Max Fuchs
· 19.05.2023
Merida One-Forty 10k: Pünktlich zum 50-jährigen Firmenjubiläum präsentierte Merida ein brandneues All Mountain Bike. Wir zeigen mit unserem Test, wie viel Traum-Bike in der Massenware aus Taiwan steckt.
Dass bei all den Boutique-Bikes in diesem Test auch ein paar unserer Leser heimlich von einem Merida träumen, wundert vielleicht den ein oder anderen. Ausgerechnet ein Mountainbike von einem der größten Bike-Hersteller der Welt? Wo steckt da der Reiz? Zugegeben: Auch wir waren anfangs skeptisch. Doch wer beim Merida One-Forty 10k einmal genauer hinsieht, merkt schnell, dass nicht nur Hersteller mit Kultstatus oder kleine Edelschmieden in der Lage sind, Haben-wollen-Reflexe auszulösen.
>> Alle Traumbikes in unserem Test gibt es in diesem Artikel: Die Traumbikes der Leser: Die 6 begehrtesten Bikes im Test <<
Zurück zum Reiz. Der steckt bei Meridas neuem All Mountain Bike, dem One-Forty 10k, neben der schillernden Lackierung und der schicken Formgebung vor allem im Detail. So kommt der Neuling mit einem Staufach und einer Neoprentasche im Unterrohr für Proviant und Ersatzteile. Der Deckel dafür befindet sich unter dem Tretlager und wird von einer Inbus-Schraube fixiert. Der passende Schlüssel für die Schraube steckt in der hinteren Steckachse. Doch damit nicht genug: Mini-Schutzbleche am Hinterbau und an der Gabelbrücke fangen den gröbsten Dreck ab, den magnetischen Fidlock-Flaschenhalter montiert Merida ab Werk. Auch das Minitool unterm Sattel ist im Kaufpreis enthalten.
Einen weiteren USP bietet das Merida One-Forty mit seiner hauseigenen Teleskopstütze mit 230 Millimetern Hub. Zum Vergleich: Der maximale Hub bei den Reverb-Modellen von Rockshox beträgt nur 200 Millimeter. Doch der eigentliche Vorteil von Meridas
Limotec-TR-Dropper besteht in ihrem variablen Verstellbereich. So lässt sich die Sitzhöhe nicht nur via Sattelklemme, sondern auch mit der Stütze selbst verstellen. Dadurch können auch kleine Piloten für mehr Laufruhe zum längeren Rahmen greifen, ohne durch den maximalen Sattelstützen-Einschub begrenzt zu sein. Und zu guter Letzt: Dank Flipchip an der Dämpferanlenkung kann man je nach Vorliebe auch auf ein kleineres 27,5-Zoll-Hinterrad umrüsten.
Bei der Menge an technischen Finessen und cleveren Detaillösungen drängt sich die entscheidende Frage auf: Besitzt das Merida One-Forty auch auf dem Trail das Rüstzeug zum Traum-Bike? Kurz gesagt, jein. Denn bergab spricht das Fahrwerk zwar sensibel an, verarbeitet aber trotz des üppigen Federwegs grobes Geläuf weniger souverän als die besten All Mountain Bikes dieser Preisklasse. Auf gemäßigten Trails verträgt das One-Forty durch den langen Reach und den 65 Grad flachen Lenkwinkel aber dennoch viel Geschwindigkeit. Die steile, sehr lineare Federkennlinie bietet über den gesamten Federweg viel Gegendruck und animiert zu einer aktiven Fahrweise. So versprüht das Merida fast schon mehr Trailbike-Feeling als All-Mountain-Flair.
Gleiches gilt für die Uphill-Performance. Denn, während das Gros der modernen All Mountains immer mehr mit den noch abfahrtslastigeren Enduros verschmilzt, kommt man mit dem Merida One-Forty 10k tatsächlich noch über alle Berge. Den Grundstein dafür legen die Entwickler mit der sehr modernen und vortriebsorientierten Geometrie. 79 Grad Sitzwinkel, mehr als 500 Millimeter Reach und ein 50er-Vorbau – diese Kombination resultiert in einer sportlichen Sitzposition. Viel Druck auf der Front und Kontrolle über das Vorderrad ermöglichen diese Maße ebenfalls. Wer es auf Tour aber lieber gemütlicher angehen lässt, der wählt eine Größe kleiner, oder tauscht den Vorbau gegen ein kürzeres Modell, um die Sitzposition zu entschärfen.
Der antriebsneutrale Hinterbau unterstreicht den sportlichen Charakter des One-Forty. Trotz 148 Millimeter Federweg bleibt das Heck beim Pedalieren angenehm ruhig. Auch das Gesamtgewicht von 14 Kilo (ohne Pedale) kann sich angesichts des üppigen Hubs und der soliden Bereifung sehen lassen. So beschleunigt das Merida leichtfüßig und macht Lust auf lange Touren. Spätestens nach dieser Erkenntnis wich dann zumindest bei unseren tretfreudigen Testfahrern auch die anfängliche Skepsis endgültig dem Haben-Wollen-Reflex.
Auch wenn man Merida nicht direkt mit exklusiven Luxus-Bikes in Verbindung bringt, hat der Branchenriese mit dem One-Forty 10k ein Objekt der Begierde auf die Räder gestellt. Die Fahreigenschaften überzeugen. Die vielen durchdachten Detaillösungen sind zusätzliche Argumente.
Mit dem Ziel, die Wahrnehmung der in seinem Heimatland Taiwan hergestellten Fahrräder zu verbessern, gründete Ike Tseng 1972 die Marke Merida – mit Erfolg. Denn gemeinsam mit Branchen-Riesen, wie Giant und Co, ist Merida heute Anwärter auf den Titel “größter Bike-Hersteller der Welt”. Im Gegensatz zu den meisten kleineren Schmieden in diesem Test beschränken sich die Taiwanesen aber nicht nur auf den Bau von Mountainbikes. Ganz im Gegenteil: Der Anteil geländetauglicher Zweiräder ohne Motor beläuft sich nur auf 30 bis 40 Prozent.
GESAMT BERGAUF: 66,75 VON 90
GESAMT BERGAB: 113 VON 130
*Das BIKE-Urteil gibt die Labormesswerte und den subjektiven Eindruck der Testfahrer wieder. Das BIKE-Urteil ist preisunabhängig.
BIKE-Urteile: super (250–205 P.), sehr gut (204,75–170 P.), gut (169,75–140 P.), befriedigend (139,75–100 P.), mit Schwächen, ungenügend.