Florentin Vesenbeckh
· 01.02.2022
Größerer Akku, neue Laufradgrößen, erwachsene Geometrie: Nach nur zwei Jahren legt Santa Cruz das Heckler neu auf. Wir konnten das E-MTB bereits ausgiebig fahren.
Die Kalifornier von Santa Cruz hatten sich lange Zeit gelassen mit ihrem ersten E-Mountainbike. 2020 war es soweit, das Heckler erblickte das Licht der Welt. Gerade einmal zwei Jahre später steht jetzt die zweite Ausbaustufe des motorbetriebenen All Mountains/Trailbikes parat. Und es hat sich einiges getan, auch wenn das auf den ersten Blick gar nicht so deutlich sichtbar wird.
Im Check: das neue Santa Cruz Heckler im EMTB-Neuheiten-Video.
Vom kleinen Akku mit 500 Wattstunden und den kleinen Laufrädern in 27,5 Zoll ist am neuen E-MTB von Santa Cruz kaum etwas übrig geblieben. Diese Werte waren schließlich schon beim Ur-Heckler etwas oldschool, doch die Kalifornier nutzten die Besonderheiten, um ihrem ersten E-MTB Alleinstellungsmerkmale zu entlocken. So verspielt war 2020 kein anderes E-Bike und das abgespeckte Heckler MX aus dem Modelljahr 2021 setzte mit sensationellen 20 Kilo in Größe L nochmal einen drauf. Damit machte es in Sachen Fahrverhalten schon der Kategorie der Light-E-MTBs Konkurrenz – trotz großem Wechsel-Akku – und konnte sich im EMTB-Highend-Vergleichstest mit besonders spritzigen Fahreigenschaften absetzen.
Der jetzt vorgestellte Neuling schlägt eine andere Richtung ein. Aus dem spritzigen Trail-Flitzer ist ein ausgewachsenes All Mountain geworden. Allen voran die neue Batterie, ein Darfon-Akku mit 726 Wattstunden, befeuert diesen Wandel. Mit knapp 3,8 Kilo ist dieser Energieträger ein guter Kompromiss aus Gewicht und Reichweite. Im Vergleich zum 500er-Vorgänger sind das rund 900 Gramm Mehrgewicht. Trotzdem bleibt das Bike vergleichsweise leicht.
Knapp unter 22 Kilo wiegt das Topmodell des 2022er-Heckler in der MX-Variante und Größe L. Bei dieser Akku-Kapazität und Abfahrtsstärke schafft das kaum ein anderes E-MTB. Gewichtstechnisch rangiert das Bike in einer Liga mit dem Turbo Levo von Specialized. Beide bieten 160 Millimeter Hub an der Gabel, 150 Millimeter am Heck. Leider steht Santa Cruz auch beim Preis kaum hinten an. 12999 Euro werden für das Edel-Modell Heckler CC X01 AXS RSV fällig. Und nur diese Variante setzt auf den edlen CC-Carbonrahmen. Der Rahmen der C-Variante ist etwas günstiger ausgeführt und rund 300 Gramm schwerer.
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Einen besonderen Weg schlägt Santa Cruz bei der Wahl der Laufradgröße ein. Da sich in der Entwicklungsphase kein klarer Favorit aus den beiden Varianten 29 Zoll oder MX (29 vorne, 27,5 hinten) hervorgehoben hat, hat Santa Cruz ganz einfach beide Varianten ins Line-Up gehievt. „Uns haben beide Varianten überzeugt und beide hatten ihre ganz eigene Charakteristik”, erklärt Produktmanager Todd Ford. Allerdings lassen sich die Laufräder nicht einfach tauschen. Die beiden Varianten haben einen eigenen Hinterbau, der nicht separat erhältlich sein soll. Der Kunde muss sich also vor dem Kauf entscheiden, welche Laufradgröße er fahren will. Wir konnten beide Varianten bereits fahren.
Es ist bei nahezu jedem neu vorgestellten E-MTB das gleiche – und da macht auch das neue Heckler keine Ausnahme: Längerer Reach, flacherer Lenkwinkel, steilerer Sitzwinkel. So lassen sich die Geometrieanpassungen zum Vorgänger umreißen. Ins Extreme driftet das Bike aber nicht. Neu ist außerdem ein Flipchip an der Dämpferaufnahme, mit dem die Geometrie minimal angepasst werden kann. Deutlicher soll aber die Änderung der Federungskinematik ausfallen. Die Position mit tieferem Tretlager und flacherem Lenkwinkel geht passenderweise mit einem progressiveren Fahrwerk einher.
Die neue Geometrie in Zahlen: Der Reach wächst nur minimal auf 475 mm in Größe L, deutlicher flacht der Lenkwinkel ab. 64,5 bzw. 64,8 Grad, je nach Flipchip-Einstellung. Der Sitzwinkel landet zwischen 76,4 und 77 Grad (je nach Rahmengröße, Laufradkonfiguration und Flipchip). Die Kettenstreben messen mit 27,5er-Hinterrad moderate 445 Millimeter, mit 29er-Heck fallen sie mit 460 mm überdurchschnittlich lang aus.
Beim Launch des neuen Santa Cruz Heckler in der Provence konnten wir das Bike bereits gut zwei Tage auf den natürlichen, steinigen Trails fahren. Die meiste Zeit waren wir auf dem Topmodell mit MX-Laufradmix unterwegs. Der Charakter des Bikes hat sich im Vergleich zum Vorgänger merklich geändert. Der flachere Lenkwinkel, längere Radstand und das 29er-Vorderrad verleihen dem Heckler ein Plus an Laufruhe.
Schon die Version mit kurzem Heck (MX) liegt richtig satt und sicher. Anspruchsvolle Passagen und ruppige Steinfelder nimmt es gelassen. Dazu trägt auch der starke Hinterbau bei – ein absolutes Highlight des Bikes. Er arbeitet feinfühlig, schluckt auch große Schläge souverän und sorgt so für viel Traktion. Trotzdem arbeitet der Dämpfer sehr definiert und gibt dem Fahrer ausreichend Feedback und Gegenhalt. Das fördert ein spritziges Fahrgefühl.
In Sachen Spritzigkeit muss sich der Neuling allerdings seinem Vorgänger geschlagen geben. Zumindest, wenn man den Vergleich zum superleichten Heckler MX 2021 zieht, das ein noch lebhafteres und spritzigeres Handling hatte. Dennoch: Das neue Heckler bleibt wendig, lässt sich auch um enge Kehren scheuchen und auch Sprünge und Bunny Hops gehören nach wie vor zur Kernkompetenz. Das Vorderrad in die Luft zu bewegen, erfordert aber einen gewissen Körpereinsatz.
Ein direktes Handling behält das E-Bike auch durch die verhältnismäßig tiefe Front. Das bringt den Fahrer in eine aktive Fahrposition und sorgt für den nötigen Druck am Vorderrad. Wer es vorzieht, im Downhill hinter einer hohen Front zu stehen, muss mit einigen Spacern nachhelfen. Insgesamt trifft das neue Heckler mit MX-Laufrädern für unseren Geschmack den Kompromiss aus spaßigem, verspieltem Fahrverhalten und Fahrsicherheit extrem gut.
Und auch die Uphill-Eigenschaften können sich absolut sehen lassen. Mit den moderaten Kettenstreben von 445 Millimetern ist das Heckler MX zwar keines dieser Bikes, auf dem man sich an steilen Stichen genüsslich nach hinten lehnt. Doch mit einer aktiven Fahrweise ist es auch in wirklich technischen und steilen Uphills absolut kompetent. Hier hat der starke Hinterbau ebenfalls seine Finger im Spiel. Denn er hält den Fahrer in einer aktiven Position und sackt auch an Stufen und in Senken nicht unangenehm weg. Die Traktion ist hervorragend, das Fahrgefühlt eher sportlich-definiert als supersoft.
Nach zwei ausgefüllten Trail-Tagen mit der MX-Variante konnten wir auch die 29er-Version noch eine Runde ins Gelände entführen. Der Manual-Check auf Asphalt offenbart klare Unterschiede. Das Vorderrad lässt sich nochmal deutlich schwerer in die Luft bewegen. Hier zollt die Kettenstrebenlänge von 460 Millimetern Tribut. Auf dem Trail fährt sich das Bike aber immer noch angenehm. Keine Spur von Langholzlaster-Feeling. Klar ist aber: Wer ein verspieltes und wendiges Bike sucht und Wurzeln gerne als Sprungschanze nutzt, der ist mit der MX-Version besser beraten.
Das 29er-Modell legt den Fokus klar auf Laufruhe und Fahrsicherheit. In ruppigen, schnellen Passagen liegt es nochmal eine Spur satter. Auch in steilen Uphills ist das Heckler mit 29er-Heck unkomplizierter zu handeln. Das Vorderrad behält selbst bei passiver Fahrposition Bodenkontakt. Welche Variante die bessere Wahl ist, hängt sicher vom Einsatzgebiet und den persönlichen Vorlieben ab. Wir hatten aber das Gefühl, dass das MX-Modell den Kompromiss aus Wendigkeit und Fahrsicherheit besser trifft. Zumindest für sportlich versierte Piloten mit aktiver Fahrweise. Erst auf sehr langen, kletterlastigen Touren könnte das 29er seine Vorteile ausspielen und dem Fahrer mehr Arbeit abnehmen. Der Gewichtsunterschied beläuft sich auf rund 300 Gramm.
Die VPP-Hinterbauten der Santa Cruz-Bikes funktionieren richtig gut, darauf ist Verlass. Genauso gesetzt sind leider die hohen Preise der kalifornischen Edelschmiede. Das neue Heckler macht da keine Ausnahme. Für das günstigste Modell werden 7999 Euro fällig. Immerhin stecken hier schon Shimanos EP8 und der große 726er-Akku drin. Das war beim Einstiegsmodell des Vorgängers (E7000-Motor) nicht der Fall. Insgesamt stehen drei weitere Varianten zur Wahl. 8999, 9999 und 12999 Euro werden für die teureren Modelle fällig. Fox-Factory-Fahrwerk und leichte Carbon-Parts gibt's also erst für saftige 13000 Euro. Neu sind die unterschiedlichen Rahmen. Nur das Topmodell kommt mit dem hochwertigen CC-Carbonrahmen. Alle anderen Modelle setzen auf eine günstigere Carbon-Version. Der Rahmen wird dadurch rund 300 Gramm schwerer.
Mit dem neuen Antriebspaket und dem Geometrie-Update hat sich das Heckler zu einem potenten All Mountain entwickelt. Die Fahreigenschaften sind erstklassig und ausgewogen. Abenteuertouren, traillastige Hausrunden oder Ausflüge in den Bikepark – das neue Santa Cruz Heckler ist bereit. Das Gewicht des Topmodells ist in Anbetracht der Abfahrtsstärke und der Akku-Größe sehr gut – allerdings muss man dafür auch richtig tief in die Tasche greifen. Top: lebenslange Garantie auf den Rahmen und hohe Gewichtsfreigabe!
Mehr neue E-MTBs und Tests der spannendsten Bikes? EMTB 1/2022 liegt ab 15. Februar am Kiosk. Wir haben neun heiße Kandidaten der 150-mm-Klasse im Vergleich, das neue Scott Patron eRide im Test und mit dem Orbea Rise H ein leichtes, spritziges Trail-Toy im Check. Ab 15. Februar gedruckt oder digital!