Henri Lesewitz
· 23.03.2023
Den MTB-Spot Arizona haben die wenigsten Biker auf dem Schirm. Zwar sind die USA das Mutterland des Mountainbikens. Die mythenumrankten Hotspots wie Kalifornien, Utah und Colorado umweht seit jeher eine heilige Aura. Doch die Gegend um Tuscon ein echtes Mountainbike-Eldorado, wie BIKE-Reporter Henri Lesewitz jetzt eher durch Zufall entdeckte. Manche der Kakteen entpuppten sich allerdings als hinterhältige, gemeine Biester.
Wenn es ein Gewächs gibt, dass als Symbol für mein Leben taugt, dann ist das ein Kaktus. Mein Vater war Kakteensammler. Viele Nachmittage verbrachte ich als Kind in den Gewächshäusern des Kakteenvereins. Als Kind des Ostens war ein Kaktus mehr als nur eine kratzbürstige Pflanze. Sie war ein Symbol für Freiheit. Amerika. Cowboys. Endlose Weite. Arizona. Das schwang immer irgendwie mit, wenn mein Vater einen neuen Kaktus mit nach Hause brachte und ihn liebevoll auf der Wohnzimmer-Fensterbank drapierte, während meine Mutter mit den Augen rollte. Sein Lebenstraum war es, Kakteen in freier Natur zu sehen. Er erfüllte sich leider nicht. Als mein Vater letztes Jahr starb, ließ ich mir als Erinnerung einen kleinen Kaktus auf den Arm tätowieren. Und nun das! Ich bike zwischen echten Kakteen. In Tucson, Arizona.
In der langen, kalten Winterzeit wächst die Sehnsucht nach Biken. Die Sehnsuchtsorte finden sich im Internet. So stieß ich eines Abends beim ziellosen Herumsurfen auf das 24 Hours in the Old Pueblo. Das Rennen zählt zu den ältesten und legendärsten 24-Stunden-Rennen der Welt. Ich hatte schon öfter davon gehört. Die Bilder, durch die ich mich klickte, zogen mich regelrecht in den Bann. Marathon-Freaks, die durch eine raue, endlose Kakteen-Landschaft kurbelten. Eine Kulisse wie aus einem Western mit John Wayne. Dass das Rennen in Februar stattfand und ich bis dahin nicht annähernd in der nötigen Form für einen 24-Stunden-Rennen sein würde, machte es für mich nur umso interessanter. Ich meldete mich an.
Montag, der Tag nach dem Old Pueblo: Das Rennen war großartig. Was für eine beeindruckende Landschaft! Obwohl meine Beine von den 270 Kilometern und 4000 Höhenmetern mausetot sind, will ich jede Minute meines Aufenthalts nutzen. Vor allem will ich die gigantischen Saguaro-Kakteen sehen, die das Wahrzeichen von Arizona sind und von denen einer als Tattoo meinen Arm ziert.
Ich bin mit Juan von Homegrown Mountainbike Tours verabredet. Alleine rund um die Stadt Tucson, in deren Nähe das 24 Hours in the old Pueblo stattfindet, gibt es drei große Singletrail-Netze. Juan stoppt den Pickup auf einem Berggrat, der wie eine Trennwand zwischen Tucson und einer gewaltigen Felsgruppe thront. Der Parkplatz ist der Startpunkt diverser Trail-Loops. Neben uns wuseln noch andere Biker herum. Es scheint ein beliebter Spot zu sein.
“Wir können eine lockere Runde fahren, oder hoch in die Berge. Es gibt Sprünge und technische Uphill-Sektionen. Wir können ja erst mal losfahren und uns unterwegs entscheiden.”, sagt Juan und kurbelt los.
Der Trail ist absolut perfekt modelliert. Nicht zu flach. Nicht zu steil. Nicht zu zahm. Nicht zu verblockt. Gebaut von Bikern für Biker. Gut zu fahren mit einem Hardtail und ebenso mit einem Enduro. Denn aller paar Meter laden nette, kleine Kicker zum Springen ein, die aber so platziert sind, dass man als fahrtechnisch weniger Versierter ohne jedes Stressgefühl drumherum zirkeln kann.
Warum gibt es so etwas in Deutschland nicht? Die Frage rattert mir immer wieder durch den Kopf. Stadtnahe Trails, auf denen man nach Feierabend spontan seine Runden drehen kann. Wirklich ein Jammer.
Juan kennt den Trail. Elegant nimmt er jeden Sprung mit, während ich voll damit beschäftigt damit bin, die normale Ideallinie zu halten. Es ist fast wie in einem Videospiel. Ich taste mich noch von Level 1 zu Richtung Level 2. Juan, der Local, ist auf Highscore-Level unterwegs. Wirklich beeindruckend wie er fährt. Aber im Gegensatz zu ihm saugt sich mein Blick auch immerzu an der Landschaft fest. Irre, diese Kakteen.
Juan stoppt vor einem beeindruckenden Exemplar. Das Teil ist groß wie ein Baum, etwa 10 bis 12 Meter hoch. Gleich mehrere stachelige Arme recken sich von dem mächtigen Rumpf aus in die Luft. Ein Zeichen dafür, dass dieser Saguaro-Kaktus sehr, sehr alt ist. “Der erste Arm bildet sich erst nach fünfzig bis siebzig Jahren heraus. Bis die Arme so groß und zahlreich sind, vergehen mehrere hundert Jahre”, erklärt Juan.
Im Vergleich zu anderen Kakteen sind die Saguaros friedlich in der Gegend stehende Skulpturen. Richtig gemein sind dagegen die Cholla-Kakteen, hüft- bis mannshohe Gewächse, die aussehen wie flauschige Büsche. Doch Achtung! Wer ihnen zu nahe kommt, den attackieren sie mit stahlharten, zentimeterlangen Stacheln, in den sich Widerhaken befinden. Was mir beim 24-Stunden-Rennen tatsächlich passiert ist. Das Cholla-Segment, dass sich in meinem Oberschenkel gebohrt hatte, musste ich mit einem Stück Holz aus dem Bein hebeln.
Hier, auf dem Loop mit Juan, gibt es zum Glück nur wenige Cholla-Kakteen. Dafür andere Herausforderungen. Zum Beispiel überraschend steile, fahrtechnisch anspruchsvolle Uphill-Passagen. Kein Problem für Juan, der sie mit einer Mischung aus harten Antritten, geschickter Gewichtsverlagerung und Trial-Moves meistert. Ich, der Marathon-Spezialist, der steile Anstiege eigentlich gewohnt ist, muss mehrmals vom Bike und schieben. Doch der Wechsel von Schlüsselstellen und Flow-Stücken macht Spaß. Die Aussicht ist immer bestmöglich: Gipfel, unbebaute Weite und monumental große Superkakteen. Mein Vater wäre begeistert gewesen.
Es ist das perfektes Touren-Erlebnis. Panorama, Fahrspaß, Schweiß, alles dabei. Auch das Wetter zeigt sich gnädig. Nicht zu heiß, nicht zu kalt. Die Temperaturen in Arizona können stark schwanken. Hier herrscht typisches Wüstenklima. Selbst wenn es tagsüber kuschelig warm ist, kann es nachts frostig sein wie im deutschen Winter.
“Zwischen September und Mai sind die Temperaturen perfekt. Im Sommer allerdings ist es so heiß, dass Biken nicht möglich ist. Selbst wenn man es versucht. Die Gluthitze hält man nicht aus”, erzählt Juan.
Nach knapp vier Stunden erreichen wir wieder den Parkplatz. Herrlich war das. Juan kramt in der Kühlbox und reicht mir ein Finisher-Bier. Ein India Pale Ale von einer lokalen Brauerei, wie Juan erklärt. Victory or Death heißt die Sorte. Super! Mehr gibt es nicht zu sagen. Prösterchen.
Die Anreise von Deutschland aus ist von allen großen Flughäfen aus möglich und dauert je nach Verbindung 14 bis 16 Stunden. Meist muss einmal umgestiegen werden. Der Bike-Transport ist mit United Airlines problemlos möglich und kostet pro Strecke etwa 100 Euro.
Tucson ist aus vielen Westernfilmen bekannt und gehört zu den ältesten Städten der USA. In der Stadt leben etwa 1 Millionen Menschen. Da die Stadt aber sehr in die Breite gewachsen ist, hat das kleine, lauschige Zentrum fast schon den Charme einer Kleinstadt. Es gibt viele Cafés, Kneipen und Läden. Die Übernachtungsmöglichkeiten sind zahlreich und reichen vom einfachen Motel bis hin zum vollausgestatteten Ressort wie beispielsweise dem Omni Tucson National Ressort.
Aufgrund der imposanten Landschaft, die Tucson umgibt, liegt der Fokus von Outdoor-Fans natürlich auf Aktivitäten in den Bergen oder in der Sonora-Wüste. Lohnende Ziele sind aber beispielsweise auch die Western-Filmstadt Old Tucson, das Kunstmuseum, oder auch das Observatorium. Landschaftliche Highlights samt großartiger Wanderrouten bietet der Saguaro National Park. Der berühmte Grand Canyon befindet sich etwa 10 Autostunden von Tucson entfernt.
Rund um Tucson gibt es drei große Singletrail-Netzte. Man parkt einfach am Einstieg und fährt los. Alle Loops sind perfekt ausgeschildert. Die Schwierigkeit reicht von Flow bis Enduro. Wer es individuell mag, oder ein Leih-MTB benötigt, sollte mit Homegrown MTB Kontakt aufnehmen. Die Guiding-Spezialisten organisieren individuell zugeschnittene Rides und picken einen auf Wunsch am Hotel auf.
Das legendäre 24 Hours in the Old Pueblo findet Mitte Februar etwa eine Autostunde von Tucson entfernt in der Sonora-Wüste statt. Die Startplätze sind heiß begehrt und stets schnell ausverkauft.