Taubheitsgefühle kennt fast jeder Radfahrer, der bereits länger im Sattel saß. Von nervig bis unangenehm kann der Gefühlsverlust ausfallen. Spätestens, wenn der Penis taub wird, ist die Sorge groß. Die Hauptursache: Druck. In der Physik ist Druck definiert als der Quotient einer Kraft, die senkrecht auf eine Fläche einwirkt. Im Mountainbikesport ist Druck meist vor allem schmerzhaft. Denn die Stellen, an denen er entsteht, dort, wo Mensch und Maschine sich berühren, sind klein: Lenker, Pedale, Sattel. Und je kleiner die Fläche, desto größer der Druck. Ein Druck, der Nerven und Blutgefäße quetschen kann. Es entsteht ein Kribbeln, dessen wohl berüchtigtste Form Taubheitsgefühle im Genitalbereich sein dürften.
Dieses Phänomen kommt unter Mountainbikern recht häufig vor, je nach Studie sind zwischen 50 bis 91 Prozent der radelnden Männer sowie etwas mehr als 47 Prozent der Frauen betroffen. Doch darüber sprechen wollen die meisten lieber nicht – zu frustrierend und zu peinlich machte eine wissenschaftliche Untersuchung der Uni Antwerpen aus 2023 als Hauptgründe für das Schweigen der 620 einbezogenen Radsportlerinnen aus.
Manche nehmen solche Beschwerden auch als gegebene Begleiterscheinung des Bikens hin und hoffen, dass sie sich nach einer Weile runter vom Sattel von selbst erledigen. Tatsächlich tun sie das häufig. Besser noch: Solche kurzzeitigen Taubheitsgefühle, so unangenehm sie sein mögen, sind in der Regel harmlos und verschwinden, sobald der durch die Sitzposition auf dem Bike bedingte Satteldruck nachlässt. Treten diese Symptome jedoch regelmäßig auf oder halten über längere Zeit an, könnten sie auf ernstere Probleme wie Nervenschädigungen oder Durchblutungsstörungen hindeuten. Christian Manunzio, Diplom-Sportwissenschaftler mit Schwerpunkt Training und Leistung am Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik der Deutschen Sporthochschule Köln, betont: „Wer diese Beschwerden häufig oder über längere Zeit erlebt, sollte die Ursache klären lassen. Eine rechtzeitige Anpassung der Sitzposition oder des Equipments kann spätere Probleme verhindern.“
Der Mythos davon, dass Radfahren impotent macht, ist zwar inzwischen entkräftet, unter anderem durch eine Studie verschiedener kalifornischer Universitäten aus dem Jahr 2018. Die stellte aber dennoch fest, dass Radsportler aufgrund des Satteldrucks ein im Vergleich zu Schwimmern und Läufern erhöhtes Risiko für erektile Dysfunktion und eine Harnröhrenverengung haben. Bei Frauen kommen neben Taubheitsgefühlen Schmerzen oder Reizungen der Haut im Genitalbereich am häufigsten vor.
Ein vermeidbares Schicksal, denn: „Viele Symptome lassen sich schon durch kleine Anpassungen, wie ein leichtes Nach-vorn-Kippen der Sattelnase, regelmäßige Pausen oder häufigeres Fahren im Wiegetritt kurzfristig lindern oder ganz verhindern“, weiß Christian Manunzio. Bleiben Beschwerden dennoch bestehen, sei jedoch ein Besuch beim Facharzt, der gegebenenfalls medizinische Schritte einleitet, oder einem Bikefitter, der sich Sitzposition und Sattel anschaut, angeraten. „Ergonomische Sättel mit Aussparungen oder geteilten Sitzflächen können dazu beitragen, den Druck auf empfindliche Stellen zu minimieren“, erklärt der Sportwissenschaftler. Doch je nach Anatomie und Sitzposition gibt es nicht die eine Sattellösung für alle; im Gegenteil: Schon in einer neuen Radhose mit anderem Polster kann sich ein zuvor bequemer Sattel ungemütlich anfühlen.
Vielmehr sei deshalb „die Kombination aus ergonomischer Ausrüstung, einem individuell angepassten Rad und einer bewussten Fahrtechnik der Schlüssel, um Beschwerden vorzubeugen“. Ein Vorgehen, das fürs Rollentraining übrigens ebenso gilt wie fürs Fahren draußen. Vielleicht sogar noch mehr, denn hier „treten Beschwerden wie Taubheitsgefühle im Genitalbereich oft verstärkt auf oder können erstmals bemerkt werden“, sagt Christian Manunzio. Denn anders als beim Fahren im Freien, bleibt das Rad beim Rollentraining vollkommen starr. „Dadurch fehlt die natürliche Entlastung des Dammbereichs, die durch kleinere Bewegungen und Positionswechsel auf unebenem Terrain entsteht. Hinzu kommt die oft hohe Schweißentwicklung, die in geschlossenen Räumen ohne kühlende Fahrtluft zu Hautreizungen führen kann“, erläutert Manunzio und empfiehlt gezielte Pausen, einen Ventilator zur Verbesserung der Belüftung und hochwertige Kleidung, um Beschwerden beim Rollefahren zu minimieren.“
Ob draußen auf der Straße oder drinnen auf der Rolle: Mountainbiker müssen und sollten Beschwerden wie einschlafende Genitalien, Hautreizungen oder Druckstellen nicht als unausweichlich akzeptieren. Mit der richtigen Herangehensweise lassen sich nicht nur gesundheitliche Risiken minimieren, sondern auch der Spaß am Training langfristig erhalten.