Die Gelenke der Knie gehören zu den wichtigsten des menschlichen Körpers. Schließlich tragen sie beim aufrechten Gang auf zwei Beinen einen Großteil unseres Gewichts und sind gerade beim Sport regelmäßig großen Belastungen ausgesetzt. Fürs Mountainbiken spielen die Kniegelenke eine besonders entscheidende Rolle. Ohne sie keine Tretbewegung und auch beim Abdämpfen von Schlägen ist das gesunde System Bein, zu dem die Knie nun mal gehören, unersetzlich. Als Biker kann es also kein Fehler sein, möglichst viel über die eigenen Knie zu wissen. Was tut den Kniegelenken wirklich gut und was eher nicht?
Diese Aussage hat Jeder schon mal gehört. Grundsätzlich trifft sie auch zu, doch wie so oft bei medizinischen Ratschlägen, ist eine Pauschalisierung gar nicht so einfach. Isoliert betrachtet ist die kreisförmige Bewegung des Knies tatsächlich gut für dessen Gesundheit. Beim Radfahren wird die im Knie befindliche Flüssigkeit in Bewegung versetzt. Durchs Pedalieren wird Gelenkflüssigkeit durchs Knie gepumpt, die für den darin befindlichen Knorpel besonders wichtig ist.
Gesundes Knorpelgewebe ist nicht von Blutgefäßen durchzogen, sondern muss durch die Gelenkflüssigkeit mit Nährstoffen versorgt werden. Wer regelmäßig in die Pedale tritt, sorgt also für die Ernährung und damit Gesundhaltung seines Knies. Bewegt sich das Gelenk gleichmäßig auf einer festgelegten Kreisbahn, wird das Knie weniger durch Verdreh-Bewegungen belastet, als bei anderen Bewegungen. Ein Knie besteht jedoch nicht nur aus Knorpel, sondern ist ein hochkomplexes “Bauteil” des Körpers. Auch ist Radfahren nicht gleich Radfahren. Für die Knie ist es ein gewaltiger Unterschied, ob sie auf einem Ergometer gleichmäßig durchbewegt werden oder auf einem Mountainbike durchs Gelände poltern.
Nachdem mich ein Sturz mit einem zertrümmerten Schienbeinkopf und ohne funktionstüchtigem vorderen Kreuzband zurückließ, habe ich ein hohes Risiko für weitere Knie-Probleme. Über die Jahre gaben mir Ärzte und Therapeuten ganz unterschiedliche Tipps. Es scheint, als sage jeder etwas anderes zum Thema Mountainbiken als Knie-Patient. Die Belastungen beim Biken sind ziemlich komplex. Einen wirklichen Experten zu finden ist gar nicht so einfach. - Jan Timmermann, BIKE-Redakteur
Eigentlich gilt Radfahren als “Low-Impact-Sport”. Bei anderen Bewegungsformen, wie etwa Joggen, muss das Knie große Belastungen abfangen. Gerade bei Sportarten, wie Fußball oder Tennis, wirkt bei Abbrems-Bewegungen, beziehungsweise schnellen Richtungswechseln, punktuell eine hohe Last auf dem Gelenk. Beim Pedalieren auf einem Fahrrad wird die Kraft dagegen viel gleichmäßiger aufgebaut, was deutlich schonender für die Gelenke ist. Mountainbiken besteht jedoch nicht nur aus Treten und Lenken. Selbst, wenn Krafteinwirkungen auf das voll durchgestreckte Knie auch auf dem MTB nicht vorkommen sollten, sind die “impacts” oft alles andere als “low”.
Eine der größten Schwierigkeiten ist die Einschätzung der Belastung fürs Knie. Wie problematisch sind Bergsprints, Marathons, Sprünge und Drops wirklich? Sollte ich überhaupt noch mit einem Hardtail durchs Wurzelfeld scheppern, wenn mir meine Gelenke lieb sind? Ich bin jung und lasse mich ungern einschränken. Da ist Wissen zum Thema Mountainbiken mit Knie-Problemen besonders wichtig. - Jan Timmermann, BIKE-Redakteur
Lorenz Westner betreut seit vielen Jahren an der Sportschule FFB Puch zahlreiche Top-Athleten – auch aus dem Mountainbike-Bereich. Mit Danny MacAskill arbeitet er schon seit zwanzig Jahren zusammen, Emil Johansson trainierte monatelang mit ihm, mit Fabio Wibmer erarbeitete er ein Trainingssystem und auch Tarek Rasouli, Erik Fedko, Steffi Marth, Loris Vergier und viele mehr gehören zu den Sportlern von „Lenz“. Wir haben den Experten zu den Themen Knie-Probleme und -Verletzungen beim Mountainbiken interviewt.
BIKE: „Radfahren ist gut fürs Knie“ – diese Aussage hört man oft. Trifft das denn auch fürs Mountainbiken zu?
LORENZ WESTNER: Läufer müssen beispielsweise bei jedem Schritt das bis zu 2,5-fache ihres Körpergewichts abfangen. Dagegen sind Sportarten, bei denen das Körpergewicht getragen wird, weniger belastend. Pauschal gesagt stimmt die Aussage also. Die Bewegung an sich ist auch beim Mountainbiken sehr gesund fürs Kniegelenk. Natürlich besteht beim Biken ein erhöhtes Trauma-Risiko. Statistisch gesehen ist dieses aber deutlich geringer als im Fußball- oder Handballsport.
Welche Knieverletzungen sind typisch bei Mountainbikern?
Verletzungen durch Stürze sind geschwindigkeitsabhängig und können zum Beispiel auch komplexe Knochenfrakturen sein. Ein weiteres Problem beim Sturz aufs Knie ist das Gewicht. Auffällig ist seit der Verbreitung von E-MTBs die Zunahme an Tibiakopf-Frakturen (Bruch des Schienbeinkopfes, Anm. d. Redaktion). Diese sind für das Kniegelenk relativ heftig, weil sie oft mit einer Verletzung von Bändern und Kapseln in Verbindung stehen. Bei einem schwereren Bike kommt es natürlich zu höheren Kräften. Bezieht man das meist höhere Tempo von E-Bikes mit ein, steigt die Belastung exponentiell.
Kann das Knie beim Mountainbiken auch ohne Sturz Schaden nehmen?
Beim Radfahren kommt es nie zur vollen Beinstreckung. Das kann zu muskulären Ungleichgewichten führen. Gerade, wenn sich diese Dysbalancen ausbauen und die Beinachse, wie bei X- oder O-Beinen, nicht optimal ist, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit das Knie falsch zu belasten. Durch die fehlende Kniestreckung wird der äußere Oberschenkel stärker aktiviert als der innere Anteil. Der einseitig höhere Muskelzug kann zum Beispiel dazu führen, dass sich die Kniescheibe nach außen verlagert. Biker merken das etwa beim Fahren mit Klickpedalen durch Schmerzen außen am Kniegelenk.
Bedeutet das, dass Biker selbst mit einem perfekt eingestellten Rad Knie-Probleme bekommen können?
Ja, auch die Tätigkeit des Radfahrens selbst kann zu Problemen führen, da man sitzend unterwegs ist. Heutzutage gibt es immer mehr Menschen, die auch im Alltag sehr viel sitzen. Das kann die Problematik verschärfen.
Was können Mountainbiker tun, um diesen Problemen vorzubeugen?
Die Muskeln im Bein sollte man alle trainieren, und zwar ausgeglichen. Natürlich gibt es eine Anpassung an die Sportart. Wenn die Unterschiede aber zu groß werden, treten Folgeerscheinungen auf. Die fünf Säulen der Kondition sind Ausdauer, Kraft, Beweglichkeit, Koordination und Schnelligkeit. Wenn ich Rennen gewinnen will, brauche ich die Ausdauer-Komponente meistens sehr stark. Trotzdem muss ich alle Facetten trainieren, wenn ich präventiv tätig werden will. Die meisten Radfahrer dehnen sich nur ungern. Die Beweglichkeit wird ebenso, wie das Krafttraining oft vernachlässigt. Die erforderliche Koordination bekommt man beim Radfahren selbst, wobei es auch hilft andere Reize zu setzen. Die Schnelligkeit ergibt sich aus der Kombination von Koordination und Kraft.
Ein häufiger Tipp lautet: „niedrige Trittfrequenz und schwere Belastung gleich schlecht, hohe Frequenz und leichte Belastung gleich gut fürs Knie.“ Stimmt das?
Das kann man mit Sicherheit so sagen. Wer die Trittfrequenz im Schnitt nur um fünf Umdrehungen pro Minute erhöhen kann, entlastet seine Knie sehr stark. Ganz einfach ist das allerdings nicht. Da braucht es sportartenspezifisches Techniktraining, wie gezieltes Trittfrequenztraining, Einbein-Fahren und Übungen für den sogenannten „runden Tritt“. Das wird oft vernachlässigt. Es gibt Methoden, wie etwa desmodromisches Training, die extrem gelenkschonend, aber weniger bekannt sind. Da kann man auch mit einer Vorschädigung des Knies energetisch hochwertigere Trainingsziele setzen.
Welche Muskeln sollte ich wie trainieren, um mein Knie präventiv aufs Mountainbiken vorzubereiten?
Um der Einseitigkeit des Radfahrens etwas entgegenzusetzen, sollte hauptsächlich der innere Anteil des vierköpfigen Schenkelstreckers gekräftigt werden, während vor allem die äußeren und hinteren Anteile immer wieder gedehnt werden sollten. Das Dehnen alleine ist jedoch nicht immer zielführend genug. Besser ist die Kombination der Beweglichkeitsübungen mit Faszien- und Krafttraining.
Welche Rolle können orthopädische Hilfen, wie etwa Orthesen, bei der Prävention von Knieproblemen spielen?
Ein gesundes Knie braucht das nicht. Prinzipiell können Orthesen aber eine gute Hilfe sein, um instabile oder bewegungseingeschränkte Knie vor schädlichen Rotationen oder Verschiebungen im Gelenk zu schützen. Sie unterstützen eine funktionelle Kraftverteilung im Kniegelenk. Menschen reagieren allerdings unterschiedlich sensibel auf solche Hilfsmittel. Deshalb sollten Orthesen von einem Fachmann sehr gut an den Körper angepasst werden, damit sie nicht abschnüren oder scheuern.
Lohnt es sich also in gutes Material zu investieren?
Die Kasse zahlt nach einer Verletzung oft nur eine günstige Orthese von der Stange. Das kann natürlich auch passen. Wenn aber nicht, bin ich in der Eigenverantwortung auch selbst etwas auszugeben, um eine für mich optimierte Ausrüstung zu bekommen. Da gibt es tolle Produkte. Die kosten dann halt eigenes Geld, helfen mir aber auch viele Jahre lang. Wer schon Knie-Probleme hat, für den ist es vielleicht zweitrangig, wie teuer sein Schaltwerk ist, und er investiert das Geld lieber, um das Material an seine Probleme anpassen zu lassen. Wenn ich vier Mal in der Woche Radfahren will, ist es sehr sinnvoll Geld in die Hand zu nehmen, um mein Sportgerät von einem Experten ergonomisch auf mich einstellen zu lassen, bevor überhaupt Knie-Probleme auftreten. Leider sind nicht alle dazu bereit. Hier ist in der Radgemeinde noch viel Potential für eine höhere Sensibilität.
Woran merke ich, dass es mir an Stabilität im Knie fehlt?
Beim Mountainbiken kann sich fehlende Stabilität bei extremen Fahrmanövern, wie über einen Wurzelteppich oder in Kurven, wo das Knie nach innen oder außen gedrückt wird, bemerkbar machen. Wenn es eine Fehlposition im Gelenk gibt, entsteht zum Beispiel der Eindruck es fehle Kraft oder Reaktionsschnelligkeit. Sind die Bänder nicht stabil, kann ein komisches Gefühl die Folge sein: so, als würde das Knie auseinandergezogen. Beim Biken tritt das eher selten auf, am ehesten, wenn du über ein Hindernis springst. Beim Gehen können Betroffene öfters das Gefühl haben, dass das Knie instabil oder für Sekundenbruchteile kraftlos ist.
Sollte ich mit einem Vorschaden am Gelenk eher über die Kraftausdauer an der Stabilität meines Knies arbeiten oder es, um erneuten Verletzungen vorzubeugen, mit hoher Last auf mögliche Stürze vorbereiten?
Ich bin kein Freund davon hohe Belastungen im Training von Menschen mit vorgeschädigten Gelenken zu simulieren. Wenn etwa das Kreuzband fehlt, muss man doppelt vorsichtig sein. Dann darf das Bein nur unter gesicherten Bedingungen hart trainiert werden - beispielsweise mit fachlicher Aufsicht bei Kniebeugen oder in der Beinpresse. Dort lassen sich auch wieder höhere Belastungen realisieren. Auf einem Kreisel oder Wackelbrett können Reaktionsschnelligkeit, Kraft und Koordination gut unter kontrollierten Bedingungen werden. Wer viel Mountainbike fährt, hat immer wieder hohe Belastungen, wie etwa bei Sprüngen. Mit einer sauberen Technik sind die Bedingungen auch dort relativ gesichert. Sprünge und Trails können allerdings sehr unterschiedlich sein. Besser man bereitet das Bein durch kräftigende Stabilisierungsübungen aufs Mountainbiken vor.
Welche Rolle spielt die Kniebeweglichkeit nach einer Verletzung für Sportler?
Prinzipiell sollte es im Reha-Prozess das Ziel sein so viel, wie möglich an Beweglichkeit wiederzuerlangen. Bei einer schweren Verletzung, wie einer Tibiakopf-Fraktur ist das nicht immer einfach. Das ist kein angefahrener Kotflügel mehr, sondern eine starke Beeinträchtigung der statischen Situation und der Gelenkmechanik im Knie. Wer eine Verletzung hat, sollte unbedingt versuchen den Bewegungsbereich des Gelenks so lange wie möglich zu erhalten. Bei einem Streckdefizit von fünf Grad beispielsweise darf sich dieses nicht schleichend auf zehn oder sogar 15 Grad erhöhen. Der Körper reagiert dann nämlich mit Ausgleichsbewegungen in der Hüfte oder im Becken und Bewegungsabläufe werden nicht mehr funktionell sauber ausgeführt, was dann Probleme in anderen Körperpartien indiziert.
Was kann ich als Mountainbiker tun, wenn meine Beweglichkeit eingeschränkt ist?
Bei einer deutlichen Bewegungseinschränkung nach einer Verletzung oder nach dem Einsetzen einer Knieprothese sind Hilfen zur Verkürzung der Kurbeln extrem gut. Bei solchen Kurbeln sprechen wir aber nicht mehr über eine Optimierung der Leistung, sondern die Ergonomie ist dann an das gesundheitliche Problem anzupassen. Das verletzte Gelenk ist das schwächste Glied in der Bewegungskette. Vielleicht muss in diesem Fall der Sattel ein Stück zurückgeschoben werden, um mit einem weniger spitzen Knie-Winkel im oberen Bereich der Tretbewegung noch eine einigermaßen runde Trittbewegung zu erreichen. So kann man vermeiden, dass sich die Störung des verletzten Gelenks auf das Sprunggelenk, die Hüfte oder die Wirbelsäule auswirkt. Auch ovale Kettenblätter können in solchen Fällen sehr gut helfen, um Belastungsspitzen beim Tretvorgang im Kniegelenk zu reduzieren.