Max Fuchs
· 23.05.2023
Trailbike Raaw Jibb: Mit ihrer eigenständigen Optik, der sorglosen Technik und vielversprechenden Fahreigenschaften erfreuen sich Raaw-Bikes immer größerer Beliebtheit. Ob sich das beim Test des Jibbs bewahrheitet?
Wir alle kennen die Vorteile von Carbonfasern: Sie sind extrem leicht, steif und nahezu beliebig formbar. Diesen Eigenschaften haben wir nicht zuletzt die leistungsfähigsten Sportgeräte der Mountainbike-Geschichte zu verdanken. Doch wer sein Bike so richtig in die Mangel nimmt, sehnt sich nicht immer nach maximalem Leichtbau oder ausgefallenem Design. Ein robuster Begleiter mit einfacher Technik scheint für den Alltag im Gelände oft besser geeignet – einer wie das Raaw Jibb zum Beispiel.
>> Alle Traumbikes in unserem Test gibt es in diesem Artikel: Die Traumbikes der Leser: Die 6 begehrtesten Bikes im Test <<
Die junge Firma Raaw aus dem Allgäu betrat 2017 zum ersten Mal die Bildfläche. Seitdem stehen die vier Buchstaben für langlebige und unkomplizierte Mountainbikes mit der Lizenz zum Shredden. Die Modellpalette ist übersichtlich: Ein Enduro Namens Madonna, der Downhiller Yalla und das kurzhubigere Jibb – das war’s. Um der Firmenphilosophie gerecht zu werden, setzt Raaw selbstverständlich nicht auf ein edles Carbon-Chassis, sondern auf eine massive Alu-Konstruktion. Unser Prüfstand attestiert dem Jibb 130 Millimeter Federweg am Heck. Die Knautschzone an der Front beträgt dagegen stolze 150 Millimeter. Laufradgröße: 29 Zoll. So weit so gut.
Diskussionsstoff bietet das Jibb erst beim Gewicht. Denn mit über 16 Kilo inklusive Pedalen wiegt unser Testbike sogar mehr als so manches Enduro dieser Preisklasse. Ein Großteil des Gewichts fällt dabei auf den 4094 Gramm schweren Rahmen zurück. Zur Einordnung: Tourenfahrer rollen für gewöhnlich schon ab der Drei-Kilo-Marke mit den Augen. Wer dagegen das Übergewicht verkraften kann, bekommt dafür das Raaw-typische Rundum-sorglos-Paket. So findet man an allen Drehpunkten des Viergelenk-Hinterbaus ausschließlich doppelt gedichtete Industrielager. Besonders auffällig sind dabei die überdimensionierten Lagerungen am Hauptdrehpunkt. Das verspricht lange Wartungsintervalle und maximalen Schutz gegen Staub und Feuchtigkeit. Die uneingeschränkte Bikepark-Freigabe sowie fünf Jahre Garantie – gilt auch für Zweitbesitzer – unterstreichen die Nehmerqualitäten des Jibb.
Aber jetzt ab ins Gelände. Angesichts des kolossartigen Auftretens fährt sich das Raaw Jibb bergab überraschend handlich. Das liegt zum einen am kurzhubigen Hinterbau. Der bietet trotz Stahlfeder-Dämpfer viel Gegenhalt und unterstützt Piloten mit aktivem Fahrstil. Außerdem fällt der Lenkwinkel (65,8 Grad), gemessen am Federweg eher steil aus. Das ermöglicht präzise und schnelle Richtungswechsel. Der sehr steife Rahmen trägt ebenfalls zum direkten Fahrverhalten bei. Will man das Jibb allerdings in den Flugmodus ziehen, macht sich der Gewichtsnachteil gegenüber leichteren Modellen klar bemerkbar.
Im steilen und technischen Gelände blüht das Jibb dann so richtig auf. Durch die sehr hohe Front steht man stets sicher hinter dem Bike. Seine moderate Geometrie erleichtert zudem die Kontrolle bei langsamer Fahrt. Auch gut: Der weiche MaxxGripp-Reifen am Vorderrad leistet im Grenzbereich super Führungsarbeit. Wagt man sich allerdings auf ruppige Highspeed-Passagen, erreicht das Raaw schnell seinen Grenzbereich. Zwar verarbeitet der Hinterbau auch schnelle Schläge ohne Probleme, in Sachen Schluckvermögen kann er mit der potenteren Gabel aber nicht mithalten. Auch der steile Lenkwinkel vermittelt in Kombination mit dem kurzen Reach nur begrenzt Laufruhe.
Bergauf profitiert das Jibb wiederum von seinem kurzen Federweg. Denn selbst im Wiegetritt geht kaum Energie durch Wippbewegungen im Hinterbau verloren. Technische Kletterpassagen meistert das Jibb dank der kompakten Sitzposition und den langen Kettenstreben auch ohne Probleme. So bleibt stets Raum für Ausgleichsbewegungen und auch das Vorderrad hält ohne aktive Gewichtsverlagerung den Kontakt zum Boden. Einziges Manko: Das träge Beschleunigungsverhalten. Wer seinen Fokus darauf legt, sollte sein Geld in dieser Preisklasse dann doch lieber in die Vorteile von leichten Carbonfasern investieren.
Das Raaw Jibb zeichnet sich nicht zuletzt durch seine soliden Fahrleistungen aus. Doch in erster Linie sind es der raubeinige Charakter, die einfach gehaltene Technik und die Langlebigkeit, die das Allgäuer Trailbike besonders für hartgesottene Shredder interessant machen. Durch die Nehmerqualitäten und den kurzen Federweg eignet es sich auch perfekt als Zweit-Bike für Enduristen.
Ihren Ursprung fand die Allgäuer Radmarke Raaw 2017 in Kempten. Der Gründer Ruben Torenbeek und sein Team fokussieren sich seitdem auf abfahrtslastige und langlebige Mountainbikes. Produziert wird in Taiwan. Komplett-Bikes sind bei dem Versender nicht erhältlich. Die Bikes sind entweder als Rahmen-Kits oder als “Rolling-Chassis” erhältlich. Bei letzterem handelt es sich im Grunde genommen um ein Komplett-Bike ohne Antriebsgruppe und Bremsanlage. Die übrigen Komponenten können via Online-Konfigurator angepasst werden.
GESAMT BERGAUF: 53,25 VON 90
GESAMT BERGAB: 110,3 VON 130
*Das BIKE-Urteil gibt die Labormesswerte und den subjektiven Eindruck der Testfahrer wieder. Das BIKE-Urteil ist preisunabhängig.
BIKE-Urteile: super (250–205 P.), sehr gut (204,75–170 P.), gut (169,75–140 P.), befriedigend (139,75–100 P.), mit Schwächen, ungenügend.