Florentin Vesenbeckh
· 03.11.2022
Wie kein zweiter Motor steht der Specialized SL 1.1 für die Klasse der Light-E-MTBs. Die Power ist minimalistisch, das Gewicht richtungsweisend. Wie schlägt sich der Ur-Ahn der leichten E-Bike-Motoren gegen die aktuelle Konkurrenz? Ein Test in Labor und Praxis.
Der Specialized SL 1.1 ist so etwas wie der Ur-Ahn der Light-Motoren. Mit der Vorstellung des Specialized Levo SL Anfang 2020 wurden Light-E-MTBs salonfähig. Und bis heute gibt es nur wenige E-All-Mountains, die an das richtungsweisende Gewicht des Levo SL herankommen. Das liegt nicht zuletzt am leichten und minimalistischen Antrieb, der seit 2020 unverändert besteht. Für unseren großen Vergleichstest leichter E-Bike-Antriebe konnten wir den Specialized SL 1.1 E-MTB Antrieb ausführlich in Labor und Praxis testen.
Den SL 1.1 gibt es im E-MTB ausschließlich in Kombination mit einem fest verbauten 320-Wh-Akku. Die Batterie kann zum Laden oder Wechseln auf Tour nicht herausgenommen werden. Um die Reichweite zu erhöhen, steht ein Range-Extender im Trinkflaschenformat zur Verfügung. Die 160Extra-Wattstunden wiegen gut ein Kilo und passen problemlos auch in kleinere Rucksäcke. Verbaut wird der Antrieb im Trailbike Levo SL (150 mm / 29 Zoll) oder im Enduro Kenevo SL (170 mm / 29 Zoll).
Das Specialized-System gehört zu den minimalistischeren Antrieben des Vergleichs. Das macht sich auch im Fahrgefühl bemerkbar. Der Aha-Effekt, den klassische E-Bike-Motoren mit ihrer plakativen Power bieten, bleibt beim SL 1.1 aus. Denn der Schub des Motors ist selbst bei voller Unterstützung eher dezent. Gerade bei niedrigen Kadenzen fehlt dem Sl 1.1 im Testvergleich etwas der Wumms. Wer mit falschem Gang in einen Gegenanstieg gerät, kann vom Motor nur wenig Schub erwarten. Bei hoher Trittfrequenz ist die Leistung aber ordentlich. Vorteil der gezähmten Power: Das Fahrgefühl bleibt recht geschmeidig. Fahrrad-, statt Moped-Feeling. Wer genau reinspürt, bemerkt beim SL 1.1 allerdings eine recht gleichförmige Kraftentfaltung. In der Grundeinstellung ist der Schub deutlich vom Fahrerinput entkoppelt. Das heißt, der SL 1.1 bringt seine Leistung, egal ob man locker oder kräftig in die Pedale tritt. Wer ein spritzigeres Fahrgefühl möchte, kann die Modi über die gute App Mission Control deutlich dynamischer einstellen. Das passt insgesamt viel besser zum SL-Konzept. Im Gelände fühlt sich der Antrieb in Summe harmonisch an, doch das laute Antriebsgeräusch stört das ansonsten runde Bild deutlich.
Der Test des Specialized SL 1.1 fand im Rahmen eines großen Vergleichs diverser leichter E-Bike-Motoren statt. Unseren Übersichtsartikel inkl. Vergleichswerten gibt´s hier.
Die Power des Specialized SL 1.1 liegt am unteren Ende unseres Testfeldes. Unser Labortest hat eine maximale Leistung von 234 Watt ergeben. Auch das maximale Drehmoment von 36 Newtonmetern liegt deutlich unter den stärksten Testkandidaten. Dafür ist die Leistungskurve ausgewogen. Erst bei sehr hohen Trittfrequenzen über 110 U/min bricht die Leistung deutlich ein. Ebenfalls im Labortest klar ersichtlich: In der Werkseinstellung reagiert der Motor stark auf veränderte Trittfrequenzen, die Fahrerleistung nimmt hingegen keinen Einfluss auf den Output des Motors. Heißt: Im Turbo-Modus bringt der SL 1.1 seine volle Power schon bei minimalem Tretimpuls von 80 Watt. Gibt der Fahrer mehr Gas, kommt vom Motor nicht mehr nach.
Dauerlast ist für die kleinen und leichten E-Bike-Antriebe ein diffiziles Thema. Denn wer aus einem kompakten Antrieb möglichst viel Leistung herauskitzeln möchte, läuft Gefahr, ein Problem mit der Hitzeabfuhr zu bekommen. Bei Specialized scheint das überhaupt kein Thema zu sein. Seine 234 Watt liefert der Antrieb auch unter widrigeren Bedingungen dauerhaft und ohne Murren ab. In unserem standardisierten Testszenario, einer Bergfahrt unter Dauer-Volllast, erreichte der SL 1.1 zu keiner Zeit bedenkliche Gehäusetemperaturen. Auch einen Leistungsverlust konnten wir nicht feststellen. Das Gesamtsystem mit dem 320er-Akku ist passend zur Leistung des SL 1.1 ausgelegt. Trotz vergleichsweise geringer Kapazität erkletterte das Specialized-System bei höchster Unterstützung rund 1050 Höhenmeter und lieferte über eine Stunde Turbo-Schub. Die Fahrerdaten dazu: Fahrergewicht 89 Kilo, 150 Watt Tretleistung, Kadenz 80 U/min.
Das Antriebsgeräusch des SL 1.1 ist aus unserer Sicht die größte Schwäche des Specialized-Motors. Denn trotz geringer Leistung gehört der Motor zu den lautesten der Light-Klasse. Und nicht nur das. Ein Lautstärkeunterschied zu einem klassischen Bosch- oder Shimano-Motor ist nicht feststellbar. Der Sound ist eher hochfrequent und wurde von den meisten Testern als tendenziell unangenehm beschrieben. Selbst wenn man in den Eco-Modus wechselt bleibt das Geräusch zu jeder Zeit klar wahrnehmbar und störend.
So stellen wir uns gelungene Bedienelemente vor! Der Shifter ist unauffällig, aber top bedienbar. Der kleine Screen im Oberrohr wirkt richtig wertig, lässt sich individuell mit Datenfeldern bestücken und bietet einen großen Funktionsumfang. Trotzdem hat man nicht das Gefühl, mit einer überladenen Multimediazentrale durch den Wald zu schippern. In manchen Datenfeldern fällt die Schrift grenzwertig klein aus, über die App-Einstellung lässt sich das aber einfach lösen. Die Bedienung des Systems ist insgesamt sehr intuitiv, die Integration absolut schlank. Der kompakte Shifter am Lenker ist ebenfalls unauffällig, die Tasten geben gutes haptisches Feedback und liegen ergonomisch am Griff. Insgesamt machen die Bedienelemente einen sehr wertigen und ausgereiften Eindruck.
Die App Mission Control ist ein ziemlich umfangreiches und vergleichsweise ausgereiftes Tool. Neben einer sinnvollen Feineinstellung der drei Fahrmodi (verschiedene Pre-Sets speicherbar) gibt es System-Updates, Fehlerdiagnose, Infos zur Systemhistorie und sogar eine smarte Power-Regulation. Dabei verspricht Specialized, dass das Bike die Unterstützung so wählt, dass der Akku für die geplante Tour ausreicht. Auch eine Kopplung der Motorunterstützung an die Herzfrequenz ist möglich.
“Das Specialized-System ermöglicht richtig leichte E-MTBs. Das haben die Amerikaner mit dem Levo SL bewiesen, das noch immer Maßstäbe in der Kategorie leichter Trailbikes setzt. Das System ist eines der leichtesten im Test. Bezüglich Leistung gehört der SL 1.1 aber zu den Minimalisten. Leider ist der Motor dennoch sehr laut. Hier hat Specialized durch die aktuellsten Light-Antriebe von Fazua und TQ mehr als ernstzunehmende Konkurrenz bekommen.
Wir sind schon gespannt, ob Specialized mit der nächsten Ausbaustufe seines Light-Antriebs da noch einen drauf legen kann. Absolute Spitzenklasse sind hingegen die intuitiven Bedienelemente und die umfangreiche App des Specialized-Systems. Gerade das Mastermind-Display setzt durch die gelungene Kombi aus schickem Design, schlanker Integration und großem Funktionsumfang bis heute eine Benchmark.”