Stefan Loibl
· 04.11.2022
120 Millimeter Federweg, mehr Systemintegration und ein dreistufiges Fahrwerk: Orbea macht das erfolgreiche MTB-Racefully fit für die nächste Generation. Wir stellen das neue Orbea Oiz für 2023 vor und sind es bereits gefahren.
In diesem Artikel finden Sie zunächst die Vorstellung des neuen Orbea Oiz. Dann berichten wir von unserem ersten Fahreindruck mit einem Modell Oiz M-Team.
Das Orbea Oiz gehört zu den erfolgreichsten Racebikes im Cross-Country- und Marathon-Rennsport. 2022 Jahr haben Georg Egger und Lukas Baum von Speed Company Racing damit das legendäre Cape Epic und einige weitere Etappenrennen gewonnen. Doch auch im Cross-Country-Worldcup stand das Oiz in der Vergangenheit durch Victor Koretzky oder Milan Vader bereits auf den obersten Podestplätzen.
Damit das Orbea Oiz auch weiterhin im MTB-Rennsport um Siege und Medaillen mitfährt, war die Entwicklungsabteilung der Basken bei der Neuauflage des 2019 auf den Markt gebrachten Mountainbikes gefordert: Wie kann man die nächste Generation des MTB-Racefullys verbessern und noch schneller machen? Kein leichtes Unterfangen, denn das Orbea-Bike hatte auch im Racebike-Test 2021 eine überzeugende Vorstellung abgeliefert und sich den BIKE-Testsieg geholt.
Ähnlich radikal wie Scott beim aktuellen Spark RC verabschiedet sich Orbea beim Oiz von einer klassischen 100-mm-Version. Eine Trailbike-Variante - vorher gab es zusätzlich eine TR-Version - wird es nicht mehr geben. Damit werden auch die Rennfahrer im Cross-Country-Worldcup und bei Marathon-Rennen mit 120 Millimeter Federweg unterm Hintern antreten. Ein Trend, den Scott angestoßen hat und die leichten 120-mm-Federgabeln, wie eine Fox 34 Stepcast, geebnet haben. Denn auch bereits in diesem Jahr waren Georg Egger und Lukas Baum bei ihrem Cape-Epic-Sieg mit 120er-Gabeln unterwegs. Für den gewachsenen Federweg hat Orbea den Oiz-Rahmen steifer gemacht und ihm eine aggressivere Geometrie verpasst. Zwei Flaschenhalter kann man beim neuen Oiz nun bei allen Rahmengrößen (auch S) montieren. Und auch bei der Reifenfreiheit und der Ausstattung mit absenkbaren Sattelstützen geht Orbea den gleichen Weg wie Scott beim Spark RC: Mit breiten Reifen und Variostützen statten die Basken fast alle neuen Oiz-Modelle für 2023 aus. Doch wie wirken sich diese Neuerungen auf das Gewicht des Racebikes aus?
Vergleicht man den Carbonrahmen des neuen Oiz mit dem Vorgängermodell, ähneln sich die beiden Bikes sehr stark. Doch schaut man sich vor allem die Wippe und den Hinterbau genauer an, erkennt man die Neuerungen. Speziell das Design der Sitzstreben ist beim neuen Orbea Oiz deutlich wuchtiger und massiver. Auch die Wippe, die in einem Carbon-Fiberglas-Spritzgussverfahren entsteht (Orbea nennt das Material Fiberlink), wurde weiter verfeinert und stabiler konstruiert. Zusätzlich verbaut Orbea am Hauptdrehpunkt des Hinterbaus über dem Tretlager breitere und größere Lager von Enduro Bearings. All diese Maßnahmen zahlen darauf ein, dass der Hinterbau des Racebikes zum einen steifer ist (Orbea spricht von einem Steifigkeitsgewinn von 12 Prozent) und zum anderen auch langlebiger gegenüber Verschleiß und Defekten wird. Zusätzlich kehrt Orbea - wie viele andere Bike-Hersteller auch - zu einem geschraubten Tretlager im BSA-Standard zurück.
Trotz des steiferen Rahmens und der Neuerungen soll das Chassis des Oiz weiterhin konkurrenzfähig leicht sein. An die 1654 Gramm des alten OMX-Rahmens in Größe L, die wir im BIKE-Testlabor ermittelt hatten, wird das neue Orbea-Bike trotzdem nicht ganz herankommen. Die Basken geben für die hochwertigste Carbon-Variante OMX ein Rahmengewicht von 1750 Gramm inklusive Dämpfer und Kleinteilen, wie Schaltauge, an. Die Steckachse hinten, die bei BIKE-Messungen Teil des Rahmengewichts ist, wiegt Orbea jedoch nicht mit. Die OMR-Version mit einfacheren Carbonfasern und einer Postmount- statt Flatmount-Bremsaufnahme hinten dürfte etwa 150-200 Gramm schwerer sein. Ein Gewicht für den Alu-Rahmen, der in den Oiz H-Modellen zum Einsatz kommt, konnte man uns noch nicht nennen.
Mit dem Upgrade auf 120 Millimeter Federweg und einem komplett neuen Rahmen hat Orbea auch die Geometrie überarbeitet. Selbst im Vergleich zur alten TR-Version ist der Reach des neuen Bikes mit 450 mm (Größe M) noch einmal gewachsen und der Lenkwinkel noch eine Spur flacher. Er beträgt nun 67 Grad. Gleichzeitig steilt Orbea den Sitzwinkel auf 76,5 Grad auf und macht die Kettenstreben um zwei Millimeter länger (432 mm). Insgesamt kommen die Geometriedaten denen des Scott Spark sehr nahe. Durch die aggressivere Geometrie soll das neue Oiz noch souveräner über ruppige Cross-Country-Pisten und Highspeed-Passagen bei Marathon-Abfahrten fliegen.
Für mehr Systemintegration an der Front hat Orbea für das neue Oiz ein eigenes Cockpit entworfen. Damit verschwinden die Bremsleitungen und der Zug für die Dämpfersteuerung direkt über Öffnungen in der Steuersatzkappe im Rahmeninneren. Außerdem verbirgt sich unter dieser Abdeckung ein integrierter Lenkanschlagsbegrenzer (Spin Block), der das Oberrohr vor Einschlägen der Lenkerarmaturen schützt. Für diese Cockpit-Lösung braucht man allerdings spezielle Spacer und Vorbauten, die Orbea mit seiner Eigenmarke OC anbietet und im Oiz verbaut. Je nachdem, wie viele Züge in der Abdeckkappe verschwinden sollen, bieten die Spanier verschiedene Versionen davon an. Auch aus Vorbauten in drei verschiedenen Längen kann man wählen. Um die Front möglichst tief zu bekommen, gibt es optional auch einen extra flachen Abschlussdeckel.
Insgesamt wird es elf Modelle des neuen Orbea Oiz für 2023 geben, jeweils vier davon mit dem OMX- bzw. OMR-Carbonrahmen sowie drei Bikes mit Aluminium-Rahmen. Viele davon mit Oquo-Laufrädern, der kürzlich vorgestellten Laufradmarke von Orbea. Topmodell ist das Oiz M-LTD mit Fox Factory-Fahrwerk, Sram XX1 AXS-Schaltung und Oquo MP 30 LTD-Carbonlaufrädern für 9999 Euro. Das M-Team-Modell des neuen Orbea-Bikes mit mechanischer Shimano XTR M9100-Gruppe und denselben Komponenten kostet satte 2000 Euro weniger. Wie auch bei den beiden Modelle mit OMX-Rahmen (M-Pro für 6299 Euro/ M-Pro AXS für 6999 Euro) lassen sich die Rahmen per MyO-Konfigurator ohne Aufpreis mit einer Custom-Lackierung ausstatten.
Die vier Oiz-Modelle mit OMR-Carbonrahmen:
Die drei Aluminium-Modelle des neuen Orbea-Racebikes für 2023:
Wir konnten das neue Orbea-Racebike als eines der ersten Magazine weltweit bei der Präsentation im nordspanischen Navarra bereits fahren. Testen konnten wir das zweitteuerste Modell Oiz M-Team auf den Trails des Tierra Estella Epic MTB-Marathons. Die Sitzposition fällt bei 1,80 Meter Körpergröße auf einem L-Rahmen deutlich länger als beim Vorgängermodell aus, allerdings hält sich die Sattelüberhöhung in Grenzen. Wir haben uns auf Anhieb im Sattel wohl gefühlt mit dem serienmäßigen 75-mm-Vorbau und 760er-Lenker. Nach der ersten Eingewöhnung ging es auf einer 35-Kilometer-Runde mit 1000 Höhenmetern direkt auf die staubtrockenen Trails. Auch wenn der Antritt nicht mehr ganz so spritzig wie mit Leichtbau-Bikes der klassischen 100-mm-Liga ausfällt, klettert das neue Oiz leichtfüßig gen Gipfel. In steilen Uphill-Sektionen hilft ein Daumendruck am Squidlock-Hebel, den Dämpfer in den Plattform-Modus zu dirigieren. Außerdem schiebt sich dadurch der Sattel etwas nach vorne, was beim Bezwingen von Rampen im Sattel sitzend hilft. Die mittlere Position des speziell abgestimmten iLine-Dämpfers von Fox hebt sich bei neuen Modell nun spürbarer von der geöffneten Position ab. Insgesamt verrichtet das Fahrwerk beim Bergauftreten einen guten Job. Selbst im geöffnetem Zustand bleibt der Hinterbau extrem ruhig und stabil, für längere Klettereinlagen in zahmem Gelände oder auf Asphalt reicht die Mittelstellung, um den Hinterbaufederung ausreichend zu verhärten. Nur im Wiegetritt auf der Straße kann man komplett blockieren, denn dann verhärtet sich auch die Gabel.
Geht’s rasant und ruppig bergab, erkennt man sofort, auf welchem Terrain das neue Orbea Oiz dem Vorgängermodell deutlich überlegen ist. Mit der längeren, flacheren Geometrie, dem Plus an Federweg sowie dem abgesenkten Sattel rauscht das Racefully ähnlich souverän über Steinfelder wie Down-Country-Bikes. Die breiten Maxxis-Reifen (Rekon Race 2,4’’) steuern das Bike schnell und direkt durch die staubigen Kurven, durch die man es mit dem 760er-Cockpit gezielt hat. Das Fahrwerk arbeitet hinten und vorne harmonisch und ebnet Rüttelpisten ein. Der Federweg lässt sich komplett nutzen und für härtere Landungen bleibt genügend Endprogression gegen Durchschläge. Insgesamt machte der Rahmen bei den ersten Fahrtests in Spanien einen steifen Eindruck. Wie gut er auch nach objektiven Kriterien ist und sich im Vergleich zur Konkurrenz schlägt, müssen die Messungen im BIKE-Testlabor und Vergleichstests zeigen.
“Das neue Orbea Oiz befeuert den allgemeinen Trend im Cross-Country-Bereich und zeigt eindrucksvoll, dass 120 Millimeter früher oder später die klassischen 100-mm-Racebikes ablösen werden. Ausgehend von einem sehr guten Vorgängermodell haben die Basken konsequent an Details gefeilt anstatt alles über den Haufen zu werden und von Grund auf ein Bike neu zu entwickeln. Ebenfalls positiv für Kunden: Auch in Sachen Langlebigkeit hat man sich Gedanken gemacht. Trotz der deutlich gestiegenen Downhill-Qualitäten erhält sich das Oiz durch einen leichten Rahmen die DNA eines Racebikes und driftet nicht in die Down-Country-Schiene ab.