Sissi Pärsch
· 07.02.2025
Es wird immer wilder. Vorne zeigt sich das Tauferer Ahrntal noch weit und breit, sanft und saftig grün. Aber je tiefer man hineinfährt, desto dichter drängen die Berge. Eine Burg folgt auf die nächste, dazwischen Wasserfälle, Höfe mit sonnenverbrannter Front und Kirchlein, die so dekorativ auf Hügeln stehen, als hätte man beim Bau schon an die Instagram-Schar gedacht.
Und dann wäre da natürlich noch das Drumherum. Links der Gebirgsstock des Speikboden. Rechts der Große Windschar, der westlichste Dreitausender der Rieserfernergruppe. Und vor uns der Zillertaler Grenzkamm, der sich wie ein wuchtiger Riegel zwischen Südtirol und Österreich schiebt. Dieses Seitental vom Pustertal ist eine Sackgasse. Und Sackgassen sind immer sehr dankbar. Hier reist niemand durch, hier kommt man nicht zufällig vorbei. Im Tauferer Ahrntal landet, wer im Tauferer Ahrntal landen will. Wir zum Beispiel.
Weil es heißt, dass man an der Nordspitze Südtirols hervorragend biken kann und dass es ruhiger ist als anderswo. Fast ein Geheimtipp. Simon Enzi findet es kein bisschen schlimm, dass sein Tal etwas unter dem Radar schwirrt „und es einfach noch ein wenig ursprünglicher ist bei uns.“ Wir sind im Heimatdorf seiner Großeltern gestartet, in Prettau, der nördlichsten Gemeinde Italiens. Hier hat Simon einen Almen-Achter für uns konzipiert. Wer auf 1500 Meter Höhe startet, braucht nicht lange, um die Waldgrenze zu erreichen.
So lässt der Weg zur Stegeralm hinauf viel Raum und Weite, um die Bergwelt auch mit den Augen aufzusaugen. Großen Hunger bringen wir noch nicht mit, aber ein Getränk vor den warmen Schindelwänden der Hütte muss sein, bevor wir in den ersten Trail-Spaß einfädeln.
Teil zwei der Runde klettert die andere Talseite von Prettau hinauf. Wieder wächst die hochalpine Kulisse mit jeder Kurbeldrehung. Immer tiefer tauchen wir ein in diese Welt aus steilen Felsflanken, scharf geriffelten Kämmen und einem Rest vom „Ewigen“ Eis. Simon hat mit seinen 30 Jahren den Rückzug der Gletscher „massiv“ miterlebt. Die Alpen mögen monumental erscheinen, dem Klimawandel aber sind sie noch stärker ausgesetzt als das Tal.
Umso wichtiger, sie bewusst zu genießen. Darin ist neben Simon auch sein Kumpel Adam Ungericht ein Experte. Als Sechsjähriger ist er zwar hinausgezogen nach Bruneck, „aber für die Großeltern und die Touren komme ich viel ins Ahrntal. Hier gibt es einfach noch mehr Zufluchtsorte“, meint der heute 20-Jährige und ergänzt mit einem Schmunzeln: „und natürlich das Essen von der Oma.“ Die beiden lassen uns an der Starklalm absteigen. Unter der Auflage, dass diesen Tipp nur feine Menschen lesen werden, „die mit Anstand unterwegs sind“, wollen sie uns einen besonderen Platz zeigen. Nach einer kaum zehnminütigen Wandereinheit stehen wir inmitten des Biotops Wieser Werfer.
Ein Bergbach mäandert in fast schon surreal perfekter S-Form durch das Hochmoor. „Fast so schlangenhaft wird der Trail später“, meint Simon. Über uns thront mit 3251 Metern der Rauchkofel. Dahinter liegt schon Tirol. Wir hingegen legen uns ins Südtiroler Gras und horchen dem Wasser beim Plätschern und Adam beim Erzählen zu.
12 Jahre war er alt, als er sein erstes Bike gekauft hat. Es musste ein Downhiller sein, denn so eines hatte er beim Bruder eines Freundes gesehen. Nur gut, dass er als Kind sein Geld geschickt angelegt hatte: in Star-Wars-Lego. Ein gutes Investment, wie sich herausstellte. Denn so konnte er ein „giftgrünes“ Ghost DH 7000 erstehen. Leider war die Freude kurz: Gleich auf der ersten Fahrt am Kronplatz hat er sich das Handgelenk angebrochen. „Wir hatten einfach keine Ahnung, was wir da taten.“ Heute hat er es.
Seitdem sind noch nicht einmal zehn Jahre vergangen. Der Downhiller ist inzwischen verkauft, dafür finden sich ein Enduro, ein Hardtail, ein Rennrad und ein E-MTB in Adams Besitz. Das Geld musste diesmal auf andere Art verdient werden. Unter anderem während der Schule als Trail-Shaper am Kronplatz. Heute fließt das Gehalt als Social-Media-Manager direkt ins Zweirad-Hobby. Teuerster Posten war das E-MTB. Doch das musste sein, denn damit geht's gleich hinterm Haus schnell die steilen Hänge hinauf und auf den unterschiedlichsten Trails wieder hinunter.
Wir rollen dagegen nun auf idyllischen Feldwegen tiefer hinein in den hohen Norden Südtirols, bis zur Tauernalm. Inzwischen meldet sich Hunger. Gottseidank. Auf der Alm käst, buttert, kocht und backt die Familie Ludwig so ausgezeichnet, dass man aus dem Tal gezielt heraufsteigt – fürs Essen und für die Sicht auf die Dreiherrnspitze, die im Tauernhauptkamm so ziemlich genau auf der österreichisch-italienischen Grenze liegt. Damit gehört ihre eine Bergseite zum Nationalpark Hohe Tauern, die andere zum Naturpark Rieserferner-Ahrn. Dem knapp 3500 Meter hohen Gipfel scheint das aber völlig egal zu sein.
Schließlich überreden wir unsere vollen Mägen, die Verdauung auf dem Trail fortzusetzen – und das unter sehr rütteligen Umständen. Nämlich auf steinigen S- bis Z-Kurven hinunter zur Ahr. Unten auf der Ebene der Heilig-Geist Wiese wuselt es. Hunde- und Kinderbesitzer mischen sich mit Besuchern des Naturparkhauses in Kasern, wo Kultur und Landschaft des Tals erzählt werden.
Uns erzählt Simon von seiner Familie, die noch eng verbunden war mit dem Kupfer-Bergbau, denn der Prettauer Kupfer war für seine geschmeidige Qualität bekannt. Simons Opa hat noch als Bergknappe gearbeitet, die Oma einen Bruder bei einer Sprengung verloren. „Sie waren elf Kinder und die Oma hat immer gesagt, dass sie abwechselnd zur Kirche sind, weil sie nicht so viele Schuhe hatten.“ Armut beherrschte lange im Tal. Keine der Wohlstand bringenden Handelsrouten verlief an der Ahr entlang und der Tourismus entwickelte sich erst spät.
Arm an Burgen ist das Ahrntal hingegen nicht. Die Burg Taufers steht seit dem 13. Jahrhundert mächtig und prächtig auf einem Felsvorsprung. Genau da, wo das Tauferer Tal ins Ahrntal übergeht. Und dort wartet mit dem Speikboden unser nächstes Tourenziel. Aufstiegsanlagen haben den Gebirgsstock zum Spielplatz des Tals gemacht.
Doch abseits der Bahn treten wir erstaunlich einsam einen schmalen Pfad bergauf, der uns erst kurz unterhalb der Bergstation, auf knapp 2000 Meter Höhe, wieder in den Touristen-Strom einschleust. Paraglider wuchten ihre Schirme auf den Rücken, Kinder hüpfen zum Streichelzoo, Wanderer schlendern zum nahen Trejer See. „Wir sind bald wieder raus aus dem Getümmel“, meint Simon. Und er hat recht. Sobald wir den Einzugsbereich der Bahn verlassen, wird es wieder ruhiger.
Dafür geht der Puls nun hoch – dank happiger Schnapper und steiniger Kehren. Fahrtechnik ist gefordert und die Jungs lieben es. Noch mehr lieben sie aber das, was noch kommt, versichern sie. Da wäre der sensationelle Höhenweg am Kamm entlang mit Blick in das Bergspektakel aus Rieserfernergruppe und Dolomiten. Die Einkehr auf der hübsch herausgeputzten Weizgrubenalm. Und der abschließende Ritt auf schmalen Pfaden zurück ins Tal. Es ist ein an Perfektion grenzendes Finale. Dort, wo es endet, fährt Südtirol nochmals zur Höchstform auf.
Das Tauferer Ahrntal ist nicht nur eine Fundkerbe für diverse Hochgebirgstouren. In seiner Naturpark-Landschaft zwischen Zillertaler Alpen und Dolomiten lässt es sich auch hervorragend schlafen, einkehren und plantschen.
Das Tauferer Ahrntal besteht im Grunde aus zwei Tälern: Der vordere Tauferer-Bereich erstreckt sich von Gais bis Sand in Taufers, ab dort reicht das Ahrntal bis zum Talschluss. Während Gais noch auf 841 Metern liegt und der Talboden weit und breit ist, spitzt sich der hintere Abschnitt immer weiter zu. Prettau, Italiens nördlichste Gemeinde, liegt – umgeben von den Zillertaler Alpen und der Venedigergruppe – auf 1478 Metern. Die Region liegt mitten im Naturpark Rieserferner-Ahrn und ist umringt von 80 Dreitausendern. Viele Touren führen zu den rund 100 bewirtschafteten Almen.
Das Hotel Innerhofer in Gais ist eines der Bike-Hotels schlechthin in Südtirol. Bei Agnes und ihren Töchtern bekommt man Strecken-Geheimtipps, unterhaltsame Geschichten und dazu hervorragendes Essen und guten Schlaf – und natürlich auch den perfekten Bike-Guide (hotel-innerhofer.com).
Die Käsemanufaktur Eggemoa findet sich im versteckten Seitental Mühlwald. Hier hält Michael Steiner auf 1300 Metern 15 Milchkühe und verarbeitet deren Rohmilch zu Weichkäse. Man kann sich auch einen Picknick-Korb bereitstellen lassen – und bekommt bei Übergabe die schönsten Genussplätze genannt (eggemoa.com).
Frischkäse und Desserts aus Ziegenmilch gibt es in Sand in Taufers in der Goasroscht (goasroscht.com) und dazu im Hofladen viele Produkte aus der Region.
Die Thara See Lounge liegt im Tauferer Tal. Hier kann man so ziemlich alles tun, was mit Genuss zu tun hat: frühstücken, Gelati schlemmen, Aperol trinken, Fisch essen – oder selber angeln. (thara-see-lounge.com)
Baggalocke nennen die Einheimischen den Naturbadeteich in Gais direkt am Radweg. Der Eintritt ist kostenlos. Auch in Sand in Taufers findet man einen Naturbadesee, der allerdings Teil des Cascade Wellness-Areals ist.
Im Tauferer Ahrntal kann man mit Bike die Liftunterstützung am Speikboden oder Klausberg nutzen. Die Preise sind allerdings hoch und da es sich um Tourengebiete handelt, bietet sich die Nutzung – speziell mit E-MTB – nicht wirklich an.
Am nahen Bikepark Kronplatz ist das eine andere Sache. Einen Stopp sollte man für die legendären Trails oberhalb von Bruneck durchaus einplanen.
Die Achter-Schleife am Talende versammelt so ziemlich alles, was man von einer Bike-Runde am Alpenhauptkamm erwartet: zahlreiche Almen, idyllische Forstwege, spritzige Trails und grandiose Aussichten. Von Prettau geht es gemütlich auf Forstwegen stetig bergan bis zur Stegeralm, die sensationell schön auf 1957 Metern liegt. Am besten fährt man hungrig los, weil sich die Einkehr wirklich lohnt.
Über einen waldigen Singletrail geht es ins Tal. Zurück in Prettau klettert die Route den Gegenhang bergan. Vor der Starklalm sollte man die Räder abstellen (Schloss nicht vergessen) und zu Fuß zum Biotop Wieser Werfer aufsteigen. Zur Tauernalm wartet dann noch ein sanftes Auf und Ab mit den Augen auf all die mächtigen Dreitausender des Alpenhauptkamms. Nach der Einkehr in der Tauernalm wickelt sich ein steiniger Trail bis zur Unteren Tauernalm, unten im Tal folgt man der Ahr und rollt einfach aus dem Talschluss heraus.
Schlüsselstellen: Der Trail von der Tauernalm enthält zum Teil grobsteinige S- bis Z-Kurven, ist aber durchaus gut fahrbar.
Einkehr: Ausgezeichnetes Essen wird auf der Steger- und der Tauernalm serviert.
Im Winter wird hier skigefahren, im Sommer primär gewandert. Aber die weitläufige Bergwelt des Speikboden eignet sich auch bestens zum Biken – vor allem unter der Woche und nicht zu den Peak-Ferienzeiten, wo es nah der Bergstation voller werden kann. Hier bitte stets Rücksicht nehmen! Den Forstweg, den man von Sand in Taufers nimmt, kann man bald verlassen und auf dem gut fahrbaren Weg Nr. 27 (S1) bis kurz unterhalb der Bahnstation treten.
Über den kleinen Trejersee fährt man nun konstant auf einem schmalen Höhenweg, der aussichtsreicher kaum sein könnte. Die Querung bis zur Weizgruber Alm ist ein extrem spaßiges, wunderschönes Auf und Ab mit eingestreuten fordernden Uphill-Sektionen. Nach der Einkehr folgt der traumhafte Downhill bis Außermühlwald auf perfekt griffigem Waldboden! Zurück zum Start rollt man auf Straße und Radweg.
Schlüsselstellen: Der Uphill- Trail von Sand in Taufers ist fahrtechnisch kaum fordernd, tückisch sind vor allem einige steile Bergaufpassagen auf dem Höhenweg. Die Abfahrt ab der Weizgruberalm ist größtenteils flowig.
Einkehr: Die Weizgruberalm ist nicht nur hübsch gelegen, sondern auch hübsch herausgeputzt.
Die Ochsenlenke ist eine kernige, Akku-zehrende Ikone unter den Bike-Touren im Tauferer Ahrntal – steil, lang, eindrucksvoll. Über den Ochsenlenke-Pass, der das Ahrntal mit dem Reintal verbindet, umrundet man die Durreckgruppe im Zillertaler Hauptkamm. Wer sich zurück die über 20 Kilometer und 660 Höhenmeter auf dem Radweg durch das Ahrntal sparen möchte, startet in Prettau direkt Richtung Hasental. Man schraubt sich in teilweise extrem steilen Serpentinen (bis zu 23%) schnell bergan (Akku-Management!) bis der Forstweg auf dem weitläufigen Almgebiet in den alten Saumweg 1b (S0) übergeht.
Am Pass-Scheitel auf 2614 Meter Höhe gilt es das Rieserferner-Panorama zu genießen. Die Abfahrt vom Grat zur Knuttenalm ist kaum anspruchsvoll, der folgende Uphill hingegen birgt einige Schlüsselstellen und extrem steile Rampen. Dafür kann man auf der Durra-Alm hervorragend einkehren und weiß, dass die Trails und Forstwege von jetzt fast nur noch bergab gehen.
Schlüsselstellen: Der Uphill (S3) zur Durra-Alm ist extrem steil und birgt einige technische Sektionen. Auch die folgende Abfahrt ist teilweise felsdurchsetzt. Eine weitere Herausforderung: das Akku-Management.
Einkehr: Auf der Knuttenalm oder der kleinen, netten Durra-Alm.
Rücktransfer: In Sand in Taufers nimmt man ganz entspannt den Bus zurück nach Prettau.
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