Florentin Vesenbeckh
· 12.02.2023
Weniger Power, kleinere Akkus und dadurch viel leichter: So wollen Light E-MTBs die E-Bike-Welt revolutionieren. Wir haben die neuen E-Motoren einem aufwändigen Reichweitentest unterzogen. Fazua Ride 60, TQ HPR 50, Shimano EP8: Welcher E-Bike Antrieb klettert höher am Berg in unserem aufwändigen Vergleich?
Die neue Light-Klasse hat massig Sex-Appeal. Leicht, schlank und leise – so unauffällig und elegant waren E-MTBs noch nie! In unserem ausführlichen Labor- und Praxistest der leichten E-Bike-Motoren haben wir die Unterschiede, Stärken und Schwächen der einzelnen Antriebe bereits intensiv beleuchtet. Im Rahmen unseres großen Vergleichstests der acht heißesten neuen Light-E-MTBs sind wir einem weiteren Schlüsselkriterium auf den Grund gegangen: der Reichweite. In einem ausgeklügelten Feldtest haben wir den E-Bikes und Antrieben unter exakt vergleichbaren Bedingungen auf den Zahn gefühlt und sie in puncto Kilometerleistung verglichen. Ebenfalls mit dabei: Ein klassisches E-MTB mit dickem 720er-Akku, das Canyon Spectral:On CFR. Verliert der schwerere Brummer durch sein Gewicht deutlich an Effizienz? Oder fährt er der Light-Konkurrenz um die Ohren?
Übrigens: Welche Stärken und Schwächen die E-Bike-Motoren haben, wieviel Power sie liefern und welcher Light-Antrieb für welchen Einsatz der Beste ist, haben wir in unserem ausführlichen Labor- und Praxistest erläutert.
Wieviel Wert man auf die Ausdauer eines Light-E-MTBs legt, muss jeder anhand seines persönlichen Einsatzprofils entscheiden. Wer den Motor nur als leichten Rückenwind bei minimaler Power nutzt und auf Tour auch mal weite Strecken ohne E-Schub pedaliert, für den ist das Kriterium unter Umständen kaum relevant. Wer allerdings einen Ersatz für ein klassisches E-MTB sucht, dem Light E-Bike auch gerne volle Leistung abverlangt, um fiese Uphills zu meistern und lange Touren abzureißen, der wird mit den Mini-Antrieben schnell an die Reichweitengrenze kommen. Und für den können die Unterschiede der Antriebe in Sachen Ausdauer absolut kaufentscheidend sein. Denn, soviel sei schonmal verraten: Unser Test hat gravierende Unterschiede in Effizienz und Reichweite hervorgebracht.
Um die Reichweite der Light E-Bikes fair und realistisch miteinander zu vergleichen, haben wir einen aufwändigen Feldtest mit Wattmesstechnik von Garmin durchgeführt. Für perfekte Vergleichbarkeit haben wir dazu alle Motoren über die U-Stufen und die App-Feineinstellungen auf eine einheitliche Leistung von rund 250 Watt angeglichen. Das ist knapp die Hälfte der Power eines klassischen E-MTB-Motors à la Bosch oder Shimano. Heißt: Jeder Motor muss dasselbe leisten, jedes Bike fährt in annähernd gleicher Geschwindigkeit bergauf. Während dieser Motor-Output für einen Shimano EP8 gerade einmal “Halblast” bedeutet, fuhren die schwächeren Motoren von TQ und BH Bikes schon im oberen Bereich ihrer maximalen Leistungsfähigkeit.
Die Fahrerleistung haben wir konstant bei 175 Watt (Trittfrequenz 80 bis 85 U/min) gehalten und mit hochwertiger Messtechnik von Garmin überwacht und aufgezeichnet. Das Fahrergewicht lag bei 90 Kilo inklusive Ausrüstung. In diesem Modus haben wir einen konstanten Anstieg ohne Flachstücke so oft wiederholt, bis der Akku komplett entleert war. Die Daten des Berges: Gut 300 Höhenmeter auf 3,6 Kilometer. Das ergibt eine durchschnittliche Steigung von 8,4 Prozent. Für einen Anstieg à 300 Höhenmeter benötigten wir mit diesen Parametern rund 16 Minuten und 30 Sekunden. Die Abfahrten wurden mit ausgeschaltetem Motor absolviert.
Die erste Erkenntnis ist wenig überraschend: Je größer der Akku, desto mehr Reichweite liefern die E-Bikes. Das klingt wenig spektakulär. Deutlich interessanter ist, dass wir zwischen E-MTBs mit vergleichbarer Akku-Größe erstaunliche Reichweitenunterschiede ermittelt haben. Ein Blick auf die Klasse um 360 Wattstunden macht das besonders deutlich. Forestal mit 360 Wattstunden, der TQ HPR 50 in Trek und Simplon mit 360 Wattstunden und der Shimano EP8 im Rotwild R.X 375 mit 375 Wattstunden.
Das Rotwild mit Shimano-Antrieb erkletterte in unserem Test 1285 Höhenmeter, und damit deutlich mehr als die Antriebe von TQ und Forestal. Die Bikes mit TQ HPR 50 kamen nur auf rund 900 Höhenmeter (Simplon 893 und Trek 925) und erkurbelten dann nochmal 133 bzw. 148 Höhenmeter bei deutlich reduzierter Leistung auf den letzten zehn Prozent Akku. Mit 1007 Höhenmetern plus 79 bei reduziertem Schub kommt das Forestal Cyon mit dem F60-S1 etwas weiter. Besonderheit dabei: Bis null Prozent Akku schiebt der Motor voll an, danach liefert er nochmal reduzierte Kraft für einige Minuten, in unserem Test ergab das nochmal 79 Höhenmeter. Wichtig für die Interpretation dieser Ergebnisse: Die Höhenmeter im reduzierten Notlauf-Modus werden zum Großteil vom Fahrer erstrampelt, nicht vom Motor!
Mit 430 Wattstunden haben die Fazua-Bikes den nächstgrößeren Akku an Bord. Haibike und Focus erzielten in unserem Test 1423 bzw. 1359 Höhenmeter. Das ist deutlich mehr als die TQ-Konkurrenz. Das Höhenmeter-Plus von rund 40 Prozent ist dabei erheblich größer, als man es durch den nur knapp 20 Prozent größeren Akku erwarten würde. Die Fazua-Bikes schieben übrigens bis zum letzten Akku-Prozent mit der vollen Power von rund 250 Watt, die wir für unseren Test angelegt haben.
Das BH Bikes iLynx Trail kommt mit dem größten Akku mit 540 Wh insgesamt am weitesten, der Antrieb schaltet aber früh in einen Notlauf-Modus mit minimaler Unterstützung. 1338 Höhenmeter plus 285 bei reduziertem Schub lassen nicht auf die allerbeste Effizienz schließen. Das Storck e.drenalin mit Shimano EP8 und 504 Wattstunden erklettert 1583 Höhenmeter bei vollem Motorschub, was die gute Effizeinz des Shimano EP8 unterstreicht.
Zum Vergleich haben wir ein klassisches E-MTB mit 720er-Akku in unserem Test mitlaufen lassen. Das Canyon Spectral:On CFR wiegt 22,3 Kilo und ist damit rund zwei bis vier Kilo schwerer als die Light-Kandidaten. Die Motorunterstützung des Shimano EP8 haben wir dabei auf das identische Leistungs- bzw. Geschwindigkeits-Level eingepegelt, mit dem wir auch die Light-Bikes gefahren sind. Wenig verwunderlich: Mit dem deutlich größeren Akku erklettert das Canyon bei identischen Bedingungen und gleicher Fahrweise mit Abstand am meisten Höhenmeter. Nämlich satte 2096 Höhenmeter.
Der Vergleich zeigt deutlich, dass Höhenmetersammler bei sparsamer Fahrweise aus einem klassischen E-MTB deutlich mehr Reichweite herausholen können als aus den besten Light-Bikes. Das ist zwar eigentlich logisch, doch das Marketing der Hersteller erweckt teils einen anderen Eindruck.
Leider könnt ihr Eure Tourenplanung nicht anhand unserer Ergebnisse durchführen! Die Werte, die wir ermittelt haben, zeigen nicht, wie weit Ihr auf Eurer Hausrunde mit Motor X oder Akku Y kommt. Denn hierbei spielen zu viele individuelle Parameter eine Rolle. Fahrergewicht, Unterstützungsstufe, Streckenprofil, Untergrund, Temperatur und vieles mehr. Warum ist unser Test dennoch aussagekräftig? Weil wir die Systeme fair und objektiv miteinander verglichen haben. Das heißt: Das Bike, das in unserem Testprozedere am weitesten kommt, ermöglicht auch Euch die größte Reichweite, längste Tour oder die meisten Trail-Loops. Antriebe, die hier am hinteren Ende landen, werden auch auf Euren Touren schneller zu Akku-Problemen führen.
Unsere Werte spiegeln ein fair vergleichbares Bild der Antriebe wider. Sie lassen direkte Rückschlüsse auf die Effizienz und die technologische Entwicklung zu. Die “gefühlte Reichweite” kann in der Praxis aber ganz anders ausfallen. Das liegt vor allem an den deutlichen Unterschieden in der Maximalleistung, die die E-Bike-Motoren der Light-Klasse haben. Ein starker Motor, wie ein Shimano EP8 oder Forestal F60-S1, verleitet in der Praxis dazu, den Turbo einzulegen. Doch die Power-Modi der starken Aggregate sind natürlich entsprechend stromhungrig.
Wer die Motoren nicht sparsam einsetzt, wie es die Entwickler vorsehen, kann in der Praxis zu ernüchternden Ergebnissen kommen. Besonders eklatant ist das beim Forestal-Antrieb, dessen “Nitro-Mode” extrem Drehmomentstark, aber auch super stromhungrig ist. Auch der leistungsstärkste Motor, der Shimano EP8, zieht bei vollem Boost-Modus sehr viel Strom. Für die meisten Anwendungsfälle ist das zu viel für den kleinen 375er-Akku im Rotwild. In diesen Fällen kann bei “falscher” Anwendung der Akku in deutlich unter einer Stunde Fahrzeit sich verausgaben.
Im Gegenzug können eher schwächere Antriebe, wie ein BH 2EXMag oder ein SL 1.1 von Specialized, sehr sparsam und reichweitenstark wahrgenommen werden. Denn: Selbst wer hier auf maximale Power stellt, bekommt verhältnismäßig wenig Motorschub. Beide liefern nur rund die Hälfte der Maximalleistung eines Shimano EP8. Der Akku hält dadurch selbst bei höchster U-Stufe relativ lange. In der Praxis bedeutet das: Wer mit seinem Light-Bike lange Touren fahren möchte, muss mit Akku- und Motor-Power sorgsam umgehen, und sich mit den Parametern beschäftigen. Am besten funktioniert das, wenn man die Unterstützungsstufen via App auf ein gemäßigtes Niveau drosselt.
Acht der spannendsten Light E-MTBs der Saison 2023 haben wir für diesen Test durch die Redaktion geschleust. Natürlich haben wir nicht nur die Reichweite untersucht. Den ausführlichen Test der acht Trail-Flitzer gibt´s ab sofort in unserer EMTB-Ausgabe 1/2023!
Mehr Details zu den Bikes gibt´s hier in der Bildergalerie:
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