Max Fuchs
· 25.02.2021
Trek treibt den Minimal-Assist-Trend auf die Spitze: Die herausnehmbare Antriebseinheit verwandelt das E-Caliber binnen Sekunden vom E-MTB in ein klassisches Bike.
Viel E und weniger Bike – das trifft auf ein Gros der aktuellen Entwicklungen in der E-MTB-Branche zu. Starke Motoren und wachsende Akku-Kapazitäten bestimmen den Mainstream. Im Windschatten hat sich in den letzten Jahren allerdings eine Gegenbewegung formiert. Light-E-MTBs – oder Minimal-Assist-Bikes – wie das Specialized Levo SL, Orbea Rise oder Rotwild R.X 375, wollen Mountainbiker glücklich machen, die sich von der Motorunterstützung lediglich einen kleinen Reichweiten- oder Geschwindigkeits-Boost erhoffen und ein handlicheres, natürlicheres Fahrverhalten suchen. Das Konzept: kleiner Akku, teils gedrosselte Motorunterstützung und ein dementsprechend geringeres Gewicht.
Den Ingenieuren des neuen Trek E-Caliber war das aber offenbar nicht genug. Der neueste Wurf der Amerikaner ist ein 15,75 Kilogramm leichtes Minimal-Assist-Bike (Top-Modell, Größe M, Herstellerangabe) mit Fazua-Antrieb, das dem Fahrgefühl eines "echten" Mountainbikes mehr als nur nahe kommt.
Durch die herausnehmbare Antriebseinheit lässt sich das Trek E-Caliber binnen Sekunden in ein unmotorisiertes Race-Fully verwandeln – für 100 Prozent natürliches Fahrgefühl! Im Gegensatz zu den oben erwähnten Kandidaten ist das E-Caliber zudem kein ausgewachsenes Trailbike – sondern ein sportliches, auf Vortrieb getrimmtes Cross-Country- oder Marathon-Bike.
Fairerweise muss man sagen: Eine Weltneuheit ist das E-Caliber damit nicht. Denn bereits vor drei Jahren stellte uns Focus mit dem Raven2 ein Minimal-Assist-Hardtail mit dem herausnehmbaren Fazua-Antrieb vor. Bulls und Lapierre präsentierten kurze Zeit später auch Fullys mit der Zwei-in-eins-Idee. 2021 scheint das Konzept der minimalistischen Cross-Country-Flitzer mit E-Antrieb neue Fahrt aufzunehmen. Vor wenigen Wochen präsentierte BH Bikes mit dem iLynx ebenfalls ein Fully mit wenig Federweg, abgespecktem Antrieb und Komponenten, die auf Leichtbau statt Abfahrtsstärke und Trail-Spaß getrimmt sind.
Nicht nur der Name, sondern auch das gesamte Konzept des neuen Trek E-Caliber beruht auf dem unmotorisierten Weltcup-Racer Trek Supercaliber. So ist auch das E-Caliber weder Fully noch Hardtail. Denn durch einen definierten Drehpunkt mit Lagerung und einem so genannten Iso-Strut-Dämpfer, der rotationsfrei am Oberrohr anliegt, kann die Rahmenkonstruktion in Sachen Steifigkeit und Vortrieb sogar mit normalen Carbon-Hardtails mithalten.
Dafür fällt aber auch der Federweg mit nur 60 Millimetern sehr knapp aus. Dass das Softtail-Konzept von Trek funktioniert, konnte Cross-Country-Star Jolanda Neff schon mit zahlreichen Weltcup-Erfolgen beweisen – nur eben ohne Akku im Unterrohr. Ansonsten besteht der komplette Rahmen aus Carbon – wie es sich für ein Racebike eben gehört. An der Front federt das E-Caliber mit 120 Millimetern Federweg. Laufradgröße: 29 Zoll.
Herzstück des neuen Trek E-Caliber ist die Fazua-Antriebseinheit. Dabei steckt der Motor samt Akku in einem Alu-Gehäuse im Unterrohr. Die Eckdaten: 55 Newtonmeter in der Spitze und 250 Wattstunden Akkukapazität. Das Aggregat ist dabei lediglich über ein kleines Zahnrad im Kettentrieb eingebunden. So geht der Widerstand bei Geschwindigkeiten über 25 km/h gegen null.
Nimmt man dagegen die 3360 Gramm schwere Antriebs-/Akku-Einheit heraus und ersetzt sie durch ein Unterrohr-Cover aus Alu, wird aus dem 16,31 Kilo schweren Minimal-Assist-Bike ein Racebike mit 13,45 Kilo Gesamtgewicht (E-Caliber 9.9 XTR, Größe L). Beeindruckend, doch wirklich leicht ist das für einen rassigen (und teuren!) Racer dieser Kategorie freilich nicht.
Das liegt zum größten Teil an der 1,3 Kilogramm schweren Getriebe-/Tretlager-Einheit, die fest verankert im Rahmen sitzt. Außerdem erfordert die große Öffnung für die Fazua-Einheit im Unterrohr massiven Materialeinsatz, um Stabilität und Steifigkeit zu gewährleisten.
Beim Vortrieb stehen drei verschiedene Unterstützungsstufen zur Wahl: Breeze, River und Rocket. In der schwächsten Stufe (Breeze) schiebt der Motor konstant mit 100 Watt unabhängig vom Input des Fahrers. Der River-Mode orientiert sich an den progressiven Trail- oder EMTB-Modi von Bosch und Shimano. Nach dem Motto "geben und nehmen" entfaltet der Motor nur bei maximalem Krafteinsatz des Fahrers seine volle Power. Die liegt dann allerdings deutlich unter dem Schub eines Bosch- oder Shimano-Motors. Im Rocket-Mode steht dann die gesamte Motorleistung uneingeschränkt zur Verfügung.
Neu ist der Remote-Hebel der Fazua-Einheit. Und das ist gut so! Bisher fiel die klobige, wenig wertige Bedieneinheit der Bayern negativ auf. Das neue Modul ist deutlich schlanker und schicker ausgeführt. Die farbliche Codierung der Unterstützungsstufen und die Akkustandsanzeige über LEDs hat auch der moderne Neuling geerbt.
In diesem Zuge hat Fazua einen weiteren Kritikpunkt ausgemerzt. Die Antriebseinheit lässt sich jetzt immer über den Hebel am Lenker aktivieren. Bei früheren Modellen musste man den Akku nach einer längeren Standzeit herausnehmen und aktivieren, um den Motor zu starten. Damit hat Fazua einige Kinderkrankheiten geheilt.
Mit Hilfe der Fazua-Software lassen sich die einzelnen Unterstützungsstufen individuell anpassen. Dabei können in jedem Modus jeweils die maximale Leistung, das Verhältnis von Fahrer- zu Motorleistung sowie die Beschleunigung in Ein-Prozent-Schritten angepasst werden. Leider funktioniert das bei Fazua nicht wireless mittels App, sondern nur über einen Rechner via Kabel.
Diese Funktion spielt beim E-Caliber allerdings eine zentrale Rolle. Denn wer alle Regler auf Vollgas dreht, dem wird mit dem kleinen Akku schnell der Saft ausgehen. Es sei denn, man packt sich einen Zweit-Akku in den Rucksack. Dank der minimalen Größe und dem geringen Gewicht (1,4 Kilogramm) kann man für lange Touren sogar zwei zusätzliche Energieträger einpacken.
Neben der Software bietet Fazua auch eine App für den Motor an. Sie zeigt beispielsweise die Reichweite in Abhängigkeit von der aktuellen Unterstützung an. Auch navigieren ist möglich. Durch die Schnittstelle mit Garmin und Wahoo eignet sich das Fazua-System aber auch als Powermeter. Informationen wie Geschwindigkeit, Kadenz und die Wattleistung des Fahrers übermittelt der Motor zuverlässig.
Das neue E-Caliber bietet Trek in fünf Ausstattungsvarianten an. Dabei setzen alle Modelle auf denselben Vollcarbon-Rahmen. Los geht's bei 6799 Euro für die Variante 9.6. Das Einstiegs-Modell schaltet mit einer Shimano Deore-Gruppe und ebnet mit einer, gemessen am Preis des Bikes, zweitklassigen Rockshox 35 Gabel den Trail.
Dahinter reiht sich das 8399 Euro teure E-Caliber 9.8 XT ein. Wie der Name schon sagt, setzt dieses Modell auf eine komplette Shimano-Ausstattung aus dem XT-Regal. Für den Aufpreis spendieren die Amerikaner zusätzlich eine Rockshox SID und Carbon-Laufräder. Zum gleichen Preis bekommt man das 9.8er-Modell auch mit GX-Komponenten von Sram.
Das obere Ende der Fahnenstange markieren die beiden 9.9er-Modelle. Für 11999 Euro kommt das Top-Modell mit kompletter XTR-Ausstattung und Fox-Federelementen aus der Factory-Baureihe. Wem das nicht genügt, der kann für 12999 Euro zum 9.9-XX1-AXS-Modell greifen. Mit der superleichten SID-Ultimate-Gabel, Carbon-Laufrädern und einer elektronischen AXS-Schaltung schöpft dieses Modell ausstattungstechnisch aus dem Vollen. Mehr geht nicht!
Leider muss man bei beiden Top-Modellen aus Gewichtsgründen auf eine Vario-Sattelstütze verzichten – ein Kompromiss, den wir nur ungern eingehen. Denn wer im Anstieg um jede Sekunde kämpft, um Rennen zu gewinnen, der wird ohnehin auf einem unmotorisierten Bike Platz nehmen.
Wir haben das Trek E-Caliber 9.9 XTR bereits in vielen Szenarien getestet: Auf der schnellen Hausrunde, bei langen Touren auf Schotterpisten und auf anspruchsvollen Trails. Extrem sportlich, kletterstark und spritzig präsentierte sich der Neuling. Für ein Racebike ohne Vario-Stütze vermittelt das Trek sogar in anspruchsvollerem Gelände erstaunlich viel Sicherheit.
Wer wissen möchte, wie man mit der geringen Akku-Kapazität haushalten muss, wo das neue Konzept Schwächen hat und für wen sich dieses spezielle Bike eignet, schaut in die EMTB 2/21 – ab 20. April im Handel. Dort haben wir alle wichtigen Informationen rund um das Trek E-Caliber in einem ausführlichen Testbericht aufbereitet. Unbedingt reinschauen!