Kenevo SLEin Schwergewicht wird leicht

Florentin Vesenbeckh

 · 13.05.2021

Kenevo SL: Ein Schwergewicht wird leichtFoto: Adrian Kaether
Kenevo SL: Ein Schwergewicht wird leicht

Das Levo SL hat den Hype der Light-E-MTBs so richtig entfacht. Jetzt bringt Specialized ein weiteres E-MTB mit dem minimalistischen Antrieb heraus. Ein Vollgas-Enduro auf Diät. Geht das Konzept auf?

Gegensätze ziehen sich bekanntlich an. Vielleicht haben sich das die Ingenieure von Specialized bei der Konzeption des nagelneuen Kenevo SL auch gedacht. Denn hier treffen 170 Millimeter Federweg, 29er-Laufräder, massive Komponenten und eine extreme Abfahrtsgeometrie auf das Superleicht-Konzept des SL 1.1-Antriebs, der aus dem Trailbike Levo SL bekannt ist. Was kommt heraus? Das ultimative Bike für alle Enduro-Fahrer? Oder ist die wilde Mischung nur ein fauler Kompromiss?

  Das Kenevo SL Expert in seiner vollen Pracht. Ähnlichkeiten mit dem Specialized-Modell "Enduro" sind ausdrücklich gewollt.Foto: Adrian Kaether
Das Kenevo SL Expert in seiner vollen Pracht. Ähnlichkeiten mit dem Specialized-Modell "Enduro" sind ausdrücklich gewollt.

Aber von vorne. Das Kenevo SL müsste eigentlich Enduro SL heißen, denn es sieht dem unmotorisierten Specialized-Modell Enduro extrem ähnlich – dem E-Freerider Kenevo dagegen überhaupt nicht. Auffälligste Gemeinsamkeit zwischen Kenevo SL und Enduro: der Hinterbau mit dem tiefliegenden Dämpfer und komplizierter Umlenkung. Und genau diese Hinterbaukonstruktion war die treibende Motivation hinter dem Bike. „Wir wollten unbedingt ein E-Bike mit diesem überragenden Konzept bauen“, erzählt Marco Sonderegger, Turbo-Entwickler bei Specialized. Doch die aufwändige Konstruktion mit einem E-Antrieb zu kombinieren, war richtig schwierig. Erst der schlanke SL-Antrieb machte das möglich.

  Schlank, leicht – und verhältnismäßig schwach. Der Specialized SL 1.1 Motor ist sehr kompakt und liefert 35 Newtonmeter und 240 Watt Leistung.Foto: Adrian Kaether
Schlank, leicht – und verhältnismäßig schwach. Der Specialized SL 1.1 Motor ist sehr kompakt und liefert 35 Newtonmeter und 240 Watt Leistung.

Doch der Hinterbau ist nicht das einzige Vermächtnis des Enduro. 170 Millimeter Federweg, 29er-Laufräder, und eine sehr lange und flache Geometrie sind weitere Gemeinsamkeiten. Heißt: Das Kenevo SL ist bedingungslos auf harte und anspruchsvolle Abfahrten ausgelegt. Die dicke Fox 38 zeigt, dass die Amerikaner wenige Zugeständnisse an das SL-Konzept auf Kosten der Abfahrtsstärke gemacht haben. Das Gewicht bleibt mit 19,1 Kilo (EMTB-Messung, Modell Expert, Größe S4) trotzdem noch beachtlich. Vergleichbare E-MTB-Enduros mit klassischem Antrieb wiegen locker zwischen 23 und 26 Kilo.

Der Antrieb des Kenevo SL

Motor und Akku des Kenevo SL sind identisch mit dem Levo SL, das vor einem Jahr vorgestellt wurde. Heißt: SL 1.1 Motor, den Specialized gemeinsam mit Mahle entwickelt hat, und ein fest im Unterrohr verbauter Akku mit 320 Wattstunden. Wem das Konzept Minimal-Assist- oder Light-E-MTB noch nichts sagt, dem sei in aller Kürze erklärt: Die vergleichsweise geringe Leistung von 240 Watt und ein Drehmoment von 35 Newtonmetern sollen dafür sorgen, dass die 320 Wattstunden dennoch eine ordentliche Reichweite liefern. Mit der prallen Power gängiger Bosch-, Shimano- oder Brose-E-Bikes hat der SL aber wenig gemein. Die Leistung ist deutlich geringer. Das Konzept richtet sich an Biker, die vom Motor lediglich eine leichte Unterstützung wollen und selbst bereit sind, kräftig in die Pedale zu treten.

  Auch auf dem Oberrohr des Kenevo SL prangt das neue TCU2-Display, das <a href="https://www.bike-magazin.de/emtb/e_mtb_news_neuheiten/specialized-turbo-levo-2021" target="_blank" rel="noopener noreferrer">vom neuen Levo bekannt</a>  ist. Individuell konfigurierbar, schlank und funktionsbepackt. Ein smarter Screen.Foto: Adrian Kaether
Auch auf dem Oberrohr des Kenevo SL prangt das neue TCU2-Display, das vom neuen Levo bekannt ist. Individuell konfigurierbar, schlank und funktionsbepackt. Ein smarter Screen.
  Die Bedieneinheit bleibt kompakt und ergonomisch. Mit dem oberen Knopf kann durch die Seitenansichten des Displays gescrollt werden.Foto: Adrian Kaether
Die Bedieneinheit bleibt kompakt und ergonomisch. Mit dem oberen Knopf kann durch die Seitenansichten des Displays gescrollt werden.
  Speedsensor-Integration: Next Level! Der Geschwindigkeitssensor ist komplett im Ausfallende eingelassen. Das einzig sichtbare Teil ist eine kleine Schraube und das Kabel im Spalt zwischen Kettenstrebe und Ausfallende. So geht Integration.Foto: Adrian Kaether
Speedsensor-Integration: Next Level! Der Geschwindigkeitssensor ist komplett im Ausfallende eingelassen. Das einzig sichtbare Teil ist eine kleine Schraube und das Kabel im Spalt zwischen Kettenstrebe und Ausfallende. So geht Integration.

Der SL-Antrieb im ausführlichen (Reichweiten)Test

Wer mehr über den SL-Antrieb wissen will und wie er sich im Vergleich zu anderen Light-Konzepten schlägt, sollte sich die EMTB-Ausgabe 2/21 näher anschauen. Hier haben wir das Levo SL, Orbeas Rise und das Rotwild R.X 375 im Shootout der Light-E-MTBs getestet. Inklusive aufwändigem Reichweitenvergleich und vielen Details zu den Motorsystemen. Hier geht´s direkt zur Ausgabe!

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Die Geometrie des Specialized Kenevo SL

Die Ähnlichkeit mit dem Enduro bleibt nicht allein auf die Optik beschränkt. Auch in Sachen Geometrie orientiert sich das Kenevo SL stark am motorlosen Abfahrtsboliden, glänzt jedoch im Unterschied zum Enduro mit einer umfangreichen Geometrieverstellung, wie man sie zum Beispiel vom Stumpjumper Evo oder vom neuen Levo kennt.

Über einen Flipchip in den Kettenstreben lässt sich das Tretlager um vier Millimeter anheben, wobei sich gleichzeitig die Kettenstreben um fünf Millimeter verkürzen und der Lenkwinkel um circa ein halbes Grad ansteigt. Außerdem lässt sich der Lenkwinkel separat mithilfe des mitgelieferten Winkelsteuersatzes feintunen. Ab Werk kommt das Bike mit der mittleren Schale, wer den Lenkwinkel um ein Grad anheben will, baut einfach statt der mittleren die Zusatzschale ein. Dreht man die Schale, flacht der Lenkwinkel um ein Grad ab.

Durch die Verstellung mit Flipchip und Lagerschalen sind sechs verschiedene Geometriekombinationen von Touren-Enduro bis Bügeleisen möglich. Wir sind das Bike für ein etwas handlicheres Fahrverhalten mit hohem Tretlager und der Standard-Schale im Steuersatz gefahren. Die Geometriedaten zu dieser Einstellung findet ihr unten in der Tabelle.

  Über den Flipchip an der Kettenstrebe kann die Tretlagerhöhe angepasst werden. In der tiefen Position sind die Kettenstreben etwas länger (447 statt 442 Millimeter), zudem werden die Winkel noch flacher.Foto: Adrian Kaether
Über den Flipchip an der Kettenstrebe kann die Tretlagerhöhe angepasst werden. In der tiefen Position sind die Kettenstreben etwas länger (447 statt 442 Millimeter), zudem werden die Winkel noch flacher.
  Weitere Anpassungsoption: Eine mitgelieferte Lagerschale kann in zwei Positionen ins Steuerrohr eingesetzt werden. Das verändert Lenk- und Sitzwinkel aus der neutralen Position um plus bzw. minus ein Grad.Foto: Adrian Kaether
Weitere Anpassungsoption: Eine mitgelieferte Lagerschale kann in zwei Positionen ins Steuerrohr eingesetzt werden. Das verändert Lenk- und Sitzwinkel aus der neutralen Position um plus bzw. minus ein Grad.

Die Fakten zum Kenevo SL

  • Specialized 1.1 Motor (35 Newtonmeter, 240 Watt)
  • 320 Wh Akku, fest im Unterrohr integriert
  • optional 160 Wh Zusatz-Akku im Flaschenhalter
  • 170 mm Federweg (v + h)
  • 29 Zoll
  • 4 Größen S2 – S5
  • Gewicht: 19,1 Kilo (EMTB-Messung, Modell Expert, S4)
  • zwei Modelle für 9499 bzw. 13999 Euro

Das Kenevo SL auf dem Trail

Die Daten und Fakten lassen es schon vermuten: Das Kenevo SL ist ein Gerät für richtig harte Abfahrten. Bikepark, Downhillstrecken, Enduro-Gelände à la Finale Ligure – hier blüht das Bike richtig auf. Laufruhe und Fahrsicherheit haben Piloten des Kenevo SL definitiv auf der Haben-Seite. Wer sich an haarige Manöver herantasten will, oder seinen Speed in fiesen Rumpelpassagen erhöhen möchte, hat mit diesem Bike eine gute Chance. Damit eifert das Kenevo SL seinem unmotorisierten Vorbild Specialized Enduro nach, dem der Ruf eines „Mini-Downhillers“ vorauseilt. Extrem stark funktioniert der Hinterbau. Er liegt super satt und bügelt selbst fieseste Brocken glatt. Trotzdem bleibt er sehr antriebsneutral und generiert viel Gegendruck. So ist er auch im Uphill wirklich top. Kein Wippen, kein Wegsacken und dennoch ein ganz sensibles Ansprechverhalten.

  Abheben mit dem Kenevo SL? Gerne doch. Das Bike gibt jede Menge Sicherheit. Landungen dürfen auch mal richtig ruppig ausfallen.Foto: Adrian Kaether
Abheben mit dem Kenevo SL? Gerne doch. Das Bike gibt jede Menge Sicherheit. Landungen dürfen auch mal richtig ruppig ausfallen.

Die Sitzposition auf dem Bike ist sehr zentral, der steile Sitzwinkel platziert den Fahrer weit vorne – ganz wie es für ein modernes Enduro-Bike typisch ist. Trotzdem sitzt man nicht gerade kompakt auf dem Bike, denn der Hauptrahmen ist sehr lang. In der Größe S4 fühlt sich das Bike deutlich größer an, als die meisten vergleichbaren E-MTBs in Größe LARGE. Steilen Uphills kann man also gelassen entgegensehen – solange die Kombi aus Beinkraft und SL-Power ausreicht. Die Traktion ist mit dem SL 1.1 Motor wie gewohnt richtig stark.

  19,1 Kilo für ein 170-Millimeter-E-Enduro? Das Kenevo SL bleibt für ein E-MTB mit diesen Nehmerqualitäten handlich.Foto: Adrian Kaether
19,1 Kilo für ein 170-Millimeter-E-Enduro? Das Kenevo SL bleibt für ein E-MTB mit diesen Nehmerqualitäten handlich.

Doch wie sieht es mit dem SL-Konzept aus? Ist das Kenevo SL in der Abfahrt stärker als ein ausgewachsenes E-Enduro mit dickem Antrieb? Eines ist klar: Das geringere Gewicht ist spürbar. Definitiv. Das Bike bleibt handlicher und lässt sich leichter in die Luft bewegen. Doch genauso klar ist auch: An den extrem handlichen und verspielten Charakter eines Levo SL kommt das lange und flache Kenevo SL nicht heran. Selbst das unmotorisierte Enduro von Specialized ist dafür bekannt, dass es sich auf gemäßigten Trails langweilt. Erst wenn es wild zur Sache geht, fühlt es sich richtig wohl. Das gleiche gilt für das Kenevo SL. Wer ein Bike sucht, das sich drastisch vom klassischen E-MTB-Handling absetzt und sich möglichst so natürlich anfühlt wie ein unmotorisiertes Trailbike – der wird mit einem Levo SL glücklicher als mit einem Kenevo SL. Doch auf der anderen Seite gilt: Auf ruppigen Abfahrten fährt das Kenevo SL einem Levo SL ganz entspannt davon – mit schlafwandlerischer Sicherheit.

Für wen eignet sich der SL-Antrieb von Specialized?

Ihr fahrt Euer klassisches E-MTB meist in den unteren U-Stufen und könnt auf die volle Power gerne verzichten? Ihr habt einen sportlichen Anspruch und wollt Euch nicht vom Motor den Berg raufschieben lassen? Ihr seid fit und im Idealfall nicht zu schwer? Ihr habt Lust, Euch mit App-Einstellungen und Akkumanagement auseinanderzusetzen? Euch ist ein leichtfüßiges Handling des Bikes extrem wichtig? Ihr fahrt mit dem E-MTB primär Anstiege, die auch mit dem normalen Bike fahrbar sind? Dann seid ihr vielleicht genau der richtige Typ für ein Light-E-MTB à la Specialized SL.

Wenn ihr hingegen ein „NoBrainer-E-MTB“ sucht (einfach draufsetzen und ohne zu viele Gedanken an Akkukapazität, Streckenführung etc. losbrummen), den vollen Schub eines gängigen E-MTBs nicht missen wollt, extreme E-MTB-Anstiege liebt, die mit dem normalen Bike nicht möglich sind, maximale Reichweite ganz oben auf der Wunschliste habt, nur mäßig fit und/oder schwer gebaut seid, viel mit Freunden fahrt, die ein klassisches Power-E-MTB haben und auch gerne mal den Turbo nutzen – dann könntet ihr vom SL-Konzept enttäuscht werden.

Modelle und Preise Kenevo SL

Vorerst wird es vom Kenevo SL zwei Modelle geben, beide mit identischem Vollcarbon-Rahmen. Das sündhaft 13999 Euro teure S-Works-Modell mit Carbon-Laufrädern, Sram AXS-Komponenten und Fox Factory-Fahrwerk und das Expert für 9499 Euro mit Fox Performance Elite-Fahrwerk, Alu-Laufrädern und X01-Antrieb von Sram. Ein High-End Frameset inklusive Antrieb und Dämpfer gibt es für 6999 Euro

Für alle mit normalem Geldbeutel gibt's Hoffnung: Es soll mindestens eine günstigere Variante des Kenevo SL folgen.

  Das S-Works Kenevo SL in grün oder schwarz kommt mit High-End-Komponenten so weit das Auge reicht. Der Preis von 13999 Euro ist leider exorbitant.Foto: Specialized
Das S-Works Kenevo SL in grün oder schwarz kommt mit High-End-Komponenten so weit das Auge reicht. Der Preis von 13999 Euro ist leider exorbitant.
  Das Expert-Modell in gelb oder grau bietet bereits maximale Funktionalität. Das Fahrwerk unterscheidet sich nur im Kashima-Coating vom S-Works, dafür muss man mit Alu-Laufrädern und ohne elektronische Schaltung und Sattelstütze auskommen. Preis saftige 9499 Euro.Foto: Specialized
Das Expert-Modell in gelb oder grau bietet bereits maximale Funktionalität. Das Fahrwerk unterscheidet sich nur im Kashima-Coating vom S-Works, dafür muss man mit Alu-Laufrädern und ohne elektronische Schaltung und Sattelstütze auskommen. Preis saftige 9499 Euro.