Jan Timmermann
· 23.02.2023
Eigentlich ist Biken ja ein rein analoger Sport – sollte man meinen. Spätestens seit der Erfolgswelle von Strava, Zwift und Co. ist diese These aber nur noch halb wahr. Mit den aktuellen Games und Apps findet Biken immer mehr einen Weg in die virtuelle Welt. Wir haben den neuesten digitalen Datensammler und Simulator getestet.
Auch beim Biken ist das Smartphone immer dabei. Damit haben Biker ein digitales Schweizer Taschenmesser im Rucksack oder in der Hosentasche, das ihnen zunehmend Mehrwert und Unterhaltung bieten kann. Überall auf der Welt treiben Software-Entwickler die Digitalisierung des Bikesports voran, und auch abseits des Bikes scheint “Hobby-Gamification” das Zauberwort der aktuellen Stunde zu sein. Nach der Fahrt belohnen Systeme, wie W3:Ride, Biker mit echten Boni, und dank Games, wie Bike Mechanic Simulator, lässt sich ein virtueller Bikeshop von der Couch aus managen. Viele Entwicklungen stecken noch in den Kinderschuhen, zeigen jedoch, wo der Weg hingehen kann. Ob man die digitalen Spielereien selber nutzen möchte, muss jeder Biker selbst entscheiden. Wir haben zwei Neuerscheinungen ausprobiert.
Menschen lieben Simulatoren! So gehört beispielsweise der Landwirtschafts-Simulator von Giants Software zu den meistverkauften PC-Games Deutschlands. Ein enormes Potential für einen fahrradspezifischen Werkstatt-Simulator also. Beim Bike Mechanic Simulator 2023 haben die polnischen Entwickler von Punch Punk S.A. die Herausforderung eines Bikeshops in ein Videospiel übersetzt. Bislang ist auf der Gaming-Plattform Steam nur eine kostenfreie Demoversion des Simulators downloadbar, eine vollwertige Version für den PC ist für die zweite Jahreshälfte 2023 geplant. Auch Versionen für die Playstation, die Xbox und die Nintendo Switch Konsolen sind in der Pipeline. Grundgedanke des Videospiels ist die Leitung eines Bikeshops und die virtuelle Reparatur von Fahrrädern. Die potentiellen “Patienten” reichen von Mountainbikes über Rennräder bis hin zu Citybikes.
Zentrale Herausforderung im Spiel ist die Reparatur defekter Bikes und der Austausch von Teilen. Dabei haben die Entwickler jedoch auch zahlreiche nicht minder wichtige Aspekte im Leben eines Bike-Mechanikers integriert. So kommt jedes Bike mit einer Auftragsliste vom Kunden. Die Aufgaben reichen vom einfachen Reifenaufpumpen bis zu komplexeren Tätigkeiten wie dem Zentrieren der Laufräder. Wie in der realen Welt sind für einige Aufgaben Spezialwerkzeug und Ersatzteile notwendig. Diese müssen auch im Spiel bestellt und bezahlt werden. Die eigentliche Herausforderung ist deshalb das Management von Aufträgen in puncto Zeit und Geld. Apropos Zeit: Wer länger spielt, wird auch in der Lage sein den virtuellen Shop weiter auszubauen. In der Zwischenzeit verkürzen zahlreiche Mini-Games, wie ein Basketballkorb am Hinterausgang der Werkstatt, das Warten auf bestellte Teile – wie im echten Leben eben.
Schon in der Demoversion lassen sich viele Stärken und Schwächen des Werkstatt-Simulators ausmachen. Von einem eigenen kleinen Shop träumen viele Biker. Die Idee des PC-Games holt Schrauber-Nerds und Werkstatt-Freaks deshalb sofort ab. Die einfache Grafik erinnert an ein altes Tony Hawk‘s Spiel á la Pro Skater. Fans von Retro-Games in der Optik der frühen 2000er freuen sich über die etwas finstere aber warme Atmosphäre des virtuellen Bikeshops. Auch die animierten Gegenstände, wie Werkbank, Werkzeug oder Hocker, rufen Erinnerungen an vergangene Sims Computerspiele wach. Hier wird bereits deutlich, dass hinter der Entwicklung von Bike Mechanic Simulator 2023 nicht das Riesenbudget eines EA Games Konzern steckt.
Positiv überrascht waren wir von den Spielmechanismen. Die Verwaltung von Aufträgen und Bestellungen am PC ist in den meisten Bikeshops Realität. Das Gerümpel-Chaos kleiner Schrauber-Klitschen allerdings auch. Schnell stellt sich das Gefühl der Abhängigkeit von Lieferzeiten und Verfügbarkeiten ein, das auch viele echte Werkstätten beherrscht. Dass dabei der virtuelle Kontostand immer im Blick und die räumliche Kapazitäten für die Einlagerung von Kundenbikes begrenzt ist, machen den Simulator immerhin in Teilaspekten realistisch. Leider stehen dem zahlreiche Kritikpunkte gegenüber, denn Menschen sind heute mit vielen guten, nicht-bikespezifischen Games verwöhnt.
Zwar kann man im Bike Mechanic Simulator auch an Mountainbikes werkeln, dabei ist aber nicht nur die Grafik, sondern auch die Technik Retro. Es mag sein, dass man in echten Bike-Shops immer noch 26 Zoll, siebenfach-Kassetten, Schnellspannachsen und Umwerfer zu Gesicht bekommt, Spaß macht das Schrauben an den “ollen Möhren” aber nicht. Auch beim Werkzeug bleibt die innere Befriedigung aus: Niemand will die Schrauben der Bremsscheibe mit einem billigen L-Schlüssel aus dem Ikea-Paket lösen – auch nicht in der Simulation! Unsere größte Kritik trifft aber die unrealistischen Arbeitsschritte. So müssen im PC-Game beispielsweise Schnellspanner, Reifen, Schlauch, Kassette und Bremsscheibe komplett entfernt werden, um ein Laufrad zu zentrieren. Die Minigames verlieren schnell ihren Reiz und so flaut die anfängliche Begeisterung für den eigenen Bikeshop schnell ab.
Fazit: Hinter dem Bike Mechanic Simulator 2023 steckt eine reizvolle Idee, die in der Praxis leider wenig befriedigend ist. Sofern die Vollversion des Videospiels in Retro-Optik nicht aktuelle Technik und realistische Arbeitsschritte bieten kann, ist der Simulator leider kein Spaßbringer. – Jan Timmermann, BIKE-Redakteur
Eine Großzahl von Bikern trackt ihre Fahrleistung in virtuellen Portalen wie Strava oder Komoot. Unzählige Fahrten landen täglich als Datensatz in diversen Apps. Zum Reiz der Software zählen meist verschiedene Belohnungssysteme wie virtuelle Pokale, Bestenlisten-Platzierungen und andere Auszeichnungen. Eines haben diese Gamification-Systeme gemeinsam: Sie sollen Biker dazu motivieren, möglichst viel Fahrrad zu fahren, und den Wunsch nach Anerkennung für erbrachte Leistungen befriedigen. Bislang sind all diese Belohnungen jedoch rein virtuell. Von gesammelten Strava-Kilometern können sich auch die eifrigsten Vielfahrer nichts kaufen. W3:Ride will das nun ändern und etabliert in der eigenen App ein System, das Belohnungen für die echte Welt verspricht.
Prinzipiell dreht sich das System um zwei unterschiedliche digitale Währungen. Durch das Hochladen einer Aktivität in die App gewinnt der User Punkte, genannt $Power, welche er wiederum in die eigentliche Währung $CYCLR umtauschen kann. Wie viel $Power eine Fahrt generiert, hängt von der Distanz, der Geschwindigkeit und dem In-App-Bonussystemen, wie gesammelten oder gekauften Items, ab. $Power kann dabei ausschließlich durch Radfahren generiert werden, während $CYCLR auch aus anderen digitalen Punkte- und Währungssystemen eingetauscht werden kann. Auf einem Marketplace können sich User für ihre $CYCLR dann In-Game-Boni, wie individuelle Räder oder Avatare kaufen, die dank NFT-Basis wiederum gehandelt werden können, oder reale Goodies, wie Trinkflaschen oder Energieriegel. Auch Gutscheine für allerhand Online-Stores, wie Amazon, oder Rabattcodes für die Online-Shops großer Sportartikelhersteller, wie Nike, stehen zum Kauf bereit. Besonders interessant ist jedoch auch der Handel von $CYCLR an digitalen Börsen und damit der Umtausch in Kryptowährungen, wie etwa Bitcoin oder Ethereum.
Erhältlich ist die W3:Ride App via Apple oder Google Play. Die Nutzung ist kostenlos und erfordert lediglich die einmalige Anlegung eines Kontos. Gut ist die Vernetzung mit bekannten Apps. So werden nach digitaler Zustimmung Aktivitäten aus Portalen, wie Strava, Komoot, Garmin Connect oder Wahoo Fitness, mit der W3:Ride App synchronisiert. Die Bedienoberfläche ist nutzerfreundlich und wer das System mit den zwei unterschiedlichen Währungen durchblickt hat, kommt mit der App schnell zurecht. Die Idee, mit dem eigenen Radfahren einen realen Mehrwert zu schaffen, ist faszinierend. Zumal die verdienten Erfolge auch gespendet werden können.
Leider ist es in der Realität gar nicht so einfach $Power zu verdienen. Dadurch, dass die Menge der ausgeschütteten Punkte von Distanz und Durchschnittsgeschwindigkeit bestimmt wird, gucken Mountainbiker dumm aus der Wäsche. Nach diesem System dürfte die App für Rennradfahrer und Indoor-Biker deutlich interessanter sein. Wie viele $Power eine hochgeladene Fahrt einbringt, ist zu großen Teilen aber auch abhängig davon, welches digitale Rad der Avatar fährt. Ist dieses besonders selten, vervielfachen sich die Punkte immens. Dank NFT-System sind die Räder und Avatare tatsächlich einzigartig, erinnern optisch aber mehr an buntes Kinderspielzeug, als an ernstzunehmende Sportgeräte. Wer ein seltenes Bike fahren will, muss dafür eine Menge $CYCLR hinlegen. Damit ist die App zwar grundsätzlich kostenlos, bringt aber erst mit In-Game-Käufen wirklich Erfolg und damit Spaß. Bislang ist $CYCLR auf den digitalen Börsen zudem wenig wert und das Tauschverhältnis zu anderen Kryptowährungen schwankt. Die anderen Kaufoptionen im Marketplace sind bislang eher unattraktiv. Rabattcodes gibt es auch woanders und gelabelte Trinkflaschen sind mehr Massenware der Eigenwerbung als echte Belohnungen.
Fazit: Der Gedanke, mit hochgeladenen Radfahrten echtes Geld zu verdienen, ist reizvoll und das Blockchain-basierte Belohnungssystem technisch faszinierend. Fest steht: Reich durch Radfahren wird man auch mit W3:Ride wohl nie werden - schon gar nicht als Mountainbiker. Durch den bislang noch etwas mauen Marketplace und das System aus In-Game-Käufen ist die App bislang eher Spielerei als potentielle Einnahmequelle. – Jan Timmermann, BIKE-Redakteur