Gravelbikes im Test12 Modelle im Allrounder-Check

Timo Dillenberger

 · 11.11.2023

Das Koga Colmaro Extreme
Foto: Horst Fadel
Gravelbikes sind neben Pedelecs der Biketrend der letzten Jahre und der vielleicht vielseitigste Radtyp, den es bisher gegeben hat. Wir haben 12 aktuelle Gravelräder getestet und festgestellt, wie viele verschiedene Arten Allrounder es heutzutage geben kann.

Man sieht sie im Wald, man sieht sie in der Stadt, man sieht sie vollgepackt auf Reisen, man sieht sie auf der Landstraße, man sieht sie vor Bürotürmen, man sieht sie im Urlaub, man sieht sie überall – und das völlig zu Recht! Gravelbikes sind nicht nur der Biketrend der letzten Jahre abseits von Pedelecs, sondern auch der vielseitigste Radtyp, den es bisher gegeben hat. Wir haben zwölf davon genau auf diese Vielseitigkeit hin getestet und festgestellt, wie viele Ausprägungen es für den Typ Allrounder doch geben kann.

Die 12 Gravelbikes im Test

Das Koga Colmaro Extreme
Foto: Horst Fadel
Alle Räder auf einen Blick

Geschichte des Gravelbikes

War der “Dropbar”, wie der nach unten gebogene Rennlenker an Fahrrädern fachlich korrekt heißt, vor der Pandemie nur vereinzelt an entsprechend sportlichen Straßenrädern zu sehen, verlässt aktuell gefühlt jedes zweite Modell den Shop mit solch einem Teil. Die Lockdowns und die begleitende Outdoor-Gesundheitswelle hatten einen riesigen Effekt auf die Verkaufszahlen, gerade von sportlicheren Fahrrädern. Dass Gravelbikes als der Gewinner aus diesem Trend hervorgeht, war für manchen Händler eine Überraschung, aber bei genauer Analyse hatten sogar schon die Vorgänger das Potenzial zum Kassenschlager.

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Um die Entwicklung des so omnipotenten Biketyps aufzuarbeiten, hat sich MYBIKE ultrakompetente Unterstützung durch den Cyclocross-Weltmeister von 1992, Mike Kluge, gesichert. Diese in der 1980er und 90er Jahren beliebte Disziplin wurde auf seriennahen Rennrädern ausgetragen, die sich fast nur durch andere Bremsen auszeichnete, durch die man wiederum profilierte, wenn auch sehr schmale Reifen aufziehen konnte. Auf technisch oft anspruchsvollen Rundkursen mit Tragepassagen starteten viele Bikekarrieren. Die exotischen Räder gelten als die Urahnen der Gravelbikes.

Der 1962 geborene Mike Kluge war erst als Amateur im Querfeldeinsport sehr erfolgreich, dann als Profi, auch auf der Straße. An seinen alten Stahlrennern hat er damals selbst viel geschraubt, sie trotz gemeinsamer Erfolge aber nicht behalten. Die modernen Räder seien dem einfach zu weit überlegen, sagt Kluge.Foto: Mike KlugeDer 1962 geborene Mike Kluge war erst als Amateur im Querfeldeinsport sehr erfolgreich, dann als Profi, auch auf der Straße. An seinen alten Stahlrennern hat er damals selbst viel geschraubt, sie trotz gemeinsamer Erfolge aber nicht behalten. Die modernen Räder seien dem einfach zu weit überlegen, sagt Kluge.

Scheibenbremsen machen Unterschied

Lange geriet die Sportart in Vergessenheit, das lag unter anderem an der recht schweren Beherrschbarkeit der Räder abseits fester Straßen und der quasi nicht vorhandenen Bremswirkung zu dieser Zeit, Crossveteran Kluge nennt das Material damals für Amateure gar lebensgefährlich. Erst mit der Erfindung und Freigabe von Scheibenbremsen durch den Weltverband erlebte der sportliche Geländeritt eine Renaissance, erst in Cross-Rennen, dann auch bei den Hobbyfahrern. Heute stammen gar viele der besten Straßenprofis aus dem Querfeldeinsport, wie die Disziplin früher hieß.

Pioniere erkannten, dass so ein geländetaugliches Rennrad die Vorteile mehrerer Welten vereint, und genau deshalb hat sich der Biketyp so vehement durchgesetzt und verschiedene Blüten getrieben. Früher waren Querfeldeinräder aus Stahl, heute und im Test finden wir auch Alu- und sogar mehrheitlich Carbon-Gravelbikes. Rahmenmaterial und Form haben einen prägenden Einfluss auf die Fahreigenschaften, nicht nur auf das Gewicht, wie uns Max Fetzer, Ingenieur und Produktmanager bei Storck, verrät.

Scheibenbremsen mit Zügen statt Hydraulik, wie am Bombtrack, brauchen deutlich mehr Kraft an den Händen, sind dafür etwas wartungsfreundlicher.Foto: Horst FadelScheibenbremsen mit Zügen statt Hydraulik, wie am Bombtrack, brauchen deutlich mehr Kraft an den Händen, sind dafür etwas wartungsfreundlicher.

Bei vergleichbaren Rohrformen sei Carbon besonders steif und leicht, deutlich dünnere Rohre aus Alu und Stahl flexen dafür minimal mehr – Nachteil beim harten Lenken und Beschleunigen, Vorteil über unebene Strecken, weil die relative “Weichheit” im Rahmen Stöße von unten etwas dämpfen. Die Geometrie des Rahmens habe darauf mindestens einen genauso großen Einfluss wie das Material, so Fetzer.



Buntes Dutzend an Gravelbikes

Im Testfeld rangieren drei Bikes aus Stahl, drei aus Alu und sechs aus Carbon. Als Exot unter Exoten verfügt das Bombtrack sogar über eine Federgabel, bei den üblicherweise sportlich flach bauenden Gravelbikes eher unüblich. Experte Kluge ist bekennender Carbonfan, räumt aber ein, dass die schwereren Metallräder um einiges mehr Fahrfehler verzeihen – und zusätzlich auch mal einen Sturz mehr. Er liebe es aber, mit den modernen, leichten, wendigen Bikes mit ihren steilen Steuerrohrwinkeln um die Ecken zu fetzen.

Solch zuverlässigen und vielseitigen Varianten wie im Test habe er sich zu Querfeldeinzeiten immer gewünscht. Auch er ist überzeugt, dass die hydraulische Scheibenbremse der Quantensprung am Gravelbike war. Aktuell freut er sich über immer mehr elektronische Schaltungen, drei der Testbikes sind damit ausgestattet. Und wie wir fühlt sich der 61-Jährige auch auf langen Touren auf Gravelbikes oder MTB pudelwohl. Warum und für wen so ein Rad neben dem Geländetrip auch ein top Begleiter auf Radreisen und dem Weg zur Arbeit ist, können sie in den einzelnen Tests nachlesen.

Egal von welchem Rad man kommt, das Gravelbike macht irgendwie jedem Spaß, und zwar fast in jeder Situation. Die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten verlangten natürlich auch ein Vielfaches an Testfahrten, -kilometern und -parcours.Foto: Helge TscharnEgal von welchem Rad man kommt, das Gravelbike macht irgendwie jedem Spaß, und zwar fast in jeder Situation. Die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten verlangten natürlich auch ein Vielfaches an Testfahrten, -kilometern und -parcours.

So testet MYBIKE - Gravelbikes 2023

1. Bestandsaufnahme

Die Testräder wurden vor dem ersten Meter auf Montagezustand, Ausstattung und clevere Detaillösungen bei der Konstruktion untersucht, vermessen und gewogen und auf die Tester eingestellt.

2. Offroad-Test

Etwa 15 km lange Wald- und Wiesenrunde, dazu gehörten feste Schotter- und Waldwege, feuchte Passagen und Singletrails mit engen Kurven sowie kurzen, knackigen Anstiegen und Abfahrten.

3. Road-Test

Auf mindestens zwei “Heimwegen” bewiesen die Bikes Stadtdschungel-Qualitäten insofern, wie dynamisch sie auf Beschleunigungen und abrupte Manöver reagieren inkl. kurzer Highspeed-Überlandfahrten und ein Parcours mit standardisierten Taschen (2 + 4 kg).

4. Bewerten

Weil nicht alle Charakteristika so eines variablen Bikes ins Fazit passen, haben wir viel grafisch aufgefangen (Grafiken zum Einsatzbereich und zur Sitzposition, Bsp. siehe unten). Die Skala zur Sitzposition betrifft speziell Gravelbikes, ist also nicht vergleichbar mit Trekkingrädern. Das Balkendiagramm bezüglich der Einsatzmöglichkeiten berücksichtigt sowohl Ausstattung und Fahrverhalten als auch “softe Fakten” wie Diebstahlgefahr, flotter Aus- und Einbau der Laufräder oder mögliche Zusatzausstattung.

Gravel steht dabei für die Offroad-Qualitäten von Sitzposition, Fahrverhalten und Ausstattung Sport/Road für Steifigkeit und Dynamik sowie aerodynamische Skills, Alltag/City für möglichst leichte Bedienung, gemäßigte Sitzposition und Empfindlichkeit der Teile. Die Wertung Tour/Reise belohnt besonders Fahrkomfort, Möglichkeiten zur Gepäckbefestigung, Robustheit und die möglichst variable Ausstattung für alle denkbaren Situationen auf Reisen.

Die Grafik mit dem Fadenkreuz links soll eine erste schnelle Einordnung geben, wie das Rad ausgerichtet ist. Auf der X-Achse haben wir die Laufruhe und Wendigkeit gegenübergestellt, diesmal als Bereich, da die Räder in so unterschiedlichen Situationen getestet wurden. Die Y-Achse zeigt an, ob die Ausstattung inkl. Rahmenset eher auf sportliche Einsätze, eher Richtung komfortablem und praktischem Nutzen oder variabel ausgelegt wurde. Achtung: Viele Hersteller bieten Optionen oder ganze Baukästen an, grundsätzlich wurde hier aber nur das Testrad wie geliefert gewertet.

Grafik zum Einsatzbereich und zur Sitzposition am Beispiel des Koga Colmaro Extreme.Foto: MYBIKEGrafik zum Einsatzbereich und zur Sitzposition am Beispiel des Koga Colmaro Extreme.

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