilme erleben. Und dann 20 Edits später, auf Druck von Red Bull, war es nur noch ein Ego-Trip von einer Handvoll weißer Rich-Kids, die zu Plätzen reisen, wo niemand sonst hinkommt, weil niemand so viel Geld hat. Das war für mich das Paradebeispiel dafür, wie ein Schuss nach hinten losgehen kann. Mit dem Geld hätte man auch was Vernünftiges machen können. Doch das Prinzip von Travis Rice, für sieben Millionen Dollar einen Snowboard-Film zu drehen, hat Actionsport zugrunde gerichtet. Wir brauchen keinen 7-Mio-Dollar-Snowboard-Film, wo reiche Bengel mit Helis in die letzten Winkel der Erde fliegen. Der Scheiß hat das ganze Genre pervertiert.
Krasse Erkenntnis! Die hätte ich von Dir nicht erwartet.
Ja, so sehe ich das. Vielleicht liegt es daran, dass ich schon so lange im Geschäft bin und die ganze Entwicklung mitbekommen habe – den kometenhaften Aufstieg der Actionsport-Arten. Und jetzt fast ihr Ende. All das Risiko, all der Einsatz, doch zu welchen Kosten? Das kann ich mir gar nicht mehr anschauen.
Wie, Du guckst Dir das nicht an?
Natürlich schaue ich mir die Clips von Fabio, Danny und Brandon an, denn sie haben so viel Zeit und Energie reingesteckt. Doch die lange Zeit im Geschäft hat mich abstumpfen lassen. Leider.
Wird Nothing’s for Free Dein letzter Freeride-Film?
Ja. Der Film ist mein Schluss-Akkord. Außer, ich mache doch noch New World Disorder 11 (lacht).