Florentin Vesenbeckh
· 21.03.2023
Die neue Sram Eagle Transmission ist zwar keine spezielle E-Bike-Schaltung. Bei der Entwicklung spielten aber besonders die Anforderungen von E-MTBs eine wichtige Rolle. Wir haben mit dem neuen elektronischen Antrieb einen Winter lang Kilometer geschrubbt.
Mit der Eagle Transmission hat Sram nicht einfach seine beliebten 1x12-Schaltungen etwas weiterentwickelt. Insbesondere die neue Bauweise des Schaltwerks ist viel mehr als ein kleines Update. Das große Versprechen: Diese Schaltung ist so robust und langlebig wie keine zuvor. Außerdem soll sie besonders sorgenfrei und dauerhaft exakt funktionieren. Für E-Mountainbiker besonders interessant: Die Schalt-Performance unter Volllast soll sich deutlich verbessert haben. Egal ob Boost- oder Turbo-Modus: Der Druck auf die Tasten der Schalter ist zu jeder Zeit und in allen Fahrsituationen explizit erlaubt.
Größte Neuerung ist das fehlende Schaltauge. “Full Mount” nennt Sram die beidseitig am Ausfallende sitzende Befestigung. Statt der oftmals schmal und labil wirkenden Schaltaugen, greift das Schaltwerk mit zwei massiven Flügeln direkt auf den Rahmen und die Achse zu. Dadurch entfallen Toleranzen zwischen XD-Freilauf, Kassette, Schaltwerk und Hinterradachse. Zudem schafft die neue Befestigung eine viel stärkere Verbindung, da sie auf beiden Seiten des Rahmens greift und das Schaltwerk von Achse und Rahmen gestützt wird. Viele werden sich fragen: Was ist mit der Sollbruchstellenfunktion des klassischen Schaltauges? Ist der Rahmen kaputt, wenn ich mit Eagle Transmission stürze? Nein, denn das neue Sram AXS-Schaltwerk ist mit dem Achssystem verbunden und so konstruiert, dass es extrem robust ist. Laut Sram sollen Schaltwerks-Totalschäden oder -Abrisse damit Geschichte sein. Die Vorteile: Schaltungenauigkeiten durch verbogene Schaltaugen sollen Geschichte sein. Außerdem ist die Einstellung des Systems viel simpler geworden. Denn Schaltwerk und Kassette befinden sich mit dem System in einem exakt genormten Abstand zueinander. Viele Einstellungen an der Schaltung entfallen damit komplett. Das soll Fehlfunktionen oder ungenaues Schalten durch falsche oder verstellte Einstellungen komplett abschaffen.
Für die Schalt-Performance am E-Bike ist die Kassette mindestens ebenso wichtig, wie das Schaltwerk. Sram hat bei den neuen Transmission- Kassetten intensiv an den Schaltgassen (Steighilfen) und dem Design der Zähne (X-Sync nennt es Sram) gearbeitet. Das Ergebnis: Schalten unter Volllast, auch mit massig Schub vom E-Bike-Motor, ist dadurch möglich. Wie sich das in der Fahrpraxis bemerkbar macht, schildern wir weiter unten ausführlich. Ebenfalls neu: In Sachen Abstufung der Ritzel hat Sram bei den Sprüngen der großen Ritzel nachgebessert. Die Eagle Transmission-Kassetten mit 10-52 Zähnen haben eine Übersetzungsbandbreite von 520%, setzen weiterhin auf den bewährten XD-Freilauf und bieten eine verbesserte Gangabstufung mit 38 und 44 Zähnen im Bereich der Berggänge (im Vergleich zur 10-52er Kassette des klassischen Eagle-Antriebs). So sollen die Sprünge beim Fahren im Uphill homogener sein. Mit der neuen Kassette kommt Sram der Abstufung von Shimano sehr nahe, wobei Shimano “nur” bis maximal 51 Zähne geht.
Bei den Ketten übernimmt Sram das Flattop-Design, das man bereits von den Rennrad- und Gravel-Schaltungen der US-Amerikaner kennt. Allerdings kommen bei den MTB- und E-Bike-Schaltungen nicht dieselben Ketten zum Einsatz wie auf der Straße, sie haben nur das namensgebende Design mit der flachen Oberseite gemein. Fürs E-Mountainbike sind die XO- und XX-Ketten gedacht. Die leichteste XX SL-Version ist explizit nicht für E-Bikes freigegeben. Preislich liegen die beiden E-MTB-Ketten bei 120 bzw. 150 Euro, was eine echte Hausnummer für das Verschleißteil Nummer eins beim Mountainbike und E-Bike ist. Zudem verzichtet Sram auf eine robustere Auslegung von Kette und Kassette fürs E-MTB. Nach eigenen Aussagen liegt der reine Verschleiß auf vergleichbarem Niveau mit dem Vorgänger. Bei intensiver E-Bike-Nutzung kann das ein teurer Spaß werden. Allerdings muss man dazu erwähnen, dass die hochwertigen Ketten und Kassetten von Sram in unserem letzten Verschleißtest sehr gut abgeschnitten haben. Einen anderen Weg geht Shimano mit den robusten Linkglide-Verschleißteilen, die auf 11 statt 12 Gänge setzen, um mit breiterer, schwererer und dadurch besonders robuster Bauform weniger Verschleiß aufweisen sollen.
Der Begriff “Schalthebel” existiert im Transmission-Universum nicht mehr. “Pod” nennt Sram seine neuen AXS Controller, die Funkschalthebel für die elektronischen AXS-Gruppen. Die neuen AXS Pods sind kleiner und leichter als alle bisherigen AXS Controller fürs MTB. Der Ultimate AXS Pod samt der neuen Infinity-Lenkerschelle wiegt nur 46 Gramm. Zudem hat Sram die Ergonomie verbessert: Man bekommt nun deutlicheres, haptisches Feedback, wenn man den Schaltknopf gedrückt hat. Zudem lassen sich die AXS-Pods je nach Armaturen und Lenkerform deutlich vielfältiger einstellen. Durch die neue Infinity-Lenkerschelle kann man sie stufenlos justieren und mit ein und derselben Schelle an beiden Seiten nutzen. Gespeist wird der AXS Pod von einer CR2032-Knopfzelle und er ist staub- und wasserdicht. Die Ultimate-Version der neuen AXS Pods kann man zudem mit konvexen und konkaven Knöpfen individualisieren. Die neuen Sram AXS-Schalthebel lassen sich genauso individuell programmieren wie die bisherigen AXS Controller und sind zudem auch an alten AXS-Schaltungen nachrüstbar. Preis: 180-240 Euro je nach Ausführung.
Für Bosch- und Brose-Motoren bietet Sram zwei verschiedene Kurbel-Versionen an. Einmal Carbon (XX: 165, 170 oder 175 mm), und einmal Aluminium (XO: 160, 170 oder 180 mm). Passende Kettenblätter mit 104er-Lochkreisdurchmesser gibt´s mit 34, 36 oder 38 Zähnen. Für Bosch-, Shimano und Brose-Antriebe gibt es auch passende Direct-Mount-Lösungen, dann allerdings nur mit 36 oder 38 Zähnen.
Fast ein halbes Jahr vor der Vorstellung stellte uns Sram ein Trek Rail mit der neuen Eagle Transmission zur Verfügung. Über den vergangenen Winter konnten wir so ausführliche Praxiserfahrungen mit der neuen Schaltung sammeln und schauen, wie sich das System mit Schlamm und Schneematsch verträgt.
Der allererste Eindruck der neuen Schaltung macht Lust auf mehr. Denn die Ergonomie und Bedienung der neuen Pods ist angenehm und intuitiv. Wer mechanische Schalthebel von Shimano oder Sram gewohnt ist, wird sich hier direkt zurechtfinden. Die Taster für die Gangwechsel liegen genau dort, wo man sie erwartet. Das war bei den AXS-Vorgängern von Sram nicht immer der Fall. Auch die Rückmeldung beim Tastendruck ist bei den Transmission-Pods deutlich klarer. Auch mit Handschuhen spürt man immer direkt, ob der Schaltauftrag abgesendet wurde.
Aber was ist mit den Gangwechseln? Wunder kann man von einer neuen Schaltgruppe freilich nicht erwarten. Denn die Schaltvorgänge sind seit Jahren mit allen hochwertigen Schaltungen von Shimano und Sram absolut präzise und schnell. Da macht die Eagle Transmission keine Ausnahme. Einen Unterschied merkt man erst, wenn man unter Last schaltet. Gerade am E-Mountainbike ist das häufig der Fall und in schwierigen Uphills unumgänglich.
Mit der neuen Eagle Transmission kann man wirklich in jeder Situation bedenkenlos den Schalthebel drücken. Mit herkömmlichen Schaltungen zuckt man ab und an förmlich zusammen, wenn die Kette mit einem satten Knall auf dem nächsten Ritzel einschlägt. Das klingt alles andere als gesund. Diese Momente gibt es mit der Eagle Transmission nicht mehr. Selbst bei eingelegtem Turbo-Modus und voller Pedalpower gehen die Gangwechsel verhältnismäßig smooth vonstatten. Man hat das Gefühl, dass die Kette behutsam auf dem Zahnkranz abgelegt wird, anstatt einfach nur geschubst zu werden.
In seltenen Fällen spürt der Fahrer, dass die Gangwechsel nicht unmittelbar nach dem Druck auf den Schalthebel, sondern mit minimaler Verzögerung stattfinden. Das liegt an den definierten Schaltgassen der Kassette, die die Schaltvorgänge so geschmeidig machen. Dieses minimale Delay war in der Fahrpraxis allerdings zu keiner Situation ein Nachteil. Ganz ähnlich haben wir diesbezüglich Shimanos neue Linkglide-Technologie erlebt, die ebenfalls auf klar definierte Schaltgassen auf den Ritzeln der Kassette setzt.
Ebenfalls erwähnenswert: In all den Monaten, in denen wir die Eagle Transmission gefahren sind, haben wir nicht eine Kleinigkeit an der Schaltung nachjustiert. Kettenrasseln oder springende Gänge gab es auch zum Ende des Testzeitraums nicht ansatzweise. Bei widrigen Bedingungen suboptimal empfanden wir die übergroßen Öffnungen im unteren Schaltröllchen. Denn hier sammelten sich bei unseren Testfahrten hin und wieder Kleinteile aus der Botanik wie lange Gräser oder kleine Äste.
Schaltaugen waren für mich immer ein Ärgernis, denn über kurz oder lang sind die Dinger leicht verbogen und die Schaltung lässt sich nicht mehr perfekt einstellen. Der Ansatz der neuen Sram Eagle Transmission ist vielversprechend und wirkt mehr als logisch. Ich bin gespannt, wie robust und exakt sich das Schaltwerk im harten Dauereinsatz und nach härteren Felskontakten erweist. Für E-Mountainbiker besonders spannend ist die smoothe Schalt-Performance der Eagle Transmission unter Last. Das ist Next-Level! Auf die Verschleißsorgen von E-Bike-Vielfahrern ist die neue Sram-Schaltung aber nicht wirklich eine Antwort. Kette und Kassette werden weiter richtig teure Verschleißteile bleiben. – EMTB-Testchef Florentin Vesenbeckh