Bike Fails & MTB CrashesWarum Unfall-Videos im Netz mehr Klicks bringen

Laurin Lehner

 · 01.05.2023

Bike Fails & MTB Crashes: Warum Unfall-Videos im Netz mehr Klicks bringenFoto: Lars Scharl

Crash-Sequenzen mit dem MTB sind Klick-Hits im Internet. Sensationslust, Schadenfreude, Blutdurst? Warum finden wir Misserfolge auf dem Bike - Bike Fails - interessanter als Erfolge?

Achtung: Wir alle haben den Gaffer in uns. Lange bevor es Youtube, Instagram, Facebook und Co. gab, beömmelten wir uns im TV an den Pleiten, dem Pech und den Pannen der Anderen, zum Beispiel bei den lustigsten Home-Videos der Welt. Kleine Schlamassel aber auch Unfälle: Fails und Crashes faszinieren uns einfach. Und die Klickzahlen im Internet beweisen: Sie faszinieren uns sogar besonders!

Die Athleten sollten sich nicht grämen, dass ihre Crashs höhere Klick-Raten erzielen als ihre gelungenen Stunts. – Dr. med. Ingo Schymanski, Psychotherapeut und Suchtmediziner

Aber warum finden wir Misserfolge interessanter als Erfolge, vor allem in Risikosportarten? Ist es Sensationslust, Schadenfreude oder Blutdurst? Wir haben einen Experten gefragt. Dr. med. Ingo Schymanski ist Psychotherapeut und Suchtmediziner. Er erforscht die neurologischen Prozesse in unserem Gehirn und sagt: Wenn Crash-Videos die besseren Klick-Hits im Internet sind, sollten sich die Athleten nicht ärgern. Das ist normal.

Dr. med. Ingo Schymanski ist Psychotherapeut und Suchtmediziner.Foto: Privatfoto
Dr. med. Ingo Schymanski ist Psychotherapeut und Suchtmediziner.

Adrenalinkick, Angst & Schadenfreude: Das fasziniert uns an Missgeschicken

Die Full-Speed-Passage im Downhill-Video, die Steilabfahrt, die einem den Atem raubt, der Balance-Akt über dem Abgrund oder der Monster-Drop – gefährliche Stunts lassen uns mitfiebern und treiben uns schon beim bloßen Anblick den Schweiß aus den Poren. Richtig spannend wird’s, wenn etwas schief geht. Dann flippt unser Gehirn regelrecht aus. Unser Experte sagt, warum.

Spiegelneuronen

Von zentraler Bedeutung bei allem, was uns emotional berührt, ist immer das Belohnungszentrum in unserem Gehirn. Das Belohnungszentrum wird besonders stark durch überraschende Ereignisse erregt. Läuft ein Stunt wie geplant, sehen wir eine gefährliche sportliche Höchstleistung und spüren dabei über Spiegelneuronen den Adrenalinkick, der den Athleten durchflutet.

GMBN postet regelmäßig neben dem #sendoftheday auch den #FAILOfTheDayFoto: Screenshot Instagram/@globalmountainbikenetwork
GMBN postet regelmäßig neben dem #sendoftheday auch den #FAILOfTheDay

Die Muskeln zucken!

Wer selbst eine ähnliche Sportart betreibt, kann sich dabei ertappen, wie er unwillkürlich ähnliche Bewegungen ausführt wie der Sportler, den er beobachtet. Geht etwas schief, wird die Situation besonders spannend. Während ein geglückter Stunt „wie erwartet“ über die Bühne geht, weckt ein Missgeschick sofort unser besonderes Interesse.

Aufregendes Kribbeln – Angst hält uns im Bann

Das Belohnungszentrum hat Verbindungen zu sehr vielen anderen Hirnbezirken. Schickt das Belohnungszentrum Signale an die Angstzentren (Mandelkerne), dämpft dies die Angst. Wir spüren vielleicht noch ein aufregendes Kribbeln, können uns aber doch nicht losreißen vom eigentlich schockierenden Anblick. Außerdem können wir mit unseren genauen Beobachtungen und Analysen im Kreise Gleichgesinnter unsere Expertise unterstreichen, was zu einem Gewinn an Sozialprestige führt.

Manchmal geht es recht glimpflich zu, wie beim BMX-Crash hierFoto: Screenshot Instagram/@globalmountainbikenetwork
Manchmal geht es recht glimpflich zu, wie beim BMX-Crash hier

Sozialprestige – Schadenfreude hilft, sich gut zu fühlen

Sozialprestige ist eines der stärksten Stimulanzien unseres Belohnungssystems. Letztlich, auch das sei nicht verschwiegen, kann Schadenfreude über einen missratenen Stunt dazu dienen, eigene Minderwertigkeitsgefühle zu mindern und das eigene Wohlbefinden zu steigern.

Fazit zur Psychologie des Zuschauerverhaltens:

Gelungene Stunts erregen weniger Aufmerksamkeit und Emotionen, weil sie außerhalb des Erwarteten kaum Überraschungen bieten. Crashs reichen emotional tiefer und sprechen ein breiteres Spektrum an Gefühlen an, angefangen bei Empathie (Mitfiebern, Angstlust, Lerneffekte) bis hin zur eigenen sozialen Aufwertung. Kein Athlet sollte sich grämen, dass seine Crashs höhere Klickraten erzielen als gelungene Stunts. Das eine bedingt das andere: großes Kino!

>> Buchtipp: Spannende Lektüre für alle, die mehr wissen wollen. “Im Teufelskreis der Lust - Raus aus der Belohnungsfalle” von Ingo Schymanski, 2015.

Manchmal sieht man schon, dass das richtig hart schiefgeht.Foto: Screenshot Instagram/@globalmountainbikenetwork
Manchmal sieht man schon, dass das richtig hart schiefgeht.


Früher war’s nur für die Outtakes, heute ist der Unfall Thema: Danny MacAskill hat die Wirkung der unplanmäßigen Unfälle verinnerlicht. In seinem Clip “Do a Wheelie” legt er sich schon nach zehn Sekunden aufs Kreuz: