Ihr würdet es genauso machen: Als Dauertest-Bike für eine oder mehr Saisons muss ein Testsieger her, ein 10-Punkte-Bike. Denn: Warum ein durchschnittliches Bike fahren, wenn man auch ein Top-Bike haben kann? Diesmal wählte ich anders. Im Enduro-Test (Enduro-Spezial 2022) sorgte das sandfarbene Radon Swoop für viel Diskussion. Die eine Testerfraktion sah in dem vortriebsstarken 29-Zoll-Bike mit seinem schicken Carbon-Hauptrahmen und Alu-Heck ein sehr gutes Enduro im klassischen Sinn, sprich: einen Allrounder mit großem Einsatzbereich. Die anderen Tester straften es ab für seinen straffen Hinterbau, denn es musste die abfahrtsfokussierten EWS-Rennmaschinen beim Downhill ziehen lassen, wurde schneller nervös. Am Ende bekam das 9er-Swoop im Test magere 7,5 Punkte.
Ich selbst war hin- und hergerissen: Was jetzt? Hohes Speed-Potenzial oder fetter Einsatzbereich? Daher mein Entschluss: Die Karre fahre ich jetzt eine ganze Saison, in jedem Terrain. Das ist für mich wichtig: Ich will mein Bike überall fahren können; ich bin also ein Anhänger der klassischen Enduro-Definition: Berg-Touren, Trailrides, Bikeparks, Epicrides – ich trete meinen Dauertester sogar täglich 50 Kilometer durch den Wald ins Büro und zurück.
Das Radon zeigt sich da bisher als angenehmer Dienstwagen. Es rollt über gewelltes Gelände fast wie ein Trailbike, lässt sich gut beschleunigen und hält das Tempo. Gleichzeitig gibt es sich Stunt-verliebt: Der Federweg (170 mm vorne wie hinten) lässt keine Ausreden zu. Chickenway? Nee, mit so viel Hub musst du rüber über den Drop oder das Gap, sonst bricht ein Zacken aus der Freeride-Krone.
Das Swoop kriegt von mir eine zweite Chance. Und ich werde es etwas tunen, um alles aus dem Bike rauszuholen. Ich halte Euch auf dem Laufenden!
Zwar spulte das Radon Swoop ordentlich Kilometer runter, viel Action hat der Freerider aber nicht gesehen, dennoch ging was kaputt.
Bikeparks zu, Drops eingeschneit, Abfahrts-Trails zu weit im Süden – über den Winter zweckentfremdete ich das Swoop zum Trail-Tourer. Ich hatte das Serienbike mit dem neuen Stahlfederdämpfer Rock Shox Deluxe Coil und der besten Zeb-Gabel ausgestattet.
Super: die zuschaltbare Antiwipp-Plattform am Dämpfer – super, bis die sehr dünne Alu-Spindel brach und der Dämpfer dann “zu” blieb. Garantiefall.
Sonst zeigte sich das Swoop zuverlässig wie ein deutscher Steuerbescheid. Nur mit dem Trail-Handling tue ich mich etwas schwer. Solange die Schwerkraft an dem sandfarbenen Freerider zerrt – kein Problem. Doch auf dem Trail erfordert das Bike vollen Körpereinsatz.
Will man das Swoop zum Bunnyhop in die Luft wuchten, sollte man einige Wochen das Krafttraining der Ruso-Bros absolviert haben, sonst bleibt das Rad am Boden kleben. Das liegt sicher auch an der Rahmengröße Large (normalerweise fahre ich Medium bei 179 cm Körpergröße), doch das Bike fühlt sich nicht zu groß an.
Bissig: Maguras MT-5. Die Bremse packt kräftig zu, wenn auch etwas digital. Surf-Einlagen auf dem Hinterrad erfordern etwas Übung bei der Modulation der knackigen Stopper. Demnächst mehr!
Das Radon Swoop musste im Test Prügel einstecken. Dennoch entschied ich mich für das Versender-Bike als Dauertester. Jetzt ist über ein Jahr vergangen, Zeit für eine Bilanz.
Bin ich so gefühlsduselig? Oder einfach verdammt smart in der Wahl meines Dauertest-Bikes, denn jedes Mal scheine ich mich in die Karre zu verlieben und will sie nicht mehr hergeben. Letztes Mal hatte ich regelrecht Entzugserscheinungen und preiste das Specialized Stumpjumper (altes Modell) als bestes klassisches Enduro auf dem Markt an.
Diesmal habe ich ein Bike gewählt, das im BIKE-Test nur mäßig abgeschnitten hat, wegen eines ruppigen Hecks. Mir dagegen hat sein breiter Einsatzbereich gefallen, der Vortrieb, die martialische Optik des Carbon-Rahmens in matter Military-
Lackierung und die irre Preis-Leistung: 3099 Euro wollte Radon für das 170-Millimeter-Bike.
Mit vielen Enduros will man heutzutage nur noch runterfahren, weil zu träge, zu anstrengend. Das Radon gehört nicht dazu, deswegen kurbelte ich auch ordentlich Kilometer auf dem Versender-Bike, missbrauchte es als Commuter-Vehikel auf Straße, Trail und Wald. Und setzte es als Park-Shredder ein, als Jump-Maschine und Berg-Tourer (um auf technischen Alpin-Trails wieder abzufahren). Ich fand heraus, dass der Luftdämpfer Rockshox Super Deluxe Select+ im Radon tatsächlich überfordert war. Das Heck harmonierte nicht mit der Front und brachte eine eigenartige Disbalance ins Fahrwerk. Vorne: flubber-flubber, hinten: klonki-klonki. Das nervte, daher verpasste ich dem Heck einen Stahlfederdämpfer von Rockshox und siehe da: Jetzt flubberte es auch hinten. Nun mutierte das Bike zum Freerider, mit dem ich mich auch Drops außerhalb der Komfortzone traute.
Sehr angenehm: die schnell zuschaltbare Druckstufe. So lässt sich der Dämpfer im Uphill effektiv beruhigen. Von dem Hebelchen machte ich viel Gebrauch. Überhaupt hatte ich an der gesamten Ausstattung wenig auszusetzen, alles funktionierte. Schön kräftig: Maguras MT-5. Ihr spendierte ich die roten „Porsche“-Beläge von Trickstuff für noch mehr Grip und weniger Gejaule bei Nässe. Eigentlich bin ich ja ein Medium-Fahrer, doch wenn man sich mal an größere Bikes gewöhnt hat, ist das wie mit breiten Lenkern – da will man nicht mehr zurück. Dabei fällt das Swoop noch gemäßigt aus. Auch die Kettenstreben sind nicht zu lang, dass sich das Bike willig zum Manual (bin manual-süchtig) aufs Heck ziehen lässt. Und das trotz 29er-Hinterrad. Auch an All-29 hab’ ich Gefallen gefunden, denn es zwingt mich alten Abhocker in eine schön vorwärts orientierte Fahrposition.
Ich bin mit dem Swoop happy geworden. Super: der breite Einsatzbereich. Das ist eine Menge Bike fürs Geld. Jetzt reduziert auf 2599 Euro. Crazy!