BIKE: Bei deiner langen Karriere als Bike-Profi, fällt deine Krankenakte sicher dick aus.
TOMAS SLAVIK: Nein, sehr dünn. Manchen fällt es schwer, mir zu glauben, doch ich hatte trotz meiner recht langen Karriere kaum Verletzungen. Nenn es Glück, nenn es Zufall, nenn es mein Verdienst – Tatsache ist, dass ich sehr glimpflich davon gekommen bin.
Was steht in der Kranken-Akte?
Das Schlimmste, mit dem ich aufwarten kann, sind zwei Schlüsselbeinbrüche. Beide passierten auf der gleichen Seite und jedes Mal war der Sturz fast identisch. Das erste Mal passierte er in Willingen 2006. Der Worldcup-Track war frisch und weich nach dem vielen Regen. Beim Takeoff eines Sprungs blieb mein Vorderrad stecken und ich katapultierte über den Lenker. Ärgerlich, denn ich lag in Führung. Der klassische Schlüsselbeinbrecher. Mit der Schulter aufgeprallt: knick-knack. Ein Jahr später passierte das Gleiche nochmal. Diesmal bei einem Race in Tschechien. Wieder blieb das Vorderrad stecken und der Schwung schleuderte mich über den Lenker. Ich landete auf der Schulter – knick, knack, Schlüsselbein ab.
Das war’s?
An Knochenbrüchen ja. Aber Gehirnerschütterungen hatte ich einige. Doch nur eine davon war richtig fies. Sie passierte beim City-Downhill in Valparaíso, Chile 2019. Ich schoss beim Red Bull Cerreo Abajo City-Downhill durch diese Maueröffnung. Danach gleich ein Drop. Das Bike blieb hängen und ich wirbelte wie eine Puppe durch die Luft. Der Aufprall war so hart, dass ich fünf Minuten ohnmächtig auf der Straße liegen blieb.
Nix gebrochen, nur Gehirnerschütterung?
Nur ist gut! Die Gehirnerschütterung war heftig. Und beim Sturz rissen auch die Bänder in meinem Fußgelenk. Bitter: Genau an der gleichen Stelle, nur 100 Meter weiter unten, stürzte ich beim Red Bull Cerro Abajo Race 2023 und wieder rissen die Bänder im Fußgelenk.
Rennen gelaufen?
Nein! Gerissene Bänder im Fuß sind nicht so dramatisch. Klar, es tut weh und nervt, doch du kannst sogar am gleichen Tag noch Rennen fahren – wenn du verrückt genug bist. Das habe ich gemacht und das Race in Valparaíso 2023 gewonnen. Am nächsten Tag geht dann allerdings nix mehr und der Knöchel schwoll an, dick wie ein Elefantenfuß.
Sicher eine angenehme Nacht gewesen.
Die Nacht und der nächste Tag waren ein Desaster. Ich fing aber gleich wieder an mit Bewegung. Früher hätte man den Fuß eingegipst, jetzt weiß man, dass Bewegung das Beste ist. Ich sollte nicht einmal Krücken verwenden, sagten die Ärzte, sondern am selbst gehen. Natürlich wurde ich unterstützt durch Physiotherapeuten und Ärzte. Der Support von Red Bull ist da vorbildlich. Das Credo der Ärzte: Bewegung beschleunigt die Heilung, denn wenn du bewegst, fließt Blut und dann kann der Körper das geschädigte Gewebe schneller ersetzen und die Entzündung besser abtransportieren. Kein zwei Wochen später konnte ich wieder Rennen fahren.
Du trainierst ziemlich hart. In einem Web-Clip sieht man dich Eisen stapeln wie ein Bodybuilder. Das geht sicher auf die Knie.
Ich würde nicht sagen, dass ich Knie-Probleme habe. Aber ich weiß, wie delikat Knie sind. Früher habe ich tiefe Kniebeugen mit 200 Kilo gemacht. Je tiefer desto besser. Das kann ich nicht mehr und das mache ich nicht mehr. Du musst dein Trainingsprogramm dem Alter anpassen. Heute trainiere ich nicht mehr Hardcore, sondern smart wie ich es nenne. Denn ich will meine Racing-Karriere so lange wie möglich ausdehnen. Daher muss ich mit meinem Körper sanfter umgehen. Jetzt geh ich bei der Kniebeuge nur noch auf 90 Grat runter, so entsteht weniger Druck auf dem Knie. Die tiefe Beugung mache ich jetzt auf andere Weise, nicht mit schweren Lasten. Denn ich weiß: Die hohen Gewichte ruinieren dich.
War das damals dämlich, so tief runter zu gehen in die Kniebeuge? Was würdest du deinem jüngeren Ich raten?
Weiß ich gar nicht. Ich kann mir sogar vorstellen, dass sich an dem Zustand meiner Knien wenig ändern würde. Fakt ist: Damals hat der Körper das alles weggesteckt. Und im Alter steckt er das nicht mehr weg. Als Junger konnte ich aber auch die ganze Nacht durchfeiern – kein Problem. Mache ich das heute, verwandle ich mich in einen Zombie. Kurzum: Im Alter funktionieren deine Gelenke anders, deine Knochen verhalten sich anders, die Heilungs- und Erholungsprozesse sind anders – das musst du berücksichtigen. Mein Training auf einen Satz runtergebrochen: früher hardcore, jetzt smart.
Ist das der Grund, warum deine Krankenakte zu dünn ausfällt?
Ich glaube schon. Ich versuche Verletzungen zu vermeiden, indem ich smart fahre und smart trainiere. Klar, im Rennen gebe ich alles, da drehe ich durch. Aber ich kenne Fahrer, die auch in den Training-Runs ständig Vollgas geben und am Limit fahren. Mit der Folge, dass sie stürzen. Wer mit mir bikt, weiß, dass ich selten stürze.
Deswegen hatte mich dein Sturz dieses Frühjahr in Valpariso so überrascht. Du hattest den Overall-Sieg so gut wie sicher, bist aber auf volles Risiko gegangen. Wie passt das zu deiner Strategie?
Gut beobachtet. Das kann man auf zweierlei Weise sehen. Ich hätte das Gas rausnehmen können, auf Nummer Sicher gehen, Fünfter oder Sechster werden und den Overall-Sieg abräumen. Gäbe es 10 Cerro Abajo Rennen, hätte ich das genau so gemacht. 100 Prozent. Doch wir haben nur drei Rennen. Und deshalb will ich jedes einzelne gewinnen. Da ist mir der Overall-Sieg wurscht. Ich will siegen und zeigen, dass ich diese Rennen dominieren kann. Deswegen habe ich dieses Jahr alles auf eine Karte gesetzt und Vollgas gegeben.
Die Einstellung ehrt dich. Coole Einstellung! Wie kann ich mir heute deine Trainingsroutine vorstellen?
Früher habe ich 10 Minuten gedehnt vor dem Training. Heute dehne ich 30 Minuten vor dem Training. Es dauert viel länger, meinen Körper vorzubereiten. Sonst tue ich mir weh. Du weißt wie das ist: eine falsche Bewegung und du zerrst dir die Schulter, eine falsche Bewegung und dein Rücken ist blockiert oder dein Nacken. Normalerweise packe ich zwei Trainingseinheiten in den Tag. Eine am Vormittag, eine am Nachmittag. Dann habe ich genug Zeit, um mich zu erholen. Und ich halte mich sehr strikt an Warm-Up-Übungen und Cool-Down-Übungen. Das tut meinem Körper gut. Es ist wichtig, dass du ein Körpergefühl entwickelst. Niemand kennt deinen Körper so wie du. Mein Tipp: Spüre in deinen Körper hinein und höre auf ihn. Das gilt für Profi-Athleten wie auch für Hobby-Sportler.
Wenn du von Trainingseinheiten sprichst, meinst du dann auf dem Bike oder Fitness-Training?
Vormittags im Kraftraum, mit Gewichten oder auch auf der Rolle. Am Nachmittag: auf dem Bike. Aber da düse ich nicht nur über Trails. Sprints, Intervalle, Uphill-Sprints – da ist alles dabei.
Was sind deine Lieblingsübungen?
Ich mag die ganzen Variationen von Cleans & Jerks und Snatches. Da gibt es Übungen speziell fürs Mountainbiken. Diese Übungen richtig auszuführen, um das Gewicht hoch zu kriegen ist jedesmal eine Herausforderung. Da kannst du dich richtig auspowern. Ich kann dir aber sagen, wenn du so viel mit Gewichten trainiert hast in deinem Leben wie ich, magst du das Training überhaupt nicht. Da hast du auch keine Lieblingsübungen. Die genannten Übungen und Kniebeugen sind für mich das kleinste Übel. Sagen wir so. (lacht)
Dein Buddy Johannes Fischbach sagte, dass du sogar ein spezielles Treppen-Training machst, für das du extra nach Prag fährst.
Das stimmt. Prag ist eine Stunde von Zuhause entfernt. Treppen- und City-Training ist wichtig. Willst du bei der Cerro Abajo Serie vorne reinfahren, kommst du ohne dieses Training nicht aus. Ich weiß, dass manche Downhiller glauben, es ginge auch ohne. Das ist Quatsch. Du musst wissen, wie sich deine Reifen auf Asphalt anfühlen. Du musst wissen, wie sich deine Federung auf den Treppen verhält. Das musst du genau so lernen wie Downhillen im Wald. Auf Wurzeln. Im Matsch. Offcamber. Denn das Bike funktioniert auf Asphalt anders, deine Federung funktioniert anders, alles ist anders. Deswegen bin ich so schnell. Denn ich weiß, wo das Limit ist. Das Limit ist viel später erreicht als du erwarten würdest.
Hast du ein Laster, was deine Ernährung betrifft?
Ich mag Bier. Doch ich bin aus Tschechien, da kannst du nicht von Laster sprechen (lacht). Ich habe ein Ritual: Wenn ich das Trainingspensum des Tages vollbracht habe, gönne ich mir ein Bier. Das ist dann eine Belohnung und es entspannt mich. Ein Bier ist kein Verbrechen.
Keine spezielle Diät?
Früher ja. 2008, 2009, als ich Fourcross Worldcup gefahren bin, habe ich mich strickt an die Vorgaben gehalten, habe jedes Gramm gezählt, wie viel Protein usw. Das war ein Riesenaufwand. So verrückt bin ich heute nicht mehr. Doch ein paar Regeln habe ich noch. Ich esse kein Junkfood. Ich esse nur Qualitätsfleisch. Viel Gemüse. Doch natürlich gibt es auch Tage, wo all das nicht gilt. Cheat-Days, nenne ich solche Tage. Was das Essen betrifft bin ich nicht kompliziert. Frag meine Frau, sie sagt: Es gibt niemanden, der so unkompliziert ist wie ich. Mir kannst du alles vorsetzen, solange die Menge stimmt.
Mit 37 Jahren bist du nicht mehr der Jüngste. Genauso alt wie Rampage-Star Cam Zink. Ich traf Cam bei ihm zuhause auf Maui und wir sprachen übers Altern. Denkst du übers Altern nach?
Hey, ich gewinne jetzt Rennen, die ich früher nicht gewinnen konnte. Darüber bin ich sehr froh. Aber natürlich frage ich mich, wie lange das noch so sein wird. Besonders, wenn ich an die neue Generation Racer denke. Da bilden sich fast zwei Lager: Oldschool und Newschool. Als Oldschooler kann ich meine Erfahrung einsetzen, schlaue Entscheidungen treffen. Doch wenn die Newschooler ihre verrückten Runs hin kriegen, dann sind sie nicht zu schlagen.
Meinst du Junafer Velez?
Ha ha, er ist ein spezieller Fall. Ich würde fast sagen, bei den Cerro Abajo Rennen gibt es Junafer Velez und uns andere. Der Typ ist ein Phänomen. Er ist erst 21 und so verdammt schnell. Noch kann ich ihn schlagen, das habe ich mehrfach bewiesen. Wie lange allerdings noch, das ist fraglich. Mal sehen.
Also keine “Oh Gott, ich werde alt”-Gedanken?
Noch ist die Kraft da. Doch ein weiterer Aspekt kommt zum Alterungsprozess dazu: der Kopf. Nicht nur die physischen Kraft lässt irgendwann nach, auch der Wille. Besonders, wenn du so viel erreicht hast wie Cam Zink oder ich. Sich immer wieder aufs Neue zu motivieren, fällt mir schwerer und schwerer. Ich muss mich immer wieder selbst überzeugen. Meine Motivationstrick: Ich will mir beweisen, dass ich die Jungen noch immer besiegen kann. Daraus entsteht eine enorme Kraft.
Du hast erwähnt, dass es es nur drei Cerro Abajos dieses Jahr gibt. Allerdings warst du in Indien und in Jordanien, um zu scouten. Was können wir erwarten. Willst du uns was verraten?
Noch ist nichts offiziell, deswegen darf ich nichts sagen – sorry! Doch es wird mehr Rennen geben, so viel steht fest.