Innovations-Check MTB-KurbelOchain Spider im Test

Robert Kühnen

 · 22.02.2023

Der Ochain ist ein Spider mit Drehfreiheit, der Anti-Squat und Pedalrückschlag bergab entkoppeln kann.
Foto: Max Fuchs

Der Ochain Spider verspricht kettenloses Fahrgefühl bei MTB-Downhills. Die federnde Lagerung des Kettenblatts soll das Fahrwerk beflügeln, den Biker vor Pedalrückschlag bewahren und bessere Performance bergab ermöglichen. Geniestreich oder Hokuspokus? Wir haben es ausprobiert.

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Als sich Aaron Gwin 2015 beim Downhill in Leogang aus dem Starthaus katapultierte, riss dem Amerikaner die Kette. Gwin blickte kurz nach unten und machte dann das Beste aus der Situation: Er raste völlig unbeeindruckt kettenlos ins Ziel und zum Sieg. 3:34 Minuten Fahrzeit, ohne einen einzigen Pedaltritt. Nach diesem spektakulären Sieg schossen Spekulationen ins Kraut. War die fehlende Kette vielleicht sogar von Vorteil, weil sich das Fahrwerk so freier bewegen konnte? Oder war Aaron Gwin 2015 in Leogang so schnell, weil er wusste, dass ihm schlicht nichts anderes übrigblieb, als möglichst viel Schwung über jede knifflige Stelle mitzunehmen?

Was ist der Ochain Spider?

Dass Kettenkräfte Rückwirkungen aufs Mountainbike-Fahrwerk haben, ist nicht neu. Konstrukteure nutzen den Kettenzug bewusst als Teil der Anti-Squat-Strategie, um zu verhindern, dass das Bike beim Beschleunigen hinten in die Knie geht. Der Pedalrückschlag ist die Kehrseite dieses konstruktiven Ansatzes. Beim Einfedern längt sich der Hinterbau, die Kurbel dreht sich rückwärts, was als Schlag ins Bein spürbar ist und das Fahrwerk verhärtet. Ausnahme: Bei Bikes mit hohem Drehpunkt und Umlenkrolle wird der Kettenzug neutralisiert.



Der Ochain ist ein Spider mit Drehfreiheit, der Anti-Squat und Pedalrückschlag bergab entkoppeln kann. In der Gravity-Szene sind bereits einige Racer mit dem italienischen System unterwegs, das zwischen Kurbel und Kettenblatt installiert wird (siehe Interview mit Christian Textor). Beim Treten verhält sich der Ochain wie eine normale Kurbel – abgesehen vom etwas größeren Leerweg, bis die Kette greift. Steht man ohne zu treten auf den Pedalen, bekommt das Blatt aber die Möglichkeit, sich, je nach Setup, vier bis zwölf Grad gegenüber der Kurbel nach hinten zu drehen. Das soll Pedalrückschläge im Downhill unterbinden, Fahrwerk und Fahrer entkoppeln. „Befreie deine Kette“, bewirbt Ochain sein Konzept.

Wann tritt der Pedalrückschlag beim MTB überhaupt auf?

Kritiker des Systems sagen, dass ein Pedalrückschlag im Downhill prinzipiell nur bei geringen Geschwindigkeiten auftreten kann. Denn nur bei einem sehr schnellen Schlag strafft sich die Kette schneller, als sich die Nabe aufgrund der Fahrgeschwindigkeit dreht – was Voraussetzung dafür ist, dass im Rollen Pedalrückschlag auftreten kann. Sogar bei einer hohen Einfedergeschwindigkeit von 5 m/s, die eher selten auftritt, liegt die rechnerische Grenze für unser Canyon Spectral Test-Bike, dass Pedalrückschlag bergab in mittleren Gängen überhaupt möglich ist, bei rund 18 km/h. Hinzu kommt, dass auch die Nabe eine Rolle spielt. Ist der Freilauf fein oder grob verzahnt? Bei grober Verzahnung mit 36 Einrastpunkten, wie bei der DT-Nabe an unserem Test-Mountainbike, hat der Rotor bis zu 10° Drehfreiheit, bevor die Verzahnung greift – was den Pedalrückschlag bergab unwahrscheinlicher macht. Allerdings ist es Zufall, in welcher Position der Rotor relativ zu den Klinken steht, wenn das Rad einfedert.

Die BIKE-Tester sind vom Ochain-System überzeugt

Der Praxis-Check am Gardasee konterkarierte alle Theorie: Ochain überzeugte die Tester mehrheitlich in rauem Geläuf. Mit dem 6°-Spider fühlte sich das Spectral besser und freier an als ohne, obwohl das Bike nur einen moderaten Pedalrückschlag von 6° in einem mittleren Gang besitzt und eine DT-Nabe mit, wie oben erwähnt, eher großer Drehfreiheit im Einsatz war.

Theorie hin oder her: Wer überwiegend abwärts fährt, sollte dem kettenlosen Gefühl nachspüren. Bevor man die 300 Euro an Ochain überweist, bietet es sich an, eine bekannte Abfahrt ohne Kette anzugehen. Stellt sich der Gwin-Effekt ein, könnte Ochain die Lösung sein, diesen auch mit Kette zu erleben.

So fährt sich das Ochain System

Insgesamt vier Tester waren mit Ochain an zwei Mountainbikes unterwegs, einem Santa Cruz Hightower sowie zwei identischen Canyon Spectral, für den direkten A-B-Vergleich mit und ohne Ochain.

Der Praxistest überzeugt die Tester.Foto: Max Fuchs
Der Praxistest überzeugt die Tester.

Bei unserem Praxistest auf rumpeligen Gardasee-Trails zeigte sich die Mehrheit der Tester binnen weniger Tiefenmeter vom System überzeugt. Der Ochain-Spider entkoppelte den Fahrer stärker vom Pedalrückschlag. Gefühlt drangen so weniger Schläge in die Beine, was ruhiger und weniger ermüdend wirkte. Es entstand außerdem der Eindruck, dass der Hinterbau ungehinderter arbeiten konnte, ohne Wechselwirkung durch die Kette. Das Fahrwerk fühlte sich somit spürbar satter an. Bei schnellen Antritten hingegen muss man sich erst einmal an den großen Leerweg der Kurbel gewöhnen. In Situationen, wo häufige Antritte entscheidend sind und/oder präzises Timing in technischen Uphills, ist der Ochain zumindest gewöhnungsbedürftig.

An künstlichen Hindernissen wie Treppen, Absätzen und Stufen entstand ein ähnliches Bild wie auf dem Trail. Bei mittlerem Tempo von 20 km/h war die Wirkung auch bei Einzelschlägen nachvollziehbar. Der Ochain kappte die Spitzen der Schläge, was zu einem geschmeidigeren Fahreindruck führte. Auf der Treppe wurde der Antrieb mit dem Ochain zudem auch akustisch ruhiger, die Wirkung war verglichen mit dem ruppigeren Trail-Erlebnis subtiler.

Vorteile von Ochain:

  • Entkoppelt Kette und Hinterbau
  • Antrieb ist ruhiger
  • einstellbare Drehfreiheit

Nachteile von Ochain:

  • Zusätzliches Verschleißteil
  • mehr Gewicht
  • weicher Antritt
  • fummeliges Innenleben
Foto: BIKE-Testabteilung

Fazit von Robert Kühnen, BIKE-Testredakteur

Ochain funktioniert. Der clevere aktive Spider kann je nach Bike und Fahrstil ein Gewinn sein. Wirklich Sinn macht das System aber nur für Enduro-Biker mit hohem Downhill- oder Shuttle-Anteil. Abfahrtsorientierte Fahrer, deren Bikes einen spürbaren Pedalrückschlag besitzen, sind die Hauptzielgruppe. Ob das eigene Bike profitieren könnte, lässt sich leicht testen: einfach mal ohne Kette in eine bekannte Abfahrt gehen.
Robert Kühnen, BIKE-TestredakteurFoto: Daniel Kraus
Robert Kühnen, BIKE-Testredakteur

Technische Daten Ochain Spider

Aktiver Spider für Mountainbike-Fullys. Wird zwischen Kurbel und Kettenblatt montiert und gibt dem Blatt eine Drehfreiheit von vier, sechs, neun oder zwölf Grad.

  • Preis: 299 Euro ohne Kettenblatt
  • Gewicht: 128 Gramm
  • Max. zulässiges Fahrergewicht: 100 Kilo
  • Kompatibel mit Sram, Shimano, Race Face, FSA, Cane Creek u. a.
  • 52 mm Kettenlinie, 104 BCD, 30–36 Zähne
Die Montage des Ochain Spider erfolgt zwischen Kurbel und Kettenblatt.Foto: Max Schumann
Die Montage des Ochain Spider erfolgt zwischen Kurbel und Kettenblatt.

Funktionsweise des Ochain Spider

Der Ochain-Spider besteht aus drei Bauteilen: Deckel, Rückseite und dem Mittelteil, dessen Profil auf die Kurbel passt. Vier Stahlfedern lagern das Mittelteil drehbar zwischen den Deckeln und den Endanschlägen.

Im Mittelteil lagern die Stahlfedern.Foto: Robert Kühnen
Im Mittelteil lagern die Stahlfedern.

Drei austauschbare Elastomer-Puffer geben dem Blatt zwischen vier und zwölf Grad Drehfreiheit gegenüber der Kurbel. Im Downhill, wenn der Fahrer nicht tritt, kann sich das Blatt gegenüber der Kurbel nach hinten drehen, wenn ein Pedalrückschlag auftritt. Beim Antreten vergrößert sich entsprechend der Leerweg nach vorne, bis die Kette greift – in technischem Uphill ein Nachteil.

Der Elastomer-Puffer im Ochain System.Foto: Robert Kühnen
Der Elastomer-Puffer im Ochain System.

Drehfreiheit beim  Ochain SystemFoto: Robert Kühnen
Drehfreiheit beim Ochain System

Interview mit Christian Textor, 3x Deutscher Enduro-Meister

BIKE: Seit wann fährst Du mit Ochain?

Christian Textor: Ich habe 2021 damit begonnen, diese Saison bin ich komplett damit gefahren.

Was begeistert Dich am Ochain?

Ich finde die Idee spannend, und mich begeistert, mit welcher Leidenschaft die Entwickler bei der Sache sind. Die wollen einem nichts verkaufen, die machen das, weil sie davon überzeugt sind.

In welchen Fahrsituationen spürst Du einen echten Unterschied?

Kleine Stöße, einfüßig, im offenen Gelände oder einer hängenden Kurve, wo man immer im Kettenzug drinsteht. Da merke ich, wie das Rad den Grip besser hält und auch wieder holt, wenn es mal ausbricht. Die Sensibilität ist besser als ohne.

Bei welchem Tempo ist der Effekt durch den Ochain am größten?

Bei hohem Tempo macht er sich stärker bemerkbar, bringt aber auch bei langsameren Fahrsituationen mehr Ruhe ins Fahrwerk, ich stehe damit ruhiger auf dem Bike, fahre unbeeinflusster.

Welche Elastomere fährst Du?

Ich habe von sechs bis zwölf Grad alles probiert und fahre jetzt mit neun Grad in der Enduro World Series.

In welchem Gang spürst Du die Wirkung am deutlichsten?

In den mittleren Gängen merke ich den Benefit deutlicher als in einem schweren Gang, da ist der Pedalrückschlag größer.

Wie viel Wartung braucht das Ochain System?

Das neue System aus 2022 ist deutlich wartungsärmer als die 2021er-Version. Wir zerlegen das Rad vor jedem Rennen prophylaktisch, auch wenn das nicht wirklich zwingend notwendig ist. Dadurch haben wir auch den Ochain gewartet. Für den privaten Betrieb wäre sicherlich nicht so viel Service nötig, da würde ich einmal in der Saison neu fetten.

Du magst nicht mehr ohne Ochain fahren?

Nein, ich habe ihn sehr liebgewonnen. Am besten wäre ein steriles System – eine Kombination von sehr fein gezahnter Nabe und Ochain mit mehr Winkel – dann würde das System immer gleich arbeiten.

Christian Textor, dreifacher deutscher Enduro-MTB-MeisterFoto: Adrian Kaether
Christian Textor, dreifacher deutscher Enduro-MTB-Meister

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